Angeltag
Hallo und guten Tag zusammen, ich bin Lotte!
Heute durfte ich einen wunderschönen Tag genießen. Wir haben Juni und der Tag hat heute, von morgens bis in den späten Abend hinein so getan, als sei er der einzige Sommertag des Jahres. Für mich war es ein erfüllter Tag, den ich tief in meinem Herzen bewahren möchte. Gerade jetzt sitze ich mit Jonathan auf unserem Balkon und genieße den Ausklang dieses Tages voller Wärme bei einem Glas Weißwein. Der Wein perlt lustig, voller Fruchtigkeit und noch gut gekühlt, in seinem Glas vor sich hin. Die Sonne fällt leise in den Abend und verwandelt den Himmel in eine weichgezeichnete Kulisse. Auf dem Boden haben wir schon die Kerzen in den Tonschalen angezündet, weil es eh bald Dunkel wird. Eine schöne Stimmung. Ich genieße es sehr, wenn Jonathan und ich uns so einig sind in unserem Schweigen. Es hat so etwas Kraftvolles und strotzt nur so von Übermaß, dass es mich vom Kopf bis in die Zehenspitzen erfüllt. Jonathan ist das Beste, was mir (oder besser gesagt, der mir) im Leben begegnet ist - mein Mann! Meine Liebe! Darüber wollte ich heute aber nicht berichten. Jonathan weiß, was er mir bedeutet. Dass ich heute diesen Tag genießen durfte, habe ich auch ihm zu verdanken.
Hättet ihr am Anfang des Jahres mit uns in unserem Wohnzimmer gesessen, wärt Ihr Zeuge von folgendem Gespräch geworden:
„Lotte, wissen wir eigentlich schon, was wir Erwin zum Geburtstag schenken wollen?"
„Nein Jonathan, darüber haben wir uns noch keine Gedanken gemacht. Hast du eine Idee? - oder wie kommst du gerade jetzt auf das Geschenk für Papa?"
„Ja Lotte, vielleicht habe ich eine Idee. Was hältst du davon, wenn wir ihm einen Angeltag zum Geburtstag schenken, gemeinsam mit dir? Er wird jetzt einundachtzig. So schlecht, wie seine Augen in der letzten Zeit geworden sind, ist das bestimmt toll für ihn. Er genießt das doch immer so und dann muss er auch nicht im Dunkeln mit dem Rad dorthin fahren. Ich bringe euch hin und hole euch auch wieder ab. Du genießt das doch auch."
Ja, das stimmt. Angeltage mit Papa haben immer zu den friedlichsten Tagen in meiner Kindheit und Jugend gehört. Das waren Tage, an denen wir im größten Einverständnis mit uns und der Natur beieinander sein konnten, über alles und nichts redeten - mehr über nichts, als über alles - und stundenlang schweigen konnten. Die damit verbundene Stille war nie unangenehm. Dafür musste nicht einmal die Sonne scheinen, es konnte Kuhscheiße regnen oder auch einfach nur bedeckt sein. Wenn wir eine Hütte hatten, war das kein Problem. Unsere Devise lautete: „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlecht angezogene Menschen". Manchmal haben wir Zuflucht im Auto gesucht und manchmal sind wir vollkommen durchnässt nach Hause gekommen. Was ich immer in Erinnerung mit diesen Tagen in Verbindung bringe ist, dass wir lachend nach Hause gekommen sind.
Einziges Problem, welches ich immer hatte, war die Tatsache, dass mein Papa lebende Tiere auf die Haken zog. Nicht, dass er das alleine so gehandhabt hätte. Angler machen das so, wenn sie Fische fangen wollen. Fische wollen geködert werden und das Tollste für die meisten Fische ist, wenn der Köder noch zappelt. Also kamen immer lebende Regenwürmer oder Maden auf den Haken. Immer so viele, dass der Haken nicht mehr durchblitzt, denn Fische sind nicht dumm. Viele Fische sind selber Jäger und wissen, wie das mit dem Ködern ihrer Beute funktioniert. Wenn es unter Wasser reflektiert, wissen die ganz genau, dass an dem Köder ein Haken sein muss.
