Syringa

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Nachdem ich den Laden betreten habe, taste ich mich behutsam vor, um die Tür zum Garten zu öffnen. Als ich die Tür geöffnet habe, gehe ich zum Tresen, der drei Schritte nach links entfernt steht. Dort lasse ich mich auf dem halbhohen Stuhl sinken, schließe meine Augen für einen Moment und lasse die Umgebung auf mich wirken, während ich meinen Gedanken nachhänge.

Eine frische Brise erfüllt den Raum, während das Glockenspiel, was im Garten hängt, eine sanfte Melodie spielt. Draußen höre ich die Vögel ihre Lieder über den Frühling singen und trotz der Ruhe und der Idylle kann ich mich nicht von diesem Geruch losreißen. Woher kenne ich diesen Geruch? Wann bin ich ihm schon einmal begegnet? Es lässt mich einfach nicht los, obwohl ich mich auf den bevorstehenden Tag konzentrieren möchte. Ihn planen und mich ans Werk machen will. Es wurmt mich richtig, dass ich keine Antwort auf meine Frage finden kann, doch es nutzt nichts. Ich komme einfach nicht drauf.

Die Melodie von 'London Bridge is falling down' reißt mich aus meinen Gedanken und lässt mich aufsehen. Es sollte jetzt acht Uhr sein, denn meine Uhr spielt dieses Lied immer um diese Zeit. Zu jeder vollen Stunde ertönt ein anderes Lied, so dass ich eine zeitliche Orientierung habe und nicht ständig Siri fragen muss wie spät es eigentlich ist.

Bevor ich mich jedoch dazu aufraffe meine Arbeit zu beginnen, ziehe ich mir meine Schuhe und Socken aus. So habe ich ein besseres Gefühl und nehme die kleinsten Vibrationen und Unebenheiten wahr. Ich stehe vorsichtig auf und halte mich an der Theke fest. Mit jedem Schritt spüre ich, dass der Holzboden sich leicht bewegt, was von einem leisen Knarren begleitet wird. Das Gebäude ist schon älter, aber ich finde das macht den Charme und die Atmosphäre aus. Der Laden ist für mich wie mein zweites Zuhause und mein Rückzugsort. Hier kann ich für ein paar Stunden einfach ich selbst sein, ohne meinen Bruder, der mir ständig im Nacken hängt, außer er hilft mir mal aus.

Meine Finger berühren die vielen Werkzeuge und Gegenstände, die auf dem Tresen liegen. Alles was ich davon benötige, hat seinen festen Platz und darf unter keinen Umständen einfach so verlegt werden. Neben der Theke sollte die Gießkanne fertig vorbereitet stehen.

Ich taste mich weiter voran bis ich zum Ende des Tresens komme. Mit meinem Fuß mache ich kleine, sanfte Tritte um sicher zu gehen, ob sich da wirklich die Gießkanne befindet. Hobi vergisst ab und zu, nach dem befüllen, sie wieder an ihren Platz zu stellen, doch dieses Mal habe ich Glück. Ich bücke mich, um zu fühlen wo der Griff ist, um nach ihr zu greifen. Das kalte Metall der Gießkanne frisst sich dabei durch meine Haut und lässt mich, wie jeden Morgen, erschauern, wenn ich sie hochhebe. Mein Bruder hat die Kanne vermutlich bis oben hin mit Wasser befüllt, da sie einiges wiegt. Er meint es immer viel zu gut und doch gibt es auch Tage, wo er es einfach verpeilt sie wieder aufzufüllen.

Mit der rechten Hand halte ich die volle Kanne und mit der linken fühle ich an der Wand entlang. Nach ein paar Schritten stoppe ich und bewege meine Hand behutsam nach vorne. Ich ertaste den kühlen Metalltisch mit dessen Schaumstoffpolsterung über der Kante. Die weiche Verkleidung gibt mir ein Gefühl der Sicherheit und ich muss nicht ständig vorsichtig sein, dass ich mich nicht verletze.

Ich halte in meiner Bewegung inne, als ich die Türglocke höre und drehe mich zu dem Besucher um, den ich mit einem freundlichen Lächeln und einem Herzlich Willkommen. empfange.

