Lycoris


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Lycoris/Spinnenlilie

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Die Welt besteht aus so unglaublich vielen verschiedenen und intensiven Gerüchen, dass es nicht jedem vermocht ist die kleinsten Unterschiede zu sehen. Ich kann es und ich liebe es. Jeden einzelnen Geruch passend zu einem Menschen zuzuordnen, zu seinem Charakter, seiner Ausstrahlung, seinen Gewohnheiten.

Einer meiner Lieblingsgerüche ist Petrichor. Es ist der angenehme Duft, der in der Luft liegt, wenn sich ein Regenschauer anbahnt. Regen ist wunderschön, hat aber auch etwas Melancholisches, Inspirierendes, Nachdenkliches - weswegen es unglaublich entspannend ist bei leichtem Regen draußen spazieren zu gehen.

Aber auch die erdigen, blumigen und holzigen Gerüche gefallen mir. Auch wenn andere das Gefühl haben, dass ich eher versuche das Tageslicht zu vermeiden, bin ich gerne draußen in der Natur und lasse im Wald die Seele baumeln. Einfach auf einem Baumstumpf sitzen und das Holz spüren, indem ich mit meinen Fingern über die harte Rinde streiche. Aber auch sich ins Gras zu legen, um die Ruhe zu genießen oder zu meditieren.

Kennt ihr den Geruch von alten Büchern? Der ist auch großartig. Mein Opa hat immer danach gerochen und er war sehr weise. Er erinnerte mich an ein kleines Antiquariat. Er war sehr gebildet und ich hatte stets das Gefühl, dass er immer die passende Antwort auf meine Fragen hatte. Ich fühle mich dann immer geborgen, wenn meine Nase den Duft erkennt, da sie sich an damals erinnert.

Kaffeegeruch! Wenn es irgendwo nach Kaffee riecht, dann schlägt mein Herz höher. Dieses Getränk ist mein Lebenselixier. Wer ist schuld, dass ich süchtig danach bin? Richtig! Mein Opa. Beim Vorlesen hat dieser himmlische Duft immer in der Luft gelegen, weil er jedes Mal eine Tasse davon getrunken hat.

Ich liebe es einen Kaffee zu trinken und auf der Fensterbank zu sitzen, während draußen der Regen gegen das Fenster trommelt und damit die Pianomelodie, die sanft im Hintergrund spielt, melodisch zu unterstützen. Der Geruch vereint mit dem Geschmack und den Geräuschen, die ich am meisten mag, löst in mir eine innere wohltuende Wärme aus.

Alle beißenden Gerüche mag ich überhaupt nicht. Meine Nase kommt mit dieser Art Geruch einfach nicht zurecht. Dafür ist sie viel zu empfindlich. Jedes Mal, wenn mein Bruder Kimchi zubereitet, nehme ich meine Beine in die Hand, weil mir davon schlecht wird.

Der Geruch von Minze nervt mich am meisten. Jetzt mal ehrlich. Wer will schon Zahnpasta essen? Es ist ok, dass es in der Paste drin ist, um für ein frisches Gefühl im Mund zu sorgen, aber doch nicht in Eis oder Schokolade! Mein Bruder kauft nur Schoko-Minze Eis und ich glaube mittlerweile, dass andere Sorten für ihn gar nicht existieren. Obwohl der Kerl so auf Früchte abfährt, gibt es nur diese eine verdammte Sorte bei ihm. Und er weiß ganz genau wie sehr ich den Geruch hasse, doch das hindert ihn nicht an seinem provokativen Verhalten. Jedes Mal isst er es in meiner unmittelbaren Nähe, um mich zu nerven.

