79. Toll!
°○ Leon ○°
LEON
Toll!😬
Das kann dann ja was werden, dachte ich und holte die Packung Lucky Pins hervor, welche ich im Kleiderschrank zwischen mehreren kleiner Stapel von Tshirts und Pullovern versteckt hatte.
Nur noch zwei Stück übrig.
Verdammt!
Dann müsst ich auf jeden Fall heute noch raus und welche besorgen, keine Ahnung, wie.
Hier in Pladden gab es nichts, noch nicht mal einen Kiosk. Erst in Nordhütten, etwa sechs Kilometer entfernt, war der nächste Supermarkt und eine Tankstelle daneben.
Ich brauche also auf jeden Fall Hilfe, dachte ich, oder mal wieder etwas Glück.
Meine Schwester stöhnte, musste dann husten.
"Minchen, hey!" Ich lief zu ihr ans Bett. "Wie geht es dir, mein Engel? Hast du gut geschlafen?"
"Nein", antwortete Minchen, krächzte es viel mehr. "Will auch gaanichieder träu-" Ein neues Husten ließ sie den Satz nicht zu Ende bekommen.
"Na komm! Setz dich auf!"
"Hm-mh."
"Los, komm!", forderte ich, hielt ihr nun die Flasche mit Wasser hin. "Du musst mal eben was trinken!"
"Willach Hause! Will zu Mama, jetzt!"
Sie setzte sich auf, trank ein wenig. Und sah mich an: "Wann könnir gehen?"
"Wir können nicht gehen, Minchen. Das hab ich dir doch schon erklärt."
"Ichill aber zu Mama!"
"Ich weiß, mein Engel, das-"
"Will sie sehen! Kuscheln ganzoll!"
"Wir beide können doch kuscheln, komm!", meinte ich, ließ meine Schwester auf meinen Schoß klettern, umarmte sie und gab ihr einen Kuss.
"Was hast du jetzt geträumt, erzähl!"
Minchen antwortete nicht, fing stattdessen an zu weinen, nur ganz leise, gedämpft in meinen Pullover.
"Komm, erzähl! Ich hör dir zu", meinte ich und begann ihr den Rücken zu kraulen. "Hatte es was mit Mama zu tun?"
"Mama nicheggeeh-" Meine Schwester begann wieder zu husten, würgte dann, so unvermittelt, dass schon etwas Kotze auf Klamotten und Matratze landete, bevor ich es schaffte, ihr den Eimer unter zu halten.
"Es-s-s-s-sutir so l-l-leid!"
"Ist doch alles gut! Komm, halt den mal fest!", sagte ich, ließ Minchen den Eimer und fuhr dann damit fort, sie zu kraulen. "Die dreckigen Sachen kommen gleich alle in die Wäsche, okay? Da brauchst du dir gar keine Sorgen rum machen."
Es klopfte an der Tür.
"Jetzt nicht!"
"Leon? Minchen?" Brunos Stimme, tief wie immer. Und mit widerlich guter Laune darin. "Kommt ihr zum Frühstück?"
"Gleich!"
Der Betreuer kam herein: "Gibt es ein Problem?"
"Minchen ist gerad nur ein bisschen schlecht."
"Also geht es ihr immer noch nicht besser?"
"Doch", antwortete ich schnell. "Schon viel besser als gestern. Das ist jetzt nur noch-"
"Möchtest du einen Tee?", wandte sich Bruno nun an Minchen. "Das tut dir vielleicht ganz gut."
"Ich koch ihr gleich einen."
"Das brauchst du nicht, Leon. Ich mach das gern."
"Das ist aber gar kein Problem für mich", meinte ich, während ich Minchen den Mund abwischte. "Nur jetzt muss ich hier gleich erst mal noch die Matratze neu beziehen. Also dafür hätte ich schon gerne ein neues Laken, wenn ihr das habt, oder... sonst kann ich auch ein Handtuch nehmen."
"Wir haben noch genug saubere Laken im Schrank."
"Gut, das... tut mir auch leid, dass wir das hier schon dreckig haben."
"Ist doch kein Problem." Bruno lächelte, sah dabei tatsächlich einen Moment lang weniger wie der Türsteher irgendeiner abgeranzten Deppendisco aus, sondern mal ganz nett. "Ich werde euch ein Laken holen. Und den Tee. Braucht ihr sonst noch was?"
