67. Ich habe damit nichts zu tun!

° Maria °

Stimmen. Viele verschiedene. Wie viele waren es genau? Und wo war ich? Noch bei Mehmet in der Wohnung?
Die eine Stimme, nah an meinem Ohr, gehörte zu Leon, die andere... das war seine Schwester, die kleine Hexe. Verdammt! Ich war bei Leon Zuhause! Warum... wie kam ich dahin?
Erinnerungsfetzen in meinem Kopf wie lose Blätter im Wind.
Schmerzen. In meinem Gesicht. Das Brennen zwischen meinen Beinen. Blut an meinen Fingern. Die Wut in den Augen meines Vaters.
Er steht hinterm Fenster, als er uns sieht. Leon und mich. Wir küssen uns.
Die Halskette um meinen Hals. Ein schönes Weihnachtsgeschenk. Noch schöner, als der warm leuchtende Holzstern vorm Fenster im Tankshop, darunter die hübsche Kerzenpyramide, umrahmt von Tannenzweigen, mit kleinen roten und goldenen Glaskugeln daran. Richard, der vor mir steht, meinen Kopf zu sich hochhebt.
Mich ansieht.
"Komm sag, hat Leon dich geschlagen?"
Ich öffnete die Augen.
"Na, ausgeschlafen, Süße?"
Leon sah mich an.
Ich erwiderte seinen Blick. "Wie spät ist es denn?"
Leon nahm sein Handy vom Tisch und warf einen Blick darauf.
"Kurz nach halb Fünf", sagte er dann.
Was, schon so spät, dachte ich, setzte mich auf und rieb mir die Augen. "Wie lange habe ich denn geschlafen?"
"Wann tust du denn mal was anderes?", gab Manuel zurück. Seine Stimme triefte nur so vor Missbilligung.
Ich unterdrückte einen Seufzer. War ja klar, dass der wieder was zu meckern hatte!
Aber er hatte ja recht damit. In letzter Zeit übertrieb ich es tatsächlich mit dem Schlafen. Während ich meine Augen nachts kaum zubekam, schien ich sie tagsüber nicht eine Minute länger offenhalten zu können als unbedingt nötig.
Da musste ich ja nur mal kurz zur Ruhe kommen und schon war ich weg. Ob ich wollte, oder nicht.
Und heute hatte ich es erst recht nicht darauf angelegt.
Ich hatte nur mal kurz die Augen zumachen wollen! Stattdessen hatte ich jetzt den halben Tag verschlafen! Erst die zwei Stunden heute Vormittag und dann gerade eben jetzt noch was weiß ich wie lange. Eine gute Stunde bestimmt.
Was sollte Leon da von mir denken? Und seine Eltern?
Was Manuel davon hielt, wusste ich ja schon so. Dafür musste ich ihn nicht erst ansehen.
"Alles gut, Mäuschen?" Eine andere Stimme, tiefer als die von Leon oder Manuel. Richard, dachte ich, wandte schnell den Kopf zur Seite und entdeckte ihn, wie er auf dem Sessel saß wie auf einen Thron, neben dem großen mit roten und goldenen Kugeln sowie kleinen Strohsternen geschmückten und von LED-Kerzen erleuchteten Weihnachtsbaum, eine Flasche Bier in der Hand.
"Ja... mir geht's gut", meinte ich, nahm ein Glas Orangensaft vom Tisch und leerte es in einem Zug.
"Ey, Doofe! Hast mein Saft getrinkt!", schimpfte Jasmin und warf mir einen bösen Blick zu.
"Oh... das.... tut mir leid, ich dachte-"
"Schon gut", fiel Leon mir ins Wort. "Sie verarscht dich nur!"
Er deutete auf den Tisch, rechts von ihm, da stand ein Glas mit einem Bild von Arielle darauf. "Das gehört ihr."
"Ach so", sagte ich und warf Leons Schwester einen kurzen Blick zu, welche ihr Gesicht daraufhin zu einem hämischen Grinsen verzog.
Dieses verfluchte kleine Biest!
"Hast du Lust, gleich mit uns spazieren zu gehen?", fragte Leon. "Dann können auch noch kurz zum Spielplatz."
"Schaukeln!", rief Jasmin.
"Ja... warum nicht?"
Was sollte ich dazu jetzt auch anderes sagen? Nein, danke, ich leg mich lieber noch etwas hin?
"Dann kriegst du auch noch ein bisschen frische Luft", meinte Leon. "Das ist gut für dich."
"Ja", sagte ich. Genau, als hätte ich da heute nicht schon genug von gehabt, dachte ich bitter und warf Leons Schwester noch einen kurzen Blick zu.
"Schaukeln!", wiederholte diese wieder und zog Leon am Arm, der hob sie daraufhin auf seinen Schoß und gab ihr einen Kuss.

°○°

Draußen fiel der Schnee in dicken Flocken vom Himmel und bedeckte alles mit einer luftig weißen Decke. Die Straße, welche Leon, Jasmin und ich entlangliefen, genauso wie die Häuser am Wegesrand und deren mit Bäumen und Büschen bewachsenen Vorgärten.