Aber nicht nur mit Gerüchen, sondern auch mit Tönen, beziehungsweise Geräuschen, kann ich meine Mitmenschen voneinander unterscheiden. Der Klang der Stimme und der Schritte, ob jemand pfeift beim Spazierengehen, oder ob er ständig flucht, weil ihm ein kleines Missgeschick passiert ist. So wenige Details reichen, um mir ein Bild von einer Person zu machen. Es ist einfach ein Sinnesbild. Ein Bild, klar und deutlich, geformt aus allem, was ich mit meinen Sinnen wahrnehmen kann.

Wenn ich mir sicher bin einen Menschen in mein Leben zu lassen, dann ist es nicht nur ein Freund, sondern er ist dann etwas ganz Besonderes. Ich lasse wirklich kaum zu, dass jemand in meine Welt mit eintaucht. Einfach weil ich Angst habe, dass sie mich mit all meiner Hoffnung wieder alleine zurücklassen.

Langsam öffne ich meine Augen, als ich meine Gedankengänge beendet habe, um sie gleich danach von Schlaf zu befreien. Mittlerweile mache ich das nicht, um besser sehen zu können, sondern einfach aus Macht der Gewohnheit. Seit vier Jahren bin ich nun blind und es war so ganz und gar nicht leicht für mich am Anfang. Eigentlich ist es ziemlich offensichtlich gewesen, dass es passieren würde. Ich habe eine Krankheit mit dem Namen retinopathia pigmentosa. Einfach erklärt: durch eine spontane Mutation hat sich meine Netzhaut mit den Jahren immer mehr zurückgebildet. Je älter ich geworden bin, desto schlechter ist meine Sehkraft geworden und mit fünfzehn habe ich sogar eine Schule für Menschen mit Sehbehinderung besuchen müssen. Karma ist eine Bitch und kurz nach meinem zwanzigsten Geburtstag bin ich vollständig blind geworden. Schönes Geburtstagsgeschenk, oder?

Heute lebe ich mit meinem jüngeren Bruder Hoseok, auch Hobi genannt, in einer kleinen Wohnung in Seoul, im Bezirk Insadong. Dort habe ich auch einen kleinen Blumenladen mit dem Namen, Paradis des Fleurs. Und ja, ich bin blind und mein Beruf ist Florist.

Den Laden habe ich mir mit etwas Unterstützung meiner Eltern aufgebaut. Blumen sind einfach wunderschön, denn jede ist individuell in ihrem Duft, ihrem Aussehen und ihrer Bedeutung. Als Kind habe ich schon immer Blumen gepflückt und sie anderen geschenkt, um ihnen ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Erst mit der Zeit habe ich gelernt, dass sie mit ihrem einzigartigen Geruch einem Menschen zugeordnet werden können, der diesen ausführlich beschreibt.

Es kostet mich Überwindung, bis ich mich endlich aus dem Bett quäle und meine Beine über den Rand schwinge, nur um kurz darauf sitzen zu bleiben. Der Kreislauf muss erst einmal angekurbelt werden und ich muss mich orientieren. Ich halte meine Augen geschlossen, atme tief durch und nutze meine anderen Sinne, um herauszubekommen, was gerade um mich herum los ist. Aus der Küche höre ich wie Hobi das Frühstück zubereitet und vermutlich wieder eine Performance auf die Fliesen hinlegt.

Vorsichtig stehe ich auf und halte mich an meinem Nachttischschränkchen fest. Ich taste mich an der Wand entlang und berühre die Fensterbank. Meine Hand lasse ich vorsichtig darüberstreichen, um mir sicher zu sein, dass dort noch mein kleiner Kaktus steht. Meine Finger berühren den kleinen Topf und streichen behutsam hoch zur Pflanze. Die Nadeln fühlen sich nicht spitz an, sondern eher stumpf, weswegen ich das Gefühl auf meiner Haut als sehr angenehm empfinde. Anschließend gehe ich weiter und orientiere mich an meiner Wand, die ich mit meiner linken Hand abtaste. Normalerweise kenne ich mich in meinem Zimmer aus, aber morgens, ohne meinen Kaffee, bin ich einfach noch nicht wach genug, weshalb ich lieber auf Nummer sicher gehe. Ich taste vorsichtig nach meinem Schreibtisch, wo Hobi meine Kleidung immer deponiert. Insgeheim hoffe ich, dass mein Bruder keine allzu wilde Kombi rausgesucht hat. Sein Modegeschmack ist sehr speziell, viel Buntes und Muster, einfach ein Flower-Power-Junge.

