Von aufgepumpten Gangstern und Anabolika
Triggerwarnung, Erwähnung von selbstverletzendem Verhalten
Ich habe keine Ahnung, was zur verfickten Hölle mich geritten hat, als ich zugestimmt habe, Aykan ins Fitnessstudio zu begleiten. Ich habe es auch noch für eine gute Idee gehalten.
Ich muss wahnsinnig gewesen sein.
Gut, das bin ich immer noch.
Skeptisch sehe ich mich in der Umkleidekabine um, die auf der rechten Seite eine lange Spiegelfront hat, damit man auch ja seine Muskeln bewundern kann. Was in Aykans Fall Sinn macht und in meinem keinen.
»Komm schon, Leonardo, nicht einschlafen«, lacht er. Er hat bereits seine Trainingsklamotten – ein Tanktop und eine kurze, schwarze Sporthose – angezogen und verstaut nun seine Sporttasche in einem der roten Spinde.
»Ich schlafe nicht. Ich bin nur schon mal prophylaktisch gestorben«, weise ich ihn darauf hin.
»Scheiße, Mann, was ist mit dir? Hast du'n Duden gefressen?«, lacht er und nimmt breitbeinig auf einer der Sitzbänke Platz. Die Ellenbogen stützt er auf den Schenkeln auf, während ich in meine Jogginghose schlüpfe, die ich für ihren eigentlichen Zweck wahrscheinlich noch nie getragen habe.
»Du vergisst, dass der größte Streber aus dieser verschissenen Stadt mein Bruder ist. Ich muss keinen Duden fressen«, erwidere ich noch immer lachend, während mir nur langsam die Bedeutung meiner Aussage bewusst wird.
Ist.
Ist, verfickte Scheiße.
Auch wenn es in meinen kaputten Kopf nicht durchdringen will, Fede ist tot. Er lebt nicht mehr.
»Alles in Ordnung, Leonardo?« Aykan sieht mich nachdenklich an. Ich blinzele. Keine Ahnung, wie lang ich gerade dumm vor mich hingestarrt habe.
Ich winke ab. »Certo, tutto bene ... Ähm, alles gut, meine ich. Lass uns reingehen.« Ich schmeiße mir mein Handtuch über die Schulter und steuere auf die nächste Tür zu, die mir ins Auge sticht.
»Falsche Richtung. Dort geht's zu den Duschen«, grinst er und schiebt mich in die richtige Richtung.
Gemeinsam verlassen wir die Umkleidekabine und steuern auf die Laufbänder zu. Die Dinger sind mir ziemlich suspekt, mit ihren vielen Knöpfen und dem Band, das sich viel zu schnell bewegt.
»Verdammt, ich sollte echt mal weniger rauchen«, stöhne ich, als meine Kondition schon nach kurzer Zeit an ihrem Tiefpunkt angelangt ist und ich gerade noch den Knopf erreiche, mit dem man das Laufband stoppen kann.
Aykan neben mir joggt unbeirrt weiter. Bei ihm sieht das ziemlich leicht aus. Mit ein bisschen Fantasie sogar so, als würde es Spaß machen.
So setze ich mich auf den Boden und warte darauf, dass sich Aykan aufgewärmt hat. Wir müssen ein ziemlich seltsames Bild abgeben.
Danach steuern wir auf die Hantelbänke zu, wo sich noch mehr aufgepumpte Typen und noch längere Spiegelfronten befinden. An uns lief eine durchtrainierte Trainerin vorbei, deren blonder Pferdeschwanz bei jedem Schritt hin und her flog. Aykan lächelte sie an, sie hob die Hand und winkte ihm zu.
»Ey, jetzt mal ehrlich: Spritzt du dir eigentlich Anabolika?«, frage ich, als Aykan nach einer Langhantel greift und ein paar Gewichte draufsteckt. Ich lasse mich auf der Bank nieder, auf der man eigentlich liegt.
Keine Ahnung, warum ich jetzt auf Aykan rumhacken muss. Weiß ja selbst, dass das nicht cool ist.
»Würd ich dir jedenfalls zutrauen. Hauptsache, sieht gut aus und so«, fuhr ich fort, während Aykan die Augenbrauen hochzog und seinen Blick auf mir ruhen ließ. Was sollte die Scheiße eigentlich? Aykan nahm mich mit, hatte Lust etwas mit mir zu machen und ich konnte nicht anders, als so einen Schwachsinn von mir zu geben. Kein Wunder hatte niemand Bock auf mich.
»Tut mir leid«, meinte ich leise und biss auf meiner Unterlippe herum. Ich senkte meinen Blick auf den Laminatboden.
»Du brauchst schon mehr, um mein Selbstbewusstsein zu zerstören.« Er lachte und legte mir kumpelhaft seine Hand auf die Schulter.
Warum schaffte ich es eigentlich nicht, mich einmal zusammenzureißen und nicht so einen dummen Müll zu labern? Konnte doch nicht so schwierig sein. Andere kriegten das doch auch hin.
»Bin halt einfach'n scheiß Versager«, murmelte ich. Die Worte fanden ihren Weg über meine Lippen, ohne dass ich noch dagegen ankämpfen konnte, wollte.
»Leonardo, hör mir jetzt mal zu.« Er kauerte sich vor mir hin und suchte meinen Blick mit seinen dunklen Augen. »Mach dich nicht immer fertig. Ohne Scheiß, das hat doch keinen Wert.«
Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte das verdient.
»Ernsthaft, das bringt doch nichts. Du kannst dich dafür entscheiden, das Beste drauszumachen, dich selber gut zu finden, weil 'ne andere Person wirst du eh nicht. Geht nicht. Oder du kannst dich fertig machen und es ist halt alles scheiße«, fuhr er fort. Ich schob meine Hand unter mein Bandana, kratzte an den Narben herum. An den paar Tage alten Krusten, bis diese sich lösten, ich das Blut unter meinen Fingern spürte.
»Und jetzt, komm, Kumpel. Trainieren, wir sind nicht zum Quatschen hier.« Aykan legte seine Hand auf meine Schulter und drückte mich bestimmt auf die Bank, ehe er mir die Hantel hinhielt. Ich nahm sie entgegen und verdammt, war das Ding schwer.
»Komm schon, fünf schaffst du«, feuerte Aykan mich an und ich konzentrierte mich tatsächlich ganz darauf, die Hantel hochzudrücken. Und wieder. Und wieder.
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