19. Du hast es oft genug gesagt

°○ Leon ○°

"Magst du noch etwas Wasser?", fragte ich.
Maria schüttelte den Kopf.
Ich küsste sie auf die Wange, schob ihren Kopf in meine Richtung und wollte ihr noch einen Kuss auf dem Mund geben, da wandte Maria das Gesicht schnell zur Seite.
"Lass mich... Bitte!", sagte sie, fuhr sich mit den Händen über die Wangen, zog die Nase hoch und stieß dann ein gequältes Lachen aus. "So eine Scheiße immer!"
"Was meinst du denn?"
"Ist doch egal!"
"Möchtest du vielleicht noch eine Schmerztablette?"
"Nein."
"Oder willst du dich schon mal hinlegen?"
"Nein!"
"Ist aber doch kein Problem, dann ziehen wir eben-"
"Ich will mich nicht hinlegen!"
"Aber das wäre doch-"
"Jetzt lass mich einfach!", fiel Maria mir wieder ins Wort. "Geh rüber und feier dein tolles Silvester!" Sie schniefte wieder. "Ich geh dir doch sowieso nur auf die Nerven, immer mit meinem Rumgeheule!"
"Rumgeheule!", echote Minchen.
"Das ist doch Quatsch!", sagte ich.
"Es stimmt doch!"
"Nein!"
"Rumgeeheeule!"
"Du hast es oft genug gesagt", meinte Maria.
"Ja... aber da wusste-"
"Verdammt, jetzt geh doch endlich!"
"Heule-Heule-Heule!", fing Minchen nun an zu singen. "Doofe Rumgeheeule!"
"Lass mich in Ruhe!" Maria begann jetzt heftiger zu schluchzen. "Ich...", begann sie, doch der Rest ihres Satzes ging in dem Gesang meiner Schwester unter:
"Heule-Heule-Heule! Doofe Rumgeheeule!"
"Hör auf damit!", sagte ich, daraufhin wurde Minchen nur noch lauter:
"Heule-Heule-Heule! Doofe Rumge-!"
"Jasmin!"
"Heeule! Heule-Heule-"
"Es reicht jetzt!" Meine Hand knallte auf die Tischplatte, da hielt sie endlich den Mund.
"Was stimmt denn nicht mit dir?" Ich funkelte meine Schwester böse an, die streckte mir als Antwort nur die Zunge entgegen.
"Ich hab jetzt wirklich keinen Bock mehr auf diese Scheiße!", schimpfte ich und nahm Maria in den Arm, die sträubte sich erst noch etwas dagegen, bevor sie dann doch nachgab und den Kopf gegen meine Schulter lehnte. "Wenn du meinst, dauernd so frech sein zu müssen, dann kannst du auch gleich direkt ins Bett!"
"Will nicht schlafen gehen!", rief Minchen.
"Und eine Geschichte gibt's dann auch nicht mehr!"
"Will aber Geschichte!"
"Sowas kriegen nur liebe Mädchen."
Meine Schwester senkte den Blick.
"Und was meinst du?", wollte ich wissen. "War das gerade lieb, was du gesungen hast?"
"Nein", antwortete Minchen.
"Dann komm jetzt rüber und entschuldige dich!", forderte ich sie auf, da kletterte Minchen gleich vom Stuhl herunter und lief um den Tisch herum an Marias Seite.
"Tschuldung!"
Maria reagierte nicht, verbarg das Gesicht auch weiterhin in meiner Schulter, als ich die Umarmung löste.
"Maria?", fragte Minchen und legte ihr eine Hand aufs Bein. "Gibst du Hand?"
"Geh weg!"
"Komm, sie will sich doch nur bei dir entschuldigen", meinte ich.
"Ja und?", schluchzte Maria. "Sonst kriegt sie ja auch keine Geschichte!"
"Will Geschichte hören!", sagte meine Schwester.
"Ist gut, Minchen", sagte ich. "Komm, geh mal eben ins Wohnzimmer!"
"Wann liest du Geschichte?"
"Später", antwortete ich.
"Und Nutella?"
"Das bring ich dir gleich", versprach ich. "Jetzt lass uns mal eben kurz alleine, ja?" Ich nickte zur Tür, daraufhin verließ Minchen die Küche.
