48. Ist es Leon?

°○ Eduard ○°

Es war Sonntag, dementsprechend also ein ziemlich langweiliger Tag, den ich hauptsächlich damit verbracht hatte, zu Lernen und anschließend mehrere Folgen meiner Lieblingsserie Dexter durchzubingen.
Maria hatte heute keine Zeit, um etwas mit mir zu uternehmen, die wollte sich lieber mit Leon treffen. Das hätte ich mir genauso gut denken können, aber ich hatte sie natürlich trotzdem gefragt.
"Wir machen heute Sport", hatte Maria mir am Telefon erzählt. "Also Leon will mir da ein bisschen bei helfen. Damit ich da ne bessere Note drin bekomme."
"Aha..."
"Ja... ich steh da im Moment nicht so gut."
"Okay... und deswegen will Leon dir da jetzt Nachhilfe bei geben?"
"Genau. Also so'n bisschen trainieren ab und zu", hatte Maria gemeint. "Zum Fußball soll ich dann auch mal mit."
"Okay..."
Das könnte ja heiter werden, hatte ich gedacht, wenn Leon Maria erst mal über den Platz scheucht. Und sie dann, in seiner ach so feinfühligen Art, vor der ganzen Mannschaft abkanzelt, sobald sie nicht so spurt wie er es will. Da wäre das nächste Theater doch vorprogrammiert. Maria würde sich zu Tode schämen. Würde Leon eine Szene machen. Und wer wäre hinterher, sobald sie beide im Streit auseiander sind, dann da um sie zu trösten?
Ich grinste, nahm mir noch eine Handvoll Chips, stopfte sie mir in den Mund und lief dann aus meinem Zimmer um mir noch eine Flasche Cola zu holen.
Im Haus war es still.
Meine Mutter schlief, schien im Moment gar nichts anderes mehr zu tun. Aber das war ja auch zu erwarten gewesen, überlegte ich, nachdem sie vor gerade einer Woche noch pausenlos wach gewesen war. Und die meiste Zeit dabei geweint, manchmal auch geschrien hatte.
Ich wusste, um ehrlich zu sein gar nicht, was ich noch mehr hasste. Diese lauten Phasen oder die stillen. Es schnürte mir beides den Hals zu.
In der Küche öffnete ich den Kühlschrank, in dem war außer einer halben Pizza von gestern, etwas Joghurt und Fleischsalat nicht mehr viel drin. Auf jeden Fall keine Cola, stellte ich fest, machte die Tür wieder zu und wandte mich dann in Richtung Keller. Hier gerieten im Gegensatz zum Rest des Hauses kaum irgendwelche Sonnenstrahlen hinein, da das einzige Fenster ein klitzekleines hinten in der Ecke war, welches schon seit keine Ahnung wie lange niemand mehr geputzt hatte. Jetzt gerade lag der Raum dank des wolkenverhangenen Himmels in völliger Dunkelheit.
Ich betätigte den Lichtschalter. Die alte Deckenlampe mit ihrem staubverkrusteten Schirm glühte einmal kurz auf. Und erlöschte dann schon gleich mit einem leisen Knall.
Na schön, dachte ich. Dann eben-
Es klingelte. Wer sollte das jetzt sein?
Ich lief zur Tür, öffnete.
"Was willst du hier?"
"Nur gucken, ob du da bist", antwortete Eileen und grinste. "Wie geht es dir?"
"Ich hab jetzt keine Zeit."
"Wieso nicht?"
"Weil ich beschäftigt bin?"
"Mit was denn?"
"Ist doch egal!"
"Dann kann es ja nicht so wichtig sein."
Ich sah sie an. Seufzte. "Hat Leon dir gesagt, dass du herkommen sollst?"
Eileen lachte. "Erstens, warum sollte er und zweitens seit wann mach ich das, was andere mir sagen?"
"Na ja... du bist jetzt hier, von daher... muss dir wohl jemand verraten haben, wo ich wohne."
Eileen schwieg, grinste nur wieder.
"Also hat Leon es dir gesagt?", fragte ich.
"Das Telefonbuch hat es mir gesagt, wenn du es genau wissen willst."
"Ja super!" Ich verdrehte die Augen.
"Darf ich jetzt reinkommen?"
Ich zögerte, dann seufzte ich wieder. "Meinetwegen."
Eileen trat ein, ließ ihren Blick dann direkt durch den Flur wandern, wobei ich mich schon ärgerte, die Türen der angrenzenden Räume nicht verschlossen zu haben, und zog sich ihren Mantel aus. "Nett hier!"
"Danke."
Ein unangenehmes Schweigen entstand, in welcher Eileen wie selbstverständlich ihren knallroten Steppmantel an die Garderobe hängte, so dass sie jetzt in einem nicht weniger auffälligen Oberteil dastand: Einem übergroßen eisblauen Wollpullover mit groben Strickmuster und derart weit geschnittenem Kragen, dass er den Blick auf die Träger ihres schwarzen BHs frei gab.
"Zeigst du mir dein Zimmer?" Erneut verzog sich Eileens Gesicht zu einem, nun spöttischen, Grinsen. "Oder bist du dafür zu schüchtern?"
"Nein!", sagte ich, schon hörbar empörter als ich wollte, das brachte Eileen zum Lachen.
"Hattest du schon Mädchen da?"
"Maria war schon öfter hier." Zweimal, um genau zu sein, fügte ich in Gedanken hinzu. Das konnte man jetzt genau genommen nicht gerade als öfter bezeichnen. Aber da ging ja auch niemandem was von an, am allerwenigsten noch dieser frechen Göre da!
"Wundert mich, dass Leon ihr das erlaubt hat", meinte Eileen, nahm einen Pflegestift aus der Tasche ihrer Jeans, dessen Stoff an der Unterseite der Beine wie abgerissen aussah, und zog sich damit die Lippen nach.
"Ich geb Maria Nachhilfe", erklärte ich. "In dem Fall ist es für ihn in Ordnung."
"Und in den anderen Fällen?", hakte Eileen nach. "Wenn ihr euch einfach mal so trefft? Dafür kriegst du dann ein paar in die Fresse, oder..."
"Theoretisch... ja", sagte ich.
"Und praktisch?" Dieses Grinsen! Was sollte das dauernd?
"Praktisch braucht er dafür keinen Grund."
"Arschloch!"
Ich zuckte die Achseln.
"War echt das Letzte, was er vor ein paar Tagen mit dir abgezogen hat, vor dem Jungsklo!", redete Eileen weiter.
Auch dazu sagte ich nichts.
"Also macht er sowas öfter mir dir?"
Ich zuckte wieder mit den Achseln. "Ja... schon."
"Was für ein Penner!" Ich spürte Eileens Hand an meinem Rücken. "Wenn er das nochmal macht, dann gibt es richtig Stress für ihn! Das schwör ich!" Sie gab mir einen Kuss auf die Wange. "Kann ich jetzt dein Zimmer sehen?"
Ich antwortete nicht, lief stattdessen einfach los, die Treppe rauf, so sehr verwirrte mich das alles gerade. Vor allem der Kuss jetzt eben.
Was meinte die denn?

