33. Wie bei Baywatch

°○ Maria ○°

"So... jetzt setzten sich erst mal alle auf die Bank! Jungs rechts, Mädchen links!", donnerte Kunzes Stimme durch die Halle, da schwammen gleich alle Schüler an den Beckenrand und zogen sich aus dem Wasser, um ihre Plätze einzunehmen.
Ich setzte mich ganz an den Rand der Bank und verschränkte die Arme dabei fest vor der Brust.
Ich hasste das alles hier. Allein schon, halb nackt vor allen herumlaufen zu müssen. Ihre Blicke zu ertragen. Und dazu noch das gedämpftes Gekicher, wenn ich ihnen den Rücken zudrehte.
Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was das erst für eine Katastrophe gewesen wäre, hätte Leon mir gestern keinen Badeanzug sondern einen dieser superknappen Bikinis aus Wendy's gekauft.
"Jetzt probier doch wenigstens mal einen davon an, Süße!"
"Nein!"
"Der blaue steht dir bestimmt richtig gut."
"Der ist viel zu knapp!"
"Wieso? Das wichtigste ist doch verdeckt", hatte Leon gemeint und mir den Bikini noch am Bügel hängend vorgehalten, damit ich ihn im Spiegel an mir betrachten konnte.
Ich verzog das Gesicht.
"Und was ist mit dem?"
Leon wechselte den Bikini, hielt mir nun einen zwar etwas weniger anzüglich, dafür aber um einiges bunter war - so bunt, dass es einem in den Augen brannte mit einem wilden  Blumenmuster in orange, gelb und blau.
"Der ist mir zu grell", sagte ich.
"Was meinst du mit grell?", fragte Leon. "Der ist einfach nur bunt."
"Das meine ich ja."
"Aber die Farben sehen doch hübsch zusammen aus!"
"Deswegen muss ich das ja nicht gleich anziehen!"
Wir hatten uns schließlich auf einen Badeanzug geeinigt, vorne hoch geschnitten, dafür so gut wie rückenfrei und in einem knalligen Rot.
"Wie bei Baywatch", hatte Leon gemeint, mit seinem Taschenmesser den Diebstahlschutz abgetrennt und den Badeanzug im Wert von rund fünfzig Euro in meiner Handtasche verschwinden lassen, zusammen mit einem hübschen und sichtlich genauso teurem Tshirt in Grau-Orange sowie einem Paket Socken für ihn.
"Nachdem ihr euch jetzt alle gut im Wasser aufgewärmt habt..."
Aufgewärmt.
Witzig, dachte ich. Das einzige, was ich getan hatte, war gewesen, mich am Schwimmbeckenrand entlang von einer Seite zur anderen zu hangeln!
Davon war Leon natürlich alles andere als begeistert gewesen, der hatte Herrn Kunze extra angeboten, ihm bei der Übungsstunde zu unterstützen, nur um bei mir sein zu können.
Zumindest hatte er das behauptet.
Ich glaubte ja eher, dass er nur deswegen einen auf Hilfscherrif machte, um sich damit wichtig zu machen. Darauf könnte ich allerdings auch gut verzichten!
"... gebt ihr sie dann wieder an Leon oder mich ab, je nachdem in welcher Reihe ihr seid. Alles klar?"
Zustimmendes Gemurmel hallte durch dem Raum.
"Gut. Dann stellt euch mal auf!"
Die Schüler kamen Kunzes Aufforderung nach, der verließ jedoch gleichzeitig die Schwimmhalle in Richtung des Nebenraums, in welches man durch ein großes Fenster hineingucken konnte.
"So." Leon übernahm das Training. "Bevor es losgeht, müssen wir uns erst mal warm machen."
Er trug bequem aussehende Sportklamotten, eine schwarze Jogginghose und dazu ein schlichtes graues Tshirt.
"Also, gut aufpassen! Ich zeig euch die Übungen vor und ihr macht sie nach."
Wenige Minuten später standen wir in zwei Schlangen aufgereiht vorm Schwimmbecken und ich hatte immer noch keinen Plan, was wir tun sollten.