„Guten Morgen, Yoongi-Hyung. Es tut mir leid! Mein Bus hatte Verspätung!", Jungkooks Stimme klingt sehr sanft. Man hört, dass er eine sehr schüchterne Person ist. Er ist leicht außer Atem, denn er schnauft wie eine alte Dampflok. Wenn ich nicht wüsste, dass er regelmäßig Sport macht, würde ich meinen, dass er nur vor seinem PC sitzt oder an seinem Auto schraubt. Jungkook hilft mir seitdem er die Highschool absolviert hat im Laden aus, weil er kein Interesse an einem Studium hat. Lieber zockt er oder widmet sich seinem heiß geliebten Toyota AE86. Ich weiß nicht wie das Auto aussieht, aber ich kann es mir auf Grund seiner sehr ausführlichen Erzählungen sehr gut vorstellen. Wenn er über seinen Toyota spricht blüht er richtig auf und vergisst alles andere um sich herum, genauso wie bei dem Spiel namens Overwatch. Trotzdem könnte ich mir keine bessere Unterstützung vorstellen. Er ist Hilfsbereit, Liebenswert und er ist deutlich rücksichtsvoller, als Hobi. Ich fühle mich in seiner Gegenwart wohl und das ist doch das Wichtigste, oder?

„Ich helfe dir gleich Yoongi-Hyung! Ich hole uns beiden schnell noch einen Kaffee!"

Ich nicke als Antwort und widme mich wieder den Blumen. Der süßlich-würzige Geruch verrät mir, dass der Flieder direkt vor mir steht. Dieser Duft erinnert mich immer ans Kochen, von dem süßen Dessert, bis zu den leckersten fleischhaltigen Gerichten. Ich spüre wie sich in meinem Mund der Speichel sammelt, obwohl ich erst gefrühstückt habe, könnte ich wieder etwas essen. Teilweise sorgt der Duft für Ruhe und ruft bei vielen Menschen Erinnerungen hervor. Ich nehme einen tiefen Atemzug und nehme den Geruch wahr, dieser entspannt mich und ist auch der Grund wieso, der Flieder so nah an der Theke steht. An manchen Tagen, wenn es sehr stressig ist und ich ein bisschen Ruhe habe, setze ich mich hinter den Tresen, atme ein paar tiefe Atemzüge, damit ich den entspannenden Duft auf mich wirken lassen kann. Dabei fange ich an zu meditieren, um mein inneres Gleichgewicht wiederherzustellen.

Sachte taste ich mit meiner Hand den Tisch ab bis ich die erste Vase berühre. Jedes Gefäß ist von Hand getöpfert, von einem kleinen Töpferladen, der in Bukchon ist. Der Besitzer des Ladens, Kim Minji ist ein alter Schulkamerad meines Vaters und er hat ihm von meinem Vorhaben erzählt, dass ich einen Blumenladen eröffnen will. Ohne zu überlegen hat Minji sich angeboten, mir zu helfen. Hobi ist auf die grandiose Idee gekommen, diese mit verschiedenen Gravierungen und Mustern versehen.

Mit den Fingern berühre ich, die geriffelte Oberfläche des Tongefäßes. Immer wieder fahre ich die Unebenheiten nach, denn in Kombination mit dem angenehmen Duft des Flieders, löst es in mir ein wohltuendes Gefühl aus. Meine Finger beginnen leicht zu kribbeln und ein kleines Lächeln huscht über meine Lippen. Diese Glücksgefühle sind es, wieso ich meinen Beruf liebe. Den verschiedenen Kunden einerseits eine Freude machen, in dem ich sie berate und helfe, aber andererseits durch meine Sinne jedes Mal auf eine kleine Reise zu gehen.

Jedes Mal macht es mich stolz wie Bolle, dass ich so arbeiten kann ohne groß Hilfe zu benötigen. Ich habe ein Bild von meinem Laden im Kopf, also jetzt nicht wie was aussieht, aber wie ich laufen muss, wie sich was anfühlt und wo was stehen sollte. Trotzdem bin ich unheimlich froh, dass ich Jungkook an meiner Seite habe, der mich zu jeder Zeit unterstützt. Jetzt im Frühling explodieren meine Aufträge etwas. Valentinstag, White Day, Muttertag, Hochzeiten, usw. Da bin ich auch über Hobis zusätzliche Hilfe sehr dankbar. Ohne ihn würden Jungkook und ich in einen unglaublichen Stress geraten und dann winkt mir die Panikattacke mit einem gruseligen Grinsen in der Fresse zu.