Ich erfühle die Kleidung und es ist definitiv mein schwarzer Nike Hoodie, den ich schon seit Jahren besitze, weswegen ich ihn deutlich an seiner Abnutzung erkennen kann. Die Hose muss die anthrazitfarbene Ripped-Jeans sein. Da ich nicht viele verschiedene Modelle besitze, ist sie leicht an der Ausfransung zu erkennen. Zufrieden mit der Auswahl, atme ich erleichtert aus. Also doch keine geballte Flut aus allen Farben des Regenbogens.

Langsam gehe ich weiter und taste mich zur Tür hervor. Diese öffne ich jedoch zu hastig, so dass sie erstmal Bekanntschaft mit meinem Kopf macht und mir einen schmerzerfüllten Laut entlockt.

Yoongi, manchmal hilft es auch einfach den Kopf wegzuziehen, wenn man die Tür öffnet.

Als wir hier eingezogen sind, hat es Wochen gedauert, bis ich wusste wo alles ist. Mein armer kleiner Zeh hat sich immer gefreut, wenn er mit einer Ecke eher unsanft in Berührung gekommen ist.

Ich folge dem schrägen Gesang, der mir zu Ohren kommt und lasse dabei meine Finger über die Wand streifen, um meine Orientierung nicht zu verlieren.

„Let's kill this love! Yeah, yeah, yeah, yeah, yeah. Rum, pum, pum, pum, pum, pum, pum!"

Sein Gesang tut mir schon richtig in den Ohren weh. Es hört sich an, als würde eine Krähe jämmerlich sterben. Mein gesamter Körper kriegt Gänsehaut und ein eiskalter Schauer läuft über meinen Rücken. Ich unterbreche das Ein-Mann-Konzert meines Bruders, bevor noch irgendwelche Dämonen an der Haustür klopfen.

„Hobi, wie spät ist es? Und bitte hör auf zu singen, sonst löst du noch die Apokalypse aus!", grummle ich mit meiner Morgenstimme.

„Dir auch einen wunderschönen guten Morgen! Es ist viertel vor sieben und draußen scheint die Sonne! Deine Sachen habe ich schon bereitgelegt und ich helfe dir nachher beim Fertigmachen. Am Nachmittag komme ich in den Laden und nehme die Lieferungen entgegen und schaue nach den Pflanzen", trällert er fröhlich vor sich hin und ich kann sein Gute-Laune-Gesicht förmlich hören. Sein fruchtig-süßes Parfüm steigt mir in die Nase und seine Ausstrahlung ist sehr positiv. Er ist scheinbar wirklich sehr gut gelaunt.

Ich will mich gerade an den Esstisch sinken lassen, als Hobi mich unsanft am Arm packt. Ein überraschender Laut verlässt meine Kehle, dicht gefolgt von einem Schnauben, weil er mich auf den Stuhl drückt, den ich fast verfehlt hätte, ohne sein Eingreifen. Ich schmolle leicht und während ich mit den Fingern ungeduldig, aber mit einem bestimmenden Rhythmus, auf die Tischplatte tippe. Ich habe Hunger und mein Magen macht das sehr deutlich.

Hobi pfeift fröhlich das Lied weiter und ich höre, wie er sich bewegt, durch das Rascheln seiner Kleidung. Durch ein Rumpeln und Fluchen unterbricht er das Gepfeife und mir zaubert es ein Schmunzeln ins Gesicht, denn wie sagt man so schön? Schadenfreude ist die schönste Freude!