"Auf die Startblöcke... fertig... los!" Ein schriller Pfiff ertönte, da sprangen die jeweils ersten aus den Reihen ins Wasser.
Sie schwammen etwa bis zur Hälfte des Beckens. Dann tauchten sie unter, holten rote Ringe vom Beckenboden herauf und schwammen damit bis zu Kunze und Leon weiter.
"Los jetzt! Nicht einschlafen dahinten!", rief Kunze.
Darum ging es also, dachte ich und biss mir auf die Unterlippe.
Tauchen.
Das hasste ich von diesen ganzen Schwimmsachen noch mit am meisten.
Nur Turmspringen war schlimmer. Dazu hatte mich bisher noch niemand zwingen können. Da würde noch eher die Hölle gefrieren, als dass ich auch nur einen Fuß auf die Leiter setzen würde!
"Wie soll ich denn überhaupt so weit runterkommen?", fragte ein Mädchen vor mir ihre Freundin. Sie war etwas größer als ich, hatte lange rote Haare und ihr gesamter Körper war von Sommersprossen übersät.
Ihre Freudin stellte das genaue Gegenteil dar. Die war klein, dick und schwarzhaarig. Alle Mädchen mit langen Haare mussten Zöpfe tragen.
"Du musst die Luft rauslassen, wenn du runtergehst", erklärte die Dicke. "Hat Leon doch eben erklärt."
"Ja toll! Wenn der was erklärt, kann ich mich sowieso nicht konzentrieren!"
Die Dicke kicherte. "Ist ja mal gut, dass er nicht in Badehose hier rumläuft. Sonst würdest du noch Schnappatmung kriegen!"
"Die krieg ich auch so schon", meinte die Rothaarige. "Dazu muss er mich nur ansehen!" Die letzten Worte flüsterte sie, jedoch immer noch laut genug, dass ich sie hören konnte.
"Vielleicht muss er dich heute ja auch noch retten, wenn du nicht aus dem Wasser kommst!"
"Du spinnst doch!"
"Ist dir schon mal aufgefallen, was Leon für Muskeln hat?", schwärmte die Dicke. "Also ehrlich, wenn der nicht so ein Badboy wäre, würde ich mich direkt in ihn verknallen."
"Ich mag Badboys."
"Ja... das kommt davon, wenn man zu viel Zeit auf Wattpad verbringt."
Ein Schauder zog durch meinen Körper. Ich verschränkte abermals meine Arme vor der Brust und versuchte mich dadurch etwas aufzuwärmen, doch das brachte natürlich nichts.
"Und? Hast du es hingekriegt?"
Zwei Jungen hinter mir, der eine klein und dünn, mit kurzen blonden Haaren, der andere etwas größer, mit etwa schulterlangen braunen Haaren, welche er in einem Zopf trug. Wie alt beide waren, konnte ich nicht genau sagen, auf jeden Fall aber noch um einiges jünger als ich.
"Ja, hat erst beim zweiten Versuch geklappt", erzählte der Größere. "Da war so ein Druck auf den Ohren, wo ich unten war."
"Dann musst du das erst ausgleichen, dass das in den Ohren knackt", sagte der Blonde. "So, guck!"
"Ja, das hat Leon mir auch so erklärt. Danach ging es dann auch."
Ich sah rüber zur Fensterfront.
Der Himmel draußen war grau verhangen, der Sportplatz leer, lediglich ein Vogel hüpfte über das Gras, pickte etwas im Boden herum, auf der Suche nach Würmern.
Draußen, dachte ich.
Da wäre die Luft jetzt klar. Und es wäre still. Ganz anders als hier, wo mir das Echo der vielen Stimmen auf die Ohren drückte und die Luft so stickig war, das ich immer mehr das Gefühl hatte, durch ein Kissen zu atmen.
"Komm, jetzt lauf doch mal!" Ein leichter Stoß in meinem Rücken.
Ich lief ein Stück nach vorne.
Die Schlange vor mir wurde immer kürzer.
Ich warf einen Blick zum anderen Ende des Beckens, da streckte Leon gerade die Hand aus und half einem Mädchen aus dem Wasser, als diese es nicht sofort schaffte, sich hochzuziehen.