Wohin man hinsah, leuchtete es in den Fenstern der Häuser, hinter denen die Familien jetzt in festlicher Stimmung zusammen saßen, ihren bunt geschmückten Weihnachtsbaum betrachteten und sich auf die Bescherung freuten.
"Das sieht schön aus", meinte ich und deutete auf die Fenster eines Hauses, an dessen Fenster jeweils ein großer Holzstern warmes weißes Licht in die Dunkelheit aussandte, genauso wie die Lichterkette, welche um eine hohe Tanne im Vorgarten angebracht war.
"Ja, das finde ich an Weihnachten immer am besten", sagte Leon. "Abgesehen vom Glühweintrinken." Er zog mich etwas näher zu sich heran und legte mir einen Arm um die Hüften.
"Wollen wir Morgen vielleicht noch mal zum Weihnachtsmarkt?"
Ich zuckte mit den Achseln. "Können wir machen." Müssen wir aber auch nicht, fügte ich in Gedanken hinzu, hielt mir die kalten Hände vors Gesicht, hauchte hinein und begann dann zu husten.
"Aber ich muss auch noch meine Hausaufgaben machen."
"Ach was!"
"Sonst brauch ich mich bei Vater gar nicht erst wieder blicken zu lassen."
"Dieses verschissene Arschloch!", sagte Leon. "Der soll mal froh sein, wenn du überhaupt wieder zu ihm gehst, nachdem, was er mit dir abgezogen hat!"
Er holte eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche und zog sich eine heraus. "War ja auch nicht das erste Mal."
"Ja... na ja... Das war diesmal schon was anderes, also... dass er uns zusammen gesehen hat... das hat ihn schon richtig aufgeregt."
Daraufhin sagte Leon nichts, blickte nur stur geradeaus und atmete eine erste Wolke Zigarettenrauch aus.
"Könnte ich gleich mal kurz dein Handy benutzen?", fragte ich. "Ich muss Eddie anrufen."
"Wegen den Hausaufgaben?", wollte Leon wissen.
Ich nickte.
Leon seufzte. "Na schön!"
"Mein Handy hab ich ja Zuhause gelassen", meinte ich. "Sonst kann ich nachher auch noch zu ihm rüber laufen."
Leon schüttelte den Kopf. "Nachher ist es dunkel", entgegnete er. "Ruf Eddie an, mach mit ihm eine Zeit ab und dann bringe ich dich hin."
"Okay", sagte ich.
"Wann kommt der Spielplatz?", fragte Minchen.
"Wir sind gleich da", antwortete Leon. "Nur noch eine Straße weiter."
"Will schaukeln", meinte Minchen. "Schneller gehen!" Sie zog an Leons Arm, der holte sie gleich mit einem Ruck zu sich zurück.
"Wir laufen langsam!"
"Schneller!", protestierte Jasmin.
"Nein!", sagte Leon, da riss sich seine Schwester jäh von ihm los und fing an zu rennen. Weit kam sie nicht, da hatte Leon sie schon wieder eingeholt, an den Armen gepackt und grob zu sich herumgedreht.
"Sag mal, spinnst du?" Er ging vor sie in die Hocke und blickte sie streng an. "Wenn du mir noch einmal wegläufst, dann drehen wir sofort um und gehen wieder nach Hause!"
"Will schaukeln!"
"Hier fahren Autos, verdammt noch mal!", schimpfte Leon. "Da musst du aufpassen!"
Jasmin zog eine Grimasse. "Tschuldung."

°○°

"Alles gut?", fragte Leon und lehnte sich neben mich an die Wand des hölzernen Piratenschiffs, welches mit einem Kletternetz, einer Hängebrücke, mehreren kurzen und langen Leitern sowie einer hohen Rutsche versehen war, an der Minchen jetzt seit den letzten zehn Minuten immer wieder hinabgerutscht war.
"Du bist schon wieder so still."
"Mir geht's gut", antwortete ich. Wie oft werde ich das heute wohl noch sagen müssen, dachte ich.
Leon zog wieder die Schachtel Lucky Pins aus der Tasche seines Mantels, steckte sich eine neue Zigarette zwischen die Lippen und bot mir dann auch eine an.
Ich schüttelte den Kopf. "Nein, danke."
"Heute Nachmittag hast du doch noch gesagt, dass du mit dem Rauchen anfangen willst."
"Ja, irgendwann", sagte ich, hielt mir dann schnell die Hand vorm Mund und hustete, so heftig, dass mir dabei die Tränen in die Augen traten.
"Oh Mann, das klingt ja übel!", meinte Leon.
"Ja... tut mir leid." Ich senkte verlegen den Blick, dann begann ich vom Neuen zu husten.
"Hier." Leon hielt mir einen Streifen Kaugummi hin. "Das ist mit Menthol. Sollte helfen."
"Danke", sagte ich, nahm den Streifen, packte ihn aus und steckte ihn mir in den Mund.
"Will auch Kaumi haben!", sagte Minchen, der war das Ganze natürlich nicht entgangen.
Leon sah sie mit hochgezogenen Brauen an. "Wie fragt man vernünftig?"
"Darf ich bitte Kaumi haben?", fragte Minchen daraufhin und sah ihren Bruder mit einem derart lieben Ausdruck im Gesicht an, dass dieser zu Lachen begann und ich ebenfalls.