"Geh ruhig mit", sagte Maria und nahm sich ein Taschentuch. "Ich komm schon alleine klar."
"Das musst du aber ja nicht", meinte ich und rieb ihr über den Rücken. "Ich bin doch da."
"Aber du musst doch auch zu deinen Freunden."
"Du meinst, ich soll zu denen gehen und Party machen, während du hier sitzt und weinst?"
"Ich weiß ja auch nicht, warum mir das immer passiert." Maria tupfte sich das Gesicht ab. "So will ich das ja auch gar nicht. Und die anderen gucken einen dann auch noch immer so an, als ob man verrückt ist, oder so!"
"Ja und?"
"Das ist doch kacke!"
"Lass die doch denken, was sie wollen! Kann dir doch egal sein."
"Ist es aber nicht!"
"Du machst dir ja auch immer viel zu viele Sorgen um alles."
"Ja, toll!"
"Sei doch mal ein bisschen lockerer!"
"Das versuch ich ja immer!", sagte Maria, schniefte und wischte sich mit dem Taschentuch die Nase ab. "Aber dann blamier ich mich trotzdem jedes Mal."
"Wie denn?"
"Ja... wenn ich irgendwas sage oder... keine Ahnung... dann machen sich immer gleich alle über mich lustig."
"Meinst du wegen gerade, das mit dem Singen?", fragte ich und lachte. "Damit wollte Minchen dich doch nur ärgern, Süße."
"Ja, ich-"
"Sowas musst du dir nicht immer gleich zu Herzen nehmen." Erneut nahm ich Maria in den Arm, die lehnte daraufhin wieder den Kopf an meine Schulter. "Wie ist es denn jetzt mit den Bauchschmerzen? Sind die immer noch so schlimm?"
"Nicht mehr so."
"Das ist doch schon mal gut", sagte ich und gab Maria einen Kuss aufs Haar. "Wollen wir denn gleich mal wieder zu den anderen?"
Maria schwieg.
"Da kannst du dich hinlegen", meinte ich. "Wenn du willst, kann ich dir ja auch noch ein paar Baldrian-Tropfen geben. Und dann entspannst du dich ein bisschen." Ich sah sie an. "Klingt das gut?"
Maria zuckte mit den Achseln. Nahm wieder das Tuch und schnäuzte hinein. "Ich weiß nicht... so wie ich gerade aussehe, da geht das doch direkt wieder los mit den Sprüchen."
"Das glaub ich nicht. Kann ja sein, dass Ali was sagt, aber-"
"Es ist ja nicht nur er!", fiel Maria mir ins Wort.
"Ja... und wenn schon!", sagte ich. "Manuel kann mal schön die Fresse halten. Da brauchst du gar nicht drauf hören, was der immer zu melden hat. Da!" Ich schob die Tasse noch etwas näher zu ihr rüber. "Magst du jetzt eben deinen Tee austrinken? Dann-"
"Kommt ihr zwei auch noch mal rüber?", fiel Ali mir ins Wort, der war gerade wieder in die Küche geplatzt - natürlich, ohne vorher anzuklopfen. "In zehn Minuten ist schon Mitternacht."
"Echt jetzt?" Wie konnte die Zeit so schnell rumgegangen sein?
"Was treibt ihr denn dauernd hier?", wollte Ali wissen und ging an den Kühlschrank.
"Das hat dich einen Scheiß zu interessieren", antwortete ich.
"Hättest ja mal was sagen können." Ali grinste. "Dann hätte ich euch noch ein paar Kerzen hingestellt."
"Halt's Maul!"
"Oder Gleitgel besorgt."
"Du sollst dein Maul halten, hab ich gesagt!", setzte ich nach, nun mit deutlich mehr Härte in der Stimme.
"Was denn?" Ali lachte, verstummte dann aber gleich, als ich in Richtung Maria nickte und ihm einen vielsagenden Blick zuwarf.

