Kapitel 10: Der Fuchs kann seinen Schwanz nicht verbergen

Kapitel 10:

Der Fuchs kann seinen Schwanz nicht verbergen

„Wo seid ich denn hin verschwunden?" Hinami begrüßte die beiden Ghule erwartungsvoll am nächsten Morgen. Sie waren erst jetzt wieder im Antik angekommen, natürlich würde der Rest der Truppe nach ihnen fragen. Kisuna wagte einen verstohlen Blick zu Yomo, der immer noch ihre Uniform mit sich schleppte. „Gestern Abend mussten Yomo und ich vor Tauben fliehen. Wir haben die Nacht in einem Hotel verbracht, um auch wirklich sicher zu sein", erklärte sie. Der Chef nickte darauf nur verständnisvoll. „Verstehe. Ich bin froh, dass ihr wohl auf seid." Für einen kurzen Moment hielt der ältere Herr Inne. Kisuna versuchte zu erraten, was er wohl als nächstes von sich geben würde. Dann, er nickte Yomo wie gewohnt zu und holte seine Hände von seinem Rücken hervor um damit Richtung Nebentür zu deuten. „Hier ist jemand von uns, den du noch nicht kennengelernt hast", meinte Herr Yoshimura. Aus dm Gang hinter der Tür traten zwei ihr unbekannte Figuren hervor. Es handelte sich um einen männlichen Ghul mit hellbraunen Haar und Brille gefolgt von... einer Menschenfrau? Kisuna öffnete den Mund, ließ jedoch dann doch davon ab, etwas zu sagen. „Abwarten", rang es in ihrem Inneren. Abwarten, was der Chef ihr noch mitteilen wollte. „Ich möchte dir gerne Nishio Nishiki und Freundin Nishino Kimi vorstellen." Freundin... also waren die beiden ein Paar. Kisuna hatte es bereits vermutet, doch gesehen hatte sie so etwas noch nicht. Ein Ghul und ein Mensch, die sich liebten, hm? Sie hatte bereits von einäugigen Ghulen gehört, die durch diese Art von Beziehung mit nur einem Kakugan geboren werden. Ein Pärchen aus beiden Gattungen hatte die Ghula noch nie vor ihren eigenen Augen gesehen. Sie wusste genau, dass der Chef auf ihre Reaktion wartete, doch so leicht würde sie es ihm nicht machen. „Freut mich." Mehr gab sie nicht von sich. Ihr war bereits bewusst, dass dieses Kennenlernen nicht ohne Grund geschah. „Ebenso", gab Nishiki von sich, seine Freundin nickte mit einem Lächeln auf den Lippen. Wie konnte sie nur so ruhig bleiben, war sie schließlich von Ghulen umkreist. Kisunas Blick schwank aus dem Augenwinkel auf Yomo, der sie genauestens beobachtete. Sie kannte diesen Blick. Er hatte sich nicht geändert seit sie das Antik zum ersten Mal betreten hatte. Was hatten er und Yohsimura nur wieder geplant? Der ältere Herr trat dann erneut hervor. „Kisuna, ich habe mit Yomo und Nishiki etwas zu besprechen. Warum nutzt du nicht die Gelegenheit und lernst Kimi ein wenig besser kennen?" Natürlich, das war es. Er wollte ihre Selbstbeherrschung testen. Die Ghula nickte und schob sich etwas genervt an Yomo vorbei. „Komm, lass uns spazieren gehen", wandte sie sich an die Menschenfrau. Als Kisuna die Eingangstür hinter sich und Kimi schloss, konnte sie noch den leicht besorgten Blick von Nishiki erhaschen.

