XVII. Rudelbildung

Papas Erwartungen gerecht zu werden, ist definitiv keine leichte Aufgabe. Dabei habe ich eigentlich einen sehr klaren Plan: Ich möchte weiterhin als Fußballer meinen Lebensunterhalt verdienen. Dumm nur, dass der Weg zurück nach London vorerst blockiert ist. Die Verantwortlichen der Rovers, mit denen Gigi in ständigem Kontakt steht, streben laut eigenen Angaben ein sofortiges Leihgeschäft an, damit sich mich fürs Erste los sind und vereinsintern Ruhe einkehren kann.

Nachdem mein Image jüngst einen immensen Schaden erlitten hat, mangelt es mir jedoch an Bewerbern. Ich habe Gigi deutlich zu verstehen gegeben, dass ich keinerlei Interesse an einem vorläufigen Wechsel nach China oder Saudi-Arabien habe. Die einzige Alternative wäre bislang ein Klub aus der deutschen Bundesliga, den ich nicht einmal kenne und dessen Namen ich bereits wieder vergessen habe. Ich glaube, er heißt „Schlakke 05" oder so ähnlich.

Es bleibt demnach abzuwarten, wie es für mich karrieretechnisch weitergeht. Bis sich etwas Handfestes ergibt, versuche ich, die andere Forderung meines Vaters zu erfüllen und schlanker zu werden. Zum Glück habe ich tatkräftige Unterstützung in Gestalt von Lasse und Rikard, die sich heute netterweise dazu bereit erklärt haben, mit mir fünfzehn Kilometer joggen zu gehen. Natürlich könnte ich das auch alleine, aber ohne Begleitung ist Joggen nun mal ziemlich öde.

Etwas außerhalb von Knarvik befindet sich ein Wandergebiet namens Brekkeløypen, das aus Wäldern, Wiesen und unzähligen kleinen Tümpeln besteht, welche die asphaltierten Wege säumen. Viele dieser Tümpel werden von Enten bewohnt, die sich von vorbeikommenden Wanderern nicht aus der Ruhe bringen lassen. Nicht einmal vor Lasse, Rikard und mir haben sie Angst, obwohl wir von der Lautstärke her einer Elefantenherde Konkurrenz machen könnten.

Die ersten Kilometer sind für mich eindeutig die schwierigsten. Ich habe nicht nur mit meiner mangelnden Kondition, sondern auch mit meinem zusätzlichen Gewicht zu kämpfen und muss mich tatsächlich anstrengen, um nicht wie eine Schnecke hinter meinen Freunden her zu kriechen.

Nach einer Weile fange ich jedoch an, mich langsam wieder an die Bewegung zu gewöhnen, wodurch es mir leichter fällt, das Tempo zu halten.

Während wir unsere Runde drehen, berichte ich Lasse und Rikard in aller Ausführlichkeit vom überraschenden Besuch meiner Eltern. Inzwischen habe ich den Schock darüber einigermaßen verkraftet und frage mich seitdem immer wieder, wer der ominöse Anrufer gewesen sein könnte, der meinem Vater den entscheidenden Hinweis gegeben hat. Zumindest für Rikard scheint die Antwort auf der Hand zu liegen.

„Wetten, das war dieser kleine Ginger Olaf?", sagt er und spuckt im Laufen demonstrativ auf den Boden. „Er hat dich in Bergen getroffen und wollte dir eins auswischen, weil du Ingrids Ex-Freund bist."

„Stimmt!" Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag, sodass ich beinahe über meine eigenen Füße stolpere. „Olaf, wer denn sonst?" In all der Aufregung habe ich den Typen komplett vergessen. Nach unserer Begegnung im Fitnessstudio war er garantiert alles andere als gut auf mich zu sprechen. Es ist also durchaus möglich, dass er es mir auf diese Weise heimzahlen wollte.

„Ich glaube auch, dass er es war", wirft Lasse ein, der bisher noch nicht schlapp gemacht hat, obwohl er eigentlich ein echter Sportmuffel ist. „Aber wenn du ihn danach fragst, wird er es wohl kaum zugeben."

„Muss er auch nicht", entgegne ich trocken und weiche einer großen, schlammigen Pfütze aus. „Ich weiß trotzdem, dass er ein Arschloch ist." Wir haben uns zwar nur einmal gesehen, doch der kurze Zusammenstoß hat mir gereicht, um zu erkennen, was für eine negative Aura diesen Jungen umgibt. Es ist mir ein Rätsel, wie Ingrid das aushalten kann. Vielleicht ist es ihr einfach egal.

„Heißt das, du willst nicht mit ihm reden?", fragt Lasse schmunzelnd, während Rikard über meine Bemerkung lacht. Ich deute es als Zustimmung.

Entschieden schüttle ich den Kopf. „Das wäre doch nur Zeitverschwendung. Außerdem habe ich momentan andere Probleme. Da kann ich mich nicht auch noch mit Olaf beschäftigen."

Tatsächlich hätte ich große Lust, ihn noch einmal zu treffen, damit ich ihm schön eine reinhauen kann, aber das behalte ich lieber für mich. Irgendwann ergibt sich die Gelegenheit hoffentlich von alleine. Bis dahin habe ich eindeutig Wichtigeres zu tun, als mich mit dem neuen Freund meiner Ex-Freundin auseinanderzusetzen. Ich muss mein eigenes Leben auf die Reihe kriegen und wieder in die richtige Spur finden. Am besten so bald wie möglich.

