16. Mach dir da mal keinen Kopf!

°○ Leon ○°

"Heute gibt es mal Training unter realen Bedingungen", sagte Günther statt einer Begrüßung, als wir beim Sportplatz ankamen.
Mit realen Bedingungen meinte er wohl, dass es in Strömen regnete und unsere Trikots auf dem nur knapp hundert Meter langen Weg von der Turnhalle zum Fußballplatz bereits völlig durchgeweicht und die Schuhe so nass waren, dass man schon meinte, man würde darin schwimmen.
Ohne eine Aufforderung von Günther abzuwarten, stellten wir uns schnell zu einem Kreis zusammen. Nur Eddie schlich noch einen peinlich langen Moment um die Gruppe herum, ohne dass ihn jemand ihm Platz machte, solange, bis Günther dann der Kragen platzte.
"Alle auseinander!", brüllte er und übertönte dabei deutlich den Regen, welcher laut auf die Überdachung der Zuschauertribüne prasselte.
Die Mannschaft wich sofort wieder auseinander, der Kreis löste sich auf.
"Seid ihr eine Mannschaft, oder nicht?"
Alle nickten.
Günther lief langsam über den Platz und sah dabei jeden von uns der Reihe nach an. "Wenn das so ist, dann erwarte ich auch, dass ihr es schafft, euch wie eine Mannschaft zu benehmen. Und Leon..." Nun blieb sein Blick blieb an mir hängen. "Als Teamkapitän trägst du dabei noch eine besondere Verantwortung. Ich hoffe, dessen bist du dir bewusst."
Ich nickte und bemühte mich, mir meine Wut über Günthers Worte dabei nicht anmerken zu lassen. Was glaubte er denn? Dass ich Eddie an die Hand nahm und alle dazu überredete, nett zu ihm zu sein? Sollte der doch selber gucken, wie er klarkam! War jetzt ja nicht so, dass ihn jemand dazu zwang, hier mitzumachen!
"Gut, dann also noch mal von vorne!", sagte Günther und sah auf seine Uhr.
Wir stellten uns erneut im Kreis auf Genauso wie ich es vorher gesehen hatte, fand Eddie auch diesmal keinen Platz darin. Stattdessen drehte er wieder seine Runden und machte dabei den deutlichen Eindruck auf mich, dass er es genoss, das Training auf diese Art bestimmen zu können. Er war mal wieder in seiner Paraderolle: Der arme kleine Eddie, den niemand mitspielen lassen wollte.
Ich wartete noch eine Runde ab und zerrte Eddie dann, als er an mir vorbeikam, neben mich in den Kreis. Günther nickte mir zu. Der hatte das alles natürlich genau beobachtet, überlegte ich, und dabei wohl besonders nach meinem Verhalten geguckt, von wegen besondere Verantwortung!
"Glaub mal ja nicht, das du hier immer deinen Extra-Auftritt kriegst!", flüsterte ich Eddie ins Ohr, der tat so, als hörte er mich nicht.
"Alles klar, Jungs! Dann holt sich jetzt erst einmal jeder einen Fußball!", sagte Günther, holte seinen Schlüsselbund aus der Tasche und warf ihn mir zu. Ich fing ihn auf und lief mit den anderen zum Geräteschuppen, in dem die Kiste mit den Bällen stand.
"Wo hast du denn deine Groupies gelassen?", fragte Mehmet mich, als ich begann an jedem einen Ball auszuteilen.
"Bei dem Wetter bleiben die wohl lieber Zuhause", meinte ich und tatsächlich war ich ganz froh darüber, Julia und ihre Freundinnen heute mal nicht dabei zu haben. Mit ihrem ständigen Gelaber von wegen was tust du heute, wo bist du Morgen, wollen wir dies und wollen wir das ging die mir ganz schön auf den Sack. Ich nahm den ersten Ball aus dem Korb. Der sah bereits ziemlich mitgenommen aus mit etlichen hässlichen Kratzern am Leder, aufgeplatzten Nähten und Luft saß auch kaum noch drin.
"Hier Eddie, fang!" Ich warf den Ball Eddie zu, der sich im Gegensatz zu den meisten aus der Mannschaft nicht vorzudrängeln versuchte, um einen der besseren Bälle abzubekommen. Sollte ihm ja auch mittlerweile klar sein, dass er von mir niemals einen von denen bekommen würde, ganz egal wie weit nach vorne er sich hinstellte.
Zuerst sollten wir jeder mit unserem Ball über den Platz laufen, danach wieder gemeinsam im Kreis stehen und unsere Bälle immer nur hin und her dribbeln, vom linken hin zum rechten Fuß. Alles zum warm werden, sagte Günther, und um Gefühl für den Ball zu entwickeln. Was auch immer! Für mich war das alles nur albernes Rumgehopse, bis wir endlich mit dem Spielen anfangen konnten.
Jedoch heute schien sich das Aufwärmen heute besonders lange hinzuziehen, denn nachdem Günther uns noch fünf Runden um den Sportplatz gescheucht hatte, sollten wir jetzt noch den Doppelpass üben.
"Ihr übt jeweils zu zweit zusammen. Oder zu dritt, wenn es nicht anders geht", sagte Günther.