„Das Wetter ist echt herrlich, findest du nicht?" „Hmm, ja." Kurz zögerte ihre Begleitung. „Hey, Kisuna", begann Kimi dann etwas unsicher. „Ich weiß, wir haben uns gerader erst kennengelernt, aber... bedrückt dich etwas?" Die Ghula ließ sich gegen die Rückenlehen der Parkbank, auf der die beiden vorläufig Platz genommen hatten, fallen. Die menschliche Gestalt neben ihr musterte sie neugierig. Kisuna verstand diese Frau nicht. Sie musste seufzen. „Hey, Kimi.." „Ja?" „Hast du gar keine Angst in meiner Gegenwart?" Darauf lächelte diese nur. „Weil du ein Ghul bist?", hakte sie nach. Kisuna beobachtete sie nachdenklich. „Nein, weil ich ein Ghul bin, den du nicht kennst." Kimi sah sie durchdringend an, atmete dann tief ein und wieder aus. „Nein, ich fürchte mich nicht." Sie lächelte erneut. „Schließlich bin ich ja mit einem Ghul zusammen." Das war Kisuna definitiv bewusst. „Stört es dich denn, dass ich ein Mensch bin?" Mit dieser Frage hatte die Ghula nicht gerechnet. Sie seufzte und kreuzte die Arme vor der Brust. „Nein. Herr Yoshimura hat das mit Absicht gemacht. Er testet meine Selbstbeherrschung." Kimi wandte sich zu Kisuna, die ihren Blick in die Ferne lenkte. „Ghule fressen Menschen. Das ist nun mal so." Dann sah sie Kimi an. „Jedenfalls meistens." Diese schluckte. Doch der Mut schien sie nicht zu verlassen. „So ist halt die Liebe. Sie findet immer ihren Weg." Kimi lehnte sich ebenso zurück. „Als ich Nishiki kennengelernt habe, war ich einer miserablen Lage. Für mich hat er mich damals gerettet. Und ich wollte das Gleiche für ihn tun." Kisuna beobachtete wie Kimi leicht ihr Shirt von ihrer Schulter zog und eine Narbe wurde sichtbar. Schnell zog sie es ich wieder über. „Ich wollte ihm helfen und habe ihm von mir essen lassen." Diese Aussage schockierte die Ghula etwas. Ein Mensch, der bereit war, einem Ghul zu helfen? Noch dazu musste sie ihm ihr vollstes Vertrauen geschenkt haben. Er hätte sie töten können, aber das hatte er nicht getan. „Was? Sieh mich nicht so an!", scherzte Kimi. „Ich liebe ihn halt." Diese Leichtfertigkeit... es verwunderte die Ghula. Und doch bewunderte sie sie für ihren Mut, sich Kisuna so schnell zu öffnen. Sie hätte sowas nie gekonnt. „Das ist tatsächlich...beeindruckend." Kimi lachte darauf. „Und du machst dir keine Sorgen?", hakte Kisuna nach. „Natürlich, aber man sorgt sich doch immer um die Person, die man liebt. Oder?" „Kann sein." Diese Antwort schien Kimi wohl zu überraschen. „Was meinst du? Du hattest doch bestimm schon mal eine Beziehung. Außerdem bist du doch so hübsch", hakte Kisunas Begleitung nach. „Nein, jedenfalls keine ernste Beziehung. Und das will ich auch nicht." „Oh, wieso nicht, wenn ich fragen darf?" Die Ghula senkte den Blick. „Ich will mich an niemanden binden. Als Ghul ist diese Welt, so wie sie ist, schon gefährlich genug." Sie sah nun zu Kimi hoch. „Jemanden zu lieben und ihn dann womöglich wieder zu verlieren.." Kisuna sah wieder in die Ferne. Ihre Hände klemmte sie dabei zwischen ihre Oberschenkel, der Blick wurde trübe. „Darauf kann ich verzichten." Stille folgte. Ihr war bewusst, dass ihre Begleitung das wahrscheinlich nicht wirklich nachvollziehen konnte. Das müsste sie auch gar nicht, es war ja auch nur ihre Ansichtsweise. Kisuna erschrak allerdings etwas als sie eine warme Hand auf ihrem Schenkel spürte. Es war Kimis Hand. Beide sahen sich an. Kimis Augen waren etwas traurig, dennoch lächelte sie. „Du bist wirklich stark." Kisuna seufzte melancholisch. „Ja, bin ich wohl." Es kümmerte sie nicht, dass Kimis Hand auf ihr ruhte. Es störte sie auch nicht. Es war schon in Ordnung, schließlich bemühte sich die Menschenfrau sehr, Kisuna zu verstehen. „Aber warst du denn schon mal verliebt?" Erst als sie es ausgesprochen hatte, realisierte Kimi, was sie da gerade gefragt hatte. Erschrocken fuhr sie auf. „Tut mir Leid, das ist eine dumme Frage." „Verliebt? Was genau meinst du?" Kisuna wurde neugierig. Sie kannte sich in romantischen Angelegenheiten nicht wirklich aus, sie kannte nur die Lust. Verführen, Sex, eine wilde Nacht, damit war sie besser vertraut. Wie fühlte es sich wohl an, wenn man für jemanden...ernste Gefühle empfand? Kimi atmete erleichtert aus. Sie schien beruhigt, dass die Ghula ihr nicht böse war. „Naja, hmm", überlegte sie. „Also natürlich findet man die Person, in die man sich