°○ Eduard ○°

Es war kalt. Und viel zu still.
Mein Vater saß in seinem Sessel und las in einem Buch. Meine Mutter saß auf dem Sofa und starrte ins Leere.
Ich saß neben ihr, vor mir auf dem Tisch ein Teller mit Zimtsternen, noch völlig unberührt.
Ein Blick zur Uhr. Nur noch fünf Minuten bis Mitternacht - der Augenblick, an dem das alte Jahr endete und ein neues begann.
Ich fragte mich, was Maria gerade machte. Stand sie im Zoney auf der Tanzfläche? Wartete sie darauf, dass der Countdown heruntergelaufen war und Leon sie küssen würde - mal angenommen, er würde sie inmitten des ganzen Partytrubels mit seinen Leuten überhaupt mal zur Kenntnis nehmen. Vielleicht spielte der Jahreswechsel für sie inzwischen ja auch gar keine Rolle mehr und sie war stattdessen damit beschäftigt, draußen neben Leon im Bushaltehäuschens zu sitzen und ihm die Hand zu halten, während er sich die Wodka-Energys wieder durch den Kopf gehen lassen würde, weil er mal wieder viel mehr davon getrunken hatte, als er vertragen konnte?
War sie überhaupt aus der Wohngruppe raus? Oder war sie heute einfach mal dageblieben? Hatte Leon es ihr ausnahmsweise mal gestattet, sich einen ruhigen Abend zu machen? War so etwas in einer Wohngruppe überhaupt möglich, überlegte ich, zog mein Handy aus der Tasche und sah nach meiner WhatsApp.

EDUARD
Hey Maria,
Wie geht es dir? 🙂Was machst du heute? Vielleicht hast du ja Lust, mit mir Silvester zu feiern? Nur ganz gemütlich, meine ich. Einen Film gucken und ein bisschen chillen...😉 Was meinst du?

MARIA
Hallo Eddie🙂
Mir geht's gut.
Tut mir leid, ich geh heute schon mit Leon zu Mehmet und dann später noch weiter ins Zoney.🙄 Vielleicht sehen wir uns ja dort.🤗

Hatte ich es doch gewusst! Dann war heute also alles wieder genauso gelaufen, wie Leon es wollte!
Na, Hauptsache er hätte heute seinen Spaß! Maria könnte ja währenddessen sehen, wie sie sich die Zeit um die Ohren schlug, während er mit seinen ach-so-coolen Saufkumpanen einen drauf machte!
Was war Maria dabei denn schon für ihn? Im besten Fall doch nur ein nettes Accessoire, dass er sich zum Angucken in die Ecke stellte, dachte ich, wartete ab, bis die Uhr auf meinem Handy Null Uhr anzeigte und schrieb dann eine neue Nachricht:

Hey Maria,
Ich wünsche dir ein frohes neues Jahr. 😘 Hoffe, du hast Spaß im Zoney.
Das mit dem Filmabend können wir ja bei Gelegenheit noch nachholen. 😉
LG, Eduard

Bei Gelegenheit. Das klang gut.
Ganz cool einfach, so wie es sein musste.
Ja, das konnte ich so stehen lassen, entschied ich und drückte auf den Sendepfeil, nachdem ich mir den Text noch mehrere Male durchgelesen hatte.
"Frohes neues Jahr!", sagte mein Vater, wobei er kurz von seinem Buch auf und in meine Richtung blickte.
"Frohes neues Jahr!", sagte ich - genauso wie er, ohne wirklich daran zu glauben, dass es tatsächlich ein gutes neues Jahr werden würde.
Meine Mutter schwieg, starrte nur weiter durch den Raum, die Hände fest in ihrem Schoß verschränkt.
Ich betrachtete sie, verspürte das Bedürfnis, meine Hand darüber zu legen, tat es aber nicht.
Silvester war unbedeutend geworden, war es wahrscheinlich auch immer schon gewesen, auch bevor das mit Ranja passiert war.
Worum ging es dabei schon? Es war ein Tag wie jeder andere. Ein Tag zwischen den Jahren, welche sich in schnöder Eintönigkeit aneinander reihten.
Warum sollte man das feiern? Doch wohl nur, um einen Grund dafür zu haben, sich die Birne zuzukippen, dachte ich und sah im selben Augenblick Leon vor mir, wie er ausgelassen mit den anderen ins neue Jahr reinfeierte, in der einen Hand ein Wodka-Energy, während seine andere Hand im tiefen Ausschnitt eines billigen Fummels steckte, welchen er Maria extra für diesen Anlass aus Wendy's hatte mitgehen lassen.
"Schau mal hier!", sagte mein Vater und schob ein Blatt der Zeitung über dem Tisch in meine Richtung. "Ist das nicht dein Lehrer?"
Ich erwiderte den Blick meines Vaters, der sah bestürtzt aus. Dann nahm ich das Stück Zeitung. Warf einen Blick darauf. Und hielt den Atem an.