°○ Leon ○°

"Süße?" Ich klopfte an die Tür ihres Zimmers. "Bist du da?"
"Komm rein!", kam es von drinnen und, ja, Begeisterung klang auf jeden Fall anders.
Ich betrat den Raum, da saß Maria gerade am Schreibtisch, bekleidet in einer schwarzen Jogginghose, dazu passenden schwarzen Turnschuhen und meinem dunkelroten Kapuzenpullover, wie genau war der jetzt noch mal hierher gekommen?
"Du bist ja schon fertig angezogen!"
"Ja, ich wollt dich nicht warten lassen", meinte Maria, zeichnete noch ein paar Linien auf ihrem Bild zuende und begann dann die Kreidestücke zusammen zu packen.
"Was hast du da gemalt?"
"Nichts besonderes."
Ich warf einen Blick über ihre Schulter auf die Staffelei, welche auf dem Tisch stand.
Marias Bild zeigte ein Mädchen, klein, mit langen strubbeligen Haaren, abgemagert und in Lumpen gekleidet. Sie stand ganz unten rechts in der Ecke des Bildes. Und mehr war da auch nicht.
"Bist du das wieder?"
"Ja."
"Und kommt da noch was dazu?"
"Ich glaub nicht", antwortete Maria. Sie zuckte die Achseln. "Ein paar Schatten vielleicht."
"Okay... dann wird das wohl wieder so ein Depribild."
Dazu sagte Maria nichts, bedachte mich dafür nur mit einem vielsagendem Blick.
"Was denn?" Ich lachte. "Hab ich jetzt wieder etwas falsches gesagt?"
"Nein!", entgegnete Maria. "Also... es ist deine Meinung, von daher... muss ich das wohl akzeptieren."
"Das klingt jetzt aber hart!", sagte ich. "So schlimm find ich das Bild ja gar nicht."
"Aber gut findest du es auch nicht."
"Es ist gut gezeichnet."
"Ja toll!" Nun lachte auch Maria. "Das hast du jetzt ja nett gesagt!"
"Du kannst ja auch mal etwas... weniger düsteres zeichnen", schlug ich vor.
Erneutes Achselzucken.
"Vielleicht mag ich es ja düster."
"Meinetwegen!", meinte ich. "Mach, was du willst!"
"Ich muss noch eben ins Badezimmer", sagte Maria und verließ dann direkt den Raum, kaum dass die Worte ausgesprochen waren.
"Kein Stress!", rief ich ihr dennoch hinterher, setzte mich auf den Stuhl, nahm das Handy heraus und sah nach meinen Chats.
Mehmet hatte mir geschrieben.