Leon zog einen weiteren Kaugummistreifen aus der Verpackung, wickelte ihn aus der Folie und reichte ihn Jasmin. "Hier, nimm!"
"Danke." Jasmin grinste breit, nahm den Kaugummi und steckte ihn sich in den Mund.
"Und jetzt schaukeln!", sagte sie dann und deutete zu den zwei Schaukeln, etwa fünfzig Meter links von ihr neben dem Sandkasten.
"Ja, geh ruhig!", sagte Leon, da lief Jasmin los, blieb unterwegs noch einmal stehen, sah über die Schulter zurück zu Leon und setzte ihren Weg dann fort.
"Ich glaube, sie möchte, dass du mitkommst", meinte ich.
"Soll sie warten", antwortete Leon und nahm dann noch einen Zug von seiner Zigarette. "Was machen wir jetzt Morgen?"
"Keine Ahnung", sagte ich mit belegter Stimme, hustete und räusperte mich dann. "Du hast doch gesagt, wir gehen zum Weihnachtsmarkt."
"Ja, nachmittags", meinte Leon. "Und was unternehmen wir abends? Hast du Lust auf Zoney?"
"Leon! Komm helfen!", rief Jasmin von der Schaukel rüber.
Leon ignorierte sie, sah stattdessen weiter mich an.
"Ja... na ja...", begann ich und zögerte dann. "Ich... hab nicht wirklich Lust, um ehrlich zu sein."
"Ach komm! Das wird bestimmt cool da."
Ja, genauso wie die letzten Male, dachte ich, sah wieder runter zu meinen Füßen, die steckten in einem Paar von Melanies hellblauen Sneakers mit silberweiß gestreiften Schnürsenkeln.
"Wir können ja auch erst mal zu Mehmet und dann gucken wir", schlug Leon vor.
"Ja."
"Leon!", rief Jasmin wieder.
Der Wind wehte jetzt schärfer und ließ meine mittlerweile vor Kälte geröteten Hände brennen. Ich hob sie ans Gesicht und hauchte mehrmals hinein, doch das machte es auch nicht wirklich besser.
"Ali hat das auch gerade vorgeschlagen."
"Oh... okay." Ich warf Leon einen kurzen Blick zu, der tippte etwas in sein Handy.
Ali wäre also auch wieder dabei. Dann würde der Abend sicher noch um einiges anstrengender werden, als sowieso schon. Dazu müsste Ali nur wieder einen seiner gemeinen fünf Minuten haben, in denen er entweder Leon oder mir einen fiesen Spruch reindrückte, nur um dann zu behaupten, dass das doch nur Spaß gewesen wäre.
"Leon, komm jetzt!", ertönte es wieder laut aus Richtung der Schaukeln.
"Ich kann gerade nicht!", antwortete Leon.
"Bitte helfen!" Jasmins Stimme hatte mittlerweile einen weinerlichen Klang angenommen. "Jetzt Schaukel schubsen!"
"Ich kann gerade nicht!", antwortete Leon wieder.
"Will jetzt Schaukel schubsen!"
"Frag doch Maria!"
"Nicht die Doofe!"
"Nenn sie nicht Doofe!"
"Mag nicht Doofe."
"Maria ist nicht doof!"
"Doch wohl doof!" Jasmin kam auf uns zu gerannt.
"Leon komm, bitte!", quengelte sie, sobald sie Leon erreicht hatte und begann ihn am Arm zu ziehen. "Jetzt los, schubsen!"
"Ich bin jetzt gerade am Rauchen", sagte Leon, der machte keinerlei Anstalten, sich von dem Griff seiner Schwester loszumachen, rührte sich dabei jedoch auch keinen Millimeter von der Stelle. "Warum fragst du nicht Maria? Die hilft dir bestimmt gerne", schlug Leon vor und sah mich an, ein amüsiertes Zucken um die Mundwinkel herum.
Er spielt mit ihr, dachte ich und spürte schon kurz darauf eine kleine Hand, die sich um meinen Arm legte und kräftig daran zu ziehen begann.
"Doofe, komm mit, helfen!", forderte Jasmin mich auf.
Ich biss mir auf die Unterlippe, reagierte aber nicht.
"So wird sie dir bestimmt nicht helfen", meinte Leon, nahm einen Zug von seiner Zigarette und schnippte die Asche von der Spitze.
"Lass sie mal los und frag sie nett!"
Jasmin stieß ein genervtes Knurren aus, ließ von mir ab und sah mich an. "Doofe, kommst du helfen, schubsen?"
Viel lieber würde ich dich mit dem Kopf voran in den nächsten Schneehaufen drücken, du freche Ziege, antwortete ich stumm, unterdrückte ein Seufzen und wollte dann mit Jasmin loslaufen, als diese meine Hand nahm und mich mit sich von Leon wegführen wollte, doch Leon hinderte mich daran. Packte mich am Arm, zog mich weg von seiner Schwester näher zu sich und legte mir seine Arme um die Hüften.
"Was glaubst du eigentlich?", fuhr er Jasmin an. "Wenn du so frech zu Maria bist, dann macht sie gar nichts für dich!" Er nickte zu den Schaukeln. "Sieh mal zu, wie du alleine klar kommst!"