verliebt auf den ersten Blick attraktiv, aber da verbirgt sich viel mehr dahinter." Sie fuhr sich leicht nervös durch ihr kurzes Haar. „Man geht gemeinsam aus, lernt sich kennen, man ist nervös in deren Gegenwart, wird schnell rot." Dann lachte sie auf. „Anfangs schlug mein Herz immer so wild, dass ich mir hundertprozentig sicher war, dass Nishiki es hören musste." Kisuna merkte auf. Zeit miteinander verbringen, rot werden, Nervosität... kam ihr das nicht bekannt vor? Hatte sie nicht etwas erlebt, dass sie an all das erinnerte? „Und natürlich fühlt man sich, als ob diese Person dein Zuhause ist." Erneut schreckte die Ghula auf. „Zuhause?", hakte sie nach. Kimi sah zu ihr. „Ja, deshalb habe ich auch keine Angst vor Nishiki, obwohl er ein Ghul ist. Bei ihm fühle ich mich absolut sicher und kann mich fallen lassen." Kisuna schluckte. Sie erschrak vor sich selbst. Wieso erschien bei diesen Worten sofort Yomo vor ihrem inneren Auge? Was ging nur in ihr vor? „Hey, Kisuna, alles in Ordnung? Du siehst so blass aus." Nein, das konnte nicht sein. Das war ein Zufall, ein Irrtum, nicht real. Es war nicht real. Es durfte nicht real sein. Niemals. Dann, sie vernahm einen festen Griff um ihre Schultern. „Yomo?", fuhr sie auf. „Kisuna! Ich bin's, Kimi!" Ein besorgter Blick ruhte auf dem Gesicht ihrer menschlichen Begleiterin. „Ah, sorry. Ich war in Gedanken versunken." „Das habe ich gemerkt, was hat dich denn so zum Nachdenken gebracht? Warum hast du gerade Yomo's Namen gesagt?" Innerlich stieg Hitze in Kisuna auf. Hatte sie das? Hatte Yomo ihre Gedanken bereits so sehr eingenommen? Aber warum? Nein, sicher nicht, weil sie ihn mochte. Das durfte nicht sein und das war es auch nicht. Richtig? Vorsichtig nahm sie Kimis Hände von ihren Schultern. „Schon gut, ich habe nur an etwas Vergangenes gedacht und bin abgeschweift." Kimi nickte zögerlich. „Verstehe." Sie hielt kurz Inne. „Möchtest du zurück gehen?" Kisuna lächelte zaghaft. Sie wollte nicht, dass Kimi sich zu sehr sorgte. „Danke für das Gespräch", versuchte sie diese wieder zu beruhigen. Die Ghula erhob sich von der Bank und ging einen Schritt vor. Dann drehte sie sich zu Kimi um, der sie ein Kopfnicken zum Aufbruch signalisierte. „Gehen wir." Sofort sprang diese auf und folgte der Ghula vollsten Vertrauens zurück zu dem Ort, der sie alle miteinander verband. Ghule als auch Menschen.

„Wie fandest du die beiden?", fragte Yomo Kisuna als sie abends gemeinsam auf dem Sofa saßen. Kisuna fiel es schwer, nicht mehr über Kimis Worte nachzudenken. Sie vermied es, Yomo in die Augen zu sehen. Auch wenn sie wusste, dass sie keine Gefühle für ihn hatte, war es doch kompliziert zu erklären, warum sie dann all diese Dinge bei ihm wiederfand. Wenn er sie küsste, dann war sie teilweise nervös, teilweise aber auch nicht. Wenn er wieder einmal seltsamerweise so freundlich und zuvorkommend war, wurde sie in seiner Nähe rot. Doch nicht, wenn sie vor ihm nur in Unterwäsche saß, was ab und an der Fall war. Denn sie fühlte sich auch sicher und verstanden in seiner Nähe. Jedenfalls die meiste Zeit über. Ihre Gedanken glichen einem riesigen Suppenkessel, in dem alle Zutaten umher schwammen und wild durcheinander gemischt wurden ohne eine Ende in Sicht. Es bereitete ihr ziemliche Kopfschmerzen. „Kisuna?" „Ah,ja?" „Was beschäftigt dich so sehr?" Yomos kühle Augen sahen sie leicht verwundert an. „Du", dachte sie sich, aber das konnte sie selbstverständlich nicht aussprechen. Es störte sie schon genug, dass er es wieder einmal bemerkt hatte. Wie zerstreut sie war, wie sie zu kämpfen hatte, mit all dem, was sich um sie herum für sie veränderte. Sie hätte nicht gedacht, dass sie das so beeinflussen könnte. Neue Ghule, Menschen und dann noch Yomo, der ihr langsam aber sicher den Verstand raubte. Warum war das so? Dabei konnte er nicht einmal etwas dafür. Warum musste er auch so gutaussehend sein und... naja, einfach Yomo sein? „Ich bin ziemlich müde, ich glaube ich gehe schon ins Bett." Nur nicht zu auffällig verhalten. Yomos Ausdruck wurde aufmerksamer und konzentrierter. War er gerade dabei, sie zu durchschauen? Kisuna wandte sich um, steuerte auf die Schlafzimmertür zu, doch wurde sie dabei von jemandem zurückgehalten. Natürlich, in so einem Moment konnte er sie wieder nicht in Ruhe lassen. Sie solle warten, das wollte er ihr damit