MEHMET:
Guck dir das mal an!🤣

Darunter ein Link von Tiktok.
Ich klickte darauf, sah dann einer Katze dabei zu, wie sie im Badezimmer nach einer großen Spinne jagte, dabei mehrmals vergeblich an der Wand hoch sprang. Und schließlich in die Toilette fiel.
Ich lachte.
Dann sah ich nach den anderen Chats.
Bei Droogs:

MEHMET:
Heute Fußball?⚽️🍻

ALI:
👍🏻

MANUEL:
Wie spät?

MEHMET:
18 Uhr ist Anstoß

MANUEL:
Dann kann ich nicht.😕

MEHMET:
Musst du wieder arbeiten?

ALI:
Interessierst dich doch eh nicht für Fußball😚

MANUEL:
🤨Maul!

MANUEL:
Vielleicht kann ich auch später

MANUEL:
Oder auch früher, wenn Leon mich ablöst😇

Ich schrieb dazu:

LEON:
Ablösen geht heute nicht.

Manuel antwortete direkt:

MANUEL:
Warum nicht?

LEON:
Weil

LEON:
Darum

MANUEL:
?

LEON:
Ich mach heut was mit deiner Schwester

ALI:
🙈

LEON:
Wir kommen aber pünktlich zum Spiel.

LEON:
@MANUEL Bring mal Minchen mit, wenn du kommst

MANUEL:
Einen Scheiß werd ich!😠

LEON:
Bring sie mit❗

MANUEL:
Hol sie doch ab‼️

Die nächste Nachricht kam von außerhalb der Gruppe:

MANUEL:
Was bist du für ein Arschloch?! Wie oft soll ich noch für dich arbeiten?

Ich antwortete:

LEON:
Als ob du für mich arbeitest!

MANUEL:
Wer ist denn die ganze Zeit weg?

LEON:
Ich steh oft genug hinterm Tresen! Du kriegst da wenigstens Geld für!

MANUEL:
Ja und?? Dafür tu ich auch genug!

LEON:
Ist doch schön für dich! 👏🏻

LEON:
Bring Minchen heute mit!

MANUEL:
Hol sie ab!

LEON:
Wir dürfen sie nicht alleine lassen mit ihm! Das weißt du genau!

MANUEL:
Ich lass sie nicht alleine! Sie ist genauso meine Schwester!

LEON:
Genauso wie Maria, meinst du...

MANUEL:
Fick dich!