Leon wechselte ein paar Worte mit dem Mädchen - die hätte vom Aussehen her schon eine kleinere Version von Julia sein können - und strich ihr dann noch einmal aufmunternd über den Rücken, bevor er ihr schließlich bedeutete, sich wieder in der Reihe aufzustellen.
Also mussten wir jeder zweimal tauchen, stellte ich fest und erneut fröstelte es mich.
Leon begegnete meinem Blick. Zog dann fragend die Brauen hoch. Und winkte mich zu sich.
Ich zögerte. Sollte ich jetzt wirklich meinen Platz in der Schlange verlassen, nur um vor über einem dutzend glotzender Augenpaare das Schwimmbecken zu umrunden, mit nicht viel mehr am Körper als einem schreiend rotem Badeanzug?
"Süße!" Leon rief mich jetzt. "Komm her!"
Hitze stieg in mein Gesicht, gleichzeitig begann das Kissen sich jetzt noch stärker dagegen zu pressen.
"Wen meint er denn?", flüsterte die Rothaarige vor mir, jetzt ganz aufgeregt.
"Maria! Träumst du schon wieder? " War das Hohn in Leons Stimme? Verspottete er mich?
Hier vor allen Leuten?
Natürlich tat er das! Und er hatte Erfolg damit, denn spätestens jetzt waren alle Augenpaare in der Halle auf mich gerichtet.
"Jetzt komm schon!"
Ich lief zu ihm, hörte dabei aufgeregtes Getuschel hinter mir - zwar nur bruchstückhaft, dafür jedoch noch um einiges mehr, als ich verstehen wollte.
"... gerade Süße genannt?"
"Hab ich so..."
"...Freundin?"
"... doch nicht sein! Die?"
"Was ist los?", fragte Leon, kaum dass ich ihn erreicht hatte, fasste mich an den Händen und musterte mich besorgt.
Ich zuckte die Achseln, antwortete jedoch nicht.
"Geht's dir nicht gut?" Leon strich mir über die Arme. "Du bist ja eiskalt!", stellte er dann fest und nahm mich in den Arm.
"Das kommt davon, wenn man sich nicht richtig aufwärmt", meinte Kunze.
"Meine Übungen hat sie ja mitgemacht."
"Ja, und vorher hat sie minutenlang im kalten Wasser gesessen, ohne auch nur einen vernünftigen Schwimmzug auszuführen. Da ist das kein Wunder, wenn der Körper auskühlt."
"Vielleicht sollte sie sich besser mal kurz abduschen."
"Ach was!", erwiderte Kunze. "Wenn die Prinzessin von und zu gleich erst mal ein paar Bahnen durchschwimmt, wird ihr schon von alleine wieder warm."
"Ja, oder sie kriegt einen Krampf", gab Leon zu bedenken.
"So schnell passiert das nicht!"
"Trotzdem... ich geh mal eben kurz mit ihr rüber."
"Kann sie nicht alleine gehen?"
"Ja, schon. Nur das mit dem Zurückkommen ist dann immer schwierig."
"Dann lass sie doch wegbleiben, wenn sie keine Lust hat! Muss sie ja selber wissen!"
"Komm, Süße!" Leon führte mich aus der Halle.
"Ich hab dir doch gesagt, er mag mich nicht", meinte ich.
"Der ist einfach nur genervt von dir, das ist alles."
"Er hat gesagt, dass ich wegbleiben soll!"
"So hat er das nicht gesagt", entgegnete Leon. "Er meinte, dass das deine Entscheidung ist, ob du mitmachst, oder nicht."
"Ich will ja gar nicht mitmachen."
"Ich will aber, dass du mitmachst."
"Ja, super!", meinte ich. "Du stellst dir das auch alles sehr einfach vor."
"Ist es doch auch."
"Nicht für mich."
Leon seufzte. "Komm jetzt rein hier!", sagte er, schob mich in die Mädchenumkleide und schloss die Tür hinter uns.
"Was machst du?" Ich starrte ihn an. "Du darfst hier doch gar nicht rein!"
"Ja und? Ist doch keiner da, außer uns beiden."