Was ein Mensch an Gutem in die Welt hinausgibt, geht nicht verloren.
(Albert Schweitzer)

In tiefer Trauer nehmen wir Abschied von

unserem lieben Kollegen und Lehrer

B E N T E  R E H B E R G

2 0 . 0 4 . 1 9 7 1  -  2 5 . 1 2 . 2 0 1 6

Wir werden dich vermissen:

Das Lehrerkollegium und die Schülerschaft der Christian-Andersen-Gesamtschule in Berneburg

Ich starrte auf die Worte.
Las sie immer und immer wieder. Und konnte es doch nicht glauben. Rehberg sollte tot sein?
Wie war das passiert?
"War er krank?", fragte mein Vater.
"Nein", antwortete ich, wollte dann noch mehr sagen, ließ es dann aber, legte das Zeitungsblatt zurück auf den Tisch und verließ den Raum.

°○ Maria ○°

"Will nicht schlafen!"
"Ssch... sei doch mal leise!", zischte Leon. "Sonst weckst du noch Maria auf."
"Will nicht schlafen."
Mach doch wenigstens mal die Augen zu."
"Will nicht zumachen!"
"Aber du kannst doch nicht die ganze Nacht wach bleiben."
"Doch!"
"Minchen..."
Die anderen waren jetzt schon seit über einer Stunde weg. Sie waren erst so gegen Viertel vor Eins losgefahren, nachdem sie sich vorher noch in den Armen gelegen, sich ein gutes Jahr gewünscht und dabei noch einiges an Alkohol getrunken hatten.
Leon hatte sich dabei merklich zurückgehalten und mir hatte er das Trinken heute ja auch ganz verboten. Weil sich das nicht gut mit meinen Tabletten vertragen würde.
Natürlich hatten die anderen darüber ihre Sprüche gebracht. Das könnte schon fast ein unbeschriebenes Gesetz bei denen sein: Wer nicht mittrinkt, ist selber schuld.
Es waren nicht wirklich gemeine Sprüche gewesen, eher so Witze, um die Stimmung aufzulockern.
Die war nämlich ziemlich komisch geworden, seitdem Leon das mit meinen Bauchschmerzen heraus gefunden hatte.
"Wie wäre es, wenn ich dir eine Geschichte vorlese?", fragte Leon. Dornröschen oder-"
"Schneewittchen!"
"Ja, meinetwegen auch das."
"Mit viel Stimmen!", forderte Minchen.
"Ja... okay." Leon seufzte. "Dann leg dich mal zu Maria!"
"Will nicht bei Doofe liegen!"
"Willst du jetzt deine Geschichte, oder nicht?"
Im Grunde war es so wie immer gewesen, überlegte ich und rückte noch etwas näher zur Wand, als ich merkte, wie sich Leon neben mich aufs Sofa legte.
Nach außen hin hatte jeder so getan, als wäre alles cool. Ich war das Kleinkind, Leon mein Babysitter und alle hatten ihren Spaß. Aber so war es nicht wirklich, das wusste ich.
In Wirklichkeit fanden sie das überhaupt nicht komisch, wenn ich mich so aufführte; da konnten sie noch so sehr einen auf freundlich machen und mich fragen, wie es mir ging.
Ich bemerkte doch ganz genau, wie sie mich ansahen. Sah das hämische Getuschel und hörte ihr Lachen, vor allem dann, wenn sie dachten, ich tat es nicht.
"Alles gut, Süße?", fragte Leon, schob mir die Haare zur Seite und gab mir einen Kuss auf den Nacken. "Du schläfst ja noch gar nicht."
"Es geht nicht", antwortete ich mit belegter Stimme und räusperte mich.
"Was geht nicht?", fragte Leon.
"Ich kann nicht schlafen."
"Leon, bitte lies vor!", rief Minchen.
Leon ignorierte sie.
"Warum kannst du nicht schlafen?", fragte er stattdessen.
"Ich weiß nicht", sagte ich und wollte mich daraufhin noch etwas enger an die Wand drücken, doch Leon ließ das nicht zu und zog mich stattdessen noch näher zu sich,
"Nein..." Ich wand mich in seinen Armen. "Bitte, lass mich einfach!"
"Bitte Schneewittchen lesen!", quäkte Jasmin.
"Was ist denn schon wieder los mit dir?" Leon fasste mich an die Schulter und zog mich auf die andere Seite. Dann musterte er mich. Und bei dem Ausdruck, den er dabei hatte, mit einer Mischung aus Besorgnis und einer Gereitztheit, die ebenso deutlich in seinen Augen lag, wie er versuchte, sie zu verbergen - hätte ich ihm am liebsten gleich wieder den Rücken zugewandt.
"Tut dir noch irgendwas weh?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Willst du etwas trinken?"
"Nein."
"Oder hast du Hunger?"
Ich senkte den Blick.
"Ich kann dir ja deine Pizza aufwärmen."
"Leon, Schneewittchen!"
"Oder willst du etwas anderes?"
"Nein, danke", meinte ich und setzte mich auf. "Ich muss mal kurz... tut mir leid."
"Was denn?", fragte Leon.
Ich antwortete ihm nicht. Wartete einen Moment, bis der Schwindel nachließ...
"Was tut dir leid?"
... stand dann auf...
"Süße?"
... und verließ das Wohnzimmer.