Mehmet und ich wechselten einen Blick und Ali stellte sich noch etwas näher zu uns. Auch bei den anderen aus der Mannschaft schien die Frage der Gruppenbildung schon geklärt, noch bevor Günther fertig gesprochen hatte.
Es gab ja auch eigentlich immer die gleichen Gruppen. Mehmet, ich und Ali waren schon mal eine. Dann gab es noch die Zwillinge, Holger und Roland. Roman und Simon, die beide jeweils gut zwei Meter groß waren, spielten auch immer zusammen, genauso wie Berndt und Oleg, die beide in der achten Klasse und damit die Jüngsten in der Mannschaft waren oder Keno und Nadim, unsere beiden Schwergewichte.
"Wer fängt an?", fragte Mehmet, während ich zwei orangefarbene Hütchen auf dem Boden vor uns hinstellte, um damit das Tor zu markieren.
"Macht ihr ruhig zuerst", meinte ich und wollte gerade noch hinzufügen, dass solche albernen Übungen sowieso nichts für mich waren und Günther meiner Ansicht nach am besten gleich zum Spiel übergehen sollte, unterbrach mich dann jedoch, als mir jemand auf die Schulter tippte. Ich drehte mich um.
Eddie stand hinter mir.
"Fass mich noch einmal an und ich breche dir die Finger!", schnauzte ich ihn an und bemerkte zufrieden, wie meine Worte Eddie einen Schritt vor mir zurückweichen ließen "Was willst du?"
Eddie zögerte. "Ich soll die Übung mit dir machen", sagte er dann.
"Ich übe schon mit Mehmet und Ali."
"Wir sollen zusammen üben", sagte Eddie und schaute hinter sich. Ich folgte seinem Blick und sah dann direkt in Günthers Richtung, der nur wenige Meter von uns entfernt stand und mir kaum merklich zunickte.
Ich senkte den Blick. "Na schön", knurrte ich dann und wandte mich an Mehmet und Ali. "Tut mir leid. Muss wohl heute den Babysitter spielen." Ich packte Eddie am Ärmel und zog ihn mit mir. "Komm!"
Das hatte Günther sich ja toll überlegt! Da holte er uns den letzten Deppen in die Mannschaft und ich musste dafür büßen!
"Du gehst ins Tor!", sagte ich, ging in den Geräteschuppen, holte dort zwei Hütchen heraus und drückte sie Eddie in die Arme, so heftig, dass er einige Schritte vor mir zurücktaumelte. "Da! Glaub mal nicht, dass ich dir auch noch alles hinterhertrage!"
Als ob es nicht schon genug der Folter war, dass Rehberg mich dazu zwang, im Unterricht neben Eddie zu sitzen. Jetzt hing er mir auch noch beim Training ständig an der Backe!

°○ Maria ○°

Seit seinem Ausraster vor ein paar Tagen wollte Vater jetzt immer wissen, wo ich war. Er rief Zuhause an, wenn ich da sein sollte und auf meinem Handy, wenn ich unterwegs war. Fragte, wo ich gerade war, was ich machte und wer bei mir war.
Auch als ich gestern bei Frau Merker gearbeitet hatte, hatte er angerufen. Ich hatte ihm etwas von einem Treffen bei einer Freundin erzählt und er schien es mir geglaubt zu haben. Vielleicht wollte er es auch einfach nur glauben. Das müsste ihm doch klar sein, dass ich in Wahrheit gar keine Freunde hatte! Gerade er hielt mir doch immer vor, was für einen schlechten Eindruck ich immer machte! Wie wenig Klasse ich besaß, in meiner Kleidung, meinen Bewegungen oder meiner Art zu sprechen. Wie ungeschickt ich war. Wie der letzte Trampel. Und dass ich mich nie genug anstrengte, weder in der Schule noch sonst irgendwo.
"Das Prinzip von Redoxreaktionen hast du jetzt verstanden, oder?", fragte Eddie mich.
Bei uns beiden fiel die dritte Stunde aus und da hatten wir uns spontan zu einer Nachhilfe-Stunde in der Bibliothek verabredet.
"Ja, also der eine Stoff gibt Sauerstoff ab und der andere nimmt ihn auf."
"Richtig." Eddie lächelte, nahm dann seinen Kugelschreiber und schrieb etwas auf den Zettel. Ich sah hin an und seufzte.
"Ach was, das mit den Formeln ist leichter, als es aussieht", sagte Eddie.
"Das bezweifle ich."
"Guck mal, hier steht-"
"Süße, da steckst du ja!" Leon kam um die Ecke und grinste breit, als er uns sah. "Ich störe euch doch nicht bei eurem Date?" Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ er sich auf dem Stuhl neben mir fallen und legte mir einen Arm um die Schultern.
"Hat Melanie dir schon gesagt, wann wir uns Morgen treffen?"
"Äh, nee... also-"
"Wir wollen uns jetzt auf jeden Fall schon früher treffen, schon so gegen sieben."
"Okay, ja... Das ist ja nett. Aber..."
"Was denn?"
"Ja, weißt du... ich glaube, ich komm da lieber nicht."
"Wieso?"
"Ja, weil... na ja... du hast ja mitbekommen, was bei der letzten Party passiert ist und... sowieso, Vater hat mich im Moment ziemlich auf dem Kiecker."