"Was ist los?", fragte Maria, die war gerade wieder ins Zimmer gekommen, trug die Haare nun zu einem Pferdeschwanz gebunden und
"Hast du dich geschminkt?"
"Nur ein bisschen Mascara und Kajal um die Augen." Maria zuckte die Achseln. "Ich dachte, du magst das so."
"Ja! Das... sieht gut an dir aus!", meinte ich, steckte das Handy in die Hosentasche, stand dann auf und ging auf Maria zu, um sie mir genauer anzusehen. "Die Haare hast du dir auch zurückgemacht."
"Ja... ist glaub ich besser so beim Sport."
"Stimmt! Vor allem, wenn du schwitzt", sagte ich. "Und das wirst du! Das kann ich dir versprechen!" Ich grinste.
"Wow! Hört sich toll an!"
"Das wird es auch sein." Ich küsste sie, dann lächelte ich. "Mhmm... Lippenstift! Mit Kirschgeschmack! Das gefällt mir."
"Ich weiß."
"Lass mich nochmal probieren!" Ich küsste sie wieder. "Mhhmmm... da kann man ja gar nicht genug von kriegen!" Behutsam fuhr ich Maria über das Gesicht, zeichnete ihre hohen Wangenknochen mit den Fingerspitzen nach, als nächstes die fein geschwungenen Lippen.
"So hübsch bist du!" Ich sah ihr in die Augen. "Unglaublich!"
Maria senkte den Blick, der war das Ganze jetzt natürlich wieder unangenehm. Sie räusperte sich leise. "Wollen wir jetzt los?"
"Bist du denn soweit?", fragte ich.
Maria zuckte die Schultern. "Ja."
"Okay...", meinte ich, schloss meine Arme um ihren Körper und grinste dann wieder. "Wer bist du denn noch mal?"
"Bitte nicht!" Maria drehte den Kopf weg.
"Komm, sag!", drängte ich sie. "Ich bin?"
Maria seufzte. "Deine hüb-"
"Von vorne!", forderte ich. "Und schau mich dabei an, bitte!"
Maria tat es, wenn auch widerwillig.
"Ich bin Maria Rehberg, deine hübsche, kluge-"
"Nicht so schnell!", unterbrach ich sie wieder.
"Okay, tut mir-"
"Nein! Komm, einfach nochmal, Süße! Und ein bisschen lauter, wenn's geht!"
"Ich-"
"Augen zu mir!"
"Ich bin Maria Rehberg, deine hübsche, kluge Freundin, die immer viel zu lieb zu allen ist."
"Super!" Ich lächelte breit. "Und jetzt noch mal lauter!"
"Leon, bit-"
"Sonst glaub ich dir das nicht", fuhr ich fort, löste meine Umarmung, drückte Maria die Schultern gerade und nahm dann ihre Hände in meine.
Maria sah darauf hinunter.
"Ich höre?"
Schweigen. Dann vergrub sie wieder die Zähne in die Lippe.
"Mach dich doch mal locker, komm!", sagte ich und zog Maria dabei mehrmals an den Händen, mit so viel Kraft, dass sie schon einige Schritte tun musste, um nicht zu fallen. "Hol mal richtig Luft!"
"Ich dachte, du gibst mir Nachhilfe!"
"Tu ich doch gerade", meinte ich.
"Aber-"
"Jetzt Luft holen!"
Maria tat es.
"Und räuspern!"
"Was?"
"Du sollst dich räuspern", wiederholte ich. "Das macht man so, bevor man was wichtiges sagt. Guck, so!"
Ich räusperte mich.
Maria lachte. "Als ob ich nicht weiß, wie das geht!"
"Dann mach!"
Maria zögerte. Dann räusperte sie sich.
"Nochmal! Lauter!", forderte ich. "Und danach sagst du den Satz!"
"Das ist doch albern!", meckerte Maria und stieß ein weiteres, jetzt hörbar frustriertes, Seufzen aus. Zögerte abermals. Holte dann noch einmal tief Luft. Räusperte sich laut. Und wiederholte schließlich ihren Satz: "Ich bin Maria Rehberg, deine kluge, hübsche Freundin, die immer viel zu lieb zu allen ist."
"Gut!" Erneut lächelte ich. "Und jetzt schreist du das mal richtig raus!"
"Spinnst du?" Maria riss die Augen auf.
Ich lachte. "War doch nur ein Scherz, Süße... krieg dich wieder ein!", Abermals strich ich ihr mit den Fingerkuppen über die Wange. "Sowas machen wir natürlich nicht hier im Haus! Da denken die noch, wir ticken nicht ganz richtig."
Ich küsste sie.

