69. Es steht in deinen Augen drin

°○ Maria ○°

Ich will das alles nicht mehr! Diese Scheißbetreuer mit ihrem Scheißgelaber!
"Maria!" Erneutes Klopfen an der Tür. "Jetzt mach die verdammte Tür auf!", rief Alex von der anderen Seite. "Was schließt du dich überhaupt ein?"
"Geh weg!"
"Ich will mit dir reden!"
"Sie soll schon seit ner halben Stunde inhalieren", meinte Susanne, keine Ahnung, seit wann die schon dabei stand.
"Mach die Tür auf, aber zack jetzt!"
"Geh weg!" Meine Stimme überschlug sich. Ich hustete.
"Nun hör mal zu, Madame! Du öffnest uns jetzt besser freiwillig die Tür, ansonsten kommen wir gleich auch so dadurch", meinte Alex. "Das geht so einfach, wie ich es sag!"
"Du kannst mich mal, du Ratte!"
"Maria-"
"Ich mach nur, was ich will!", brüllte ich. "Und nicht, was ihr oder irgend so ein Drecksdoktor sagt!"
"Wir meinen es alle nur gut mit dir, Liebes. Komm, nun lass uns eben-"
"Nein!" Ich begann von Neuem zu schluchzen, kauerte mich nun eng zusammen an der Wand und vergrub das Gesicht in den Händen. "Ichill das-s-s-s h-h-h-hier nich-ch-ch-ch-chehr!"

°○ Leon ○°

Ich stieß ein tiefes Seufzen aus, kuschelte mich noch enger in die Decke und machte dann die Augen zu.
Von draußen prasselte der Regen gegen die Fensterscheiben des Wohnzimmers; den Fernseher hatte ich ausgemacht.
Ruhe war das schönste gerade.
Richard war im Tankshop, zusammen mit Manuel. Minchen spielte oben in ihrem Zimmer.
Sabine war in der Küche und spülte das Geschirr. Auch das Mittagessen eben war entspannt gewesen. Kein Rumgebrülle von Richard, noch nicht mal einen bösen Blick hatte es gegeben. Das hatte auch einen guten Einfluss auf Minchen gehabt. Die war der reinste Engel gerade, kein Vergleich zu dem schrillen Gezicke oder plötzlichen Angriffen, auf welche ich besonders innerhalb der letzten Wochen immer hatte gefasst sein müssen.
Ja, dachte ich und verzog das Gesicht zu einem zufriedenen Lächeln, so konnte man es hier aushalten.

°○°

Der Refrain von Rihannas Umbrella schreckte mich aus dem Schlaf.
Ich sah mich um, brauchte eine Weile um zu verstehen, wo ich war und dass die Musik aus dem Lautsprechers des Handys neben mir aus dem Handy kam.
Mein neuer Klingelton.
Ich blickte kurz aufs Display, dann ging ich ran.
"Hey Süße!"
"Wie geht es dir?" Marias Stimme klang heiser. "Bist du noch im Krankenhaus?"
"Nee, schon wieder Zuhause."
"Bei deinen Eltern?"
"Genau", antwortete ich. "Ich lieg hier gerade aufm Sofa."
"Musst du nicht arbeiten?"
"Ich soll mich lieber noch ausruhen, hat Richard gemeint."
"Achso..."
"Ja... wäre auch blöd für ihn, wenn ich da so aufm Präsentierteller bin mit den Gipsen und alles."
"Stimmt."
Schweigen.
Ich wartete etwas, dann nahm ich das Gespräch wieder auf: "Geht's dir gut?"
"Ja... so einigermaßen."
"Ist was passiert?"
"Nein." Maria zögerte. "Ich hatte nur Stress mit Luca und... da bin ich halt ausgerastet."
"Wie ausgerastet?"
Keine Antwort, kurz darauf Schluchzen.
"Maria?"
Geräuschvolles Grunzen. "Tut mir leid!"
"Was ist los?"
"Ich h-ha-hab jetzeine T-T-Türehhr!"
"Du hast jetzt keine Tür mehr?"
"Jaa!", heulte Maria und schniefte.
"Warum?", fragte ich weiter, darauf sagte Maria schon wieder nichts. Weinte dafür nun noch heftiger.
"Süße... hey! Jetzt beruhig dich doch!"
"Diese blöden-n-n-nenner hier!"
"Erzähl doch eben! Was ist los? "
"Ichill nur nochegon hier!"
"Bist du betrunken?"
"Nein!"
"Das ist doch gut!" Ich atmete durch, erst dann stellte ich die nächste und leider auch naheliegendste Frage. "Hast du dich geritzt?"
Eine weitere Abfolge heiserer Schluchzer, daraufhin Husten. "Es tut mir so leid, Leon... dasar alles nur soviel." Sie zog die Nase hoch. "Bitte sei mir nichöse!"
"Warum hast du mich nicht schon eher angerufen?"
"Daranab ich nichedacht."
"Ja, toll!"
"Esut mireid!"
"Wie schlimm sehen deine Arme aus?"
"Sie haben sie verbunden."
"Beide?"
"Ja!", krächzte Maria, weinte dann wieder nur, halb schluchzend, halb hustend. "Esut mir so leid!"
"Das interessiert mich gerade einen Scheiß!", meinte ich. Und bereute es schon gleich. "Hör zu, ich komm vorbei, okay?" Ich warf einen schnellen Blick zur Uhr, fuhr dann fort: "Der nächste Bus kommt hier so in zehn Minuten. Wenn ich den noch erwische, bin ich in circa ner halben Stunde da. Schaffst du es bis dahin am Leben zu bleiben?"