"Will aber-"
"Los jetzt!"
Jasmin erwiderte wütend Leons Blick. Der legte mir die Haare über die Schulter nach vorne, gab mir einen sanften Kuss in die Halsbeuge und legte die Arme dann wieder fest von hinten um meine Hüften. Daraufhin verzog Jasmin das Gesicht, schien einen langen Moment lang die Luft anzuhalten, so dass ihr die Röte ins Gesicht stieg, begann schließlich zu weinen und rannte fort.
"Was stimmt eigentlich nicht mit dir?", fragte Leon, löste seine Umarmung und drehte mich zu ihm herum, kaum dass seine Schwester außer Hörweite war. "Du kannst sie doch nicht immer so mit dir reden lassen! Und dann läufst du ihr auch noch hinterher, wie so ein dummes Schaf!"
Ja, was soll ich denn machen, dachte ich. Hätte ich die kleine Hexe von mir wegstoßen sollen? Oder sie anschreien? Das hätte Leon doch auch nicht gepasst!
"So geht das nicht, Süße!"
Ich spürte Leons Blick auf mir und nickte beklommen. "Ja... ich weiß."
"Du musst echt mal selbstbewusster werden! Und nicht immer alles mit dir machen lassen!"
Das war gemein! Der hatte doch gar keine Ahnung!
Aber recht hat er trotzdem, leider, dachte ich und richtete die Augen an Leon vorbei zu den Schaukeln, neben denen Jasmin auf dem Boden kauerte, den Kopf in den Händen verborgen.
Das hat sie nun davon, immer so gemein zu sein, dachte ich, die soll ruhig mal merken, wie man sich dann fühlt!
Da konnte sie rumheulen, soviel sie wollte, das juckte mich kein bisschen! Und Leon scheinbar auch nicht.
Aber war das richtig? Immerhin war Jasmin sein Ein und Alles. Der mit Abstand wichtigste Mensch in seinem Leben, wenn ich das bisher richtig mitbekommen hatte.
Und jetzt hatte er sie zum Weinen gebracht. Wegen mir.
Und ich freute mich noch darüber! Das war doch lächerlich! Und noch viel gemeiner, als wenn sie mich Doofe nannte. Als ob sie da so Unrecht mit hatte! Es stimmte doch!
"Mach dir um Minchen mal keinen Kopf", sagte Leon, der war meinem Blick wohl gefolgt. "Die überlebt das schon. Da!" Er reichte mir ein Taschentuch "Willst du dir mal die Nase putzen?"
Ich reagierte nicht.
"Na komm, mach eben! Du atmest so doch nur noch durch den Mund", meinte Leon, schlug das Tuch auf und hielt es mit wieder hin, da nahm ich es und schnäuzte mich.
"Wollen wir jetzt mal darauf gehen?" Leon wies zu der Drehscheibe in der hintersten Ecke des Spielplatzes, zwischen Turnstange und Wippe.
"Das ist doch für Kinder", meinte ich.
"Ja und?"
"Kann auch sein, dass mir davon schlecht wird. Ich meine... ich hab sowas noch nie ausprobiert... am Ende muss ich noch kotzen."
"Ach was!" Leon grinste. "So ein bisschen Karussellfahren kannst du schon ab, Süße!"
Er streckte mir die Hand entgegen. "Komm schon!"
Einen Augenblick lang schaute ich auf seine Hand, dann in seine Augen. Schließlich seufzte ich. "Na gut."
Ich ergriff Leons Hand und lief dann hinter ihm her zur Drehscheibe.
"Das ist das Beste hier aufm Platz. Hab da früher schon immer meine Runden mit gedreht."
"So alt ist das schon?", fragte ich und hätte mich gleichzeitig am liebsten selber geohrfeigt. Wie konnte ich denn so eine Scheiße daherreden? Hoffentlich verstand Leon das jetzt nicht als Beleidigung!
Doch meine Sorge stellte sich als unbegründet heraus.
Leon schien meine Bemerkung witzig zu finden, lachte sogar darüber. "Was soll das denn heißen? So alt bin ich jetzt auch noch nicht!"
"Nein..." Ich räusperte mich. "Das stimmt."
"Komm, steig auf! Ich geb dir Anschwung."
"Aber bitte nicht so schnell", bat ich und stieg dann auf die kreisrunde mit schwarzem rutschfesten Gummi bespannte Plattform von etwa eineinhalb Metern Durchmesser.
"Keine Angst!", meinte Leon, beugte sich zu mir rüber und gab mir einen Kuss, bevor er die Eisenstange packte, welche die Plattform umfasste, anfing zu laufen und die Scheibe somit zum Drehen brachte. "Wenn's dir zu wild wird, sagst du einfach Bescheid. Dann bremse ich sofort ab."
"Okay", sagte ich, nicht wirklich überzeugt, hielt mich mit beiden Händen an der Eisenstange fest und schloss die Augen. Nicht sehr lange, da wurde mir komisch.
Aber sollte ich jetzt schon sagen, Stopp, es reicht? Wie erbärmlich wäre das? Nein, da riss ich mich lieber noch etwas zusammen. Leon hielt mich auch so schon für eine Memme. Hatte er gerade selbst gesagt.