"Heißt?"
"Ja, er will halt immer wissen, wo ich bin."
"Dann sag ihm, du bist bei einer Freundin. Hat doch das letzte Mal auch wunderbar geklappt. Weißt du nicht mehr?"
"Ja, schon."
"Das kriegen wir hin. Mach dir da mal keinen Kopf!"
"Okay." Ich seufzte. Leon hatte gut reden! Der hatte sich ja auch nicht das letzte Mal in die Bewusstlosigkeit gesoffen. Aber was sollte ich da jetzt noch weiter reden?
"Braucht ihr denn noch lange mit eurem... Kram hier?", fragte Leon und nickte zu dem Buch und der Ansammlung vollgeschriebener Zettel auf dem Tisch.
"Schon noch etwas", sagte ich und lächelte Eddie zu, der erwiderte es.
"Du kannst ihr doch auch einfach ein paar Spicker fertig schreiben", sagte Leon an Eddie gerichtet, als ob er dessen Anwesenheit nicht länger ignorieren konnte. Seine Stimme war jetzt hörbar abgekühlt.
Eddie sagte nichts, erwiderte nur Leons Blick. In seinen Augen lag etwas Dunkles, das hatte ich so noch nie bei ihm gesehen. Es schien überhaupt nicht zu ihm zu passen, war deswegen aber nicht weniger deutlich.
"Er muss mir die Sachen aber ja auch erklären", durchbrach ich das angespannte Schweigen, welches sich am Tisch ausgebreitet hatte. "Lesen kann ich es auch im Buch."
"Ja, okay", sagte Leon, sah erst mich und dann wieder Eddie an, der seinen Blick wieder nur festhielt, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Immer noch schien er Leon mit seinen Augen durchbohren zu wollen, doch der schien das gar nicht zu bemerken, oder es interessierte ihn nicht.
"Wenn du soweit bist, kannst du ja noch in die Cafeteria kommen." Leon schaute nun wieder zu mir.
Ich lächelte. "Ja... ich guck mal."
"Gut." Leon erwiderte mein Lächeln, nahm dann meine Hand, führte sie an seine Lippen und drückte einen sanften Kuss darauf.
"Ja dann...", sagte er und stand auf. "Viel Spaß noch!" Er zwinkerte mir zu, dann verließ er die Bibliothek.

°○ Leon ○°

Zwischen Richard und Sabine hatte es mal wieder gekracht, diesmal noch bevor das Abendessen überhaupt auf dem Tisch gestanden hatte. Frau Epel hatte bei uns angerufen, die Leitung aus Minchens Kindergarten. Sie mache sich Sorgen, weil Minchen auffällig oft kränkelte und bei den anderen Kindern aneckte. Darüber würde sie gerne mit beiden Eltern sprechen, hatte sie gemeint. Da war Richard an die Decke gegangen. Was der Schnepfe einfalle, ihn in so etwas mit reinzuziehen. Kindererziehung sei doch Frauensache und dann sollte Sabine besser mal sehen, dass sie endlich ihre Arbeit machte.
Sabine hatte darauf nichts erwidert, aber es war ihr deutlich anzusehen gewesen, dass sie in der Sache eine andere Meinung hatte.
Beim Abendessen wollte Minchen dann später nichts haben, nicht mal einen Löffel voll. Weder Sabine konnte sie dazu überreden, noch Richard - wobei Überreden bei ihm Anbrüllen bedeutete.
"Was ist denn los, Schätzchen? Du magst doch normalerweise Kartoffelauflauf", sagte Sabine und strich Minchen eine Strähne aus ihrem mittlerweile rot verheultem Gesicht.
"Lass sie, dann bekommt sie eben nichts zu essen. Irgendwann kriegt sie von alleine Hunger." Er wandte sich an Minchen, beugte sich dabei weit über den Tisch. "Nicht wahr, Kleine? Hast du überhaupt eine SCHEIß AHNUNG DAVON, wie sehr ich mich den ganzen Tag abrackern muss, um solchen UNDANKBAREN GÖREN wie euch etwas Anständiges auf den Tisch zu bringen? Das-"
"Bitte, Ri-"
"UNTERBRICH MICH NICHT!", fuhr Richard Sabine an, die hob instinktiv die Hände ans Gesicht, während Minchen den Augenblick nutzte blitzschnell vom Stuhl aufsprang und aus der Küche rannte. Richard sah ihr nach, schien im ersten Moment kurz davor, ihr hinterher zu setzen, entschied sich dann aber für's Essen, nahm die Gabel in die Hand und stopfte sich eine große Ladung Kartoffeln in den Mund. "Darum kümmere ich mich später."
"Aber sie hat doch-", entgegnete ich und hätte ich vorher noch mal drüber nachgedacht, hätte ich wohl besser den Mund gehalten. Aber es ging immerhin um meine Schwester, da lag die Sache noch etwas anders.
Richard schaute zu mir herüber, hatte dabei ungefähr den gleichen Blick drauf, den man einer dicken schwarzen Spinne zuwarf, wenn man sie nachts heimlich über den Boden huschen sah. "War ja klar, dass du dich da mal wieder einmischen musst, sobald es um dein kleines Schwesterchen geht." Eine weitere Portion Kartoffeln landete in seinem Mund, er ließ sich damit Zeit, hatte die Augen dabei unverwandt auf mich gerichtet. Ich erwiderte seinen Blick, blieb jetzt aber stumm.