verdeutlichen. Die Ghula drehte sich zu ihm um. Als sich ihre Augen trafen, konnte sie spüren, wie sehr sich ihr Herzschlag sofort beschleunigte. Sie versuchte sich aus seinem Griff zu winden, erntete dafür aber nur einen skeptischen Blick. Sie wollte nicht berührt werden, nicht wenn sie so drauf war. Alle anderen Male gern, aber nicht jetzt. Wie sollte sie ihm das nur klar machen? So war ihr Verhalten natürlich bizarr. Kisuna seufzte, zog dann an Yomos Hand, sodass er auch aufstand und konnte sich somit endlich loslösen. Flink sah sie weg. „Ich bin müde." „Was verheimlichst du?" Yomos Worte trafen direkt durch sie hindurch. Wie zu erwarten verdächtigte er sie bereits. Doch Kisuna ging einfach weiter, gefolgt von einem mehr oder weniger verärgerten Yomo. Sie konnte die Kälte seiner Augen spüren, die sie im Fokus hatten. Es fühlte sich an, als hätte er sie im Visier, jederzeit bereit sie mit seinen Worten in die Knie zu zwingen. Allerdings war Yomo kein Typ für viele Worte, es waren seine Taten, die weitaus mehr über ihn verrieten. Sie wandte sich um, stemmte die Hände in die Hüften und verengte den Blick. „Ich fühle mich nicht wohl. Schuldigst du mich deswegen etwa an?" Yomo kam ein paar Schritte auf sie zu. Kisuna verdrehte die Augen. „Rede mit mir." Wieder trat er näher an sie heran. Doch die Ghula weigerte sich weiter auf das Thema einzugehen. Sie griff nach dem Shirt, das sie immer zum Schlafen trug. Für einen kurzen Moment hielt sie es vor sich in den Händen, betrachtete es ausführlich. „Spiel nicht den Psychologen!", beschwerte sie sich während sie sein Shirt auf ihn zu katapultierte und aufstampfte. Sie hatte genug, sie wollte selbst einfach nicht mehr darüber nachdenken geschweige denn darüber reden! Was konnte er daran nicht verstehen?! Yomo, er hatte das Geworfene gekonnte gefangen, ging nochmals einen Schritt auf sie zu. Er hielt ihr das Shirt entgegen, sein Blick blieb streng und doch ein wenig besorgt. Kisuna verstand ihn nicht, wie so oft. Wie fast immer. Sie nahm das Kleidungstück wieder entgegen und drückte es an sich. Ihre Finger zerrten verkrampft am Stoff, den Kopf drehte sie von ihm. „Ich kann nicht darüber reden." „In Ordnung." Sie schluckte. Yomo hörte sich leicht genervt an, dennoch bewahrte er Ruhe. Er spazierte zum Bett, zog sein eigenes Shirt aus und richtete sich sein Kissen zurecht. Noch einmal sah er zu ihr hoch bevor er sich schließlich hinlag. Als beide unter die Decke geschlüpft waren, fühlte Kisuna sich doch komischerweise schlecht. Sie konnte spüren, wie Yomo nach einer Weile bereits dahin gedöst war, sein Atem war ruhig und ausgeglichen. Doch an Schlaf konnte die Ghula gerade überhaupt nicht denken. Vorsichtig hob sie die Bettdecke an, schlüpfte leise heraus und begab sich Richtung Fenster. Um jegliche Geräusche, die ihren Mitbewohner aufwecken hätten können, zu vermeiden, drückte sie den Griff extrem langsam nach unten. Die Türen quietschten ein wenig bevor sie sie einen kleinen Spalt, nur so groß, dass sie sich durchquetschen konnte, öffnete. Der Nachthimmel war düster und leer, fast kein einziger Stern war zu sehen und selbst dort, wo normalerweise noch leise Stimmen von der Straße zu vernehmen waren, herrschte absolute Stille. „Was soll ich schon erzählen", flüsterte Kisuna in die Nacht hinein. Sie seufzte als sie sich mit verschränkten Armen auf das Balkongeländer lehnte. Sie wollte Yomo nicht mit hineinziehen in die Dunkelheit, die in ihr herrschte. Lieber behielt sie es für sich, so würde nur sie damit belastet werden. „Das will ich dir nicht antun, Yomo." Kisuna fühlte sich schwach und dieses Gefühl verachtete sie. Warum nur? Wegen ihm? Was war es, das sie so fühlen ließ? Sie fasste sich an die Stirn. Ihr Kopf brummte vor Fragen über Fragen. Es hatte sich so viel für sie verändert, kam sie auch wirklich damit klar? Sie wandte sich um und warf einen Blick auf ihn. Sie bereute, dass sie ihn wieder einmal so angefahren hatte. Das hatte er nicht verdient. „Du bist so gut zu mir..." Kisuna seufzte erneut. „Und ich, ich bereite dir nur Probleme. Diese Veränderung, sie macht mir einfach..." Sie hielt Inne. In ihr zog es sich vehement zusammen. Es fühlte sich an, als würde ihr eine Kagune mitten durch sie hindurch gerammt werden. Sie hasste es zugeben zu müssen, doch wusste sie, dass es nun mal so war. „Angst."