"N-Nein? A-Alles gut", meinte ich und zwang mich nun meinerseits zu einem Lächeln. "Danke."
Der Betreuer verschwand.
"Hier!" Ich hielt meiner Schwester noch ein sauberes Taschentuch vor die Nase: "Jetzt schnaub!"
Minchen tat es.
"Und nochmal! Komm, tüchtig!"
Ich putzte ihr die Nase.
"Du musst ordentlich aussehen... So!" Ich warf das Tuch in den Eimer, reichte ihr dann die Flasche. "Nun trink noch mal was!"
Wieder gehorchte Minchen. Was soll sie auch sonst, überlegte ich. Für das übliche Tamtam fehlte ihr ja auch gerade die Kraft.
"Was willst du heute denn gerne mal machen?" Behutsam strich ich ihr durchs Haar. "Wäre doch gut, wenn wir mal ein bisschen rauskommen."
"Will zu Mama gehen."
"Und was ist mit dem Spielplatz hier? Der hat sogar ne Seilbahn."
"Will nicht blöde Seilbahn."
"Du kannst ja auch schaukeln."
Mein Handy klingelte, was ungewohnt war, denn normalerweise stellte ich es nur auf Vibrationsalarm.
Ich sah aufs Display:
Manuel.
Oder war es doch wieder Richard?
"Leon, dein Handy!"
Sollte ich rangehen?
Ich überlegte, noch vier Klingelzeichen lang. Dann war es wieder still.
Verdammt!
Was soll ich denn noch alles tun? Erst hier meine Schwester betüddeln und jetzt noch diesem werten Herrn von Arschloch helfen, weil der es mal wieder alleine nicht packte?
Was weiß ich denn, was schon wieder mit Maria war? Ich hatte sie jetzt zwei Tage lang nicht mehr gesehen. Und das war schon eine gefühlte Ewigkeit, bei all dem, was gerad hier passierte.
Diese ganze Scheiße vom Jugendamt!
Das Telefonat mit Richard.
Und, vor allem natürlich, Minchen.
Da hatte ich auch keinen Kopf mehr frei für sonst irgendwas!
Sollte Manuel sich mal schön zu Maria ans Bett setzen und ihr das Bäuchlein kraulen, mir alles gerade scheißegal!
Sollte sie heulen, schreien oder sich die Arme blutig ritzen, das war jetzt gerad nicht mein Problem.
Die Tür ging auf.
Wieder Bruno. Er brachte das Laken. Und den Tee.
"Braucht ihr sonst noch irgendwas?"
"Nein, danke. Alles gut!"
"Na dann...", meinte Bruno, lief als nächstes zum Fenster und schaute dort hinaus. "Und was habt ihr heute noch so vor?"
"Ich will zu Mama gehen."
"Da hinten ist ein Spielplatz. Den könnten wir doch mal testen."
"Das hab ich ihr schon vorgeschlagen", antwortete ich. "Hat sie aber keinen Bock drauf." Mein Handy ertönte: Manuel rief an. "Entschuldigung!"
Ich ging ran: "Was gibt's?"
"Ich sitz jetzt bei Maria."
"Aha."
"Sie hat sich schon wieder geritzt."
"Ja, toll!"
"Und geduscht hat sie wohl auch schon länger nicht mehr. Die sieht ja aus wie- Ja, ist doch so! Jetzt hör mal auf zu heulen!", fuhr Manuel Maria an, als diese protestierte. "Und sieh zu, dass du unter die Dusche kommst! Die ganze Bude stinkt schon nach dir!" Etwas knallte, kurz darauf drang ein hohes Fiepsen an mein Ohr.
"Was ist passiert?"
"Gar nichts!", antwortete Manuel knapp. "Nun steh doch auf! Meine Güte, Mädchen! Musst du halt gucken, wo du hinläufst!"
"Ist Maria gefallen?"
"Nur ausgerutscht. Auf ner Decke."
"Hä?"
"Weil der ganze Boden hier vollliegt mit Sachen."
"Dann räum sie doch weg!"
"Als ob ich das tu!", entgegnete mein Bruder, dann rief er wieder lauter: "Ist deine eigene Schuld! Jetzt geh duschen, verdammt! Beweg dich!"
"Warum hilfst du ihr nicht?", fragte ich.