"Aber weißt du, wie ich mich in MEINEM Haus um MEINE Probleme kümmere, da geht dich gar nichts von an."
Er machte eine Pause, doch ich hielt weiter den Mund. Ich wollte ihn schließlich nicht gegen mich aufbringen, gerade jetzt nicht, wo er ohnehin schon geladen war. Wo ein kleiner Fehler schon ausreichen und Richard an die Decke gehen konnte, ohne Rücksicht auf Verluste. Nein, in solchen Momenten legte ich mich besser nicht mit ihm an. Es sei denn, es ging um Minchen. Ja, da lag die Sache eben noch etwas anders.
"Und wenn ich dem kleinen Prinzesschen da oben gleich zeigen muss, wo es lang geht, dann werde ich das auch tun."
Noch eine Gabel voll.
"Und ob ich dafür meine Hände gebrauche, einen Stock oder irgendetwas, das hat dich nicht zu interessieren, GANZ EINFACH."
Ich nickte. Ja, verdammt einfach! Sollte er auch nur einmal die Hand gegen Minchen erheben, dann könnte ich für nichts garantieren. Dann würde ich mich nicht so einfach zurückhalten, so wie sonst immer, wenn er mich drankriegte, frei nach dem Motto Augen zu und durch. Nein, dann würde Richard sich noch wundern.
Ich hatte Minchen später noch dazu überredet, eine Banane zu essen und sie dann ins Bett gebracht. Sie hatte noch etwas geweint wegen der Sache beim Abendessen und beinahe hätte ich sie dann bei mir im Bett schlafen lassen und dafür die Feier bei Mehmet abgesagt. Aber dann hatte Sabine schon ihren Kopf hingehalten, gerade als ich Minchen das Märchen von Frau Holle vorgelesen hatte. Es war laut gewesen mit viel Geschrei und zwischendurch war auch mal was zu Bruch gegangen.
Minchen hatte sich natürlich Sorgen gemacht und ich war schon froh darüber gewesen, dass sie nicht verstanden hatte, dass ihre Mutter sich da unten gerade hauptsächlich deswegen von Richard verprügeln ließ, damit er dafür keine Hand an sie legte. Für mich hatte Sabine so etwas nie getan, aber immerhin tat sie es jetzt für Minchen, das war ja schon mal was.
Und ihr Plan ging auf, auch wenn sie dafür ziemlich viel einstecken musste - ein Auge, das am nächsten Tag sicher zugeschwollen sein würde, ein Arm, der mindestens gestaucht, wenn nicht sogar angebrochen war und mit Sicherheit auch etliche blaue Flecken. Aber immerhin, nach diesem Intermezzo hatte Richard sich mit seinem Bier vor den Fernseher gepflanzt, ganz so, als hätte er Minchen und die Lektion, die er ihr erteilen wollte, völlig vergessen. Nach wenigen Minuten war er eingeschlafen, zusammengerollt in seinem Sessel mit der Fernbedienung im Schoß. Ich hatte ihn einen Moment betrachtet, aus sicherer Entfernung, überlegt, was ich jetzt tun sollte. Konnte ich Minchen jetzt einfach so alleine lassen und zu Mehmet fahren? In diesem Zustand würde Richard erst mal keine Gefahr darstellen, zumindest nicht innerhalb der nächsten Stunden. Und wenn ich Morgen Vormittag zum Frühstück wieder da wäre - und was war, wenn es doch anders kam? Wenn Richard jetzt gleich die Augen aufschlug, dann hoch lief in Minchens Zimmer... und ob ich dafür meine Hände gebrauche, einen Stock oder irgendetwas...
Dann wäre ich nicht da, könnte Minchen nicht vor ihm beschützen. Sollte ich Mehmet besser absagen und Zuhause bleiben? Nein, heute Nacht würde schon nichts mehr passieren. Gegen Mitternacht - etwa zu dem Zeitpunkt, in dem Sabine die zweite Portion Wundcreme auf ihre Wunden verteilt, noch eine Schmerztablette und dazu etwas zum Schlafen genommen und sich schließlich ins Bett gelegt hätte, würde Richard aufwachen, nach einem Blick auf die Uhr, direkt ins Badezimmer und dann ins Bett gehen. So war es immer, soweit ich es mitbekommen hatte. Lediglich in den Nächten, in denen er mich zum Schlafen in die kalte Werkstatt verbannte und dort auf dem ausgesessenen Sofa vorm Büro schlafen ließ, da schaute er vorm Schlafengehen grundsätzlich noch einmal nach dem Rechten. Schloss mir noch einmal die Toilette auf, in der ich dann pinkeln und mir den Mund behelfsmäßig mit Wasser ausspülen konnte.
Meistens forderte er mich bei der Gelegenheit auch noch dazu auf, einen eingehenden Blick in den Spiegel zu werfen. "Da, schau dich an! Schau dich genau an!" Mehr sagte er dann nicht.
Ich wusste aber auch so, was er damit meinte.
"... , dann kümmere ich mich schon mal um den Grill", sagte Mehmet und riss mich damit aus meinen Gedanken.