"Trotzdem, das-"
"Geh jetzt mal duschen, bitte!"
Leon nickte in Richtung Waschraum.
Ich senkte den Blick, betrachtete meine Füße auf dem dunkelgrau gefliesten Boden. Ließ meine Augen dann höher wandern, die Beine entlang, deren dunkle Haare waren in diesem grellen Licht unmöglich zu übersehen, genauso wenig, wie die blauen Adern, welche an den Seiten deutlich durch die Haut herausstachen. Wie durch Pergamentpapier, dachte ich.
Mein Bauch begann zu grummeln. Schnell spannte ich ihn an, spürte dabei gleich ein starkes Brennen in meiner Blase.
"Was ist?", fragte Leon.
"Nichts!"
"Dann ab jetzt unter die Dusche!"
"Ich muss aber erst noch auf Toilette."
"Dann geh doch!" Leon lachte. "Meine Güte!"
Auf der Toilette schaffte ich es erst nicht, zu pinkeln.
So war es immer, wenn ich zu lange damit wartete, zum Klo zu laufen. Manchmal merkte ich es einfach nicht, dass ich musste. Und manchmal, da merkte ich es schon, aber... irgendwie schien dann nie der richtige Moment zu sein, um aufs Klo zu gehen. Wenn ich unter Menschen war.
"Alles okay, Süße?"
"Ja", antwortete ich. Würde aber eindeutig besser - oder wenigstens überhaupt mal - laufen, wenn du jetzt nicht nebenan in der Umkleide sitzen und solange warten würdest, bis ich fertig bin, fügte ich noch in Gedanken hinzu und hatte auf einmal wieder das Gefühl des Kissens auf meinem Gesicht, wie es zudrückte. Nur kurz, dann löste es sich wieder.
Ich nieste, daraufhin begann der Urin endlich aus mir herauszulaufen.
"Gesundheit!", rief Leon.
"Danke", sagte ich.
Es brannte. Aber das war mir noch lange nicht so unangenehm wie das laute Plätschern, welches das Pinkeln in der Schüssel erzeugte.
"Alter! Das ist ja wie so ein Wasserfall!" Leon lachte.
"Wie lange hattest du das denn jetzt schon zurück gehalten?", fragte er, als ich wenig später wieder in die Umkleide kam.
"Gar nicht."
"Aber, ich meine... wenn da jetzt so viel rausgekommen ist... Hat das denn nicht wehgetan?"
"Nein."
"Okay... willst du denn jetzt noch duschen?"
"Ja, gleich", sagte ich, ging an meinen Rucksack und begann darin herumzukramen.
"Was suchst du?"
"Nichts." Eine Weile durchwühlte ich noch meinen Rucksack, dann gab ich es auf. "Scheiße, Scheiße, Scheiße!"
"Kann ich dir irgendwie helfen?", fragte Leon, offensichtlich darum bemüht, nicht zu lachen.
Ich antwortete nicht, spürte im nächsten Moment zwei Hände auf meinen Armen. Und dann noch etwas anderes.
"Jetzt sag doch mal!"
"Lass mich!", fuhr ich Leon an, riss mich von ihm los, rannte zurück zu den Toiletten und schloss mich in eine der Kabinen ein.
"Ist dir schlecht?"
"Nein!"
"Was ist dann dein Problem?" Leon stand nun direkt hinter der Tür.
"Du bist mein Problem!", schimpfte ich.
"Warum?", wollte Leon wissen. "Was hab ich denn getan?"
"Du machst dich immer über mich lustig!"
"Hä? Aber... das ist doch Quatsch! Wann-"
"Lass mich in Ruhe!" Ich schniefte.
"Weinst du jetzt?"
"Nein!"
"Das klingt aber so."
"Ist aber nicht so!", meinte ich, fuhr mir mit der Hand durchs Gesicht und stellte dabei fest, dass es doch so war: Ich heulte. Mal wieder.
"Machst du mal die Tür auf?" Die Türklinke wurde herunter gedrückt.
"Nein!"
"Doch, bitte!", sagte Leon. "Ich möchte gerne mit dir reden."
"Schön für dich!"
"Komm! Mach auf!"