Wenn Hobi das Tanzbein schwingt, rammt er des Öfteren irgendwas. Es kommt auch vor, dass er mal ein paar Gegenstände mit abräumt, wenn er in seinem Element ist. Die armen Gläser, die den Aufprall auf den Boden nicht überlebt haben. Ich schüttle jedes Mal nur mit dem Kopf und lächle. Dagegen was zu sagen, bringt sowieso nichts. Seit seiner Kindheit liebt mein Bruder es zu tanzen und das kann er definitiv wie ein junger Gott. Insgeheim hoffe ich, dass er bald seinen Traum erfüllen und sein eigenes Tanzstudio aufbauen kann. Mein Bruder ist der Sonnenschein in meinem Leben. Es ist egal wie regnerisch und stürmisch mein Tag ist, er ist die Sonne, die das trübe Wetter durchbricht und verjagt. Die Atmosphäre ändert sich direkt, sobald er den Raum betritt. Er ist ein sehr extrovertierter Mensch und schließt relativ schnell neue Kontakte. Selten habe ich ihn traurig oder wütend erlebt.

Er ist wie eine Sonnenblume, immer dem hellsten Stern im Universum zugewandt. Die Farbe der Pflanze ist hell, positiv, warm und drückt pure Lebensfreude aus. Der Duft einer Sonnenblume ist fruchtig und erinnert an einen schönen Sommerabend. Hobi benutzt immer das Parfüm Versace, Eros Flame. Das erste Mal, als er dieses Parfüm geschenkt bekommen hat, ist an seinem Geburtstag vor fünf Jahren gewesen. Er liebt auch fruchtige Geschmacksrichtungen. Egal was er isst, wenn Obst dabei ist, quiekt er jedes Mal vor Freude kurz auf wie ein Hamster.

Er ist einfach mein kleines Sonnenblümchen. Hobi opfert viel seiner Freizeit, nur um mir zu helfen. Morgens steht er teilweise um vier Uhr auf, damit er Sport machen kann, meine Sachen richtet und den Tag durchplant. Ich will meinem Bruder einfach keine Last sein und deshalb versuche ich, so gut wie es geht, alles alleine zu machen. Er lässt sich aber nicht davon abbringen und sein Helfersyndrom bringt mich manchmal ziemlich auf die Palme.

Der Geruch von Rührei, frischem Toast und Kaffee steigt mir in die Nase und reißt mich somit aus meinen Gedanken. Ich höre meinen Bruder hektisch in der Gegend hin- und herlaufen, als habe er Hummeln im Hintern. Er kann auch leise und sanft sein wie ein Eichhörnchen, aber das war eher seltener der Fall.

„Hobi, ich kann mir auch alleine Frühstück zubereiten", sage ich mit einem leicht genervten Unterton und möchte ihm klar machen, dass ich keine Hilfe brauche.

„Genau, Yoongi. Gestern ging der Rauchmelder auch ohne Grund los?", lacht mein Bruder mich aus. Ich atme etwas lauter aus und fahre durch meine noch verstrubbelten Haare. Mir ist nach langer Zeit mal das Essen wieder angebrannt und Hobi übernimmt deshalb wieder das Kochen, obwohl ich eigentlich ziemlich selbstständig bin. Ich akzeptiere, wie ich bin, lerne damit zu leben und dennoch habe ich manchmal Tage, an denen ich mir denke:

‚Wieso habe ich das verdient? Wo ist die nächste Brücke?'

Wieder werde ich aus meinen Gedanken gerissen, aufgrund des Klirrens der Teller. Dies zeigt mir, dass er das Essen schon herrichtet. Kurz darauf höre ich, dass mein Bruder etwas vor mir abstellt. Der köstliche Geruch des Frühstücks kriecht mir in die Nase. Das laute Geräusch von Holz auf Fliesen und der Tritt gegen mein Schienbein, lassen mich wissen, dass dort mein Bruder sitzt.