Du musst echt mal selbstbewusster werden!
Wie stellte er sich das vor?
Als ob ich das einfach so werden könnte! Einfach nur irgendeinen Knopf drücken müsste! Einfach selbstbewusst sein, was hieß das überhaupt genau?
"Alles gut, Süße?", fragte Leon.
"Ja", log ich.
"Willst du noch schneller?"
Nein, dachte ich, bloß nicht schneller! Mir drehte sich so schon der Magen um!
Von wegen Karussellfahren! Mir kam das hier eher vor wie ein Schleudergang in der Waschmaschine.
Ich öffnete kurz die Augen und machte sie dann schnell wieder zu, nachdem meine Augen nicht mehr erkannt hatten, als ein schemenhaft bunter Wirbel im Licht der untergehenden Sonne.
"Wollen wir nochmal?", fragte Leon, nachdem die Scheibe endlich wieder zum Stillstand gekommen war. Er war zwischenzeitlich zu mir darauf gekommen, weswegen wir dann noch ein paar Extrarunden gedreht hatten.
"Nein, das... also.... Kann ich vielleicht erst mal eine Pause machen?"
"Klar." Leon sprang von der Scheibe herunter und bedeutete mir dann nachzukommen.
Ich atmete noch ein paar Mal tief durch, rutschte vorsichtig mit dem Hintern über die Plattform, und hielt mich dann schnell an der Eisenstange fest, als die Scheibe sich unter meinem Gewicht bewegte.
"Spring doch einfach runter!", sagte Leon, der beobachtete mich sichtlich belustigt dabei, wie ich mich die Hände immer noch fest um das Gerüst gepackt langsam daran entlang zu dessen Lücke vorarbeitete.
"Du machst da auch so einen Film von, meine Güte!"
"Ich bin eben nicht so sportlich wie du."
"Ja, das sehe ich wohl", meinte Leon und grinste. "Jetzt komm!" Er hielt mir seine Hand hin.
Ich ergriff sie und stieg dann vorsichtig von der Scheibe herunter.
"Alles klar, Süße?" Leon zog mich in seine Arme und strich mir die Haare aus dem Gesicht. "Ist dir schwindelig?"
"Ein bisschen", gab ich zu.
"War aber gut, oder?"
Ich antwortete nicht, da lachte Leon und küsste mich.
"Komm!" Er führte mich zu einer Bank nur wenige Meter weiter. "Hier, setz dich erst mal hin! Ich geh eben zu Minchen."
"Okay."
Ich sah Leon hinterher, der zu den Schaukeln lief, wo Jasmin immer noch auf dem Boden saß und mit dem Schnee spielte.
Leon hockte sich vor sie in den Schnee, begann mit ihr zu reden und sicher ging es bei ihrem Gespräch um mich. Zumindest nahm ich das an, da Leon zwischendurch mal mit dem Finger in meine Richtung deutete und seine Schwester mir daraufhin einen kurzen Blick zuwarf.
Hoffentlich schimpfte Leon nicht schon wieder mit ihr.
Ja, sie hatte sich mir gegenüber wie die letzte Zicke aufgeführt.
Aber trotzdem, ich wollte nicht, dass Leon mit seiner Schwester in Streit geriet - wegen mir.
An Jasmins Verhalten mir gegenüber würde das ohnehin nichts ändern.
Die war ja die ganze Zeit schon fies zu mir gewesen, während der wir uns jetzt schon kannten.
Ich hatte keine Ahnung, warum das so war. Hatte ich irgendetwas getan oder gesagt, was sie verletzt hatte, ohne es zu merken? Oder konnte sie mich einfach nur nicht leiden? Da wäre sie jetzt ja nicht die einzige.
Nach einer Weile schien das Gespräch zwischen den beiden beendet und Leon breitete seine Arme nach seiner Schwester aus. Diese zögerte zunächst, dann ließ sie sich von ihm in den Arm nehmen und küssen, bevor Leon aufstand und, Jasmin an der Hand haltend, zu mir lief.
"Und, geht's wieder besser?"
"Ja", sagte ich. Abgesehen von meinem Bauch, der fühlte sich mittlerweile so an, als brenne ein Feuer darin und mein Ohr tat auch schon wieder weh.
"Minchen hat dir was zu sagen", meinte Leon, zog seine Schwester vor sich und ging hinter ihr in die Knie. "Na los!", forderte Leon Jasmin auf, als sie nichts sagte, stattdessen die Arme vor der Brust verschränkte und die Lippen fest aufeinanderpresste. "Denk dran, was ich dir gesagt habe!"
"Ja!", murrte Jasmin und seufzte dann. "Tschuldung!"
"Ent-schul-di-gung Maria", flüsterte Leon ihr ins Ohr.
Jasmin verdrehte die Augen. "Eent-schuul-dii-guung Maariiaa", sprach sie ihm nach, schien dann noch etwas mit sich zu hadern und streckte mir dann die Hand entgegen.
Ich senkte den Blick.
"Süße.... jetzt komm schon!", sagte Leon.
Ich sah ihn an, dann seufzte ich.
