Kapitel 3.20
Panisch schnappte ich nach Luft. Meine Hand griff sofort nach dem Arm an meiner Hüfte und versuchte ihn zu lösen. Jedoch hatte die Person andere Pläne und drehte mich abrupt zu sich herum, der Arm immer noch fest um meinen Körper geschlungen, sodass ich nicht weglaufen konnte.
Ich schaute in die zwei tiefbraunen Augen meines Verlobten. Unfähig irgendetwas zu sagen presste ich meine Lippen aufeinander und sah ihn an.
"Zum Glück, du bist es nur", stieß ich angespannt aus und fuhr mit meiner Hand über mein Gesicht, woraufhin ich einen verwirrten Blick von dem Braunhaarigen erntete. "Natürlich nur ich. Was glaubst du denn wer um diese Uhrzeit noch durch eine Tiefgarage läuft?", zog er seine Augenbrauen nach oben.
"Ich dachte nur... naja, dass ... ach nicht so wichtig.", murmelte ich und stopfte meine wirren Gedanken zurück in die Schublade meines Unterbewusstseins. "Sicher?", fragte Shawn noch einmal nach und zog dann seine Arme zurück. "Ja, ich glaube, ich habe mir nur etwas eingebildet", winkte ich ab, was Shawn nur mit einem Nicken aufnahm und dann wieder in Richtung Lift lief. Immer noch etwas durcheinander folgte ich ihm.
Die wenigen Sekunden, die der Fahrstuhl brauchte, um auf unsere Etage zu gelangen kamen mir dieses Mal vor wie Stunden. Ich wusste nicht genau ob es daran lag, dass ich die gesamte Zeit die Luft anhielt, Shawn mich anstarrte, aber nichts sagte oder doch an der Situation gerade in der Tiefgarage.
Als der Aufzug endlich auf unserem Stockwerk stehen blieb, das erlösende Bing erklang und die Türen sich öffneten, atmete ich erleichtert aus und trat aus dem Fahrstuhl heraus.
Endlich in der Wohnung angekommen schloss ich die Tür hinter mir und zog meine Jacke aus die ich anschließend an die Garderobe hing. Dann stellte ich meine und Shawns Schuhe wieder zurück an die gewohnte Stelle, denn als der Braunhaarige die Wohnung betreten hat, hatte er seine Schuhe einfach irgendwo ausgezogen und achtlos liegen gelassen, und ist danach sofort im Bad verschwunden.
manchmal glaube ich wirklich, dass er mit Absicht seine Sachen einfach irgendwo fallen lässt nur um mich damit zu ärgern
Ich hörte wie die Dusche im Badezimmer angeschaltet wurde, als ich das Wohnzimmer betrat. Mir schlägt eine Welle von kalter Luft entgegen. Kein Wunder, wir hatten vergessen das angekippte Fenster zu schließen bevor wir los gefahren sind.
Kopfschüttelnd trat ich näher an die Glasfront heran.
Ich nahm noch einen tiefen Atemzug bevor ich das Fenster schloss und der Lärm der Großstadt verstummte. Die Luft hier im Wohnzimmer war eiskalt. Wir hatten Mitte Oktober und die Temperatur war in den letzten Nächten auf vier Grad gesunken. Es würde also nicht mehr lange dauern, bis wir die Minusgrade erreicht hätten.
Ich warf mich zusammen mit meinem Laptop auf die Couch und wickelte mich in eine Decke ein. Während ich darauf wartete, dass Shawn endlich das Badezimmer räumen würde, verbrachte ich eine ganze Weile auf den verschiedensten Websites, bis ich mich schließlich selbst dabei erwischte wie ich einen Vornamen mit fünf Buchstaben in die Suchleiste eingab. Danach folgte der Nachname, und ich klickte auf Suchen.
Ich schluckte hart als ich die Suchergebnisse, die nur wenige Sekunden später auf dem Bildschirm aufleuchten, las.
