Ballettauftritt
Mein Herz raste, während ich mich im Spiegel musterte. Nur noch ein paar Minuten. Meine Wange waren ein wenig gerötet.
„Hey, Su, mach dir keine Gedanken, du siehst perfekt aus", vernahm ich eine grinsende Stimme und sah im nächsten Moment im Spiegel wie eine Clarissa ihre Arme um mich legte. Ihre Haare waren wie meine zu einem strengen Dutt zusammen gebunden, mit dem Unterschied, dass ihre blond und glatt und meine schwarz und kraus waren.
„Also das hab ich ja jetzt nicht angezweifelt", lachte ich gespielt arrogant und bewegte meine Hand in einer dazu passenden Handbewegung.
Clarissa lachte. „Das wird super gleich", grinste sie.
„Mann, ich bin noch nie auf so ner Bühne gestanden! Das ist komplett crazy." Kopfschüttelnd rieb ich über meine Wangen. Begegnete meinen dunklen Augen im Spiegel. Okay, wir hatten das hundertmal geübt. Ich konnte unsere Aufführung im Schlaf. Und Clarissa hatte recht. Der weiße Spitzenstoff hob sich von meiner Haut ab, während der ausgestellte Rock meine Figur betonte.
Ich würde das schon hinbekommen.
„Ist es echt", grinste Clarissa und küsste mich auf die Wange, dann ging es schon los. Unsere Trainerin kam und gemeinsam bewegten wir uns auf die Bühne. Stellten uns auf, bereit dafür, dass jeden Moment der Vorhang aufgehen würde. Mein Herz raste, die Musik setzte ein und dann gab es nur noch eines: Tanzen, als wäre es mein verficktes Leben.
Es fühlte sich wie ein Traum an. Da war nur das gleißende Licht, die gesichtslosen Menschen im Publikum. Die Bühne, die uns allein gehörte, während ich meine Beine schwingen ließ, die schwierigen Hebefiguren mit den anderen machte. Ich wirbelte herum und es war ein unglaubliches Gefühl, vor so vielen Menschen, das zu tun, was ich liebte.
Und dann war es vorbei. Ich war außer Atem und verschwitzt, doch so glücklich. Ehrlich, hätte nicht besser sein können. Auch als wir in der Umkleidekabine standen und ich mich in Jeans, Sneakers und einen gemütlichen Pulli schmiss, hallte noch das Geräusch des Applauses in mir nach. Wasser rann meinen Rachen runter und ich fühlte mich so gut.
»Willst du dich nicht noch bisschen schick machen?«, fragte Clarissa und klimperte mit ihren Wimpern, die Mascara klebte verschmiert unter ihren Augen. »Du weißt doch, die Feier draußen und dieser Abend gehört einfach uns.« Sie grinste.
»Nee, lass mal. Ich find mein Outfit ist durchaus feiertauglich«, grinste ich und sah an mir runter. Clarissa dagegen entschied sich für ein enges Kleid und ihre geliebten Boots, und nachdem sie die verschmierte Mascara beseitigt hatten, bewegten wir uns nach draußen. Im Foyer war ziemlich etwas los und ich hielt Ausschau nach Mama. An den Stehtischen standen die Besucher zusammen und unterhielten sich ausgelassen.
Noch während ich mich suchend umsah, entdeckte ich einen Typen, der zwischen all den topgestylten Eltern auffiel und musternde, aber auch abwertende Blicke erntete. Schmutzige graue Jogginghose, dunkler Vollbart, der von grauen Strähnen durchzogen war, und ehemals weiße Nikes. Kein Vergleich zu den anderen Eltern, die in Anzugsschuhen und High Heels gekommen waren, die Hemden und schicke Kleidchen trugen.
Na ja, zumindest hatte er seine komischen Gangsterfreunde zuhause gelassen.