So etwas albernes! Als ob damit jetzt alles anders wäre. War Jasmin doch mehr als deutlich anzusehen, dass sie sich nicht freiwillig bei mir entschuldigte! Leon hatte sie dazu überredet, wie auch immer er das angestellt hatte.
Wahrscheinlich hat er ihr irgendwas vom Weihnachtsmann erzählt, an den glaubt sie doch sicher noch, überlegte ich und nahm dann schließlich Jasmins Hand, woraufhin Leon zufrieden nickte.

° Manuel °

Sabine war an sich ja schon eine herausragende Köchin. Aber mit dem Essen heute Abend hatte sie sich quasi noch einmal selbst übertroffen.
Der Meinung schien selbst Vater zu sein, welcher diese zwar nicht äußerte, allerdings auch nicht das Gegenteil behauptete.
"Was ist los, Mäuschen?", fragte Vater, der hatte wie schon beim ersten Mal, wo Maria zum Abendessen eingeladen worden war, wieder darauf bestanden, dass Maria auf dem Stuhl rechts vom Kopfende direkt neben ihm saß. "Schmeckt dir das Essen nicht?"
"Doch", antwortete Maria. "Die Rouladen sind sehr lecker und die Kartoffeln... und alles." Wie um ihre Aussage zu belegen, schnitt sie ein Stück von der Roulade ab, spießte sie zusammen mit dem Gurkenstück aus dessen Mitte auf und steckte es sich in den Mund. Sie aß heute auffallend langsamer als sonst. Vielleicht war sie endlich mal vernünftig geworden und hatte verstanden, was für einen erbärmlichen Eindruck es auf andere machte, wenn sie das Essen immer derart in sich reinstopfte, als hätte sie seit Tagen nichts mehr bekommen. Manchmal war dem ja tatsächlich so. Manchmal, wenn sie ihm nicht gehorchen wollte, bestrafte Bente sie dadurch, dass er ihr das Essen verbot, oder... ja, zumindest einschränkte.
In solchen Fällen durfte sie dann höchstens mal einen Naturjoghurt pro Tag essen, eine halbe Schüssel voll Haferflocken mit warmer Milch oder einen Apfel.
Das fand ich schon ziemlich krass, diese Nummer. Aber trotzdem, wenn Bente sowas mit mir abziehen würde, da ließe ich mir das ja erst nicht anmerken, wenn ich Hunger hätte. Das hatte bei mir was mit Stolz zu tun.
"Möchtest du noch etwas Wasser?", fragte Vater und warf dann Sabine einen auffordernden Blick zu, welche sich gleich von ihrem Stuhl erhob, noch bevor Maria ihm überhaupt geantwortet hatte.
Daran sollte Maria sich mal ein Beispiel nehmen, der könnte man ja noch im Gehen die Schuhe besohlen!
"Danke", sagte Maria, als Sabine ihr Glas mit kaltem Wasser aus dem Krug befüllte, nahm es und trank gleich einen großen Schluck - größer, als sie auf einmal herunter bekommen konnte, weswegen ihr das überschüssige Wasser aus dem Mund heraus und am Kinn herunter lief.
Ich seufzte. "Was kannst du eigentlich?"
"Tut mir leid", sagte Maria schnell, nahm sich ihre Serviette und trocknete sich das Gesicht ab.
"Doofe kleckert wie Baby!"
"Jasmin!", riefen Leon und Vater gleichzeitig.
"Jetzt sei mal nett!", fügte Leon noch hinzu, legte Jasmin einen Arm um die Schultern, beugte sich zu ihr runter und senkte die Stimme. "Denk dran, sowas kriegt der Weihnachtsmann alles mit!"
Ich verdrehte die Augen. Wie albern konnte man sein?
"Komm, iss mal ein bisschen was von deinem Rotkohl!", sagte Leon.
"Mag nicht Kohl."
"Der ist ganz lecker mit Äpfeln drin", meinte Leon. "Du magst doch Äpfel."
"Apfel Kohl ihhbah!", erwiderte Jasmin, spießte sich ein Stück Kartoffel auf die Gabel und steckte sie sich in den Mund.
"Du wirst alles von deinem Teller essen!", sagte Vater. "Auch den Rotkohl!" Ein drohender Unterton lag in seiner Stimme.
"Nicht Kohl!", protestierte Jasmin. "Scherung machen jetzt!"
"Erst musst du den Teller leer essen, Minchen", flüsterte Leon ihr zu. "Sonst kommt der Weihnachtsmann nicht."
"Weihnachtsmann", wiederholte Minchen.
"Der kommt nur zu braven Kindern", meinte Leon, nahm Minchen die Gabel aus der Hand, schob ihr damit den Rotkohl in der Mitte des Tellers zusammen und gab sie ihr zurück. "Da, jetzt iss!"
Minchen zog eine Grimasse.
"Hör mal lieber auf deinen Bruder!", sagte Vater, nahm einen Schluck aus seiner Bierflasche, ohne die Augen dabei von ihr abzuwenden und setzte sie dann wieder auf die Tischplatte ab. "Oder willst du es heute wieder mal drauf anlegen?"
"Will Scherung machen", beharrte Minchen.
"Wir können gleich auch gerne mal in dein Zimmer gehen."