"Was?", fragte ich, da verpasste Mehmet mir mit der Hand eine gegen den Hinterkopf.
"Wie wäre es mal mit Zuhören?" Er wies zur Ausgangstür. "Im Keller stehen die Bierkisten. Schaffst du die her?"
Unten im Treppenhaus traf ich auf Maria.
"Oh, hi Süße!"
"Willst du gerade weg?"
"Nein, nur was in die Wohnung rauftragen. Du kannst mir helfen."
"Ja, gerne", meinte Maria und folgte mir in den Keller. "Wer ist denn schon alles da?"
"Noch nicht so viele. Ali und Melanie, aber die wohnt ja schon quasi hier."
"Kommt Julia denn auch?"
"Hat sie zumindest gesagt.", antwortete ich. "Sie wollte auch ihre Freundinnen mitbringen." Ich sah Maria an, die wich meinem Blick aus. "Du kannst dich ja an Melanie halten. Und an mich."
"Ja", meinte Maria und stieg dann hinter mir die Treppe herunter, die vom Erdgeschoss ins Kellergewölbe führte. "Und diesmal bleib ich dann auch besser nüchtern."
"Ach was", entgegnete ich und strich ihr durch die Haare, bevor ich die Kellertür aufschloss "Ein paar Bier sind wohl bei dir drin. Du darfst dich nur nicht abfüllen lassen." Ich hielt Maria die Tür auf und sie schlüpfte mit eingezogenem Kopf hindurch. Dann sah sie sich um.
"Unheimlich hier unten." Sie fröstelte, da nahm ich sie von hinten in die Arme. "Ich pass schon auf dich auf."
"Na, da hab ich ja Glück." Sie lachte, blieb dabei aber seltsam steif in meiner Umarmung, so dass ich mir nicht sicher war, ob sie meine Nähe mochte, oder sich nicht doch eher an einen anderen Ort wünschte.

°○ Maria ○°

"Hey, pass doch auf!", fuhr Monika mich an und drängte sich an mir vorbei zum Wohnzimmer.
"Entschuldige", murmelte ich und drückte mich noch etwas enger an die Wand hinter mir. Zu viele Menschen auf zu wenig Raum. Und ich mittendrin.
Wie war das schon wieder passiert?
"Entschuldigung", sagte ein Junge - der war in Leons Klasse, glaubte ich - , hielt in einer Hand einen Teller, beladen mit Bratwurst und Nudelsalat, und schob mich mit der freien Hand ein wenig zur Seite, um an mir vorbei ins Wohnzimmer zu kommen. Da mussten sie sich im Moment ja wohl stapeln, wenn es hier schon so eng war. Leon hatte ich schon seit einer ganzen Weile nicht mehr gesehen. Der war wahrscheinlich gerade bei Julia und... keine Ahnung... tat wohl, was man so tat, wenn man mit jemanden zusammen war. Was wusste ich denn schon? Ich war mit niemandem zusammen und mit Leon schon mal gar nicht. Wie hatte ich da auch erwarten können, dass er mir den ganzen Abend über Gesellschaft leistete, sich mit mir unterhielt, am besten noch Händchen hielt? Ja genau, so sah ich aus!
Und nun stand ich hier und Leon - ach was, der hatte mich doch sowieso nur aus Mitleid gefragt, ob ich heute kommen würde! Wie konnte ich da denn auch so blöd sein und denken, er wollte mich tatsächlich dabeihaben? Und dann noch die Einladung annehmen! Um letztendlich nur dumm rumzustehen und zu glotzen - ja, etwas anderes als rumstehen und glotzen hatte ich bisher jedenfalls noch nicht gemacht. Und wenn das jetzt die allgemeine Definition von Feiern sein sollte, dann könnte ich da in Zukunft auch komplett drauf pfeifen. Dann blieb ich eben Zuhause in meinem langweiligen Zimmer und hörte mir langweilige Lieder im Radio an.
Ich hatte Durst. Das letzte Mal hatte ich vor einer Stunde mal was getrunken - ein Glas Cola. Das hatte Leon mir gegeben, nachdem ich ihn endlich davon hatte überzeugen können, dass ich wirklich kein Bier haben wollte. Ich könnte mir noch eine Cola holen, wenn ich Lust dazu hätte, mich durch das dichte Gedränge im Flur in die Küche zu quälen und wer weiß, wie viel Platz mir da bleiben würde. Die Luft schien ja hier schon enger zu werden, je länger ich hier auf einer Stelle stand. Wie spät war es? Ich hatte keine Ahnung, da müsste ich jetzt schon ins Wohnzimmer, da hing meine Jacke vorhin noch über dem Sofa, mit dem Handy darin, oder ich müsste jemanden fragen. Aber da hatte ich jetzt auch keine Lust, weder auf das eine noch auf das andere.
Ich sah mich um. Nee, da war jetzt niemand bei, mit dem ich unbedingt ein Gespräch beginnen musste. Ein Mädchen trug ihre Haare in einem wilden Pferdeschwanz und hatte dazu große Kreolen in den Ohren. Sie unterhielt sich mit einem Jungen, dessen Beine steckten in einer viel zu großen Jeans, dessen Schritt ihm weit runter bis auf den Knien hing, so dass oben schon die Boxershorts rausgucke. Die hatten scheinbar Spaß hier, steckten die Köpfe zusammen und lachten viel. Noch ein zwei Bier mehr und sie würden sich um den Hals fallen - jede Wette. Ich verdrehte die Augen. Mir war das hier jetzt wirklich zu blöd und Leon würde es doch auch ohnehin nicht auffallen, wenn ich ging. Aber wohin sollte ich überhaupt? Nach Hause ging ja wohl schlecht.