Mit Clarissa im Schlepptau steuerte ich auf ihn zu und war auf einmal ein wenig aufgeregt. Ich hatte meinen Vater seit ein paar Monaten nicht gesehen, vielleicht auch schon länger nicht mehr. Mama hatte es nicht so gern, wenn ich meine Zeit mit einem Drogendealer verbrachte, wo natürlich die Frage blieb, warum sie sich von einem schwängern ließ.
»Papa, was machst du denn hier?«, fragte ich ihn überrascht und blieb vor ihm stehen.
»Alhamdulillah, da ist ja meine Kleine!«, lächelte er sanft, wie immer auf Arabisch, wenn er mit mir sprach. Er strich durch meine Locken, die mir jetzt offen auf die Schultern fielen, ehe er mich an sich zog.
»Wann verstehst du endlich, dass ich dir auf Arabisch nur sagen kann, dass ich kein Arabisch spreche?«, lachte ich mit safe einem Haufen Fehlern drin und verharrte einen Moment an seiner Brust. Er roch vertraut, nach Zigarettenrauch und ein wenig nach Gebäck, auch wenn wir uns so lange nicht gesehen haben. Es fühlte sich gut an, wie stark seine Umarmung war.
»Das war jetzt aber eindeutig mehr«, grinste Papa und drückte mich nochmal kräftig, ehe er sich löste. »Suleika, ich bin so stolz auf dich! Eure Aufführung war richtig schön.«
»Danke«, grinste ich und deutete einen übertrieben höflichen Knicks an, ehe ich Clarissa an der Hand neben mich zog. »Das ist übrigens meine beste Freundin Clarissa«, stellte ich ihm sie vor. »Clarissa, das ist mein Vater.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen«, lächelte Clarissa höflich und streckte ihm die Hand hin, Papa schlug ein.
»Ich bin dafür, dass wir uns duzen, sonst fühl ich mich echt alt«, lachte er und griff nach seinem Sektglas. Da hatte man schon einen Dealer als Vater und er kam trotzdem mit den typischen Vater-Sprüchen. Schlimm. »Ich bin Tarek.«
»Könnte daran liegen, dass du echt alt bist«, grinste ich.
»Wo du recht hast«, lachte er und strich sich über seinen Bart.
»Es werden jedes Mal mehr graue Haare«, zog ich ihn auf und erntete dafür ein Lachen.
»Ich würde ja übrigens sagen: Su hat schon viel von Ihn-, äh... dir erzählt, aber das stimmt nicht«, lachte Clarissa. »Dieses Mädchen ist die Verschwiegenheit in Person.«
»Was soll ich sagen«, lachte ich.
»Is ja auch nichts Schlimmes, habibti«, lachte Papa und klopfte mir auf den Rücken. »Kanns übrigens sein, dass die mich hier alle fürn Terroristen halten?«
»Ja, selbst schuld, du hast einfach zu viel Arabisch geredet«, grinste ich. »Weißt ja, wie solche Leute drauf reagieren.«
»Ja, und an meinem Bart bin ich auch schuld und daran, dass ich zu fett hierfür bin«, lachte er. Ließ sich nicht davon aus der Ruhe bringen, wie abwertend manche guckten und wie sie unverhohlen lästerten. Das liebte ich. Mein Vater war ein Fels in der Brandung und in seiner Gegenwart fühlte man sich automatisch so viel ruhiger.
»Genau so ist das. Und vergiss nicht diese schlimme Jogginghose. Nächstes Mal kommst du im Anzug, damit das klar ist!«
»Versprochen, hayati, für dich mach ich das«, grinste er.
»Er kann übrigens auch echt gut tanzen«, erzählte ich Clarissa. »Auch wenn er das viel zu selten tut.«
»Umso besser, dass es heute noch genug Gelegenheiten zum Tanzen geben wird«, grinste Clarissa.