„Hast du dich mal bei jemandem Zuhause gefühlt?" „Ja, bei mir." „Das meinte ich nicht, Uta." Kisuna pustete ihre Haare aus dem Gesicht während ihr guter Freund Abmessungen an ihr vernahm. Sie wollte sich eine neue Maske zulegen und wer wäre da besser geeignet als der tätowierte Ghul mit dem Sidecut? „Ich verstehe die Frage nicht. Außerdem, warum willst du das wissen?" Er rollte mit seinem Drehhocker ein Stück weiter um sie herum. „Wurdest du schon mal aufgrund der Gegenwart von jemandem rot?" „Ich werde immer rot, wenn du kommst." Sie schlug ihn in die Seite. „Kannst du mal für einen Moment ernst bleiben?" „Wieso? Geht es um wieder um Yomo?" Die Ghula hustete erschrocken. „Wie kommst du darauf?" „In letzter Zeit kommst du immer zu mir, wenn du einen Rat wegen Yomo brauchst." Er rollte wieder vor, sodass er ihr direkt in die Augen sehen konnte. Uta kannte sie lange genug, um ihre Mimik zu lesen, was ihr etwas Sorgen bereitete. „Vielleicht." „Vielleicht was?" Kisuna zog etwas genervt die Augenbrauen zusammen. „Vielleicht geht es um Yomo." Er schenkte ihr ein Lächeln, doch sie verzog nur das Gesicht. Er fand immer alles so amüsant, auch wenn es das gar nicht war. „Er verwirrt mich." „Das ist nichts Neues." Uta begab sich zu seinem Schreibtisch und begann ein paar Skizzen nieder zu zeichnen. Kisuna, sie war aufgestanden und ihm gefolgt, lehnte sich gegen die Wand neben ihn. Ein Bein stütze sie dabei daran ab. „Er beunruhigt mich", fing sie an, wobei sie wild mit ihrer Hand fuchtelte. „Dabei ist er total ruhig!" Uta musste erneut kichern. „Findest du das etwa lustig?", schnappte sie zurück. Der männliche Ghul, er wandte seinen Blick nicht vom Papier ab, musste lächeln. „Du könntest einfach zugeben, dass du auf ihn stehst." Vor Schreck verlor Kisuna das Gleichgewicht. „Was?!" Uta konnte aus dem Augenwinkel heraus beobachten, wie sich ihr Kakugan zu aktivierten drohte. „Nicht hier im Laden, Kisuna." Darauf schloss sie die Augen, atmete tief durch und öffnete sie wieder. Ihre Pupillen verblieben in ihrem smaragdgrün. „Was redest du auch für einen Müll. Ich empfinde nichts für ihn. Du kennst mich." Nun sah er schließlich zu ihr hoch. „Wir unterliegen einer ständigen Veränderung. Das ist das Leben." „Tss". Kisuna seufzte und ging ein paar Schritte im Laden auf und ab. Dann hielt sie Inne, den Kopf senkte sie. „Ich denke, er wünscht sich, dass ich ihm davon erzähle." „Deiner Vergangenheit?" Sie drehte sich um, ballte die Hände zusammen und warf den Blick trübe zur Seite. Auch Uta wandte sich von seinem Schreibtisch ab und zu ihr um. „Für Vertrauen ist es nie zu spät." Seine Worte klangen in ihr nach. Doch das war auch nicht das Problem. „Ich vertraue ihm, aber...", sie hielt Inne. „Du willst ihm damit nicht zusetzen?" Uta hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. „Du denkst, dass er dich dann verurteilt? So ist Yomo nicht, glaub mir." Kisuna verschränkte die Arme vor der Brust und seufzte tief. „Es steht zu viel auf dem Spiel." Sie wollte Yomo nicht enttäuschen, sie wollte das Antik nicht verlassen und sie wollte ihr Zuhause nicht aufgeben müssen. Die Ghula ließ sich auf das Sofa hinter ihr fallen. Sie warf den Kopf nach hinten auf die Lehne und starrte hoch zur Decke. „Weißt du, du machst es dir selbst zu schwer." Uta kam auf sie zu. Er hielt ihr einen Augapfel entgegen, doch diesmal lehnte sie ab. „Warum denkst du einfach mal nicht über alles im Detail nach und hast ein wenig Spaß?" Kisuna sah ihn durchdringend an. „Und jetzt komm mir nicht wieder mit deinem „In unserer Welt"-Getue. Ich lebe auch noch obwohl ich mich oft genug reichlich amüsiere." Uta schien mittlerweile ihre Gedanken lesen zu können. Kisuna richtete sich wieder auf und spazierte zur Ausgangstür. Sie hielt inne während sie die Türklinke bereits halb heruntergedrückt hielt. „Vielleicht hast du Recht." Bevor sie die Tür öffnete, drehte sie sich nochmals zu ihrem Freund um. „Und die Veränderung habe ich schon längst bemerkt." Mit Schwung trat sie nach draußen, der besorgte Gesichtsausdruck hatte sich etwas gelockert. Uta saß sich wieder auf seinen Drehhocker und rollte mit einem Grinsen zurück an seinen Schreibtisch. „Bin gespannt wann sie es sich eingesteht", murmelte er und biss erneut von seinem Snack ab.