Als der Flieder versorgt ist gehe ich vorsichtig ein paar Schritte nach links und strecke meine linke Hand wieder etwas aus, um das nächste Behältnis zu fühlen. Dieses mal hat das Gefäß eine gewellte Form, weswegen ich direkt weiß, dass dort die Spinnenlilien stehen. Eine meiner absoluten Lieblingsblumen. Meine Großeltern haben sie damals im Garten gehabt und mein Großvater hat mir häufig die zwei Legenden dieser Blume erzählt.

Die erste Legende besagt, dass sich in der Unterwelt ein Fluss befindet, der sogenannte Fluss des Vergessens. Dieser trennt die Unterwelt mit der Welt der Lebenden. Wenn verstorbene diesen überqueren, werden alle Erinnerungen der Personen erlöschen. Am Ufer des Flusses wachsen diese blutroten Spinnenlilien. Der Duft dieser Blumen soll all die schönen Erinnerungen des Verstorbenen ein letztes Mal aufblühen lassen, bevor sie für immer verschwinden.

Die rote Spinnenlilie blüht nur im Herbst. Was besonders an dieser Blume ist, ist dass die Blüten und Blätter nie aufeinandertreffen. Das heißt, beginnt die Spinnenlilie zu blühen, sind ihre Blätter bereits abgefallen und beginnen die Blätter wieder zu erwachen, sind die Blüten bereits verwelkt.

Die zweite Legende besagt, dass die Blüten und die Blätter zwei Elfen sind: Manju, Beschützer der Blüte und Saka, Beschützer der Blätter. Eines Tages trotzen sie ihrem Schicksal, die Pflanze allein zu bewachen und trafen sich. Es war Liebe auf dem ersten Blick. Amaterasu, erbittert durch ihre Eigenwilligkeit, trennte das Paar und belegte sie mit einem Fluch, auf dass die Blüte der Manju nie wieder die Blätter der Saka treffen. Man sagte, als sich das Paar nach dem Tod in der Hölle wieder traf, schworen sie sich nach ihrer Reinkarnation wieder zu treffen. Allerdings konnte keiner von ihnen ihre Worte halten.

Während meine Finger behutsam über die Blüten der Spinnenlilien streichen, kann ich erneut die Türglocke hören und kurz darauf eine Hand auf meiner Schulter spüren. Sofort steigt mir der Geruch von frischem Kaffee, Schokokeksen und Bananenmilch in die Nase.

„Hyung ich habe dir sogar Mochis mitgebracht!" Ich kann sein Lächeln deutlich raus hören, wobei mir immer wieder das Herz aufgeht. Jungkook begleitet mich zurück zum Tresen, damit wir zusammen den Kaffee trinken können.

Ich lasse mich auf meinen Stuhl sinken und schließe die Augen, um mehr um mich herum wahrzunehmen. So kann ich hören, wie Jungkook die Becher auf dem Tisch abstellt, Porzellan dazustellt und den Kaffee dann umzufüllen scheint. Er weiß, dass ich die Pappbecher nicht mag, weil ich sie wegen der Hitze kaum anfassen kann, weswegen er ihn in normale Tassen umfüllt.

„Hier, aber Vorsicht heiß!", sagt Jungkook und drückt mir die Kaffeetasse in die Hand. Ich taste nach dem Henkel an dem ich sie dann festhalte und nicke ihm kurz zu, bevor er auch schon meine andere Hand nimmt und etwas hineinlegt, vermutlich den zuvor erwähnten Mochi. Ich lächele, nehme das weiche, klebrige Gebäck in den Mund und genieße den tropischen Geschmack von Maracuja.