"Nein!", schrie ich, dann begann ich zu husten, so heftig, dass ich würgen musste. Als ich damit fertig war, heulte ich nur noch.
"So schlimm?" Eine Hand strich mir über den Rücken, da zuckte ich vor Schreck zusammen.
"Wie kommst du hier rein?"
"Damit." Leon zeigte mir eine Fünfcentmünze, daraufhin steckte er sie sich in die Tasche. "Können wir jetzt reden?"
"Nein!"
"Aber du hast doch irgendwas."
"Ja... aber darüber kann ich nicht mit dir reden."
"Maria... ich sag dir doch immer, du kannst über-"
"Nein!"
Leon seufzte.
"Kann es sein, dass du deine Tage hast?" Er sah mich an.
Ich senkte den Blick.
Dann nickte ich.
"Und jetzt brauchst du was dafür."
"Ja."
"Das ist doch kein Problem, Süße!", meinte Leon, schob meinen Kopf hoch und schaute mir wieder in die Augen. "Du bist ein Mädchen. Da ist sowas doch ganz normal." Er küsste mich. "Warte mal hier! Dann hol ich dir eben was."
Er verschwand, nur kurz, da kam er zurück, ein Tampon in der Hand.
Ich nahm es ihm gleich ab, dann schlug ich die Tür wieder zu.
Leon gluckste. "Bitte, gern geschehen!"
Ich knibbelte den Tampon aus der Folie. "Wo hattest du das jetzt her, so schnell?"
"Aus einem der Rucksäcke."
"Ja, aber... da kannst du doch nicht einfach so beigehen!"
"Wieso?", fragte Leon, nun erneut mit hörbarer Belustigung in der Stimme. "Hätte ich jetzt erst rübergehen und fragen sollen?"
Ich antwortete nicht.
Das schien Leon nur noch witziger zu finden.
"Hey Mädels, hat einer von euch vielleicht mal einen Tampon?", fragte er in dem hoffentlich noch leeren Raum. "Ich brauch den für meine Freundin. Die hat wohl eben ihre Tage bekommen. Ja, versteh ich auch nicht, warum Maria da nicht selber nach fragen kann. Die hat sich jetzt zum Heulen im Klo eingebunkert."
Ich kam aus der Kabine heraus, ging dann, ohne Leon eines Blickes zu würdigen zum Waschbecken. Begann mir dort die Hände einzuseifen.
Und spürte im nächsten Moment wieder Leons Hände, welche sich mir von hinten um die Hüften legten.
"Geht's jetzt wieder?"
"Ich weiß nicht", antwortete ich. "Mir ist noch ein bisschen schwindelig."
"Dann musst du was trinken", bestimmte Leon. "Ich geh dir gleich mal ne Cola holen."
"Das musst du nicht", sagte ich, zog ein paar Papierhandtücher aus dem Spender und trocknete mir die Hände ab.
"Mach ich aber." Leon küsste mich.
"Die Cafeteria ist ganz am anderen Ende vom Schulgelände!"
"Und?"
"Ich kann doch auch Wasser trinken."
"Stimmt. Aber Cola ist besser bei Kreislaufschwäche."
Darauf sagte ich nichts mehr. Zog mir stattdessen noch zwei Papierhandtücher aus dem Spender und schnäuzte mich.
"Ich wollte das alles eigentlich gar nicht. Mit dem Heulen und... dass ich so gemein zu dir war."
"Alles gut!"
"Tut mir leid!"
"Mach dir mal keinen Kopf, Süße!" Leon gab mir einen weiteren Kuss. "Das nächste Mal sagst du einfach direkt, wenn was ist."
"Ja... okay."
Oder ich lernte endlich mal, mich zusammen zu reißen, überlegte ich. Ein Grinsen aufzusetzen. Und auf mein Leben klar zu kommen.
Wie schwer konnte das denn sein?

°○ Leon ○°

"Na, hat das Fräulein sich auch gut erholen können?", fragte Günther, als ich mit Maria an der Hand wieder die Schwimmhalle betrat. "Dann mal ab ins Wasser jetzt! Du machst beide Durchgänge hintereinander weg!"