"Einen Scheiß helf ich ihr beim Duschen!" Manuel lachte. "Dann kann ich sie auch gleich noch wickeln, oder was?"
"Bring sie wenigstens ins Bad!", sagte ich. "Und tröste sie vorher. Kühl ihr das Gesicht ab. Dann beruhigt sie sich."
"Die soll sich mal schön selbst beruhigen! Und alles andere auch!" Wieder lachte Manuel, wobei es diesmal noch eher ein Schnauben war. "Meine Fresse, die ist doch gestört!"
"Du bist trotzdem ihr Bruder."
"Ja, Jackpot!"
"Hör zu, ich... muss jetzt aufhören", meinte ich, nachdem ich einen schnellen Blick mit Bruno gewechselt hatte und Minchen sich schon wieder den Bauch hielt. "Ich ruf dich gleich zurück, okay?"
°○°
Draußen war es windig, trotzdem jedoch nicht allzu kalt. Es fühlte sich gut an, mal wieder vor die Tür zu kommen. Eine Lucky zwischen den Lippen hätte das ganze natürlich noch besser gemacht, aber das müsste nun erst mal warten.
Minchen ging es immer noch nicht gut. Sie hatte noch einmal gekotzt, wobei abgesehen von Wasser und zäher weißer Spucke schon gar nichts mehr gekommen war.
Ich hielt sie an der Hand, und zog sie mit mir, während wir durch jene Siedlung liefen, die uns zum Spielplatz führte.
"Wie geht es dir?"
"Keine Ahnung." Ich zuckte mit den Schultern. "Geht so, würd ich sagen."
"Hast du mit deinen Eltern telefoniert?"
"Nein?"
"Und eigentlich doch?", hakte der Betreuer nach.
Ich zögerte. Dann seufzte ich. "Ja... nur kurz mit meinem Vater."
"Was meinte er?"
"Nichts besonderes. Nur dass er uns vermisst."
"Wollte er wissen, wo ihr seid?"
"Das hat er nicht gefragt", log ich weiter, zog erneut an Minchens Arm und zwang sie so dazu, noch etwas schneller
zu laufen. "Komm, jetzt beeil dich mal ein bisschen!"
"Ist dir noch schlecht, Kleine?"
'Nee."
"Und sonst geht's dir gut?"
"Will zu Mama gehen!"
"Das kann ich gut verstehen."
Auf dem Spielplatz angekommen, lief Minchen direkt rüber zur Sandgrube. Setzte sich dort hin. Und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Willst du nicht mit der Seilbahn fahren?"
"Nee."
"Auch nicht mit mir zusammen?", fragte ich weiter, ging vor meiner Schwester in die Hocke und schaute sie an. "Du könntest dich doch an mir festhalten. Dann wären wir richtig schnell."
"Will hier warten."
"Worauf?"
"Auf Mama."
"Die kommt nicht."
"Doch, die kommt!"
"Das wird sie nicht!", entgegnete ich. "Find dich damit ab, jetzt mal!"
Minchen knurrte, nahm sich einen Ast. Und schlug damit nach mir.
"Hey! Sag mal, spinnst du?" Ich riss ihr den Ast aus der Hand, mit etwas zu viel Schwung; es hielt meine Schwester nicht länger mehr im Sitzen. Sie fiel vornüber in den Sand. Und begann kurz darauf zu heulen.
"Geschieht dir recht, du dumme Kuh!"
"Selber doofer Affenkind!", gab Minchen zurück, stand wieder auf und wollte dann direkt auf mich losgehen, als Bruno sie sich schnappte.
"Jetzt mal stopp, Jasmin!" Er hob sie hoch, brachte sie schnell aus meiner Reichweite. Minchen wehrte sich und brüllte: "Lass mich runter, du blöder Pimmel! Will hauen Leon jetzt!"
"Das lässt du mal schön bleiben!"
"Doofer Fickloch!", fuhr meine Schwester mit dem Zetern fort. "Jetzt runter!" Sie versuchte den Betreuer in die Hand zu beißen, der drehte sie daraufhin mit dem Rücken zu ihm und hielt noch fester.
"Fräuleinchen! Es reicht!"
"Bitte tu ihr nicht weh!", rief ich aus, noch bevor ich es wusste. "Sie weiß nur manchmal nicht, was sie tut."
"Ihr wird nichts passieren."