"Na, hast du Spaß auf der Party?"
Ich zuckte zusammen. Wie konnte die sich in diesem Gedränge so dicht an mich anschleichen, ohne dass ich was bemerkte?
"Ja, klar", antwortete ich und versuchte dabei möglichst glaubhaft zu klingen, aber Melanie verzog nur das Gesicht.
"Sieht nicht wirklich danach aus. Oder warum stehst du hier sonst alleine rum?"
"Ja, also... Ich wollte sowieso gerade los."
"In welchem Auto fährst du denn mit?", fragte Melanie, da sah ich sie nur an. Was redete sie da von wegen Auto? Ich hätte da ja eher an den Bus gedacht, wobei ich ja eigentlich noch bei der Frage gewesen war, welche Geschichte ich meinem Vater auftischen sollte, wenn ich mitten in der Nacht bei uns vor der Haustür stand. Seiner Meinung nach hatten Mädchen nachts ja keinen Fuß mehr vor die Tür zu setzen; dementsprechend würde seine Begeisterung also auch ausfallen.
"Wollen wir denn gleich los?", fragte Mehmet, der sich gerade einen Weg durch den Flur zu seiner Freundin gebahnt hatte. "Dann sag ich Leon und Ali gleich mal Bescheid." Er sah mich an. "Kommst du auch mit?"
"Wohin denn?"
"Zum Speicher-Fest."
Der alte Speicher war an sich nicht mehr als ein unansehnlicher Betonklotz umgeben von verwitterten moosbedeckten Mauern und mit milchigen Fenstern darin. Früher war darin Getreide gelagert worden, hatte mein Vater mir mal erzählt, bis er während des zweiten Weltkrieges bei einem Bombenanschlag getroffen und teilweise gesprengt worden war. Ein paar Jahre später war er notdürftig restauriert und als Flüchtlingsunterkunft umgebaut worden. Heute stand der Speicher leer und der einzige Grund dafür, dass das Gebäude noch nicht abgerissen wurde, war wohl der, dass er unter Denkmalschutz stand. Und dass man die freie Fläche um den Speicher herum, der normalerweise als Parkplatz genutzt wurde, ungefähr zwei bis dreimal im Jahr mit Bier - und etlichen Fressbuden zustellte und das Ganze dann Speicher-Fest nannte.
"Ich weiß nicht... eigentlich-"
"Süße, da bist du ja!", unterbrach Leon mich und legte einen Arm um mich. "Du kommst mit uns."
"Aber wollte Julia nicht bei uns mitfahren?", fragte Mehmet.
"Die nimmt mit den anderen den Bus."
"Wieso das?"
"Ja, bei uns fährt Maria schon mit", erklärte Leon.
Mehmet lachte. "Da ist sie bestimmt begeistert", meinte er, worauf Melanie ihm gleich mit dem Ellbogen eins in die Seite verpasste.
"Ja, soll sie sich doch ruhig anstellen, ihr Problem." Leon rieb mir mit seinen Händen fest über die Arme, dann drehte er mich zu sich um. "Hol schon mal deine Jacke! Dann können wir gleich los."

°○ Julia ○°

Keine Ahnung, was die Scheiße schon wieder sollte. Ich meine, wie kam dieser Penner überhaupt darauf, der Vogelscheuche einen Platz im Auto zu reservieren und seiner Freundin sagte er dann, sie könne ja den Bus nehmen. Ja, spinnte ich denn? Sowas war doch nicht normal! Da könnte sich Leon noch auf was gefasst machen! Ich ließ mich jetzt ja auch nicht komplett für dumm verkaufen! Und die Vogelscheuche, seine kleine Prinzessin, wie kam die überhaupt dazu, den Platz im Auto zu nehmen? Da pflanzte sie einfach ihren knochigen Arsch auf den Sitz - Neben meinem Freund! - und scherte sich um mich einen Dreck!
"Sag mal, war in Melanies Auto nicht noch ein Platz frei?", fragte Monika auf scheinbar beiläufige Art, die war ja typisch für sie.
"Ja, schon", antwortete ich.
"Und warum bist du dann nicht mit denen los?"
"Ja, keine Ahnung. Leon meinte halt, der Platz ist schon weg."
"Echt jetzt?" Monika zog die Brauen hoch."
"An wen denn?", fragte Sabrina und zog sich die Lippen mit Gloss nach. "Ich meine, du bist seine Freundin, da sollte er doch-"
"Ja, hat er aber nun mal nicht!"
"Aber was-"
"Ist doch jetzt egal!", unterbrach ich sie wieder. Ich hatte nun echt keinen Bock auf so was. Und langsam wurde mir auch kalt vom langen Rumstehen. "Wann kommt denn jetzt der Bus?", fragte Verena, gerade so, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
"Müsste eigentlich jeden Moment soweit sein", antwortete Sabrina und seufzte dann. "Wird echt mal Zeit, dass ich meinen Führerschein mache."