Das eklige Schmatzen, Schlürfen und das gelegentliche 'mhhh', bestätigen das alles. Ich weiß, dass er mir damit zeigen möchte, dass es ihm schmeckt, dennoch könnte ich ihm dafür an die Gurgel springen. Noch nie habe ich es leiden können, wenn man beim Essen unappetitliche Geräusche von sich gibt.

„Mensch Yoongi, jetzt verzieh doch dein Gesicht nicht so! Du kennst meinen Tick", dabei haut er seine Hände zu fest auf den Tisch und ich zucke von dem lauten Geräusch kurz zusammen. Daraufhin folgt ein leises 'Tut mir leid, Hyung'.

Sein Tick hat an dem Tag begonnen, als ich meine Augen geöffnet habe und alles dunkel gewesen ist. Egal was er macht, Geräusche begleiten ihn. Ob es nun ein Pfeifen, Summen oder Schmatzen ist. Er kommuniziert dadurch - quasi eine stetige Rückmeldung von dem, was er macht oder wie es ihm geht. Einerseits freue ich mich darüber, da es mir Orientierung und Sicherheit gibt, andererseits strapaziert es meine Nerven.

„Rührei links, Toast~"

„Hobi!", ermahne ich ihn und schenke ihm eine Grimasse, die ihn schnauben lässt. Ich weiß ganz genau, dass er jetzt seine Arme vor der Brust verschränkt und schmollt. Ich schüttle über meinen Bruder den Kopf und suche meine Tasse Kaffee, doch ich kann sie nicht finden, weswegen meine Suche panischer wird. Ich kann ihn doch riechen. So etwas verwirrt mich und ich bekomme ein unsicheres Gefühl.

„Hobi! Wo ist mein Kaffee? Ich finde ihn nicht" Ich verzweifle etwas und meine Hände beginnen zu zittern.

„Yoongels! Der steht noch unter der Maschine. Warte, ich bringe ihn dir!"

Ich höre meinen Bruder aufstehen und er entschuldigt sich gefühlt tausend Mal bei mir. Er tippt mich kurz an und drückt mir die Tasse in die Hand.

„Sei vorsichtig, Yoongi. Der Kaffee ist heiß!", warnt mich mein Bruder vor.

„Ach ne, Captain Obvious!", rolle ich genervt mit den Augen.

Nach dem Frühstück führt mich mein Bruder zum Bad. Allerdings gehe ich schnell rein und knall die Tür vor seiner Nase einfach zu. Ich fange an mich ausziehen und schmeiße die Kleidung durch die Gegend. Mit meinem Fuß taste ich ab, wie hoch die Dusche ist. Den Luxus eines ebenerdigen Einstiegs haben wir leider nicht. Sie ist aber groß, so dass ich Platz habe und die Handtücher mitnehmen kann, die an der Duschtür an einem Haken gehangen haben. Der Duschkopf ist relativ klein und spritzt nicht so mit dem Wasser, weswegen die Tücher nicht nass werden. In der Dusche ist eine Art Griff und ich taste vorsichtig nach diesem, um meine Handtücher aufzuhängen. Mein Bruder hat diesen dort angebracht, damit ich mich festhalten kann. Der Griff wird aber eher als Handtuchhalter genutzt.

Ich beginne an dem Hebel herumzuspielen, um die richtige Wassertemperatur einzustellen. Die perfekte Wärme ist erreicht, wenn die Luft etwas dicker wird, durch den Dampf. Wie in einer Sauna. Ich hebe meine Hand zu dem kleinen Körbchen, das an der Wand hängt und greife zum ersten Duschgel, das ich in die Finger kriege. Nach ein bisschen Gefummel habe ich es geschafft es zu öffnen. Ich kann endlich dran riechen und erkenne, dass es meins ist. Es riecht nach den typischen Männerduschgelen, hat aber eine leichte zitronige Note. Ich fange an mich einzuseifen, mich abzuduschen und höre Hobi die ganze Zeit fragen, ob ich nicht doch Hilfe brauche.