"Soll ich vielleicht-"
"Mach dir keine Sorgen!", fiel Bruno mir ins Wort. "Ich hab das hier im Griff."
Mein Handy vibrierte.
"Entschuldigung." Ich zog es aus der Tasche.
Manuel rief an, diesmal per Videochat.
"Ja, was ist?"
Manuel sah genervt aus. Und wütend. "Sie macht jetzt wieder Stress wegen der Mappe."
"Wieso?", fragte ich. "Was ist damit?"
"Ich hab sie ihr weggenommen, das ist damit."
"Hä? Warum? Lass ihr doch die scheiß Bilder! Die sind ihr wichtig!"
"Ist mir egal! Das sind Drecksbilder!"
"Du bis-s-s-s-selba n-n-n-necks-"
"Halt's Maul, du krankes-"
"Manuel, verdammt!"
"Was denn? Guck sie dir doch selber an! Wie sie hier gerad abgeht!" Das Handy wurde gedreht. "Die ist doch gestört!"
"Ja und? Hau doch ab, wennu willst! Dasuckt mich nich!" Marias Gesicht, mal wieder komplett aufgequollen mit Schnodder, der ihr aus der Nase quoll und wirren nassen Haaren.
"Kommst du gerade aus der Dusche, Süße?"
"Gibir meine Bilder zurück!"
"Darauf kannst du warten!"
"Leon-n-n-n-n-nitte hilf mir! Bitte sag ihm, dass ich sie brauche! Ich werde nichtsehr ohne sie!"
"Als ob, du Psycho-"
"Schluss jetzt!", rief ich meinem Bruder wieder dazwischen. "Zum Teufel nochmal, was ist das mit euch?"
"Leon?"
Ich wandte mich um.
Mehmet stand weiter hinten am Zaun. Zusammen mit Niko.
"Hi!", rief ich in Richtung der beiden und wandte mich dann wieder dem Display zu. "Passt auf! Ich ruf euch später wieder an, okay? Ich hab hier gerad zu tun." Ich beendete das Gespräch, lief Mehmet entgegen und fiel ihm zur Begrüßung freudig in die Arme.
"Hey, na? Alles klar?", fragte mein Freund, wollte seine Umarmung erst lösen, drückte mich dann aber gleich wieder fester an seine Brust, als ich leise zu schluchzen begann. "Ist doch gut, Leon! Schh..." Seine Hände begannen mir sanft über den Rücken zu streicheln. "Habibi... wir kriegen das zusammen hin, okay?"
Mehmet ließ mich weinen, hielt mich dabei einfach nur fest, solange, bis ich mich beruhigt hatte, dann gab er mir ein Taschentuch. "Das war schon alles kacke, ich weiß."
"Wir sind jetzt seit drei fucking Tagen schon hier." Ich wischte mir die Tränen ab. "Und Minchen flippt die ganze Zeit nur rum."
"Ab jetzt wird es besser, das versprech ich dir."
"Das würd ich gerne glauben."
"Es ist so", versicherte Mehmet und tätschelte mir die Schulter. "Ich bin da doch selber schon durch."
"Ja, ich weiß", meinte ich, hielt mir das Tuch an die Nase und schnaubte aus. "Du hattest aber keine Geschwister."
"Nein. Ich hatte dich."
Ich schwieg.
"Als ich damals in eure Klasse kam, ging's mir schlecht", erzählte Mehmet. "Ich kannte ja niemanden, war auch gerad von meinen Eltern weg."
"Das weiß ich noch", erinnerte ich mich. "Du hattest erst nie was von dir erzählt. Aber nach der Schule wurdest du immer von diesem roten Bulli abgeholt. Da haben alle rüber getuschelt, von wegen Heimkind und so."
"Du hattest nie was hinter meinem Rücken erzählt", meinte Mehmet. "Das mochte ich immer schon an dir."
°○°
Neun Jahre zuvor:
"Hey Heimkind!"
"Was willst du von mir, du Pimmel! Hau ab!" Der Neue warf einen Stein nach mir. Ich riss den Arm hoch und wehrte ihn ab.
"Ich wollt dich nur was fragen."
"Das lass mal schön bleiben, sonst klatscht es gleich!" Ein zweiter Stein flog, erneut gegen meinen Arm. Dann noch ein dritter, diesmal an die Brust. "Du verficktes Arschgesicht!"