Das Glöckchen klingelt und eine sanfte Stimme begrüßt uns. Anhand von dem leichten Geruch von Salbei und Kamille wird mir sofort klar, dass es einer meiner Stammkunden ist. Sie ist eine ältere Dame, dessen Mann vor einem Jahr verstorben ist. Jeden Tag, um genau halb neun, kommt sie vorbei, um eine weiße Lilie zu kaufen. Sie hat mir einst erzählt, dass ihr Mann diese Blumen geliebt hat und ihr Enkel diese Blume auch wunderschön findet. Als ich gerade dabei bin, ihr eine zu geben, sagt sie mir, dass ihr Enkel vor kurzem nach Seoul gezogen ist. Er hätte sein Studium geschmissen und arbeitet in irgendeinem Club. Ihr Enkel scheint auch noch mit der hohen Miete hier zu kämpfen. Ich biete ihr an, dass er mal vorbeikommen kann, falls er noch was sucht. Wenn Jungkook mal Urlaub hat oder krank ist, schadet es nicht, dass ich noch jemand im Laden habe. Sie wünscht mir einen schönen Tag und ich höre wie sie das Geschäft verlässt, nachdem sie bezahlt hat.

Der nächste Kunde betritt meinen Laden, was ich wieder durch das Glöckchen höre. Eine relativ junge Stimme begrüßt uns und der Geruch von dem klassischen Männerduschgel kriecht in meine Nase. Der Junge kommt jeden Montag und Freitag zu mir, um eine rote Rose zu kaufen. Er ist noch ein Schüler und hat mir erzählt, dass er in seine Klassenkameradin verliebt ist. Mit den Rosen möchte er ihr einen schönen Wochenstart und Wochenende wünschen. Er kommt immer sehr früh zur Schule, obwohl er Montags und Freitags immer ausschlafen könnte, und legt diese immer an ihren Platz. Mittlerweile traut er sich sogar kleine Nachrichten an der Rose zu befestigen. Als er mir dies erzählt hat, kann ich deutlich raushören wie glücklich er ist.

Nach und nach kommen immer mehr Kunden. Jungkook und ich versorgen sie mit den Blumen oder geben ihnen Antworten auf Fragen, teilweise geben mir Kunden auch ihre Pflanzen, damit und ich mich um diese kümmere, oder ihnen Tipps geben kann, was sie falsch machen. Dafür fasse ich die Blumen an, fühle nach dem Stamm, die Erde und wenn ich dort nichts finde, die Wurzeln. Meistens gießen die Leute die Blumen falsch, zu oft oder zu wenig. Manchmal stehen die Pflanzen auch falsch, entweder zu sonnig oder zu schattig. Wenn ich gar keine Antwort habe, beschreibt mir Jungkook sie oder Hobi, je nachdem wer gerade da ist.

Wenn keine Kunden im Laden sind, oder sie gerade unsere Hilfe nicht brauchen, versorgen ich mit Jungkook die restlichen Blumen. Zu guter Letzt kümmern wir uns um die Lilien, dessen Gefäße eine kleine runde Ausbuchtung haben.

Meine Uhr fängt an 'Why did you come to our house? [우리 집에 왔니?]' zu spielen und teilt mir somit mit, dass es 11 Uhr ist. Eine relativ ruhige Zeit – normalerweise.

„Miau"

Huh? Eine Katze? Hat sie sich verirrt?

„Miau!"

Ich stelle die Kanne ab, gehe in die Hocke und tippe mit den Fingern auf den Boden. Katzen sind meine Lieblingstiere und mein Bruder vergleicht mich oft mit ihnen.

„Oh ist das eine Katze?", höre ich Jungkook fragen, der allerdings direkt in ein Kundengespräch verwickelt wird. Er lernt wirklich schnell und kann mich wirklich gut vertreten, weswegen ich meine volle Aufmerksamkeit der fremden Katze widme.

Ich zucke leicht zusammen, als mich plötzlich etwas flauschiges an der Hand berührt. Sie gibt mir sogar ein paar kleine Kopfnüsse und fordert mich dazu auf sie anzufassen. Vorsichtig berühre ich sie und fange an sie zu streicheln. Ich spüre und höre wie sie schnurrt, weswegen ich sie weiter kraule, während ich darüber nachdenke wo die Katze herkommen könnte. In meinen Laden hat sich jedenfalls noch keine dieser wunderbaren Geschöpfe verirrt. Eventuell ist sie neu in der Nachbarschaft oder sie ist ein Streuner.