°○ Maria ○°

Es roch nach Pfannkuchen.
Davon wurde mir ganz schlecht. Aussperren konnte ich den Geruch jedoch leider nicht. Dazu bräuchte ich ja ne Tür. Und die hatten sie mir weggenommen, die Scheißer! Sie hatten auch mein Zimmer durchsucht, nach irgendwelchen Sachen zum Ritzen.
Sie hatten alles gefunden.
Die Scherben, den Holzsplitter, welchen ich letztens mal im Garten gefunden hatte. Und auch die Büroklammer.
Ich legte mich ins Bett, zog mir die Decke über den Kopf und träumte mich weit weg. Stellte mir mein altes Zimmer vor. Mein Bett mit der rosafarbenen Flauschedecke, darüber die milchweiß gestrichenen Holzpaneelen an der Dachschräge.
Das Fenster zum Garten, einen Spalt breit geöffnet.
Angenehm frische Luft wehte zu mir hinein, zusammen mit dem Geruch nach gemähtem Rasen, als ich am Schreibtisch saß und meine Hausaufgabe bearbeitete; ein Arbeitsblatt mit verschieden hohen Pyramiden darauf, für deren leeren Felder man die richtigen Zahlen errechnen musste.
"Komm mal her zu mir, mein Schatz!"
Vater stand im Türrahmen, die Arme ausgebreitet:
Ich legte den Bleistift beiseite, lief dann gleich auf ihn zu, ließ mich fest drücken und vergrub den Kopf an seiner Brust.
"Du bist ein braves Mädchen." Er küsste mich aufs Haar.
"Ich hab dich lieb, Vater!"
"Du bist das Beste in meinem Leben, vergiss das nie!"
"Das werde ich nicht."
"Und sei auch weiter immer schön artig!" Vater schob meinen Kopf zu ihm hoch und sah mich streng an: "Versprich es mir!"
"Ich verspreche es dir."
"Was genau?", fragte Vater. "Ich will es hören!"
"Ich werde immer-"
"Maria?"
Schritte auf dem Laminat. "Was machst du da? Schläfst du?" Leon griff nach dem Zipfel meiner Decke.
Ich hielt sie fest, wollte lieber weiterträumen, rollte mich noch tiefer in den weichen Wollstoff ein und versuchte ihn dadurch festzuhalten. Doch Leon war natürlich stärker als ich, ruckte einmal kurz daran und hatte mir die Decke entrissen.
"Da ist sie ja!" Er grinste. Und gab mir einen Kuss. "Wollen wir jetzt mal essen gehen?"
"Ich habe keinen Hunger."
"Es gibt Pfannkuchen."
"Ich mag kein Pfannkuchen."
"Wieso nicht?"
"Das gab's immer bei meiner Oma früher", erklärte ich. "Die mochte so süße Sachen."
"Okay... aber dann kannst du dir doch bestimmt auch ein Brot machen."
Ich zuckte mit den Schultern.
"Irgendwas solltest du auf jeden Fall essen", meinte Leon. "Und wenn's nur ne Banane ist, oder... keine-"
"Es tut mir leid wegen vorhin", fiel ich ihm ins Wort. "Ich wollte dich nicht nerven."
"Du hast mich nicht genervt. Sü-"
"Ich hab dir Stress gemacht", meinte ich. "Darum bist du jetzt auch hier."
"Ich hab mir Sorgen um dich gemacht."
"Genau, das meine ich doch!" Ich stieß ein frustriertes Seufzen aus. "Das ist schon wieder alles viel zu weit gegangen."
"Ja... wenn du dir am Ende die Arme aufschlitzt, hast du wohl recht."
"Es tut mir leid", wiederholte ich. "Leon, ich wollte das nicht."
"Aber du hast es getan."
"Sei mir nicht böse, bitte!"
"Ich bin dir nicht böse", meinte Leon und nahm meine Hand in seine. "Ich will nur nicht, dass du dir wehtust." Er sah mich an. "Verstehst du das?"
Ich senkte den Blick, antwortete nichts. Spürte kurz darauf, wie er mir über die Schulter strich.
"Du musst in so ne Psychopraxis, Süße."
"Ich will da nicht hin."
"Du brauchst Hilfe", beharrte Leon, daraufhin explodierte ich.
"Red nicht so ne Scheiße!" Ich stieß ihn von mir weg. "Ich bin nicht verrückt!"
"Das sag ich ja auch-"
"Wenn du dich jetzt hier über mich lustig machen willst, kannst du auch direkt wieder gehen!"
"Ich will mich nicht über dich lustig machen!"
"Das merk ich!"
"Wollen wir jetzt zum Essen gehen?"
"Da kannst du gerne ohne mich hin!"
"Und dich soll ich hier alleine lassen?" Leon lachte, kurz und humorlos. "Das kannst du mal schön vergessen!"
"Wieso?", fragte ich spitz. "Denkst du, ich nehm mir dann irgendwas und schlitz mir damit die Kehle auf, so wie die Zombiemädchen immer in deinen Horrorfilmen?"
Leon öffnete den Mund. Dann schloss er ihn gleich wieder.
"Was willst du sagen?" Ich funkelte ihn an.
"Komm schon!", forderte ich, als Leon weiter schwieg und boxte gegen seine Brust: "Antworte mir!"
Doch das musste er gar nicht. Allein seine Augen sagten schon mehr als hundert Worte.
Ich las darin. Wurde noch wütender. Gleichzeitig aber auch ruhiger.
"Du denkst dir, dass ich spinne", meinte ich. "Darum willst du auch, dass ich in die Klapse gehe."
"Ich will, dass du ne Therapie machst."
"Danke!"
"Von Klapse hab ich nichts gesagt."
"Es steht in deinen Augen drin."
"Was steht in meinen Augen drin?"
"Dass ich in die Klapse soll!"
Wieder Tränen. Sie liefen einfach über. Ich konnte nichts dagegen tun.