°○Eddie ○°

"Und was tust du sonst so den ganzen Tag, außer zu Lernen?", fragte Eileen, nachdem die sich erst einmal eingehend mit der Einrichtung meines Zimmers beschäftigt hatte, mit dem Ergebnis, dass sie mich jetzt für den größten Streber hielt, der ihr jemals untergekommen war. Aber das habe sie wohl auch vorher schon gewusst, hatte sie gesagt, denn sie wäre schon immer sehr gut darin gewesen, Menschen zu lesen und überhaupt könne ihr da auch niemand irgendetwas vormachen.
"Hast du Hobbies?", fragte Eileen weiter.
Ich zuckte die Achseln. "Ich lese gerne."
"Ach was!" Eileen lachte, wieder auf diese unangenehm spöttische Art. "Das hätte ich jetzt ja nicht gedacht!"
"Ich guck auch gerne Filme."
"Was für Filme?"
"Hauptsächlich so Sachen über Serienkiller."
"Schweigen der Lämmer?"
"Genau, der ist super."
"Criminal Minds?"
"Gefällt mir auch sehr gut", meinte ich. "Im Moment guck ich aber Dexter."
"Dexter?" Eileen zog die Augenbrauen zusammen. "Das kenn ich gar nicht. Wovon handelt das?"
"Das ist über so einen Mann, der bei der Polizei arbeitet und heimlich Menschen umbringt."
"Das klingt ja langweilg."
"Ist es nicht!" erwiderte ich. "Das geht nämlich darum, dass Dexter so einen Kodex hat. Das heißt, er bringt nur solche Menschen um, die selber böse sind. So Kinderschänder oder so." An dieser Stelle musste ich direkt an Bente Rehberg denken. Der würde, nachdem, was ich seit kurzem über ihn wusste, jetzt ja auch in diese Kategorie fallen. Wenn er denn noch leben würde.
"Wir können ja mal zusammen ne Folge gucken", schlug Eileen vor.
Ich zuckte die Achseln. "Wenn du willst..."
"Ja, wieso nicht? Wo ich schon mal hier bin..."
"Ich glaub ja nicht, dass das was für dich ist."
Eileen lachte. "Denkst du, ich bin zu zart für sowas?"
"Keine Ahnung... du bist halt ein Mädchen."
"Meinen ersten Horrorfilm hab ich mit fünf gesehen!"
"Welchen denn?"
"Texas Chainsaw Massacre."
"Okay..." Oh Mann, dachte ich und unterdrückte ein Schmunzeln. Jetzt wunderte mich auch gar nichts mehr...