Als ich fertig bin mit duschen, mich abgetrocknet und das Handtuch um meine Hüfte gebunden habe, rufe ich meinen Bruder doch herein. Alleine schaffe ich es in die Dusche, aber beim alleinigen Herausklettern habe ich zu große Angst auszurutschen und mich zu verletzen. Hobi begleitet mich zum Waschbecken, nachdem er mir aus der Duschwanne geholfen hat und legt dort meine frische Kleidung ab.

„Wie sieht es denn hier aus? Du weißt doch, wo der Wäschekorb ist, Yoongi!" Innerlich äffe ich ihn nach und rolle mit meinen Augen.

Er stellt hinter mir etwas hin und drück mich an meinen Schultern runter. Ich lasse mich von ihm herunterdrücken und spüre, dass es dieser Hocker ist, der immer im Bad steht, auf den er mich zwingt Platz zunehmen. Ich habe mich strikt geweigert, mich auf die Toilette zu setzen, weil ich das ziemlich unhygienisch finde, weswegen Hobi, aufgrund von Bequemlichkeit, diesen Hocker besorgt hat.

Mein kleiner Bruder tippt mich leicht an und legt mir ein paar Kleidungsstücke in die Hände. Als erstes fühle ich ein etwas dünneren Stoff. Meine Finger tasten es weiter ab. Es hat kurze Ärmel, keinen Aufdruck und somit ist das ein einfaches Shirt was ich zum drunter anziehen eines Hoodies nehme. Mit meinen Fingern, suche ich das Schildchen und weiß so, wie ich mein Shirt anziehen muss. Ich fahre mit meinen Armen in die große Öffnung, suche die Löcher für die Arme und ziehe es mir über den Kopf, um es dann anständig herunterzuziehen zu können. Ich erfühle was das nächste Kleidungsstück ist. Ich taste es ab und fühle die Kapuze und spüre, dass er bedruckt ist. Ich fahre das Bedruckte nach und erkenne, dass es mein Nike Hoodie ist. Ich ziehe ihn genauso an wie mein T-Shirt und widme mich dann der Short, meiner Hose und den Socken.

Nachdem ich mich fertig angezogen habe, stehe ich auf und taste nach meinem Zahnputzbecher. Hobi macht mir derweil ein kleines Handtuch am Hoodie fest, damit ich ihn nicht dreckig mache. Ich kann mir ganz gut die Zähne putzen, ohne zu kleckern! Meistens jedenfalls.

„Yoongi, du hast zu fest gedrückt! Die halbe Tube ist jetzt leer! Dasselbe mit dem Duschgel! Mensch! Ich habe dir gestern erst ein neues gegeben und die Hälfte ist schon fast leer!", meckert der Sonnenschein. Ich strecke ihm die Zunge raus, da ich weiß, dass die Dramaqueen mal wieder übertreibt.

Ich spüre kurz darauf etwas an meinem Kopf und möchte es wegschlagen, doch mein Brüderchen hält mich auf. Er macht weiter und jetzt merke ich erst, dass er meine Haare kämmt. Sachen zu machen, ohne anzukündigen, hasse ich wie die Pest. Oftmals erschrecke ich mich halb zu Tode.

Nachdem ich mich von dem Schock erholt habe, fange ich an mir die Zähne zu putzen und höre wie Hobi etwas aus dem Schrank holt. Ich mag das Geräusch der elektrischen Geräte nicht, was auch der Grund ist, wieso ich keine elektrische Zahnbürste benutze. Das Gefühl, dass im Mund etwas vibriert, ist für mich auch ziemlich unangenehm.