Als ich etwas kratziges und feuchtes an meinem Finger spüre, stelle ich das Kraulen ein. Leckt sie mich etwa ab? Ich brauche einen Moment bis ich realisiere, dass sie mir somit wohl ihre Zuneigung zeigen will und möchte sie gerade hochnehmen, als der Boden anfängt zu vibrieren und die Motorgeräusche immer lauter werden. Da fährt gerade jemand auf den Hof, aber soll San nicht erst später kommen?

TUUUUUUUUUT

Ich zucke fürchterlich bei dem lauten Hupen zusammen, wobei ich nicht der einzige bin, der sich erschreckt. Die Katze maunzt laut und spring hastig von mir weg. Fahrig fahre ich mir durch mein Haar und erhebe mich, strecke meine Hand nach der Wand aus und versuche die Orientierung zu finden, weil ich mich gerade etwas verloren und unbeholfen fühle.

„Jungkook?", frage ich und nur wenig später spüre ich ihn bei mir. Er hat einen Arm um meine Hüfte gelegt und mit der anderen hält er meine Hand und führt mich zum Hof.

„Ist es okay, wenn ich wieder in den Laden gehe?", fragt er, worauf ich nicke. Es ist schließlich nur San und der kennt mich, so wie ich ihn.

Der Boden unter meinen Füßen ist kühl und jagt mir daher einen Schauer über den Rücken, der mir eine Gänsehaut beschert. Kurz darauf nehme ich einen Geruch von Pfefferminze wahr, was mich zunehmend verwundert, denn San riecht sehr selten danach, weil er weiß, dass ich es nicht mag. Ich höre ihn schmatzen und verdrehe dabei leicht die Augen. Scheinbar möchte San mich heute ein wenig ärgern. Erst kommt er viel zu früh und dann auch noch dieses Benehmen.

„San? Was machst du denn schon hier?" Ich bekomme keine Antwort, weswegen ich missbilligend mit der Zunge schnalze. In letzter Zeit versucht er mich öfter zu verarschen, was mir nicht wirklich gefällt.

„San! Du weißt, dass das nicht lustig ist!" Wieder keine Antwort. Was soll das? Ich hasse so etwas. Er weiß ganz genau, dass mich so etwas sehr verunsichert.

„Jetzt hör auf mit der Scheiße und antworte mir!", knurre ich ihm hoffentlich entgegen und da spüre ich einen leichten Windhauch gegen mein Gesicht schlagen. Ich hebe meine Hände und suche nach ihm, wobei ich seinen Arm streife und direkt zupacke.

„Jetzt habe ich dich!" Mein ungutes Gefühl verstärkt sich, als ich intensiver beginne zu fühlen, da sich seine Haut anders anfühlt. Seine Armhaare sind kürzer, ein bisschen borstiger und sein Arm ist breiter. Das ist nicht San, aber wer ist es dann und warum spricht er nicht mit mir?

„Kann es sein, dass du blind bist? Ich verstehe dich nicht, weil ich gehörlos bin", ertönt eine Computerstimme, die meine Haare zu Berge stehen lässt.

„Oh! Oh mein Gott! Tut mir~"

'Yoongi er hört dich nicht. Wie blöd bist du eigentlich?' Ich lasse ihn los und senke beschämt meinen Kopf.

„Keine Sorge ich nehme es dir nicht übel! Mein Name ist Jackson Wang. San fällt leider für eine längere Zeit aus und ich bin sein Ersatz. Ich stelle dir die Lieferung in dein Geschäft", höre ich die monotone Computerstimme sagen.

Ich nicke als Antwort und höre wie die Türen aufgemacht werden. Er beginnt wohl direkt mit seiner Aufgabe, während ich mir Vorwürfe mache, dass ich es früher hätte bemerken müssen. Innerlich gebe ich mir einen Facepalm und seufze laut.

„Wo genau soll ich die Ware hinstellen?"

Ich zucke zusammen, als er mich so plötzlich anspricht. Ich kann ihn deutlich riechen, weswegen ich mich dabei erwische, wie ich einen tiefen Atemzug nehme. Der Geruch von Zimt und Vanille macht sich in meiner Nase breit, aber auch etwas Pfirsich... mit Pfeffer und Kurkuma? Was für eine wilde Kombination ist das denn? Der Duft erinnert mich an den von Flieder.