°○ Leon ○°

Draußen war es kalt, also schon ganz angenehm zum Joggen. Auch der Boden fühlte sich gut an, hier im Wald, schmiegte sich schon fast an die Füße, wenn man darauf entlang lief, genauso wie ich es in Erinnerung hatte.
"Das hier ist ein Trimm-Dich-Pfad", sagte ich zu Maria. "Da sind wir schon öfter gewesen, vom Fußball aus."
"Wieso?", fragte Maria, keuchte es schon eher, und dabei waren wir mal gerade erst einen Kilometer weit gekommen.
"Zum Trainieren", meinte ich. "Da fährt Günther öfter mal mit uns raus."
"Okay, und-" Maria hustete, hatte sie sich verschluckt? "Und was ist so ein Trimm-Dich-Pfad?" Erneutes Husten. Dann ein Räuspern, deutlich lauter, als vorhin noch in ihrem Zimmer. "Alles gut?" Ich musterte sie. "Sollen wir mal ne Pause machen?"
"Nein... geht schon wieder."
"Sicher?"
"Ja."
"Du kannst auch eben was trinken."
"Ich brauch nichts." Maria stieß ein Keuchen aus. "Danke"
"Okay... Also... ein Trimm-Dich-Pfad ist so ne Laufstrecke, wo zwischendurch Geräte stehen, da kannst du Übungen dran machen", erklärte ich und verlangsamte gleichzeitig meine Schritte, gerade so viel, dass es Maria nicht auffiel. "So zum Beispiel Klimmzüge, Sprungübungen, Sit-Ups... wie geht's eigentlich deinem Rücken? Tut dir der noch weh?"
"Ein bisschen."
"Okay... dann gucken wir mal, wie weit wir damit kommen."
Ein paar hundert Meter liefen wir wieder schweigend und jeder für sich, dann warf ich Maria einen weiteren besorgten Blick zu. Deren Gesicht war mittlerweile schon deutlich gerötet und ihr Keuchen ging jetzt flacher. "Kannst du noch, Süße?"
"Ja!"
"Ich frag ja nur", meinte ich. "Du musst dich jetzt auch nicht quälen."
"Lass mich einfach!", sagte Maria. "Ich will das hier schaffen!"
"Was willst du schaffen?"
"Den ganzen Pfad."
"Das sind fünf Kilometer!"
"Ja, ist doch toll!"
"Das schaffst du nicht ohne Pause."
"Doch, wenn ich das will, dann schaff ich das!"
"Hast du Seitenstechen?"
"Nein!", sagte Maria, hielt sich aber gleichzeitig den Bauch."
"Lauf mal langsam!" Ich packte sie an der Hand, bremste sie aus. "Einfach gehen! Und tief durchatmen! Dann erholst du dich wieder. Guck hier!", meinte ich, verschränkte beide Arme über den Kopf und atmete tief durch. "Den Trick kennst du doch schon!"
"Ja." Maria tat es mir nach, von den Armen bis hin über das Luftholen. Und begann dann abermals zu husten.
Ich klopfte ihr auf den Rücken. "Geht's?"
Maria antwortete nicht. Hustete stattdessen zuende. Und ließ dann noch ein festes Schniefen hören.
"Oh Mann!" Ich lachte. "Du bist ja schon ganz schön fertig!"
"Mir geht's gut!"
"Da!" Ich reichte ihr ein Taschentuch.
"Putz dir mal die Nase!"
Maria nahm das Tuch und schnäuzte sich.
Ich legte einen Arm um sie "Gleich rudern wir erst mal ein bisschen."
"Rudern?"
"Am Rudergerät! Da vorne!" Ich wies zu einer Art Säule, etwa hundert Meter weiter, an welchem an Gummibändern befestigte Gewichte hingen, wie an einem Flaschenzug. "Das trainiert die Arme. Willst du jetzt mal was trinken?"
Ich zog die Wasserflasche aus dem Rucksack, welchen ich auf dem Rücken trug, zog das Nuckelstück hoch und gab sie an Maria weiter. Die nahm sie an, zwar mit einem Augenverdrehen, aber ohne zu Meckern, immerhin.