Frisch herausgeputzt und bereit zur Arbeit zu gehen, warte ich auf dem Sofa. Hobi hat mir mitgeteilt, dass er meinen Rucksack für die Arbeit fertig macht. Ich höre wie sich Schritte nähern und er vor mir stehen bleibt. Das ist das Zeichen, dass wir losgehen können. Ich verzichte auf mein Armband mit dem Blindensymbol, da mein Bruder mich bis zur Tür meines Ladens begleitet und ich mich bestens dort auskenne. Außerdem möchte ich nicht, dass mich andere mit Mitleid bewerfen, sowas brauche ich nicht. Man sieht mir nicht mal an, dass ich blind bin. Manche Menschen schielen, haben trübe Augen oder bewegen sie dauerhaft, weil sie keinen Fokus haben. Bei mir ist es anders. Meinen Augen sieht man es nicht an und wenn ich mit wem rede, drehe ich meinen Kopf so, dass es so aussieht, als würde ich in das Gesicht von meinem Gesprächspartner schauen.

Hobi zieht mir meine Schuhe an und hilft mir auch mit meiner Jacke. Ich möchte gerade meinen Mund aufmachen, um mich zu beschweren, als ich plötzlich etwas an meinem Mund spüre.

„Sag nichts, Hyung. So geht es schneller. IHHHH, YOONGI, DU FERKEL!!!" Wieso hält er auch seine Hand vor meinen Mund? Selbst schuld.

Draußen angekommen, höre ich das Zwitschern der Vögel. Ein süßlich-blumiger Geruch hängt in der Luft und die Wärme der Sonne spüre ich auf meinem Gesicht. Ja, es wird definitiv langsam Frühling. Hand in Hand, wie ein Pärchen, laufen wir los. Der Blumenladen ist nicht weit von unserer Wohnung entfernt.

Der Geruch von Abgas, der in der Luft hängt, lässt meine Nase etwas rümpfen und zerstört etwas diese blühende Stimmung. Ein paar Menschen rempeln mich an und meine Nase nimmt weitere verschiedene Gerüche wahr. Zigaretten, Kaffee, Parfüm, Brot und da ist noch ein Geruch. Einer, den ich noch nie gerochen habe, dieser ist zu schwer, um ihn zu beschreiben. So fremd und vertraut zu gleich.

„Hobi, warte mal!", ruf ich meinem Bruder zu und hoffe das er stehenbleibt.

„Yoongi, wir haben gleich acht Uhr. Um Viertel vor neun beginnt meine Vorlesung und dein Geschäft macht gleich auf!" Seine Stimme ist sehr gehetzt und er zieht mich weiter durch die Menschenmenge, bis wir irgendwann stehen bleiben. Wieso hätten wir nicht noch ein paar Minuten warten können? Er drückt mir den Schlüsselbund in die Hand und verabschiedet sich. Ich bleibe noch eine Weile stehen und denke nach. Was war das für ein Geruch? Von wem kam der Duft? Wer ist diese Person? Meine Gedanken überschlagen sich und alles dreht sich um diesen einen undefinierbaren Geruch. Irgendetwas in mir hat das Gefühl ihn zu kennen. Aber woher?

Ich taste den Schlüsselbund ab, um den richtigen Schlüssel zu finden. Danach suche ich das Loch, um die Tür aufzuschließen. Ich öffne diese und das kleine Glöckchen ertönt. Ein Lächeln bildet sich auf meinen Lippen, als ich durch die Tür in den Laden trete und das helle Läuten das Schließen der Tür verkündet. Ich drehe mich um und greife nach dem Schild, welches ich herumdrehe, damit es meinen Kunden mitteilt, dass ich nun geöffnet habe.

Mit behutsamen Schritten steuere ich meinen Arbeitstisch an, den ich mit ausgestreckten Händen erreiche. Sobald meine Handflächen das Holz berühren, atme ich erleichtert aus und lasse meine Gedanken erneut zu diesem Duft schweifen. Hoffentlich rieche ich diesen Geruch heute nochmal....

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