Lichter der Stadt

„Hey aufwachen." weckte mich Jayden nach unbestimmter Zeit auf.

Ein kleines Lächeln lag auf seinem Gesicht. „Wir sind in der Stadt."

Sofort war ich hellwach und schaute mich neugierig um.

Jayden lachte. „Einen Moment noch."

Er stand auf und ging zur Türe des Güterwagens. Mit Schwung zog er sie auf und sofort wirbelte Wind meine Haare durcheinander.

Morgenlicht erhellte den Wagen und ich roch hunderte von Gerüchen.

Und noch etwas war anders.

Es war laut, unglaublich laut.

Auf dem Land war es dagegen unglaublich ruhig.

Ich war noch nie in der Stadt gewesen.

Fasziniert stand ich auf und blickte nach draußen.

Die Bahn ruckelte langsam über eine Hochbahn, in ein Monster aus Beton und Steinen rein.

Überall ragten riesige Hochhäuser aus dem Boden und erhoben sich in den roten Morgenhimmel.

Eine Geräuschkulisse aus Leben drang aus ihr hinaus und ich hörte, wie die Stadt pulsierte.

Es war beeindruckend.

„Nicht wahr?" fragte Jayden.

Ich blickte lächelnd zu ihm.

„So habe ich auch das erste Mal geguckt." sagte er und strich sich seine vom Wind verwehten Haare zurück.

„Es ist wundervoll. So voller Leben" sagte ich leise. Ich wollte nicht zu laut sein, um die Stadt in mich aufnehmen zu können.

Jayden legte seinen Arm um mich und ich lehnte mich gerne an ihn.

„Ich bin glücklich, dass du endlich wieder da bist!" sagte er.

„Ich auch." War das einzige, was ich antworten konnte.

Seit langen war ich wieder glücklich.

Richtig glücklich.

Ich war der traurigen und langweiligen Realität bei mir Zuhause entwischt.

Es war, als sei mit Jayden das Leben wieder zurückgekehrt.

„Da ist es ja wieder, das Funkeln in deinen Augen"

Ich genoss es schweigend.

Wer wusste schon, wie lange dieser Moment anhielt.

Meine dunklen Augen sogen die Stadt förmlich in mich auf, während wir über die Hochbahn in die Innenstadt fuhren.

Bald hatte uns die Stadt verschluckt und wir hatten nach einer Weile die Metropole hinter uns gelassen. Die Bahn fuhr jetzt durch einen Vorort, in Richtung eines großen Güterbahnhofs.

Die Stadt hatte hier draußen ihren Glanz verloren. Nicht alles war hier schön. In den Erzählungen hatte es ganz anders geklungen.

Schäbige Häuser reihen sich aneinander und die Straßen waren in einem ähnlich schlechten Zustand wie bei uns auf dem Land. Kaputte Häuser und verwilderte Grundstücke mit Müll prägten das Bild.

„Die Regierung steckt ihr Geld ins Militär und die Häuser der Reichen." erklärte Jayden. Wie immer wusste er, was ich gedacht hatte.

„Aber da kann doch nicht alles Geld hinfließen" entgegnete ich verwirrt.

Jayden lachte trocken „Welches Geld Raven? Dagon hat unsere Wirtschaft zugrunde gerichtet! Da gibt es nicht mehr viel Geld. Das wenige, was übrig bleibt, klaut er."

Dagon.

Dagon war der Regierungschef. Ihn hatten wir beim Frühlingsfest gefeiert. Er hatte vor 20 Jahren das Land übernommen und regierte es seitdem, mit dem Militär und seinen Beratern, alleine.

Dagon war der, der unser Land gerettet hatte.

Dagon war der, der unser Land zugrunde richtete.

Propaganda und Rebellen....welche Sicht war wohl welche...

Damals vor 33 Jahren hatte es schon mal eine Rebellion gegeben, aber die endete in einem Bürgerkrieg und nach drei Jahren übernahm Dagon die Herrschaft. Er rettete uns vor der totalen Zerstörung.

Das war die Offizielle Version.

Aber warum wurde dann immer mehr verboten?

Warum erholte sich unser Land nicht?

Warum gab es so wenig Essen?

Warum verfiel unser Land zunehmend?

Warum gab es kaum Wirtschaft?

Es gab so viele Fragen.

Einige wenige hatten die Macht und der Rest lebte zunehmend in Armut.

So sah die Realität aus.

Es erinnerte mich irgendwie ans Mittelalter.

Jayden war zwar der Rebell, aber ich hatte damals als erste diese Fragen gestellt und angefangen, unser System zu hinterfragen.

Nicht Jayden.

Ich war die, die nachdachte und Jayden, naja, er setzte eben in die Tat um.

Zumindest meistens.