Er lebte also tatsächlich noch immer hier in Toronto.
* * *
Ich lehnte meinen Kopf gegen die geschlossene Badezimmertür und atmete den vertrauten Duft von Shawns Duschgel ein der noch immer in der Luft lag. Kaum zu glauben, dass er nach all den Jahren noch immer das Duschgel von derselben Marke verwendete.
Das heiße Wasser floss aus der Regenbrause auf mich hinab und schon bald war das Badezimmer in eine riesige Dampfwolke gehüllt. Auch der Spiegel und die gläserne Duschkabine waren vollkommen beschlagen.
Neunzehn Liter Wasser rauschten pro Minute den Abfluss hinunter. Und ich stand einfach nur da, unfähig in irgendeiner Art und Weise abzuschalten.
Ich schloss meine Augen als ich ein leises Klopfen an der Badezimmertür vernahm. "June, ist alles in Ordnung?" Ich hörte wie Shawn die Tür zum Badezimmer öffnete. "Du bist schon ziemlich lange hier drin."
Ich öffnete meine Augen.
"June?"
Meine Hand griff nach Shawns Duschgelflasche. "Alles okay", antwortete ich leise und versuchte meine Gedanken an die Person aus der Tiefgarage, meine Suchanfrage aus dem Internet und an die vergangenen Jahre aus meinem Kopf zu streichen. "Ich hab nur die Zeit vergessen."
Zurück kam daraufhin nur noch ein "Okay" und die Tür fiel ins Schloss.
Ich starrte auf die beschlagene Glaswand und kurz darauf drifteten meine Gedanken wieder ab.
Er war also immer noch in Toronto und arbeitete jetzt sogar in der Kanzlei seines Vaters. Früher hatte er oft davon gesprochen, dass er nach Vancouver gehen wolle, um da Karriere zu machen. Am Anfang hatte ich sogar geglaubt, dass es schaffen könne ein guter Anwalt zu werden. Aber umso mehr Zeit ich mit ihm verbrachte, desto bewusster würde mir, dass er nicht die richtige Person für diesen Job war. Er war einfach viel zu ungeduldig, aufbrausend und gelegentlich rutschte ihm auch mal die Hand aus, wie ich selbst feststellen musste.
Bei den Erinnerungen an die Hämatome, die damals Monate lang mein Handgelenk und den Rest meines Körpers bedeckt hatten, wanderten meine Augen zu meinen Armen.
Heute waren da keine blauen Flecke mehr, sie waren natürlich längst verheilt. Das einzige was von ihm übrig geblieben ist sind Erinnerungen und eine einzelne Narbe.
* * *
Nach einer halben Ewigkeit drehte ich endlich das Wasser ab. Ich zog das Handtuch von der gläsernen Tür der Duschkabine, wickelte mir es dann um meinen Körper und stieg aus der Dusche. Jedoch erlitt ich dabei fast einen Herzinfarkt als ich sah, dass Shawn am anderen Ende des Badezimmer auf dem Rand der Badewanne saß.
"Was machst du hier?", murmelte ich und sah den Braunhaarigen erschrocken an. Ich war mir sicher, dass ich vorhin gehört hatte, wie er das Bad verlassen hat. Oder zumindest habe ich gehört wie die Tür geschlossen wurde.
"Ich wollte nach dir sehen, um sicher zu gehen, dass auch wirklich alles in Ordnung ist", erhob sich der Sänger vom Rand der Badewanne und folgte mir vor den angelaufenen Spiegel, wo ich mit meinem Handrücken einen Großteil der Fläche frei wischte.
"Ich hab nur die Zeit vergessen", wiederholte ich mich und nahm meine Hautcreme aus dem Regal neben dem Spiegel. Ich verteilte etwas davon auf meinem Gesicht, bevor ich die Dose wieder verschloss und zurück an ihren Platz stellte. "Das hast du mir vorhin schon erklärt, June", meinte Shawn ernst. "Aber du bist seit wir wieder hier sind total durch den Wind."