Kisuna versuchte die Tür zu ihrem Apartment leise hinter sich zu schließen. Es war bereits etwas später geworden, sie hatte ihren Frust noch abtrainiert und war sich nun nicht sicher, ob Yomo nicht bereits zu Bett gegangen war. Sie erinnerte sich an das Gespräch vom Vortag, das schlechte Gewissen holte sie erneut ein, hatte sie sich schließlich noch nicht bei ihm entschuldigt. Natürlich hätte sie dies bereits getan, doch Yomo war am Morgen sowie den restlichen Tag nicht aufzufinden. Der Chef hatte sie dann darüber informiert, er hätte ihm einen Auftrag zugeteilt und ihr Mitbewohner würde wahrscheinlich erst abends wieder zurückkehren. Gemächlich schlüpfte sie aus ihren Turnschuhen, stellte ihre Tasche ab und marschierte leise auf ihren Socken Richtung Schlafzimmer. Davor angekommen konnte sie Licht unter dem Türspalt erkennen, Yomo war also zurück und noch auf. Zögernd drückte sie die Klinke nach unten, stoß einen angestrengten Atemzug aus, bevor sie hineintrat. Ihr Mitbewohner hatte sie sofort ins Auge gefasst. Beide sahen sich erst kurz an, wobei Kisuna bemerkte, dass er gerade dabei war sich eine Jeans anzuziehen. „Musst du nochmal los?", erkundigte sie sich während sie an ihm vorbeiging und sich auf die Bettkante niederließ. „Zieh dich um." „Was?" Die Ghula wandte sich zu ihm um, sein Blick war entspannt, seine Stimme verlor aber ihren bestimmten Ton nicht. „Ich zeige dir etwas." „Was denn?", hakte sie nach. „Vertraust du mir?" Kisuna fuhr angespannt vom Bett hoch und wandte sich zu ihm um. „Hör mal, wenn das wegen gestern ist, ich-„ doch Yomo fiel ihr bereits ins Wort: „Ich bin nicht böse." Ihre versteifte Haltung lockerte sich, irritiert wanderte ihr Blick dem auf sie zukommenden Ghul nach. Er hatte sich wieder einmal vor ihr aufgebaut. Sanft legte er seine Hände auf ihre Schultern, es kam ihr vor als würde seine Berührung sie sofort beruhigen. „Vertrau mir einfach." „Das tue ich doch." Oder? Utas Worte hallten in ihrem Kopf nach. Bezüglich ihrer Vergangenheit war sie empfindlich, würde Yomo es denn auch verstehen? Ihr Blick wich seufzend zur Seite, dann sah sie ihm wieder ins Gesicht. „Darf ich noch schnell duschen gehen?" Yomo nickte, worauf sie sich frische Kleidung heraussuchte und ins Bad verschwand. Die beiden gingen nicht weit, dafür aber hoch hinauf. Mithilfe ihrer Krallen waren die Ghule auf einem Hochhausdach angekommen, der Wind wehte in der Höhe etwas stärker. Kisuna trat bis zur Kante vor, saß sich und staunte nicht schlecht. „Hey, man sieht das Antik von hier aus!", stellte sie enthusiastisch fest. Ihr gefiel es hier. Der Wind blies einem zwar etwas um die Ohren, doch abgesehen davon war es bemerkenswert still und entspannend. Man konnte hier sicher ein paar Stunden in Ruhe verbringen, den Alltag kurz vergessen. Sie befürchtete bereits zu wissen, warum Yomo sie hierher gebracht hatte. „Ich bin hier, wenn ich Zeit für mich brauche", erklärte dieser, wobei er sich hinter ihr platzierte. Er entledigte sich seiner Jacke und warf sie ihr achtsam um die Schultern. Anscheinend hatte er bemerkt, dass es sie in der zugigen Umgebung ein wenig fröstelte. Dann saß er sich zu ihr an den Rand des Gebäudes. Dabei stütze er sich mit dem Gewicht auf seinen rechten Unterarm, seine Muskeln spannten sich bereits wieder. Den anderen Arm legte