„Entschuldigung"

„Ah~" Ich schlage mir gegen den Kopf, sammele mich und orientiere mich kurz, bevor ich ihm zeige, wo er die Kisten hinstellen soll. Darum würde sich Hobi später kümmern.

„Die Lieferung kommt jetzt schon?"

Irritiert sehe ich auf. Habe ich jetzt schon Halluzinationen, weil ich an meinen Bruder denke? Doch seine Anwesenheit und sein lautes Wesen werden immer präsenter.

„Ja egal! Also Jin, hier ist 'Paradis des Fleurs'! Der ganze Stolz meines Bruders!"

Was macht Hobi denn jetzt hier? Und das mit Besuch? Oh bitte nicht! Houston wir haben ein Problem!

„Yoongi! Die Professoren haben entweder eine Konferenz oder liegen mit Magen-Darm flach. Das heißt ich bin den restlichen Tag hier und helfe dir – du kannst Jungkook den Rest des Tages frei geben und ich habe in der U-Bahn Kim Seokjin getroffen. Ich habe ihn mitgebracht, ich hoffe das stört dich nicht und...~"

Meine Ohren habe ich auf Durchzug gestellt, weil ich mir überlege wie ich ihn so schnell wie möglich wieder loswerden kann. Dann kommt er auch noch mit einer fremden Person an, dessen Geruch glatt aus einer Kochshow entspringen könnte. Oh Himmel, Herr Gott was ist denn das für ein Tag?

Ich schrecke leicht zusammen, als ich ein Schnippen an meinem Ohr höre und sehe in die Richtung von der die Stimme meines Bruders kommt.

„Yoongi du hörst mir wieder nicht zu! Das ist Jin, der mit den tollen Rezepten auf seinem Blog. Ich habe dir schon öfter von ihm erzählt!" Hobis Stimme überschlägt sich fast und ich höre ihn vor Freude klatschen. Trotzdem frage ich mich warum er hier ist. Warum ist er mit seinem Kochidol nicht nach Hause gefahren, um von ihm zu lernen?

„Du nervst", knurre ich kaum hörbar in Hobis Richtung und hoffe, dass er den Wink mit dem Zaunpfahl versteht.

„Guten Morgen! Freut mich dich kennenzulernen, Min Yoongi! Ich bin vermutlich der bestaussehende Koch in ganz Südkorea!"

Meinen Kopf drehe ich in Jins Richtung, wobei ich zugeben muss, dass seine Stimme sehr angenehm ist. Er hört sich sehr überzeugt von sich selber an und man könnte meinen, er verkauft irgendwelchen Schrott in so einem Shoppingkanal.

„Ich kann dein Aussehen nicht beurteilen, weil ich leider blind bin, aber du klingst ja sehr davon überzeugt. Macht dich ja sehr sympathisch." Meine Stimme trieft vor Sarkasmus und ich rolle genervt mit den Augen. Genug ist genug, trotzdem kann ich die beiden scharf die Luft einziehen hören.

„Zügel deine Zunge mein Lieber!", schimpft Jin. Seine süßliche, liebliche Ausstrahlung ändert sich schlagartig in eine düstere.

„Hyung! Sei doch nicht immer so griesgrämig, wenn neue Menschen in dein Leben treten!", belehrt mich mein Bruder. Das reicht! Er weiß den Grund wieso ich so distanziert bin!

„Verpiss dich einfach!", gifte ich ihn wütend an, drehe mich auf den Absatz um und stampfe zurück in meinen Laden, wobei ich es gerade noch schaffe meinen Arm auszustrecken, um zumindest fühlen zu können wo die Wand ist. Wutschnaubend betrete ich den Verkaufsraum und schmettere hinter mir die Tür ins Schloss, die laut scheppernd knallt und das Glockenspiel verrückt spielen lässt. Es irritiert mich so sehr, dass ich die Orientierung verliere und es mir auf einmal den Boden unter den Füßen wegreißt. Unsanft lande ich auf dem Holzboden und jaule auf.

„Hyung!"