"Nicht ins Zimmer gehen!"
"Dann benimmst du dich jetzt und isst deinen Teller leer!"
"Nicht Tel-"
"Schluss jetzt!" Vaters Faust knallte auf den Tisch, so plötzlich, dass Maria neben ihm vor Schreck einen leichten Satz in die Luft machte. "Noch ein Mucks von dir, dann passiert hier gleich was!"
Die Stille, welche sich auf seine Worte hin über den Raum legte, war ohrenbetäubend. Die Spannung so dicht, dass man sich mit einem Messer eine Scheibe davon hätte abschneiden können.
Das einzige Geräusch war das Kratzen vom Besteck auf Geschirr, als ich mir noch ein Stück von meiner Roulade abschnitt.
Ich war der einzige, der noch aß.
Alle anderen im Raum hatten damit aufgehört, schienen wie erstarrt auf ihren Plätzen und schauten abwechselnd zu Minchen und zu Vater, welche einander anstarrten - Wut in den Augen von Vater, Trotz in denen von Minchen.
"Ich... tut mir leid... Darf ich bitte aufstehen... bitte... ich...", begann Maria, presste dann die Hand vor dem Mund, stand auf und eilte aus dem Raum.
Richard sah ihr hinterher, sichtlich bestürzt. "Was ist mit ihr?" Er sah mich an.
"Keine Ahnung." Ich zuckte die Achseln. "Vielleicht ist ihr ja schlecht, oder so."
"Dann geh doch mal und schau nach ihr!"
"Wieso? Die kommt schon gleich zurück", meinte ich und beobachtete dabei aus den Augenwinkeln Leon, der die Gelegenheit, in der Richard abgelenkt war, nutzte, sich mehrere Gabeln voll Rotkohl von Minchens Teller in den Mund stopfte, ihr als nächstes den letzten Rest davon auf die Gabel schob und ihr diese schließlich vor dem Mund hielt, welchen Minchen bereitwillig öffnete. "Will gerade wahrscheinlich sowieso lieber alleine sein."
Vater schien sich meine Worte einen Moment durch den Kopf gehen zu lassen, wobei ihm die Angelegenheit mit Minchen und dem Rotkohl überhaupt nicht mehr zu kümmern schien, dann nickte er. "Du musst es ja wissen."
"Gar nichts weiß er!", entgegnete Leon und stieß ein verächtliches Lachen aus. "Da könnte Maria auch tot umfallen und du würdest nichts davon mitkriegen, selbst wenn du danebenstehst."
"Laber doch keine Scheiße!"
"Es ist so!"
"Nein, das... natürlich fällt es mir auf, wenn es meiner Schwester nicht gut geht", verteidigte ich mich und ärgerte mich gleichzeitig darüber. Seit wann hatte ich es denn nötig, mich diesem Knallkopf gegenüber zu rechtfertigen? "Ich renn ihr dann nur nicht immer gleich hinterher, im Gegensatz zu dir."
"Ich renn ihr nicht immer hinterher!"
"Ja, jetzt vielleicht nicht."
"Maria kommt immer zu mir, wenn du und Rehberg-"
"Ich habe damit nichts zu tun!", brüllte ich Leon dazwischen, noch ehe der seinen Satz beenden konnte. Mein Herz begann schneller zu schlagen. Trieb mir die Hitze ins Gesicht.
Ich starrte Leon an. Dieser erwiderte meinen Blick, ein stummes Lachen auf den Lippen.
"Ich habe damit nichts zu tun", sagte ich wieder, ruhiger diesmal. "Und der ganze Stress immer, das... ist alles nur wegen Maria. Wenn die sich mal besser benehmen würde und nicht immer so... Die macht einen doch wahnsinnig! Auch diese Show, die sie jetzt wieder abzieht! Und du steigst da jedes Mal voll drauf ein!",
warf ich Leon vor. "Und du genauso!" Ich sah Vater an, der erwiderte schweigend den wüteten Blick, welchen ich ihm zuwarf, genauso wie Leon, nur ohne jegliche Spur von Häme in seinem Gesicht, stattdessen schien es wie versteinert.
Ich stand auf und lief zur Tür.
"Wo willst du hin?", wollte Vater wissen.
"Ich geh eine rauchen", gab ich zur Antwort und verließ den Raum, ohne mich noch mal zu ihm umzudrehen.

° Maria °

Ich hatte Sabine angeboten, ihr beim Abwasch zu helfen. Sie hatte mir leid getan mit den Bergen von dreckigen Töpfen, Tellern und Gläsern auf der Arbeitsplatte, wobei sie noch nicht mal einen Geschirrspüler hatte, der ihr wenigstens einen Teil der Arbeit hätte abnehmen können. Doch Richard hatte darauf bestanden, dass ich als ihr Gast keinen Finger rührte und ganz davon abgesehen hatte ich auch nicht den Eindruck gehabt, dass Sabine meine Hilfe wirklich gewollt hatte.
"Ihr könnt reinkommen!", rief Leon von der anderen Seite der Tür, hinter der Jasmin und ich nun schon mehrere Minuten lang gewartet hatten.