°○°

Alles fühlte sich komisch an. Irgendwie unecht.
Das grelle Licht. Die kalten Fliesen unter meinen Füßen. Das Geräusch der Toilettenspülung.
Ich trat vor das Waschbecken. Drehte den Wasserhahn auf. Wusch mir die Hände und trocknete sie mir ab.
Dann wandte ich mich dem Spiegel zu. Schaute mich eine ganze Weile lang einfach nur an.
Betrachtete meine Augen, blau mit grauem Rand drum herum. Traurig, genauso wie der Mund darunter. Die langen Haare, welche mir in dünnen Strähnen vom Kopf herabhingen. Langsam hob ich meine Hand und fuhr mir mit den Fingern dadurch.
Traurig.
Kraftlos.
Erbärmlich.
So sahen mich die anderen. Mehr gab es da auch nicht. Und das musste ich endlich mal akzeptieren.
Ich gehörte nicht zu den glücklichen, zu den schönen. Oder zu den Starken. Ich war nicht so wie Leon, immer cool, immer mit einem Grinsen auf den Lippen, auch wenn es gerade mal scheiße lief. Oder Verena, die einfach immer hübsch aussah, oft lachte und von allen gemocht wurde, ohne etwas dafür zu tun.
Was war denn an mir so anders?
Was stimmte nicht mit mir?
Wieso ging es mir immer so schlecht? Und warum ließ ich das andere immer sehen?
Da brauchte ich mich ja nicht wundern, dass mich niemand wirklich leiden konnte! Dass alle immer nur von mir genervt waren, überlegte ich und verzog mein Gesicht zu einem Lächeln, welches nicht bis zu den Augen reichte.
Warum konnte ich das nicht?
Wie schwer konnte das denn sein? Einfach mal ein Grinsen aufzusetzen?
Einfach mal einen auf glücklich zu machen?
Hübsch zu sein, dachte ich und sah im nächsten Moment, wie mir die Tränen in die Augen stiegen.
Ich ließ sie gewähren, beobachtete, wie sie nach und nach meine Augen füllten. Meine Gesichtszüge verschwammen und-
Ein Klopfen an der Tür.
"Süße?"
Leon.
"Alles in Ordnung?"
"Ja", rief ich gleich. Wischte mir mit den Händen durch die Augen und räusperte mich. "Einen Moment!"
Schnell beugte mich hinunter, klatschte mir mehrmals eine Handvoll kaltes Wasser ins Gesicht, trocknete mich ab und überprüfte dann noch mal mein Spiegelbild, bevor ich schließlich die Tür öffnete.
"Ich wollte nur wissen, ob's dir gut geht", sagte Leon, kam auf mich zu, nahm mich in den Arm und küsste mich. "Meine Schwester schläft jetzt."
"Okay", meinte ich.
Leon sah mich an. "Ist irgendwas?"
"Nein, alles gut."
"Sicher?"
"Ja." Erneut setzte ich ein Lächeln auf und hoffte dabei inständig, diesmal glaubwürdiger zu wirken, als noch gerade eben - oder zumindest weniger wie eine Gestörte dabei auszusehen. "Hab nur ein bisschen die Zeit vergessen."
"Okay..." Sanft fuhr Leon mir mit dem Daumen über die Wange, schien sich meine Worte dabei durch den Kopf gehen zu lassen. Schließlich gab er mir einen weiteren Kuss. "Dann lass uns jetzt mal schlafen gehen."

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