"Da musst du auch erst mal die Kohle zu haben", sagte Monika.
"Ja, bin auch schon am Sparen."
"Ich würd auch gerne den Roller-Führerschein machen", meinte Verena, holte eine Schachtel Zigaretten aus der Jackentasche und hielt sie mir hin.
"Nee, lass mal stecken." Ich wies nach hinten die Straße runter. "Jetzt kommt er."
"Na endlich!"
Wir setzten uns ganz nach hinten, normalerweise war dieser Platz ja immer besetzt von den Coolen, diejenigen, die auch gerne mal einen durchzogen.
"Mal gucken, was da gleich so los ist", sagte Sabrina.
"Das ist da bestimmt wieder total voll", meinte Monika. "So wie letztes Jahr. Wisst ihr noch?"
"Ja, da hast du dich doch noch voll auf die Fresse gelegt, weil der eine Penner in dich reingelatscht ist."
"Ja... erinnere mich nicht daran!"
"Und du hattest dich da doch noch so mit Manuel gezofft", wandte Verena sich an mich.
Ich verzog das Gesicht. Über dieses Thema musste ich jetzt nicht unbedingt reden.
"Ja, das war doch, weil er sich die ganze Zeit mit dieser Tussi abgegeben hatte", sagte Sabrina.
"Ja, die hatte mindestens Doppel-D und dann sind die ihr noch fast aus der Bluse gesprungen!", lachte Monika. "Ein Wunder, dass das zwischen Manuel und ihr nur beim Unterhalten geblieben war."
Ich schnaubte. "Das war bei den beiden nicht nur unterhalten! Die haben miteinander geflirtet."
"Ach Quatsch!"
"Doch klar!"
"Du machst doch auch immer aus ner Mücke einen Elefanten", sagte Verena, da platzte mir der Kragen.
"Was laberst du!", fuhr ich sie an. "Da hättest du doch nur mal genauer hingucken müssen! War doch klar, was da zwischen Manuel und dieser Schlampe abgegangen ist. Und an Manuel lag es ja auch gar nicht. Dem gebe ich daran keine Schuld. Klar, er hätte nicht gleich so drauf einsteigen müssen. Aber diese Fotze, die hat es ja auch voll drauf angelegt mit ihrem ganzen Getue. Die war doch so billig, die hätte an dem Abend noch für jeden die Beine breit gemacht!"
"Siehst du, genau das meine ich", erklärte Verena. "Da muss eine andere deinem Typie doch nur mal hübsche Augen machen und du gehst gleich an die Decke. Das ist bei Leon doch wieder genau das gleiche."
"Wieso, was meinst du mit Leon?"
"Ach komm, das merkt doch der letzte Blinde, wie eifersüchtig du immer bist."
"Was soll der Schwachsinn? Wieso soll ich eifersüchtig sein?"
"Ja, ist dir vielleicht schon mal aufgefallen, wie du immer gleich anfängst rumzuzicken, sobald die Vogel-"
"Ach, hör mir mal auf mit der!", fiel ich Verena gleich ins Wort, da brauchte sie den Satz gar nicht erst zu beenden. Und bei dem Grinsen, was sich dann über ihr Gesicht legte, musste ich mich schon stark zusammenreißen, um sie nicht gleich am Pferdeschwanz zu packen und ihren Kopf in die Fensterscheibe zu rammen.
"Merkst du selber, ne?"
"Was denn?", fragte ich und stöhnte dann auf, als Verena mir darauf keine Antwort gab, mich stattdessen nur weiter angrinste. "Ich kann sie eben nicht leiden. Und, ganz ehrlich, ich verstehe das auch nicht. Warum muss sie immer bei uns rumhängen. Kapiert sie nicht, dass sie keiner dabeihaben will."
"Na ja... Leon scheint da zumindest nichts gegen zu haben, dass sie dabei ist."
"Natürlich hat er da was gegen! Der ist einfach nur zu nett oder... vielleicht will er Manuel zu Gefallen auch nichts gegen sie sagen", meinte ich.
"Hmm...", machte Monika daraufhin nur.
"Was?", fragte ich.
"Ja... Leon ist schon sehr nett zu Maria, finde ich...", begann Monika zu erklären und zögerte dann einen Moment, den Blick dabei auf mich gerichtet, so als überlegte sie, wie sie ihre Worte am besten wählen sollte. "Also, ich glaube, er mag sie wirklich."
"Was soll das heißen?", fragte ich und zischte. "Meinst du, da läuft was zwischen den beiden?"
"Nein, ich... keine Ahnung-"
"Das ist doch lächerlich! Ich meine, die Vogelscheuche - als ob die mit so jemanden wie mir mithalten kann!" Ich sah Monika an, die beließ es dabei. Schaute stattdessen aus dem Fenster. Auch die anderen wichen meinem Blick aus und da hätten sie mir stattdessen auch gleich ins Gesicht schlagen können, das wäre auch nicht viel besser gewesen.
Ja, zwischen Leon und Maria lief etwas. Das wusste ich. Aber wie das passieren konnte, das wusste ich nicht.