»Ich tanz heute garantiert nicht mehr«, stöhnte ich. »Ich werd einfach chillen.«
Im einen Moment sah ich, wie Papas Lachen in sich zusammenfiel und im anderen fühlte ich schon, wie mir jemand den Arm um die Schultern legte. »Suleika, da bist du ja!«, vernahm ich die Stimme meiner Mutter, die neben mir stehen blieb. Sie hatte ihre schwarzen Braids nach oben gebunden und trug ihren dunklen Hosenanzug, den sie immer bei Feierlichkeiten auspackte.
Es war lange her, dass ich meine Eltern so nah beieinander gesehen hatte. Bei unseren letzten Treffen hatte Papa mich stets abgeholt und unten auf der Straße auf mich gewartet, mir nur geschrieben, dass er da war.
»Du bist also echt gekommen, Tarek«, meinte Mama und wandte Papa den Blick zu. Die Stimmung hatte unübersehbar zu angespannt gewechselt.
Er grinste, wirkte im Gegenzug zu eben auf einmal ziemlich schüchtern. Kratzte sich am Hinterkopf. »Klar. Ich wollte Suleika doch unbedingt tanzen sehen. Bei ihrem großen Auftritt.«
»Woher wusstest du überhaupt Bescheid?«, fragte ich.
Mein Vater bewegte seinen Kopf nickend zu Mama und meine Augen weiteten sich. »Danke, Mama«, murmelte ich dann und legte den Arm um sie. »Das bedeutet mir viel.« Das tat es wirklich. Schließlich wusste ich, wie schwer das für die beiden war und doch hatte sie dafür gesorgt, dass mein Vater heute hatte dabei sein können. Trotz allem, was zwischen den beiden vorgefallen war und trotz, dass sie nie mehr als das nötigste miteinander redeten.
Mama lächelt und küsste mich auf die Stirn.
»Komm du auch her«, sagte ich und öffnete meinen anderen Arm, zog Papa an mich.
»Ich dachte übrigens echt, dein Vater lebt gar nicht mehr. Oder dass du ihn überhaupt nicht leiden kannst. Aber nie im Leben, dass ihr euch so gut versteht!«, sagte Clarissa, als wir eine Weile später vor der Stadthalle zusammen saßen. Ich war nach dem langen Tag mittlerweile müde und es tat gut, ein wenig aus dem Stimmengewirr rauszusein. Dunkel lag die Nacht über uns und erfrischend war die Kola, aus der ich trank.
Ich grinste nur und zuckte mit den Schultern.
»Und ich wusste auch nicht, dass du Arabisch kannst. Oder dass du auch arabische Wurzeln hast«, lachte sie kopfschüttelnd. »Was weiß ich noch alles nicht?«
»Tja.« Ich grinste geheimnisvoll. »Suleika ist übrigens auch ein arabischer Name. Aber mein Arabisch ist grottenschlecht, auch wenn mein Vater es immer mit mir spricht, damit ich es lerne.«
Auch Clarissa grinste und trank aus ihrer Kola. »Ich finde, er ist echt sympathisch. So aufgeschlossen.«
»Stimmt schon. Und es backt keiner so gut wie er«, sagte ich und grinste etwas.
Für einen Moment fragte ich mich, was sie sagen würde, kennte sie die ganze Wahrheit. Dass meine Mutter eben recht damit hat, mich von ihm fernhalten zu wollten. Auch wenn er mich nie in etwas reinziehen würde, war das für mich alles eine Nummer zu groß. Er redete nicht viel von seinem Beruf, doch die Tatsache, dass er vor drei Jahren mit einer Schusswunde im Krankenhaus lag, reichte mir. Denn der Scheiß war echt gefährlich und eigentlich könnte ihm jederzeit etwas passieren. Ein Gedanke, der mir kalt ums Herz werden ließ.
»Komm, lass uns reingehen. Ich glaub, ich will doch tanzen«, sagte ich und stand auf, grinste. Schob die Gedanken schnell weg.
___________
alhamdulillah - Gott sei Dank
habibti - mein Schatz (gg. einer weiblichen Person)
hayati - mein Leben
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top