°○ Leon ○°

"Maria..." Ich streckte die Hand nach ihr aus, wollte sie streicheln und noch viel lieber an mich drücken, ließ dann aber beides sein. "Hör mal, das mit der Klapse hab ich wirklich nie gesagt."
Maria schluchzte.
"Das mit dem Spinnen schon, das geb ich zu", fuhr ich fort. "Aber das meinte ich auch nur immer, weil ich mir Sorgen um dich mache."
"Ich willas ga-a-a-anich", weinte Maria. "A-Aber da b-b-binich a-auchimma s-s-seller Schuldan, wenn-n-n-nicho v-v-vielee-e-e-de."
"Ich find das aber gut, dass du mir das sagst, wenn's dir nicht gut geht."
"M-M-Mir geht'saba n-n-nie wirklich u-u-ut."
"Ich weiß."
Maria rieb sich mit den Händen durchs Gesicht, schniefte laut.
"Das tut mir auch leid, Süße", meinte ich. "Aber das kann auch alles besser werden bei dir, wenn du die ganze Scheiße mal mit jemandem besprichst, der da Ahnung von hat."
"Ja, g-g-genau!" Maria lachte, immer noch weinend. "Dann k-k-kann ich b-b-bald auch g-g-gen_n-n-nauso v-v-viele Pillen f-f-fr-r-r-ressen, wie die g-g-g-ganzen Ps-s-s-sychos hier!", höhnte sie. "Und denen bringt das a-auch n-n-nichts. Nur, dass sie i-i-i-immer sagen, d-d-dass man f-f-fett davon wird!"
"Maria! Leon!" Alex aus der Küche. "Kommt ihr beiden auch?"
"Ja, gleich!", rief ich zurück, beugte mich zum Nachttisch rüber, zog mir ein Taschentuch aus der Schachtel, welche darauf stand, und reichte es an Maria weiter. "Hier! Willst du dich mal saubermachen?"
Maria nahm es, wischte sich damit durchs Gesicht und putzte sich dann mit verhaltenem Schnauben die Nase.
"Du kannst besser ohne mich gehen." Sie hielt den Kopf gesenkt. "Ich heule hier jetzt gerade eh nur rum."
"Ist doch gut, Süße! Dann bleib ich bei dir." Ich legte meinen heilen Arm um sie und gab ihr einen Kuss aufs Haar. "Heulen ist mir auf jeden Fall immer noch lieber als Ritzen."