„Hey du Träumerin" riss Jayden mich aus meiner Betrachtung. „Wir müssen hier raus."

Den Häusern waren Industriehallen gewichen und die Gleise waren immer mehr geworden.

„Jetzt? Hier?" fragte ich und guckte auf die vorüberziehenden Schienen.

„Ja klar"

„Na gut. Dann los" sagte ich grinsend.

Wir setzten uns an den Rand des Waggons und sprangen aus dem fahrenden Zug.

Zusammen landeten wir im Gleisbett und rollten uns ab. Es war ein bisschen holprig, aber ich konnte es noch und tat mir nicht weh.

Der Zug ratterte an uns vorüber und wir standen auf. Schnell klopften wir uns unseren Klamotten grob sauber und rannten von den Schienen runter, zur nächst gelegenen Halle.

Wir duckten uns in ihren Schatten und Jayden schaute sich um.

„Ich denke, uns hat niemand gesehen" stellte er zufrieden fest.

„Und was machen wir jetzt?" fragte ich gespannt.

„Jetzt müssen wir einmal quer durch die Stadt" erklärte er mit einem Schulterzucken, aber ich sah, dass er sich dabei unwohl fühlte.

Wir gingen los und erreichten irgendwann eine Bushaltestelle. Ich war noch nie mit einem Bus gefahren und war sogar richtig nervös, als er einfuhr.

Jayden amüsierte es, aber das machte mir nichts aus.

Der Bus fuhr mit Sonnenenergie, aber da nur noch ein Akku funktionierte, fuhr der Bus total langsam.

Wie ein neugieriges Kind hatte ich Platz genommen und war erstaunt, dass der Bus beim Fahren leicht vibrierte und ruckelte. Ich hatte es mir etwas ruhiger vorgestellt.

„Der Bus sammelt über die Kollektoren auf dem Dach die Energie und speichert sie dann in großen Akkus. So kann er auch fahren, wenn die Sonne nicht scheint." erklärte Jayden.

„Das weiß ich doch du Dummkopf" meinte ich neckend. „Ich komme vom vergessenen Land, nicht aus dem Urwald!"

Jayden tat, als würde er schmollen und wir beide mussten lachen.

Bald erreichten wir wieder die Stadtmitte und ich sah Unmengen von Menschen.

So viele hatte ich noch nie gesehen. Es kam mir vor, als wären es viele Millionen.

Fasziniert starrte ich auf die Wolkenkratzer über mir und sog meine Umgebung in mich auf.

Wieder fühlte ich mich wie ein kleines naives Kind.

Jayden zog sich auf einmal seine Kapuze über und hielt seinen Blick leicht gesenkt.

Sofort fühlte ich mich unwohl. „Was ist los?"

„Keine Sorge. Ich will nur sicher gehen"

„Weswegen?"

Doch die Frage hätte ich mir sparen können, denn als ich genauer hinsah, entdeckte ich überall Kameras, die jeden Winkel der Straßen beobachteten und einnahmen.

Es war nahezu unheimlich.

Doch nicht nur das.

Neben den Bussen, die sich auf den Straßen tummelten, sah ich die Autos.

Es waren große schwarze Wagen, die über die Straßen fuhren.

Andere gab es nicht.

Ab und an stiegen aus ihnen Männer oder in Frauen in Anzügen oder Uniformen aus und fischten scheinbar zufällig Leute aus der Masse der Fußgänger und Pendler.

Mir wurde bewusst, dass jeder Mensch, jeder Fleck, alles in dieser Stadt kontrolliert wurde.

„Das sind Guardians. Aber sie passen nicht auf und schützen nicht. Vor ihnen musst du dich in Acht nehmen." erläuterte Jayden mir und ich hörte die Sorge in seiner Stimme.

Auf dem Land hießen sie Ranger und ich hatte in meinem Leben grade mal eine Handvoll von ihnen gesehen.

„Sie sind der verlängerte Arm des Militärs" erklärte er weiter.

Ich betrachtete sie. „Ich werde es mir merken"

Der Bus fuhr weiter und schlängelte sich durch die Straßen. Menschen stiegen ein und aus und bald waren wir nicht mehr in der Mitte der Stadt, sondern wieder etwas außerhalb.

„So dann wollen wir mal aussteigen" sagte Jayden, als der Bus eine ruhige Bushaltestelle erreichte.

Er stand auf und ich folgte ihm aus dem Bus heraus.

Die Luft war nicht so klar wie auf dem Land und der Wind pfiff um die kalten, grauen Häuser Ich fühlte mich unwohl.

„Wo gehen wir eigentlich hin?" erkundigte ich mich und zog meine dünne Sommerjacke enger um mich.

„Wirst du sehen" sagte er geheimnisvoll und zog mich weiter.


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