„In Ordnung Jonathan, aber dann zu einer Zeit, wo wir eine Chance haben, dass das Wetter auch ein bisschen schön ist. Ich angele nicht und dann ist es einfach schöner am See, wenn ich mir ein Buch mitnehme und vielleicht, wenn das Wetter mitspielt, ein bisschen die Frühlingssonne genießen kann."
„Okay Lotte, dann lass uns mal schauen. Der Mai ist schon eng mit Terminen, da sehe ich in unserem Kalender keinen freien Samstag mehr. Was hältst du von Juni? Das ist nicht so weit entfernt von seinem Geburtstag und mit Chance ist das Wetter schön."
„Ja, das klingt gut. Wie sieht es denn im Juni in unserem Kalender aus?"
„Schau mal mit Lotte!"
„Würde ich ja, wenn du mir hier ein bisschen Platz machst. Komm, rutsch mal ein bisschen zur Seite. Von der ganzen Zeit, die ich schon über deine Schulter schaue, habe ich bereits einen ganz schiefen Hals."
„Jaha, ist ja gut, ich mach ja schon Platz. So genehm die Dame?"
„Geht doch, das Sofa ist ja groß genug, da passen wir schon beide rauf".
„So Lotte, wenn du jetzt zu Ende geschubst hast, können wir dann langsam ...? Siehst du? Hier ist noch gar nicht so viel los. An dem Samstag kannst du das doch gut machen. Wie gesagt, ich bringe euch hin und hole euch wieder ab. Wir müssen dann auch noch klären, dass ich Heidelinde später abhole und mit ihr in das Einkaufszentrum fahre, sie wollte doch so gerne mal wieder bummeln. Das ist auch nicht so weit weg vom See und am Nachmittag kommen wir euch besuchen und schauen mal, ob ihr schon mit nach Hause möchtet oder bis zum Schluss bleiben wollt. Wann ist den Schluss mit der Angelzeit am See?"
„Keine Ahnung Jonathan, warte kurz die haben bestimmt eine Seite im Internet, da schauen wir mal nach. - So, hier haben wir die Seite. Hier steht 18:00 Uhr. - Ich weiß nicht Jonathan, das ist ganz schön viel Aufwand für dich: erst eine halbe Stunde zu Mama und Papa zu fahren, Papa einzusammeln und uns zum Angel-See zu bringen. Das dauert ja auch noch einmal zwanzig Minuten. Wenn wir das wirklich so machen möchten, dann sollten wir so zum Angel-See fahren, dass du gleich im Anschluss mit Mama in das Center fahren kannst."
„Ne Lotte, so machen wir das nicht. Dir macht es ja nichts aus so früh aufzustehen. Steht da auch, ab wann der See geöffnet ist und geangelt werden kann?"
„Ja, der See wird um 5 Uhr morgens zum Angeln geöffnet."
„Also gut, dann muss im Gutschein für Erwin stehen, dass wir ihn um 4:30 Uhr abholen."
„Jonathan, das ist jetzt nicht dein Ernst, um die Uhrzeit bist du noch im Tiefschlaf. Was willst du denn noch anstellen, wenn du uns am See abgeliefert hast? Um die Zeit haben ja noch nicht einmal die Bäcker geöffnet."
„Wieso? Erwin erzählt uns doch immer, dass die beste Zeit zum Fische fangen die Morgenstunden sind und dass man immer ganz früh da sein muss, wenn man eine Hütte abbekommen will. Wenn wir erst um neun Uhr dort ankommen, ist für ihn, als Angler, der Tag doch schon gelaufen."
„Das stimmt, aber - Jonathan - dann kann ich auch selber fahren. Du musst ja nicht den Chauffeur für uns spielen."
„Lotte, du fährst aber nicht so gerne. Außerdem will ich ja noch mit Heidelinde zum Bummeln fahren, dann brauche ich das Auto. Ne, ne, lass uns das mal ruhig so machen. Mein Teil des Geschenkes ist, dass ich euch fahre und du musst nur dafür sorgen, dass ich an dem Tag um 3:30 Uhr aufstehe und ein Kaffee für mich fertig ist."
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