Im Spiegel sah ich wie er seine Hände auf meine nackten, geröteten Schultern legte. "Deshalb möchte ich wissen ob mit dir alles in Ordnung ist."
Ich schaute durch den Spiegel in seine braunen Augen. Ich war überrascht, dass er mit mir sprach. Denn normalerweise schwieg er stundenlang, wenn so eine Situation wie heute im Auto stattfand. Es war untypisch für ihn, dass er nach weniger als zwei Stunden wieder versuchte mit mir ein Gespräch anzufangen.
Shawn rückte ein Stück näher an mich heran und schlang von hinten seine Arme um meinen Körper. Noch immer stand ich nur mit einem Handtuch bekleidet da. "Was ist los, June?", murmelte er mir leise in mein Ohr und lehnte seinen Kopf gegen meinen. "Bitte rede mit mir.", flüsterte er.
"Als wir vorhin in der Tiefgarage waren bist aus dem Auto ausgestiegen, während ich noch sitzen geblieben bin", schluckte ich und griff vorsichtig nach Shawns zitternden Händen, die auf meiner Taille lagen. "Ich habe darüber nachgedacht, dass du vermutlich sauer auf mich bist, weil ich dich nicht mehr fahren lassen wollte. Jedenfalls habe ich danach das Auto abgeschlossen und bin alleine in Richtung Fahrstuhl gelaufen, weil du ja schon vorgegangen bist. Und halte mich jetzt meinetwegen für vollkommen durchgeknallt, aber ich habe Schritte hinter mir gehört.", atmete ich aus und senkte meinen Blick.
"Als ich mich aber umdrehte, war da keiner. Zuerst dachte ich, dass ich mir das ganze nur eingebildet habe und da keine Person war, aber ich habe danach wieder Schritte gehört und es hat ein Handy geklingelt. Ich glaube einfach..."
"... dass irgendjemand hinter dir gelaufen ist?", fragte der Lockenkopf und drückte mir vorsichtig einen Kuss auf den Haaransatz. "Nicht irgendjemand", schüttelte ich meinen Kopf und ließ seine Hand los, woraufhin er mich fragend ansah.
Ich schloss für einen kurzen Moment meine Augen und atmete durch, bevor ich wieder in den Spiegel sah. Mit meinen Händen begann ich meine nassen Haare von den Schultern nach vorne zu streichen.
"Kannst du dich noch daran erinnern als wir vor ein paar Monaten in Florenz waren, ein paar Tage, nachdem wir wieder zusammengekommen sind?", fragte ich und löste den hineingesteckten Handtuchzipfel aus meinem Handtuchkleid.
"Du hast mich gefragt woher die Narbe auf meinem Rücken ist, weil du sagtest, dass sie dir vorher nie aufgefallen wäre als wir noch zusammen waren." Ich löste das Handtuch etwas, sodass es nun lockerer an mir hinunter hing und man fast meinen gesamten Rücken sehen konnte. "Shawn, du hättest die Narbe gar nicht kennen können, weil sie aus der Zeit stammt, in der ich noch mit Luke zusammen war."
Als ich spürte wie Shawns Fingerspitzen zaghaft meinen Rücken berührten, fuhr ich fort. "Luke ist die Person, die mir damals die Narbe auf meinem Rücken zugefügt hat, ich habe dich in Florenz angelogen als ich sagte, ich wäre ausgerutscht. Es tut mir leid", sagte ich leise und schaute wieder in den Spiegel.
"Und ich glaube, dass die Person unten in der Tiefgarage auch Luke war."
. . .
every scar tells a story,
every smile hides one.
by anuj k sharma
Also eigentlich sollte ich ja ein Buch für die Schule lesen. Es stellte sich aber heraus dass das Buch scheiße ist. Deshalb habe ich jetzt dieses Kapitel hier geschrieben und mein neues Buch weiter geplant 😅😂
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