"Ja, aber... ich kann-"
"Ist doch gut, Süße!" Ich rieb ihr über den Rücken. "Du schaffst das schon. Komm!" Ich führte sie zu den Startblöcken.
"Ich kann das nicht!", sagte Maria. "Die gucken doch jetzt alle."
"Und wenn! Ist doch egal!" Ich küsste sie. "Da kriegst du eh nichts von mit, wenn du unter Wasser bist. Komm, steig auf!" Ich wies zu einem der Startblöcke, da versteifte Maria sich nur noch mehr.
"Muss ich da rauf?"
"Ja, klar!"
"Aber das ist so hoch!"
"Das ist überhaupt nicht hoch!"
"Für mich wohl!"
"Wird's bald dahinten?", fragte Günther, nun mit noch mehr Ungeduld in der Stimme.
"Das ist nicht höher als ein Hocker, Süße."
"Ich spring auch nicht von Hockern!"
"Darf Maria auch vom Rand springen?", rief ich Günther zu, der machte daraufhin nur eine abwinkende Geste von wegen "Macht doch was ihr wollt!"
"Okay... dann springst du jetzt vom Rand aus ins Wasser."
"Aber, wenn-"
"Auf drei!", unterbrach ich sie.
"Eins, zwei..."Ich legte ihr eine Hand auf den Rücken.
"Und drei!" Ich schubste sie.
Maria schrie.
Lautes Gelächter klang durch die Halle.
"Du Arschloch!", krächzte Maria, als sie wieder aufgetaucht war, dann hustete sie.
"Ich wollt dir doch nur helfen", sagte ich lachend, hockte mich hin und klopfte ihr einige Male auf den Rücken, solange, bis der Husten wieder abgeklungen war.
"Wieder besser?"
"Ja."
"Dann schwimm mal los!"
"Ich kann das nicht."
"Du hast aber doch Seepferdchen, oder?"
"Ja."
"Dann kannst du auch schwimmen", meinte ich. "Willst du noch einen Kuss?"
"Nein!"
"Sag mal, bist du da festgewachsen? Jetzt beweg dich mal, Mädchen!" Wieder Günther. "Das kann ja echt nicht sein, dass du hier immer den ganzen Laden aufhältst!", hallte seine Stimme durch den Raum, da stieß Maria sich endlich vom Rand ab und schwamm los. Schwamm die Bahn entlang, quälend langsam, bis an deren Ende.
"Meine Güte!" Günther seufzte. "Da kommen manche ja im Stehen schneller voran!"
"Willst du nicht den Ring holen, Süße?"
"Ich kann nicht tauchen", meinte Maria und hielt sich nun abermals am Beckenrand fest.
"Natürlich kannst du tauchen!", engegnete Günther. "Jetzt stell dich mal nicht so an!"
"Versuch's doch wenigstens mal!", meinte ich.
"Wie soll ich das denn schaffen?", fragte Maria. "Das ist viel zu tief! Da komm ich nie ganz runter."
"Doch, klar", meinte ich, hockte mich vor Maria hin und legte meine Hand auf ihre. "Du musst vorher nur ein paar mal tief Luft holen und dann beim Runtertauchen atmest du langsam aus." Ich drückte ihre Hand. "Komm, probier's mal aus! Das schaffst du!", sagte ich, glaubte jedoch nicht wirklich daran.
Und ich sollte recht behalten.
Maria schaffte es nicht.
Aber sie versuchte es, sogar gleich mehrmals hintereinander, dann schwamm sie zu mir zurück.
"Es geht nicht."
"Warum nicht?"
"Das ist so ein Druck auf den Ohren."
"Dann musst du den vorher ausgleichen", meinte ich. "Halt dir mal die Nase zu und dann atmest du aus, bis es in den Ohren knackt. Guck, so!" Ich zeigte es ihr.
"Was? Wieso-"
"Jetzt mach einfach!", forderte ich. "Und den Mund dabei zumachen!"
Maria tat es, dann verzog sie das Gesicht.
"Hat's geklappt?" Ich legte wieder meine Hand auf ihre.
Maria sah darauf hinunter. "Ich glaub wohl."