er auf seinem angewinkelten Bein ab, er sah wie immer ungemein gut aus. Kisunas Verdacht hatte sich bestätigt, ihr war klar, dass Yomo fast alles immer aus einem bestimmten Grund tat. Er überlegte sich seine Handlungen meist genauestens, das faszinierte sie enorm. „Deshalb sind wir hier, hab ich Recht?", fragte sie, den Blick ließ sie in die Ferne schweifen. „Weil meine Gedanken so oft woanders sind." „Ja." Seine grundehrliche Antwort hatte sie kommen sehen. Er redete nicht lang um den heißen Brei herum, er benannte die Dinge so wie sie eben waren. Und es war ein Fakt, dass sie häufig nachdachte, wahrscheinlich viel zu sehr wie ihr bereits gesagt wurde. Doch dies einfach abzustellen war nicht wirklich eine einfache Sache für die Ghula, das musste sie sich auch eingestehen. „Ich weiß", sie senkte den Kopf und nahm ihre Haare unter der schweren Jacke hervor. Sie flatterten mit dem Wind frei, so frei wie sie gern ihren Kopf gehabt hätte. „Es fällt mir schwer", begann sie, wobei sie nochmals ein- und wieder ausatmete. „Es fällt mir schwer, einfach abzuschalten." Langsam wand sie sich wieder zu ihm, er sah sie wie immer eindringlich an. Kurz herrschte Stille. „Du gehörst zum Antik" und das hatte er ihr auch bereits öfter gesagt, doch für sie erschien es teilweise noch so surreal. Nun sah Yomo in die Ferne. „Du brauchst hier nicht mehr auf stark zu machen." Und diese Worte trafen die Ghula außergewöhnlich tief. Erst geschockt sah sie Yomo einige Sekunden lang an, verzog dann jedoch das Gesicht und warf sich mit den Armen darüber nach hinten. Er hätte nicht mehr ins Schwarze treffen können. Denn genau das war es, das sie immer versuchte. Sie wollte keine Schwäche zeigen, sie akzeptierte es nicht, wenn sie sich danach fühlte, ließ ihren Körper und Geist nicht ruhen und schon gar nicht in Einklang miteinander sein. Es wurde ihr in diesem Moment, an einem etwas windigen Sommerabend, mit Yomo auf dem Dach eines Hochhauses gegenüber dem Antik, erst klar. Erst jetzt wurde ihr wirklich bewusst, wie unausgeglichen sie eigentlich wirklich war. Sie war von klein auf dazu gezwungen gewesen stark zu sein, nicht hinterher zu hängen, keine Schwäche zu zeigen. Dieses Verhalten hatte sie sich antrainiert und verbessert bis zum Gehtnichtmehr. Sie wollte am stärksten sein, damit ihr niemand etwas anhaben könnte. Zögerlich nahm sie ihre Arme vor dem Gesicht weg und sah zu Yomo. Der hatte sie bereits im Auge, sie spürte wie sie etwas errötete. Sie konnte nichts antworten, ihre Lippen würden nun keinen einzigen, richtigen Satz formen können. Zu geschockt war sie darüber, dass Yomo sie durchschaut hatte und das definitiv nicht erst jetzt. Erschöpft schloss sie die Augen, sie spürte wie sich ihr Körper wie von selbst regte. Sie lehnte sich an Yomo, ihr Kopf ruhte auf seiner Schulter, es schien ihn nicht zu stören. Kisuna war überfordert, denn seit sie Teil des Antiks wurde und seit sie mit dem männlichen Ghul hauste, wurde ihre Welt immer wieder auf den Kopf gestellt. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, etwas loszulassen und sich nicht mehr so dagegen zu wehren, wie sie es anscheinend tat. Erneut stieß sie einen langen Atemzug aus. Einen Versuch war es schließlich wert oder? In dieser Nacht beschloss sie, Yomo bald von ihrer Vergangenheit zu erzählen.