Wir laufen unsere Runde mustergültig zu Ende, obwohl mir auf den letzten Metern beinahe die Puste ausgeht. Vor den anderen lasse ich mir jedoch nichts anmerken. Sobald wir den Ortsrand erreichen, müssen wir eine kurze Zwangspause einlegen, da meine Schnürsenkel offen sind. In dem Moment, als ich mich hinhocke, um sie neu zu binden, ertönt ein lautes, reißendes Geräusch und ich spüre einen kühlen Luftzug an meinem Hintern. Fuck.

Fast zeitgleich brechen Lasse und Rikard in wieherndes Gelächter aus. „Ey Jonny, seh ich da etwa einen Riss in deiner geilen Gucci-Jogginghose?", lästert Ersterer, während ich mir eiligst die Schuhe zubinde und anschließend sofort wieder aufspringe.

„Sehr witzig", maule ich über das Gejohle meiner Freunde hinweg, die mich natürlich nicht beachten. Das ist zwar nicht besonders nett von ihnen, aber die Tatsache, dass meine Hose gerissen ist, weil ich offensichtlich zu viel Speck angesetzt habe, finde ich wesentlich schlimmer.

Zum Glück sind wir nur noch wenige hundert Meter von Omas Haus entfernt, ich muss also nicht allzu lange mit meiner kaputten Hose rumlaufen. Immer noch grölend verabschieden sich Lasse und Rikard von mir und ich bin tatsächlich ganz froh darüber. Wenn ich mit ihnen zusammen bin, komme ich mir häufig noch mehr wie ein Trottel vor als ohnehin schon. Ich könnte schwören, sie machen das mit Absicht.

Meine Großmutter ist in der Küche beschäftigt, als ich zur Tür hereinkomme, doch ich schleiche mich auf Zehenspitzen an ihr vorbei, damit ich mir von ihr nicht auch noch einen blöden Spruch anhören muss. Oben im Badezimmer steige ich sofort unter die kalte Dusche, weil ich vom Joggen total verschwitzt bin. Als ich mich danach wieder anziehe, begutachte ich geknickt den Riss in meiner Hose.

Sie ist entlang der Naht aufgerissen, sodass der halbe Hintern freiliegt, wenn man sie trägt. Natürlich könnte ich Oma bitten, sie zu flicken, wie sie es zuvor schon mit Alfred getan hat, aber ich schätze, das würde die Hose auch nicht mehr retten. Ich könnte sie zwar wieder anziehen, doch spätestens bei der nächsten falschen Bewegung würde sie wieder kaputtgehen. Das Beste wird es sein, wenn ich sie wegschmeiße und mir stattdessen eine neue kaufe.

Mit nassen Haaren und der kaputten Gucci-Hose unterm Arm schlurfe ich in mein Zimmer. Kaum bin ich jedoch über die Schwelle getreten, bleibe ich wie vom Donner gerührt stehen. Grund dafür ist mein Koffer, der neben dem Bett liegt und den ich vorhin offen gelassen habe, nachdem ich mir in aller Hektik ein Outfit zum Joggen raussuchen musste. Mitten im Koffer, auf meinen teuren Klamotten, liegen Königin Gunnhild und, dicht an sie gekuschelt, drei winzig kleine Kätzchen, die so aussehen, als wären sie eben erst geboren worden.

„Oma!", brülle ich aufgeregt über die Schulter und lasse meine Hose fallen. „Komm mal schnell her! Die Babys sind da!"

„Was?", dringt ihre gedämpfte Stimme aus dem Erdgeschoss. „Welche Babys? Bist du wieder betrunken, Jonatan?" Noch während sie spricht, höre ich ihre sich nähernden Schritte auf der Treppe.

„Nein, guck doch selbst!", antworte ich, sobald sie das Zimmer betritt und deute auf die tierische Bescherung in meinem Koffer. Dass ein Großteil meiner Kleidung nun mit Blut und anderen Flüssigkeiten beschmiert ist, interessiert mich nicht die Bohne. Ich sehe nur die neugeborenen Kitten, die entfernt an flaumige, kleine Pelzkugeln erinnern.

„Jesus Maria!", keucht Oma, die offensichtlich mit einem Affenzahn die Treppe hochgehastet ist, was für ihr Alter eine beachtliche Leistung darstellt. Verzückt betrachtet sie die kleine Katzenfamilie, die sich von unserer Anwesenheit nicht aus der Ruhe bringen lässt.

Königin Gunnhild, deren Bauch nun schon merklich schlanker geworden ist, blinzelt uns träge an und schnurrt leise, während ihre Jungen zu schlafen scheinen. Alle drei haben grau-schwarzes Fell, genau wie ihre Mutter. Noch sind sie blind und taub, weswegen sie mein Geschrei vorhin überhaupt nicht mitbekommen haben. Schon jetzt kann ich es kaum erwarten, wenn sie demnächst ihre Augen öffnen werden.

„Moment mal", sagt Oma plötzlich und beugt sich vor. „Was ist das denn?" Unvermittelt greift sie hinter den Koffer, weil sie dort offenbar etwas entdeckt hat. Überrascht reiße ich die Augen auf, als sie ein viertes Kitten zutage fördert, das perfekt in ihre Hand passt, weil es so unglaublich zierlich ist.

„Ist wohl während der Geburt aus dem Koffer gefallen", bemerke ich verschmitzt und sehe zu, wie Oma es vorsichtig zu seinen drei schlafenden Geschwistern legt.

„Macht nichts", entgegnet sie abwinkend. „Soweit ich das sehe, geht's ihnen allen gut. Das ist doch erst mal das Wichtigste."

Wer Katzen mag, muss ein Vote da lassen ;)

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