Ich ignorierte seine Worte, wie auch meine Schmerzen, setzte mich neben Mehmet in den Sand und zog dann meine Packung mit Chewies hervor.
"Willst du einen haben?"
"Was kriegst du dafür?"
"Hä? Ich krieg dafür gar nichts. Das ist ein Geschenk."
Mehmet überlegte kurz. "Na gut, gib her!" Er reichte mir die Hand, nur zum Schein, und zog mir dann gleich die ganze Packung ab.
"Junge! Okay... dann gönn dir mal!", meinte ich, rieb mir den schmerzenden Arm, nahm mir als nächstes einen kleinen Stock und begann damit im Sand zu malen: Zwei Linien nach unten und zwei längs hindurch, gefolgt von einem X in der Mitte.
Mehmet stopfte sich zwei Streifen Chewies in den Mund. Kaute etwas, den Blick dabei nachdenklich auf das Spiel vor uns gerichtet." Und platzierte schließlich einen Kreis ins Gitter. "Was solltesu michun fragen?"
"Wie ist es so, wo du jetzt wohnst?"
"Keine Ahnung, wie in einem Haus halt."
Sind da viele Kinder mit drin?"
"Nur sechs."
"Mehr nicht?"
"Was denksenn du?"
"Schlaft ihr alle in einem Zimmer?"
"Nein? Bist du dumm? Ich hab meine eigene Bude!"
"Achso."
"Echt mal, Alter..."
°○ Maria ○°
"Was stellst du dir vor?", schimpfte Manuel weiter. Er hatte, seit dem er hier war, nichts anderes getan. "Meinst du, so hat noch irgendjemand Bock auf dich, wenn du hier immer nur am Rad drehst und heulst? Leon hat auch schon keinen Nerv mehr dafür. Sonst würde er uns nicht dauernd nur abwürgen am Telefon."
Ich saß auf dem Bett. Starr. Wie eine Puppe, den Blick von meinem Bruder abgewandt, während die Tränen mir über die Wangen liefen. Ich schluchzte nicht, stattdessen zitterte ich. Und auch das Schniefen ließ sich nicht verbergen.
"Dass er sich das überhaupt noch antut mit dir, ist schon ein Wunder! Meine Fresse, der hat doch selber schon genug Probleme!"
Manuel saß auf meinem Stuhl, mit dessen Rücken nach vorne und starrte mich an.
"Es-s-s-s-sutir leid!"
Er hasste mich. Und Leon auch.
Alle hassten mich.
Manuel hatte es gesagt. Und ich habe es gewusst, dachte ich, ganz egal, wie sehr immer alle auf nett machen. In Wahrheit bin ich ihnen zu schwach. Zu dumm, zu kindisch und zu hässlich.
Niemand will mich bei sich haben.
°○ Leon ○°
Wir saßen zusammen, Mehmet und ich. Von der Bank gegenüber musterte mich Niko, steckte sich dabei eine Zigarette in den Mund und zündete sie an.
Weiter hinten beim Sandkasten kümmerte Bruno sich um Minchen.
Ich rieb mir die Augen und gähnte.
"Du bist müde", stellte Niko fest.
Ich lachte. "Ja."
"Schlafen geht also schlecht in letzter Zeit."
"Da sind zu viele Gedanken in meinem Kopf."
"Was für Gedanken?"
"Über alles irgendwie."
"Magst du davon erzählen?"
Ich schüttelte den Kopf.
Nico lächelte. "In Ordnung."
Wir schwiegen.
Dann beugte er sich wie in einer Verschwörung weiter zu mir nach vorne. "Wenn du reden möchtest, bin ich da." Er flüsterte jetzt. "Okay?"
"Okay", sagte ich. "Danke."
"Immer, auch nachts", betonte Mehmets Betreuer. "Ruf mich einfach an!"
"Ich komm schon klar, aber danke."
"Du kommst schon klar", wiederholte Mehmet gedehnt. "Seit wann denn das?"
"Junge! Was willst du von mir?" Ich starrte ihn an. "Kümmer du dich mal um deinen eigenen Scheiß!"
"Ich hab mir das alles jetzt lang genug mit angeguckt."
"Wovon zum Teufel-"
"Er weiß Bescheid", unterbrach mich Mehmet und nickte zu Niko. "Ich hab ihm gestern alles gesagt."
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