°○ Eddie ○°

Eileen hatte es sich inzwischen auf meinem Bett bequem gemacht, saß jetzt neben mir mit angezogenen Beinen auf der Matratze und kaute Kaugummi.
"Und, wen stellst du dir gerade vor?"
"Was meinst du?"
"Wen stellst du dir auf der Pritsche vor?", verdeutlichte Eileen ihre Frage und wies zum Laptop, auf dessem Display Dexter Morgan gerade dabei war eines seiner nächsten Opfer abzustechen.
"Achso." Ich grinste, da wusste ich natürlich direkt eine Person, die ich da jetzt gerne liegen sehen würde.
"Wer ist es?", wollte Eileen wissen.
Ich schwieg.
"Soll ich raten?" Eileen erwiderte mein Grinsen, legte dann den Finger an die Lippen und tat so, als würde sie nachdenken. "Ist es Leon?"
Das brachte mich jetzt zum Lachen. "Was denkst du denn von mir?"
"Wieso? Jetzt sein doch mal ehrlich!"
"Ich kann mir doch wohl eine Mordszene angucken, ohne mir dabei gleich jemanden vorzustellen!"
"Aber du stellst dir Leon vor."
"Und wenn es so wäre?"
"Es wäre nicht nur so, es ist so!", beharrte Eileen. "Das kannst du auch genauso gut zugeben, Schätzchen!"
Erneut sagte ich nichts. Was erwartete das Mächen jetzt auch?
Glaubte sie ernsthaft, dass ich ihr hier von meinen Fantasien darüber erzählen würde, wie ich Leon foltere? Dass das tatsächlich schon seit ewigen Zeiten eines meiner größten Hobbies war? Ihn mir vorzustellen, wie er irgendwo gefesselt am Boden hockt, vor lauter Qualen schon ganz ausgezehrt. Wie seine Augen mich anstarren, in ängstlicher Erwartung all der Dinge, die ich noch mit ihm tun würde. Nein, darüber würde ich niemals reden! Mit niemandem!
"Ich kann's ja verstehen", durchbrach Eileen wieder das Schweigen. "Er ist ja auch wirklich fies zu dir. Und du bleibst dabei ja auch noch immer so ruhig! Andere wären da schon längst bei ausgerastet!"
"Was soll mir das bringen, auszurasten?", fragte ich. "Das würde die Sache auch nicht besser machen."
"Du darfst dir das aber auch nicht immer so gefallen lassen, Schätzchen!" An dieser Stelle rückte Eileen etwas zu mir auf, legte dann einen Arm um mich und rieb mir über den Rücken. "Wehr dich doch mal!"
"Ja, genau! Und dann wach ich demnächst im Krankenhaus auf!" Ich ignorierte ihre Berührung, spürte aber dennoch eine wohlige Wärme, die von ihr ausging.
"So stark ist Leon nicht", meinte Eileen.
"Er ist stark genug für mich", sagte ich. "Und außerdem ist er nicht alleine."
"Du auch nicht."
Ich sah sie Eileen an, die verzog den Mund darauf gleich zu einem Lächeln. "Und du kennst seine Schwächen", fügte sie hinzu. "Das musst du ausnutzen."
Seine Schwächen, überlegte ich. Welche sollten das sein?
Leon hatte keine Schwächen.
Er war stark, schnell und was noch dazu kam, gänzlich frei von Angst.
Ich hatte es noch nie mit ihm aufnehmen können. Zugegeben, ich hatte es auch noch nie ernsthaft probiert. Aber selbst früher, wo wir immer mal wieder im Spaß miteinander gekämpft hatten, war es letztendlich immer Leon gewesen, der gewonnen hatte und das scheinbar völlig mühelos.
"Hast du eigentlich schon mal jemanden geküsst?"
"Was?" Ich starrte Eileen an. Was sollte diese Frage jetzt?
"Hast du schon mal jemanden geküsst?", wiederholte Eileen.
Ich zögerte.
"Ist dir die Frage jetzt peinlich, oder was?"
"Nein!", entgegnete ich und räusperte mich, etwas lauter, als nötig gewesen wäre.
"Dann sag doch!"
Ich zögerte wieder.
"Vor ein paar Wochen", sagte ich dann.
"Wie bitte?"
"Ich hab vor ein paar Wochen jemanden geküsst."
"Einen Jungen?"
"Nein!" Ich verdrehte die Augen. "Ich hab Maria geküsst."
"Maria?", fragte Eileen. "Die ist doch mit Leon zusammen."
"Aber ja noch nicht so lange", sagte ich.
"Du meinst, vorher hattet ihr was miteinander?"
Ich verdrehte wieder die Augen.
"Wie ist sie so im Bett?" Eileen grinste wieder.
"Ich war nicht mit ihr im Bett!"
"Warum denn nicht?", wollte Eileen wissen, Hohn mischte sich nun in ihre Stimme. "Hat sie dich nicht rangelassen?"
Ich schwieg.
"Bist du jetzt beleidigt?" Abermals Eileens Hand an meinem Rücken.
Ich ignorierte sie, sah nur weiter zum Fernseher, wo Dexter mittlerweile in seiner Funktion als Blutspurenanalytiker den neuesten Tatort untersuchte.
"Ich hab das nicht böse gemeint", meinte Eileen. "Ist ja auch nicht schlimm, dass du noch Jungfrau bist."
"Wie kommst du darauf, dass ich noch Jungfrau bin?"
"Das sehe ich dir an."
"Ah ja?"
"Ja... das ist halt wegen deiner ganzen Art."
"Okay... Und was ist mit dir?"
"Ich hatte schon oft Sex", meinte Eileen, sie grinste wieder. "Ich könnte dir das beibringen, wenn du willst."
"Ähm..." Scheiße, was war das jetzt? "Ich glaub nicht, dass-"
Du das musst, wollte ich noch hinzufügen, kam aber nicht mehr dazu, da war Eileen schon vorgeschnellt, so weit, dass ihre Lippen jetzt hart gegen meine drückten.
Erschrocken wich ich zurück, doch keine Chance, sie hielt mich fest, knallte ihr langen Fingernägel tief in meinen Rücken und zog mich näher an sich ran.
"Entspann dich!" Eileen fuhr fort mich zu küssen, drängte schon bald mit der Zunge gegen meine Lippen, woraufhin ich zwar noch einen Augenblick lang zögerte, sie dann aber schließlich hineinließ.

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