Kapitel 3.30
Stille.
Sie hatte alle Uhren zum Schweigen gebracht. Die Zeit um mich herum war zum Erliegen gekommen und die Zahlen auf meiner Armbanduhr waren verschwunden. Die Stille betäubte mich und ich traute mir nicht die Worte, die auf meiner Zunge lagen, laut auszusprechen. Die Tränen, die an meiner Wange hinunterliefen, sprachen dafür Bände.
All die Worte, die ich Shawn in diesem Moment nicht sagen konnte, rannen in Form von Tränen über seinen Handrücken, den ich fest mit meinen Fingern umklammert hatte. Mein Kopf lag auf dem weißen Laken des Krankenhausbettes. Ganz nah an unseren Händen, während ich mit geschlossenen Augen immer wieder über die Hand meines Verlobten strich und daran zweifelte, ob alles in meinem Leben ohne ihn überhaupt noch einen Sinn ergab.
Mir wurde der Boden unter den Füßen weggezogen, als ich ihn in unserem Schlafzimmer auf dem Boden weinend vorfand, umringt von Tabletten. Und die Angst, ich könnte ihn für immer verlieren, war in diesem Moment noch nie so groß wie zuvor gewesen.
Shawn war ein Stützpfeiler in meinem Leben. Eine tragende Säule, die mir half, die Last zu bewältigen, mich aufbaute und Tag für Tag ein enormes Gewicht tragen musste.
Aber irgendwann wurde dieses Gewicht zu schwer und die Säule bekam kleine Risse. Ich hatte nicht bemerkt, dass sie langsam zu kaputt gehen drohte und das gesamte Gewicht nicht mehr tragen konnte. Shawn jedoch schon, und so versuchte er die kleinen Risse einfach mit bunter Farbe zu überdecken und zu füllen.
Aber auch Farbe kann nichts an der Last, unter der die Säule litt, ändern und schließlich musste es zu dem Tag kommen, an dem sie zusammenbrach und all das Gewicht mit sich zu Boden riss. Zurück blieben dann nur noch Steinbrocken, Reste alter abgeblätterter Farbe, die von einer dicken Staubschicht überzogen wurde und Stille.
Shawn hatte Tabletten benutzt, um der inneren Last Stand zu halten. Aber als diese nicht mehr genügten, gab er dem Gewicht, das ich ihm auferlegt hatte nach. Denn der schrittweise Zusammenbruch meines eigenen Ichs hatte in den letzten Monaten auch bei ihm tiefe Spuren hinterlassen. Und er konnte das Gewicht unserer beider Leben einfach nicht alleine tragen.
Meine Hand schloss sich immer fester um Shawn seine, als immer Tränen unsere Hände berührten. Ich wünschte mir gerade nichts sehnlicher, als den sanften Druck seiner warmen Finger auf meiner Haut spüren zu können, um zu wissen, dass er wach war und es ihm gut ging.
Aber dieses Gefühl trat einfach nicht ein.
* * *
Mom war die erste die sich traute den Raum zu betreten und länger als eine geschätzte halbe Minute vor Shawns Bett zu verweilen. Zumindest glaubte ich das, denn ich nahm ihre Anwesenheit erst bewusst war, als sie mich an meiner Schulter berührte.
Sie zog mich sanft von Shawn weg und schloss mich in ihre Arme, wo ich bitterlich anfing zu weinen.
Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern wann ich das letzte Mal vor meiner Mom geweint hatte, denn wir hatten nie diese typische Mutter-Tochter-Bindung gehabt. Ich hatte mich immer vehement dagegen gesträubt meine Gefühle vor ihr offen zu zeigen und ihre Zuneigung zu zulassen, weil ich unterbewusst immer wütend auf sie und meinen Vater war.
Ich war wütend auf sie, weil sie Dank ihres Berufes scheinbar einen großen Teil meines Lebens verpasst hatten und ich dachte, dass sie deshalb meine wahren Gefühle nicht verdient hätten.
Ich habe ihnen Jahre lang vorgehalten, dass sie meinen Schuleingang und meinen vierzehnten Geburtstag verpasst haben, weil sie ihrem Beruf als Ärzte nach gegangen sind. Aber erst jetzt wurde mir bewusst wie egoistisch mein Denken damals war. Ich hatte meinen Eltern immer nur übelgenommen, dass sie etwas Wichtiges in meinem Leben verpasst haben und habe dabei nie an die Menschen gedacht, denen sie halfen. Sie haben mit ihrem Handeln den Angehörigen der Patienten viele Schmerzen erspart.
Und ich kam erst jetzt zu dem Schluss, dass ich froh sein konnte, dass Mom und Dad Ärzte waren und in der Lage sind Menschen zu retten, als ich glaubte selbst die wichtigste Person in meinem Leben zu verlieren.
"Du brauchst eine Pause", flüsterte meine Mutter nach einer Weile, "du sitzt schon mehr als sechs Stunden hier bei ihm." Kopfschüttelnd richtete ich mich auf. "Ich kann ihn jetzt nicht alleine lassen, Mom", schluchzte ich. "Shawn braucht mich."
"Er schläft, June. Wir wissen nicht genau wann er aufwachen wird, aber er wird keines falls dann allein sein. Karen und Manny sind noch auf den Weg hier her, aber Blake und April warten draußen. Sie bleiben hier solange bis zu wieder da bist, Schätzchen." Vorsichtig half sie mir von meinem Stuhl auf.
"Ich will nicht, dass ihm nochmal etwas passiert, Mom", murmelte ich unter Tränen, während sie mich zur Tür geleitete. "Das wollen wir alle nicht", versicherte sie mir und schob mich aus Shawns Zimmer heraus auf dem Gang, wo ich so gleich schweigend von April in den Arm genommen wurde.
Wir verharrten einige Sekunden in dieser Position und ich beobachtete über ihre Schulter hinweg, wie meiner Mutter von einer Krankenschwester eine Mappe überreicht bekam und darin zu blättern begann. Nach einigen Sekunden schaute sie auf und sah zu mir hinüber.
Ich konnte an ihrem Blick ablesen, dass etwas nicht stimmte.
. . .
the monsters in
my head always knew
that i would
lose you in
the end.
by david jones
Der Epilog folgt in Kürze
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