"Dann versuch es jetzt nochmal!", meinte ich, nahm Marias Kopf und schob ihn zu mir hoch.
"Du schaffst das, Süße!" Ich küsste sie, kurz darauf schwamm Maria abermals zur Mitte des Beckens. Tauchte unter.
Und kam wenig später wieder hoch, mit dem Ring in der Hand.
"Super Maria!", rief ich ihr zu, während sie in meine Richtung schwamm.
"Das wurde ja auch mal Zeit", meinte Günther, der hatte die restlichen Schüler schon dazu angewiesen, der Reihe nach vom Einmeterbrett zu springen.
"Hab ich doch gesagt, dass du das hinkriegst!", sagte ich und küsste Maria, als sie am Beckenrand ankam.
"Willst du noch mal?"
Am Ende der Kursstunde verließen wir zusammen das Schwimmbgebäude.
"War doch ganz gut, oder?", fragte ich.
Maria zuckte die Achseln. "Ging wohl."
Es war bereits dunkel geworden.
Kalte Luft wehte mir ins Gesicht, zusammen mit nadeldünnem Nieselregeln, welcher meine Haut mit einem feinen Sprühnebel bedeckte.
Ich mochte das Gefühl.
"Beim nächsten Mal springst du dann vom Dreier."
Maria stieß ein spitzes Lachen aus. "Ich hatte doch schon Angst vom Einer zu springen!"
"Aber du bist gesprungen."
"Ja... weil ich mich sonst noch mehr blamiert hätte."
"Wann hast du dich denn blamiert?"
Maria lehnte sich gegen den Zaun, welcher den Parkplatz von der Durchfahrtstraße abgrenzte und zog sich die Kapuze ihres blauen Wintermantels noch tiefer ins Gesicht.
"Keine Ahnung." Sie räusperte sich. "Das tu ich doch immer."
"Ist mir noch gar nicht aufgefallen", sagte ich.
Wie kam Maria darauf, dass sie sich immer blamierte?
Das war doch Quatsch!
Ich hatte da ja eher den Eindruck, dass sie sich die die meiste Zeit über unsichtbar machte, wenn sie unter Menschen war - ja, selbst dann, wenn wir beide unter uns waren.
So wie jetzt. Da stand sie wieder da, steif wie ein Stock, den Kopf gesenkt; sollte ihr ja bloß keiner ins Gesicht gucken!
"Sahst richtig hübsch aus heute in deinem Badeanzug."
Schweigen.
Ich zündete mir eine Zigarette an, hielt dann Maria die Schachtel hin, die lehnte ab.
"Ich darf nicht. Das merkt Susanne direkt."
"Kommt die dich abholen?"
"Müsste eigentlich."
"Cool!"
"Na ja..."
Ich lachte. "Du magst sie immer noch nicht?"
"Sie nervt mich."
"Warum?"
"Ich weiß nicht... die redet immer so viel."
"Und dann musst du auch viel reden."
"Ja."
"Das find ich gut", meinte ich. "Bist ja sonst auch immer viel zu still."
"Ja und? Können doch nicht alle Menschen immer so laut sein."
"Das stimmt." Ich zog an meiner Zigarette. "Man kann sich aber auch nicht immer nur verstecken."
"Wow!" Maria lachte.
"Was?"
"Jetzt redest du schon genauso wie sie."
"Du meinst wie deine Betreuerin?"
"Susie", meinte Maria und zog das Ende des Namens dabei absichtlich in die Länge.
Ich nahm noch einen Zug, hielt den Rauch eine Weile lang fest und stieß ihn dann aus.
Maria wusste gar nicht, wie gut sie es hatte! Klar, sie hatte schon viel durchgemacht, vor allem diese kranke Scheiße mit ihrem Vater. Aber jetzt hatte sie es doch gut. Hatte ein ordentliches Zimmer. Konnte jede Nacht in einem gemütlichen Bett schlafen.
Und es war immer jemand da, wenn sie was hatte.
Jemand, der erwachsen war. Der was reißen konnte, wenn es wirklich mal drauf ankam.
So jemanden hatte ich nicht.

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