°○°

Es dauerte noch fast ne ganze Stunde, bis keine Tränen mehr kamen und dann noch mal fast genauso viel, bis Maria endlich dazu bereit war, gemeinsam mit mir in die Küche zu gehen, um dort etwas zu essen.
Ich machte ihr zwei Spiegeleier auf Toast mit Salami, Zwiebeln und Ketchup, dazu fand ich im Kühlschrank noch einen kleinen Rest Linsensalat sowie eine halbvolle Flasche mit Apfelsaftschorle.
"Kommst du Morgen mit zur Schule?"
Maria zuckte die Achseln. "Ich weiß noch nicht."
"Ich kann dir ja sonst auch alles mitbringen, Hausaufgaben und so, und dann sag ich dir, was wir gemacht haben."
"Das wäre nett."
"So bin ich."
Maria nahm einen Bissen von ihrem Sandwich, kaute. Und verzog das Gesicht zu einem Lächeln.
Ich erwiderte es. "Schmeckt es dir?
"Ja, richtig lecker. Hätte ich gar nicht gedacht mit dem Ketchup."
"Wieso?" Ich grinste. "Das ist doch das Beste daran."
"Wie sind die Pfannkuchen?"
Ich probierte ein Stück, nickte dann. "Ja... ganz gut. Normalerweise ess ich die nur nie so dünn. Hier!", sagte ich und hielt ihr eine Gabel voll hin. "Willst du mal probieren?"
"Nee, lieber nicht."
"Das ist mit Apfelmus und Zucker drauf!" Ich schob ihr die Gabel noch näher an den Mund. "Komm! Mal nur ein Häppchen!"
Maria schüttelte den Kopf.
"Einen für mich!", beharrte ich. "Los, sag mal aahh!"
Maria verdrehte die Augen, dann öffnete sie den Mund: "Ah!"
"Lauter, Süße: Aaaahhh!"
"Aahh!"
"Und jetzt noch mal: Aaaahiieehhja!"
"Nein!" Maria kicherte.
"Warum nicht? Komm, so: Aaaahiieehhja!"
"Das ist albern!"
"Ja und, egal! Aaaahiieehhja! Komm, wir beide zusammen! Aaaah... "
"Aaaah..."
"hieehh..."
Maria verdrehte die Augen: "hieehh..."
"jaahh!"
"jah!", wiederholte sie, daraufhin schob ich ihr endlich die Gabel in den Mund. "Super!" Ich betrachtete meine Freundin beim Essen. "Und, gut?"
Maria schluckte. Dann verzog sie das Gesicht. "Nee!"
"Ich kann ja Sabine fragen, ob sie uns demnächst mal Pfannkuchen backen kann. Die wirst du mögen."
"Hm."
"Das sind auf jeden Fall die besten, die ich kenne."
"Ja... deine Mutter ist sowieso ne gute Köchin."
"Mahlzeit!" Alex betrat den Raum, sah sich um und nickte dann zufrieden. "Die Küche ist ja schon wieder blitzsauber! Was hast du deiner Freundin denn jetzt leckeres gezaubert?"
"Nur zwei Spiegeleier auf Toast", antwortete ich. "Kannst du fangen?"
Der Betreuer streckte seine Hand aus. Ich warf ihm seinen Schlüssel zu.
"Besten Dank!"
"Von eurem Essen hat Maria jetzt gerade auch noch probiert. Die mag das aber wirklich nicht."
"Alles gut! Du scheinst sie ja auch so schon gut versorgt zu haben."
Maria entwischte ein leiser Rülpser. "Tut mir leid!", sagte sie gleich, stellte verlegen den nun leeren Becher auf den Tisch und wandte sich wieder ihrem Teller zu.
"Du kommst dann gleich noch ins Büro, wenn du hier fertig bist, Maria. Eben zum Inhalieren."
"Ich mag nicht inhalieren."
"Der Arzt hat gesagt, dass das gut für dich ist."
"Ich bin aber doch gar nicht mehr krank!"
"Trotzdem hast du ja ne ziemlich sensible Nase... auch was Stress angeht. Das hat Wirdemann dir doch erklärt."
"Interessiert mich nicht, was der meint!"
"Süße, komm!" Ich strich Maria über den Rücken, küsste sie auf die Wange. "Geh einfach gleich eben hin, ja? Das sind doch nur ein paar Minuten." Ich küsste sie erneut. "Danach können wir auch einen Film gucken, auf meinem Handy. Abgemacht?"

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