VI

Als sich das Ewige Licht gerade mit der Stille abgefunden hatte, war da plötzlich ein neues Geräusch. Es war wie das zarte Klopfen einer federleichten Hand, und das Licht brauchte lange, um die Quelle des Geräusches auszumachen. Doch schließlich fand es sie; es war ein kleiner, schwarzer Käfer, der voller Entschlossenheit immer und immer wieder gegen eines der Kirchenfenster flog, in der Hoffnung, das magische Kraftfeld möge ihm endlich nachgeben. Unermüdlich flog er Attacken auf die Scheibe und weigerte sich rigoros, als Geschlagenee das Feld zu räumen.

Das Licht hätte zu gerne eingegriffen, den armen, gefangenen Käfer festgehalten und ihm einen anderen Weg hinausgezeigt, doch es war unfähig, etwas zu tun – es sprach weder die Sprache der Käfer, noch hatte es die nötigen Gliedmaßen, um ihn zu leiten. So war es, ebenso hilflos wie der Käfer, zum Zuschauer des mitleiderregenden Schauspiels verdammt.

»Welch Ärgernis! Dabei ist gleich neben ihm ein Fenster geöffnet, durch das er ganz einfach dieser Falle entkommen könnte.« Diesmal hatte das Licht mit der Stimme gerechnet, ohne zu wissen, woran es das festgemacht hatte.

»Er ist zu fokussiert.« Die Stimme des Lichts klang beinahe so verzweifelt wie der Käfer sich fühlen musste.

»Ja.«

Die beiden Gesprächspartner schwiegen eine Weile und schauten dem Käfer bei seinen immer verzweifelter werdenden Fluchtversuchen zu.

Irgendwann erhob sich die Stimme des Lichtes erneut.

»Was ist, wenn er nicht herausfindet?«

»Dann stirbt er hier drinnen.«

»In Gefangenschaft?«, fragte das Licht mit großen Augen.

»In Gefangenschaft«, nickte die Stimme.

Wieder trat Stille ein, und nur das immer schwächer werdende Klopfen des Käufers gegen die Fensterscheibe war zu hören. Die Scheibe, ein unbelebtes und damit absolut unparteiisches Objekt, wurde plötzlich zu einem Antagonisten, einem Bösewicht so alt wie die Zivilisation selbst. Sogar die Kirche verblasste dagegen.

»Ist es denn so wichtig, dass es diese Scheibe ist?«

Der Stimme musste klar sein, dass die Antwort auf diese Frage einen unumkehrbaren Effekt auf das Licht haben würde.

»Nein. Es ist wichtig, dass es diese Öffnung ist, die der Käfer durchfliegt. Dieses Sonnenlicht, in das er kommt. Diese Bedeutung hat er dem Fenster selbst gegeben. Freiwillig.«

»Aber er weiß doch sicher nicht, dass das Fenster neben ihm geöffnet ist! Wie kann er da freiwillig entschieden haben?«

»Na, es ist doch keine unfreiwillige Entscheidung, nur weil er noch nicht alle Alternativen kannte. Er hätte ja weitersuchen können, doch er hat sich eben dagegen entschieden.«

Die Stimme klang sich ihrer Sache sehr sicher.

»Und wenn er hier stirbt? Wenn er nicht hinausfindet? Weil seine Entscheidung falsch war? Weil ich ihm nicht helfen konnte?«

Das Licht hingegen klang den Tränen nahe.

»Dann hat er sich aus Unwissenheit dafür entschieden. So ist das Leben. Man trifft Entscheidungen, und dann, eines Tages, stirbt man deshalb.« Trotz der harten Worte war die Stimme voll Mitgefühl.

Plötzlich wurde den Licht etwas klar.

»Das ist es, nicht wahr? Das macht mich wichtig. Ich bin eine Entscheidung«, sagte es, nun völlig aufgelöst, nur um kurz danach Zeuge zu werden, wie der Käfer endlich die Freiheit fand. Seine Erleichterung muss riesig sein, dachte es.

Das Klopfen hörte auf, und da erst realisierte das Ewige Licht, dass es wieder alleine war.

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