°○ Maria ○°

Wie spät war es? Auf jeden Fall schon nach Mitternacht, aber wie weit genau? Ich wusste es nicht. Und nachschauen konnte ich nicht, immerhin lag mein Handy irgendwo auf dem Rücksitz von Melanies Auto, und als es mir aufgefallen war, hatten wir den Parkplatz schon verlassen und das Festgelände betreten. Wir hatten zwar Klebebändchen am Eingang um die Handgelenke bekommen, so dass wir jederzeit vom Gelände runter und dann wieder rauf könnten, doch Melanie wollte gleich zum Getränkestand und dann ins Zelt, wo es warm war und man tanzen konnte. Wie sollte ich sie dann schon dazu bewegen, nochmal mit mir zurückzulaufen, ganz bis zum Parkplatz, nur weil ich so dumm gewesen war, mein Handy im Auto liegen zu lassen?
"Ich geh was essen", sagte Leon, schrie es eher in mein Ohr, da wir gerade mitten im Partyzelt standen, keine zwei Meter von den Boxen entfernt, aus denen gerade Rockmusik lief. Keine Ahnung, von welcher Band das jetzt war, interessierte mich auch nicht.
"Okay.", sagte ich und verlor dann das Gleichgewicht, als ein Mädchen mit langen roten Haaren in einem engen grauen Cocktailkleid und hohen Stiefeln sich an mir vorbeidrängelte.
"Miststück!" Leon packte mich an den Armen und hielt mich solange fest, bis ich wieder sicher auf den Beinen war.
"Danke", sagte ich. "Ist ja viel los hier."
"Willst du jetzt mit?"
"Wohin?", fragte ich.
"Nach draußen."
"Ja, okay."
Wir verließen zusammen das Zelt, Leon hielt mich dabei an der Hand und führte mich durch die dichte Menge an Menschen - eine Mischung aus aufgetakelten Mädchen, die heute wohl alle als achtzehn und älter durchgehen wollten und Jungs, die sich wie die letzten Affen benahmen, wohl, weil sie besoffen waren - zumindest hoffte ich das.
Am Pizzastand hielten wir an.
"Ich glaub, ich nehme eine Salami. Und du?"
"Ich... Nein, also, ich nehm nichts."
"Na komm, ich lad dich auch ein."
"Nein, danke."
Leon hatte mich schon den ganzen Abend über eingeladen, bestimmt schon auf fünf Cola, das machte alleine schon fünfzehn Euro. Dazu kam dann noch der Eintritt, dann waren es schon über zwanzig. Schön war etwas anderes. Auch wenn viele das wohl mochten, wenn andere für sie bezahlten. Ich gehörte auf jeden Fall nicht dazu.
"Na schön. Aber falls du es dir anders überlegst, meldest du dich."
"Ja, mach ich." Ich sah mich um. Weiter hinten beim Süßigkeiten-Stand war Julia, zusammen mit Monika, Sabrina und Verena. Sie blickte mich an und aus ihren Augen hätten dabei auch genauso gut Funken sprühen können, da hätte sie auch nicht weniger wütend bei ausgesehen.
"Vielleicht sollte ich besser gehen.", sagte ich und ja, eigentlich bräuchte ich dafür auch gar nicht viel. Ich müsste nur Melanie finden, die würde mir dann ihr Auto aufschließen und dann könnte ich da mein Handy rausholen und, ja nach Hause könnte ich zwar nicht, aber irgendwo würde ich schon einen Platz zum Sitzen finden und da würde ich einfach so lange-
"Wieso? Was willst du denn jetzt auf einmal los?", fragte Leon. Er folgte meinen Blick. "Ach, Julia stellt sich doch bloß wieder an! Mach dir darüber mal keinen Kopf, Süße. Komm!" Er legte einen Arm um mich und drehte mich um, so dass ich mit dem Rücken zu Julia stand. "Die beruhigt sich schon wieder."
"Wegen was streitet ihr euch denn eigentlich? Ich meine, sie steht da hinten, du stehst hier..." Oh mein Gott! War ja auch kein Wunder, dass Julia so böse zu mir rüber guckte. Sie war doch immerhin Leons Freundin! Sie sollte hier neben ihm stehen. Stattdessen stand sie da hinten und ich... Ich stand neben ihrem Freund, mit mir verbrachte Leon den ganzen Abend! Und ihr warf er gerade mal einen Seitenblick zu, wenn überhaupt.
"Ja und? Soll sie halt rüberkommen, wenn sie will", meinte Leon und warf noch einen kurzen Blick rüber zu Julia. "Verbietet ihr ja keiner." Er hatte inzwischen seine Pizza bekommen, ein etwa handgroßes Stück auf einen kleinen weißen Pappteller. Sie roch gut. Verdammt gut! Echt mal, so was sollte verboten werden!
"Na ja... vielleicht will sie ja auch, dass du rüberkommst." Anstatt die ganze Zeit hier neben mir zu stehen - oh Mann! Ich konnte Julias bohrende Blicke schon fast in meinem Rücken spüren, wie kleine Stiche gruben sie sich in meine Haut und ließen mir die Nackenhaare hochstehen.
"Da kann sie lange warten."
"Warum habt ihr beiden denn Streit?"
"Keine Ahnung, frag mich nicht", antwortete Leon und zuckte die Achseln. "Die hat doch immer was."

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