Ich nehme die besorgte Stimme nur am Rande wahr, während ich versuche zu begreifen was gerade passiert ist. Mit meinen Händen drücke ich mich ein wenig vom Boden weg und schüttele leicht den Kopf. Nach und nach sickert der Schmerz zu meinem Gehirn durch und ich beginne zu begreifen, dass ich gefallen sein muss. Mein dicker Zeh schmerzt tierisch, genauso wie meine Hände. Mir ist etwas schwindelig und ich schaffe es gerade so mich aufzusetzen, wobei mir der beruhigende Duft von Jungkook in die Nase steigt.

„Ist alles in Ordnung, Hyung?"

Ich schüttele leicht den Kopf, fasse mir direkt an diesen und verziehe das Gesicht. Der Schock sitzt verdammt tief in meinen Knochen und lähmt mich in meinem Handeln und Denken.

„Hyung?! Oh mein Gott? Ist alles in Ordnung? Hast du dich verletzt?"

Langsam schließe ich meine Augen und versuche so ruhig wie möglich zu atmen. Hobi macht mich aggressiv. Warum muss er mich gerade auch so krass nerven. Heute Morgen ist schon eine Geduldsprobe gewesen, doch jetzt will ich einfach nur, dass er mich in Ruhe lässt. Ich balle meine Hände zu Fäuste und drücke sie so fest ich kann gegen den Boden, wobei ich meine Muskeln anspanne.

„Jungkook. Du kannst für heute Feierabend machen", höre ich Hobi sagen und spüre wie der Junge zögerlich von mir ablässt und sich erhebt.

„Bist du dir sicher Hoseok-Hyung?", fragt Jungkook zögerlich, bevor er auch direkt hinzufügt, „Ich bleibe noch ein bisschen bis sich alles beruhigt hat. Ich kümmere mich um die Kundschaft."

Ich bin ihm wirklich sehr dankbar dafür, auch wenn ich das gerade nicht zeigen kann. Stattdessen versuche ich nicht völlig aus der Haut zu fahren. Als ich allerdings an den Armen gepackt und auf die Beine gestellt werde, schreie ich laut los. Ich reiße mich von den Armen los, schubse ihn von mir weg und stolpere ein paar Schritte nach hinten, wobei ich gegen eines der Regale stoße, an welchem ich mich festklammere. Ich will doch einfach nur meine Ruhe haben.

„Lasst mich alle in Ruhe! Ihr fuckt mich so etwas von ab!" Vor Wut beginne ich zu zittern und eine Träne kullert über meine Wange.

„Yoongi? Alles ist gut, bitte beruhige dich!" Hobi redet mit gedämpfter und leicht erstickter Stimme. Er hört sich an, als würde er gleich anfangen zu weinen. Ich will hier weg! Jetzt ist er auch noch traurig.

Leise Schritte kommen immer näher auf mich zu und ich spüre die Körperwärme, dann die Arme, die sich um mich legen. Die Umarmung, die mich empfängt, ist sanft, aber vorsichtig und ich weiß ganz genau, dass Hobi mich so schnell nicht wieder loslassen wird. Er wird mich so lange halten, wie es notwendig ist. Deutlich spüre ich, wie sie immer fester wird und wie sich seine Finger in mein Oberteil klammern. Manchmal ist er wie ein übergroßes Baby.

„Sei nicht sauer auf mich, bitte. Du weißt, dass ich nur das Beste für dich möchte und dass dir nichts passiert. Ich habe es unseren Eltern versprochen! Ich habe es mir selber versprochen!" Hobis Stimme knickt immer mehr ein und ich spüre, wie er sich an meine Halsbeuge schmiegt und diese etwas feucht wird. Das leichte Beben seines Körpers sagt mir, dass er weint. Mit jedem leisen Schluchzer bricht mein Herz immer weiter. Ich ertrage es doch auch nicht ihn traurig zu hören... zu spüren... zu fühlen.

„Setz dich erst einmal hin, Yoongi. Ich schicke Jin weg und kümmere mich eben um die Anlieferung." Hobi nimmt mich nach einer Weile bei der Hand und führt mich durch das Geschäft. Wir bleiben stehen und er drückt mich sanft auf meinen Stuhl. Ich seufze schwer. Der Tag ist definitiv für mich gelaufen und ein paar Kunden habe ich durch das Chaos bestimmt auch verloren.

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