Mir war es wie eine Ewigkeit vorgekommen, mir da die Beine in den Bauch zu stehen und gleichzeitig so zu tun, als wäre Leons Schwester gar nicht da, während sie mich ebenfalls ignorierte.
Seit der albernen Inszenierung auf dem Spielplatz schienen wir so eine Art Waffenstillstand geschlossen zu haben, zumindest fürs Erste.
Genauso wie ich tat Jasmin das jedoch garantiert nur Leon zu Gefallen und ganz sicher nicht, weil sie jetzt auf einmal beschlossen hatte, ein nettes Mädchen zu sein.
An sich schien das ja auch niemand von ihr zu verlangen.
Zumindest ihrem Verhalten nach zu urteilen durfte Jasmin grundsätzlich tun und lassen, was sie wollte, ohne dass irgendjemand ihr dabei Grenzen setzte.
Jasmin musste nicht lieb sein.
Von mir hingegen erwartete das jeder. Ich musste immer lieb sein. Immer alles tun, was man mir auftrug, ohne Widerworte zu geben.
"Scherung!", schrie Jasmin.
"Bee-scherung", verbesserte Leon sie, dann wandte er sich an mich. "Was stehst du da rum, Süße? Komm rein!"
Ich war hinter Jasmin zurück geblieben, nachdem diese auf Leons Geheiß hin gleich die Tür aufgerissen hatte und in ihr Zimmer gestürmt war, und stand mit vor der Brust verschränkten Armen in der Tür.
"Jetzt komm!"
Einen Moment zögerte ich noch, dann betrat ich Jasmins Zimmer.
Es war typisch mädchenhaft - fast schon kitschig - eingerichtet, mit rosafarbenen Wänden und weiß gestrichenen Möbeln darin, bestehend aus einem Kleiderschrank, einem Bett, einem niedlichen roten Ledersessel vor einem kleinen runden Tisch, einem Bücherregal und einem Stapel Plastikboxen in der Ecke neben dem Fenster, in denen offenbar Spielsachen aufbewahrt wurden. In der Sitzecke waren mehrere Poster an die Wand gehängt worden, hauptsächlich welche mit Arielle, der kleinen Meerjungfrau darauf, und hier und da klebten bunte Sticker von Einhörnern und Elfen an den Möbeln.
Jasmin hatte sich bereits neben Leon auf dem Boden gesetzt.
Vor ihnen stand ein etwa ein Meter hoher mit einer grauen Wolldecke verhüllter Berg.
"Setz dich!" Leon zog mich leicht am Arm, da setzte ich mich mit angezogenen Beinen neben ihm auf den hellen weichen Teppichboden.
"Jetzt kannst du gucken", sagte Leon.
Jasmin zog die Decke weg, woraufhin ein Barbie-Haus zum Vorschein kam, dreistöckig mit pastellrosa Wänden, pinkem Dach und farblich dazu passenden Fensterrahmen.
"Babie-Haus!", rief sie begeistert, als ihr Gesicht sich im selben Moment zu einem breiten Lächeln verzog und ihre Augen zu leuchten begannen.
Leon erwiderte ihr Lächeln.
"Ist es das, was du wolltest?", fragte er.
"Das genau", sagte Jasmin, fiel Leon um den Hals und gab ihm einen Kuss.

°○°

"Könnte ich jetzt mal mit Eddie telefonieren?", fragte ich, als Leon und ich wenige Minuten später in seinem Zimmer nebeneinander auf der Matratze saßen.
Jasmin war immer noch in ihrem Zimmer und würde dort noch einige Zeit lang ihr Weihnachtsgeschenk einweihen, solange bis Leon wieder zu ihr kommen und sie ins Bett bringen würde.
"Ich muss das ja noch mit ihm besprechen... wegen den Hausaufgaben."
Leon verdrehte die Augen. "Jetzt vergiss das doch endlich mal!"
"Ich muss das aber ja alles fertig machen."
"Es ist Weihnachten!"
"Ja, trotzdem, mein-"
"Und außerdem bist du immer noch krank."
"Das bin ich doch schon länger."
"Eben", sagte Leon. "Da brauchst du Ruhe."
Er sah an mir herunter. "Was ist mit den Bauchschmerzen?"
Die sind noch da, dachte ich, sagte es aber nicht, wechselte stattdessen wieder das Thema.
"Bekomme ich das Handy nun, oder nicht?"
"Ist dir noch übel?"
Ich schüttelte den Kopf.
Nein, die Übelkeit war, nachdem ich das Abendessen vorhin in die Toilette erbrochen hatte, genauso schnell wieder verschwunden, wie sie gekommen war. Genauso schnell, wie sie wiederkommen würde, fügte ich meinen Gedanken noch hinzu, ohne es zu wollen.
"Aber es tut noch weh", meinte Leon.
"Nein", sagte ich.
"Doch, tut es. Meinst du, das seh ich nicht?"
Leon nahm meine Hände, welche ich vor meinem Bauch geschlungen hatte, in seine, hob sie an seinen Mund und küsste sie. "Wir warten mal ab, wie es Morgen ist. Und wenn es dir bis dahin wieder besser geht, können wir immer noch gucken, wegen deinen Hausaufgaben", sagte er, wobei er das letzte Wort mit seinen Fingern in Anführungszeichen setzte.

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