V
»Ich habe über deine Metapher nachgedacht. Mit den Vögeln.«
»Ja?«
»Sie ist wirklich schön.«
Es war noch dunkel draußen, und das Ewige Licht hatte gerade gerätselt, in welcher Richtung die Sonne wohl heute aufgehen würde, als sich die samtweiche und doch so schwere Stimme erhoben hatte. Sie klang als einziges Geräusch lange in der nächtlichen Stille nach und hielt alles bedeckend jedwedes Erwachen nieder. Es war, als hätte man tatsächlich einen schweren, weinroten Samt genommen und ihn über die ganze Kirche, über die ganze Welt gebreitet. Ehrfurcht war die einzige Emotion, die nicht von dem edlen Stoff auf dem Boden gehalten wurde, und so zerriss nicht ein einziger Missklang den Nachhall dieser bedeutungsschweren Worte in der Nacht.
Die Stimme war nicht allwissend.
»Ich dachte, du weißt alles.« Das Licht klang enttäuscht und auch verunsichert, doch vor allem wurde eine höfliche Zurückhaltung deutlich hörbar.
Die Stimme lachte leise, ein absurdes Geräusch in der andächtigen Stille und doch so passend, als wäre es der Herr in dieser Nacht.
»Ich weiß allerdings alles.«
»Wie konntest du dann meine Me- Metapher«, bei diesem Wort verhaspelte sich das Licht etwas, »nicht kennen?«
Erneutes Lachen.
»Sie ist neu. Sie war vorher noch nicht da.« Da war es wieder, dieses wundervolle Lächeln, das wie ein feiner Duft von Nelken und Vergissmeinnicht in der Luft hing; es existierte mehr in der eigenen Vorstellungskraft als in der Realität, und man versuchte verzweifelt, mehr davon einzuatmen und wahrzunehmen, um diesen wundervollen Moment besser festhalten zu können. Doch zeitgleich war da auch diese Angst, es könnte doch nur die eigene Wahrnehmung sein, die einem Streiche spielt. »Du musst es so sehen«, fuhr die Stimme fort; »Ich weiß alles, was man wissen kann. Aber ich kann nicht alles wissen, was in Zukunft wissbar wird. Wir reden hier von Weißheit, nicht von Imagination. Deine Vorstellungskraft und deine Gedanken gehören ganz dir, ich kann mich nicht in sie einmischen und ebensowenig kann ich sie vorraussehen. Wenn ich das könnte, dann wäre ja vorgeschrieben, was du denkst. Ich weiß Dinge erst, wenn man sie wissen kann, weil jemand sie gedacht hat, denn wenn noch niemand sie gedacht hätte und ich sie trotzdem wüsste, dann... Hätte ich sie schon gedacht. Aber wie hätte ich darauf kommen sollen, wenn es doch deine Gedanken sind?«
Stille. Stille, die anwuchs, die Kirche durchflutete, das Gespräch zu ertränken suchte und urplötzlich wieder verschwand, ohne auch nur einen einzelnen Tropfen zurück zu lassen.
»Es geht um die Freiheit, verstehst du?«
»Ich denke schon.«
Der Tonfall des Lichtes strafte diese Aussage Lüge, aber die Stimme beschloss, das ein erneuter Erklärungsversuch unhöflich gewesen wäre. Abermals trat Stille ein. Wie ein ungebetener Gast ließ sie sich diesmal auf einer der Kirchenbänke nieder und blickte erwartungsvoll in die Runde.
»Und jetzt?« Das Licht versuchte, die Stille aus der Kirche zu vertreiben.
Seine Bemühungen waren nicht von Erfolg gekrönt.
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