Kisuna streckte sich ausgiebig, als sie am nächsten Morgen wach wurde. Nach dem gestrigen Gespräch mit Yomo fühlte sie sich noch immer ein wenig durch den Wind. Heute wollte sie etwas Zeit in ihrem Atelier verbringen, versuchen durchs Zeichnen und Malen etwas abschalten zu können und sich einfach mal keine Sorgen und Gedanken zu machen. Sie wollte sich überlegen, wie sie Yomo am besten von dem, was sie einst erlebt hatte, erzählen sollte. Doch jedes Mal wie sie darüber nachdachte, bekam sie Kopfschmerzen, also wandte sie sich lieber wieder der Kunst zu. Ihren Mitbewohner hatte sie an diesem Tag vorerst nicht gesehen, doch das störte sie nicht allzu sehr. Insgesamt versuchte sie heute eher wenig Kontakt zu den anderen zu haben, sie wollte sich nicht dazu zwingen, eine gute Laune aufzusetzen. Doch dieser Plan sollte ihr nicht so Recht gelingen. Ein ruhiges, aber deutliches Klopfen lies sie aufhorchen. „Ja?", rief sie mit lauter Stimme, sie hoffte darauf, dass es nichts Wichtiges war. Langsam öffnete sich die Tür, der Chef trat herein. Er räusperte sich, für die Ghula war es ein erstes Anzeichen, dass etwas nicht ganz stimmte. „Kisuna, könntest du kurz kommen?" Seine bedachte Stimmlage hatte sich nicht verändert, vielleicht war es ja nicht so schlimm. Sie nickte und folgte ihm kurzerhand Richtung Café. Heute war geschlossen, das wusste sie bereits. Sachte drückte der ältere Herr die Türklinke nach unten. Schon als sie nur einen leichten Spalt geöffnet war, konnte die Ghula eine ihr bekannte Stimme vernehmen, schleichend erahnte sie bereits, was genau auf sie nun zukommen würde. Als die Tür offen schließlich offen stand, Yomo stand mit verschränkten Armen hinter dem Tresen, bestätigte sich ihre Vermutung. Gegenüber des silberhaarigen Ghuls saß ein weiterer männlicher Ghul, seine Figur war schlank, sein Gesicht ebenso. Zu seiner Hose trug er ein schrilles Hemd, eine noch buntere Sonnenbrille bedeckte seine Stirn und zusätzlich zum Stoppelbart zierte ein rosa Lippenstift seinen Mund. Ausgiebig nahm er einen Schluck von seinem Espresso, begann dann weiter ungehemmt auf Yomo ein zu schwätzen. Kisuna stand wie angewurzelt im Türrahmen, sie konnte nicht fassen, was gerade vor sich ging. Sie wollte es nicht fassen. Der Chef hatte sich bereits an ihr vorbei begeben und zu ihrem Mitbewohner gestellt. Yomo, er hatte Kisuna nun im Türrahmen entdeckt, sah sie erst durchdringend an, verengte dann seinen Blick und sah wieder zu seinem Gegenüber. Auch der nahm sie nun war, er winkte ihr mit einem schmalen Lächeln zu. „Kisuna", Herr Yoshimura sprach milde zu ihr. „Dieser Mann hier hat sich nach dir erkundigt." Die Ghula, immer noch erstarrt, sah zu dem schrillen Typen, dann zum Chef und schließlich wieder zu Yomo. Doch der erwiderte ihren Blick nicht. „Kisuna, möchtest du uns vielleicht etwas sagen?", hakte der alte Herr bedächtig nach. „Warte, wissen sie gar nicht von uns, Kisuna?" „Nein, Nico." Ihre Stimme zitterte, doch sie konnte sich dazu überwinden, neben ihrem Bekannten auf einem der Barhocker Platz zu nehmen. „Das wusste ich nicht, das muss jetzt bestimmt unange-„ „Nein", unterbrach sie ihn, den Blick hatte sie gesenkt. Yoshimura und vor allem Yomo jetzt in die Augen zu sehen, würde sie das zu Stande bringen? Sie schluckte. Dann, nach einer Weile der Stille, zwang sie sich doch dazu. Sie sah erst den Chef, dann Yomo an. „Ich habe gelogen." Nochmals musste sie schlucken. Ihre Kehle war staubtrocken. Mit jedem Wort, das sie nun von sich geben würde, würde sich definitiv ins eigene Fleisch schneiden. Doch die Lügen sollten und mussten ein Ende haben. „Mein Nachname lautet nicht Kuromori." Sie atmete tief ein- und wieder aus. „Mein richtiger Name lautet Kisuna Omori. Wie in Yakumo Omori."



Soo, endlich nach einer halben Ewigkeit hab ich wieder ein Kapitel fertig. Sorry, dass es so unglaublich lange gedauert hat, aber ich hatte eine totale Schreibblockade und wusste auch nicht, ob ich diesen "Reveal" schon in dieses Kapitel packen soll oder nicht. Ich hoffe, es gefällt euch und ich will definitiv nicht so lange mit dem nächsten Teil warten.^^ Danke euch allen fürs Lesen! <3

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