Prolog
Professor McGonagall trat an dem alten, verrosteten Eisentor vorbei über den Kiesweg mit den dunklen, ungezähmten Büschen zu beiden ihrer Seiten. Es schneite ein wenig, ein kalter Wind blies und dicke, graue Wolken verdeckten den kompletten Himmel, aber die Lehrerin hatte weder einen Regenschirm zum Schutz gegen den feuchten Schnee dabei noch einen ordentlichen Mantel, nachdem sie sowieso nur ein paar Schritte bis zur knorrigen, alten Tür brauchte, an der sie die Klingel drückte.
Der Ton hallte durch das ebenfalls dunkle, finstere Haus und eine alte Dame in Morgenmantel schlurfte aus einem der Zimmer in den Gang, um der Frau die Tür zu öffnen.
Im ersten Moment wirkte sie verwirrt, als sie ein wenig gereizt die Tür aufriss und der seltsamen, fremden Frau ins Gesicht blickte.
Selten sah sie jemanden in solch seltsamen Kleidern vor ihrer Haustür stehen, weswegen sie sich außerordentlich viel Zeit nahm, um ihre Augen auf und ab wandern zu lassen, als würde sie eine Waffe suchen.
„Joa?", krächzte sie unhöflich und kratzte sich am dicken, faltigen Hals.
„Mein Name ist Minerva McGonagall – Professor McGonagall", stellte sich die Lehrerin trotzdem höflich vor, auch wenn sie kaum verhindern konnte, dass ein leicht angeekelter Blick auf ihr sonst ausdrucksloses, strenges Gesicht fuhr.
„Was willst'n?", raunte die alte, unhöfliche, grässliche Frau, die der höflichen, gefassten Professorin die Tür geöffnet hatte.
„Ich würde einem ihrer Kinder gern ein Stipendium an einer Schule anbieten", erklärte McGonagall ruhig. Sofort richtete sich die andere Frau gerader, strich ihren befleckten Morgenmantel so glatt es ging und bemühte sich sogar, etwas höflicher zu werden: „Natürlich! Sie haben Ihren Besuch schon angekündigt! Kommen Sie doch herein! Wollen Sie Tee?"
Sie zog die Lehrerin nahezu ins Haus und schloss hinter ihr die Tür, als hätte sie Angst, sie könnte einfach wieder wegrennen und dem Kind doch kein Stipendium anbieten. Normalerweise hätte Professor McGonagall sogar den Tee angenommen, aber in Anbetracht der Umstände, in der sie sich befand – und zwar in der Gegenwart einer schrecklichen Frau in einem schrecklichen Haus in einem schrecklichen Ort weit weg von Anstand und Höflichkeit wollte sie lieber nicht wissen, was in dem Tee sonst noch alles sein würde, als nur der Tee selbst. Beinahe dachte sie jetzt schon das Ungeziefer über sich krabbeln zu hören – nicht dass sie etwas dagegen gehabt hätte, aber sie fand trotz allem dieses Haus war nicht geeignet ein Heim für Kinder zu sein – besonders kein Kinderheim, in dem die Waisen und Verlassenen einen Ort des Schutzes und der Sicherheit haben sollten.
„Nein danke, keinen Tee. Ich würde nur gerne Agnes sehen und mit ihr allein sprechen", darauf bestand McGonagall und ihr kluger Blick durchbohrte die grausige Frau, die diesen aber ignorierte. Trotzdem nickte sie eifrig und führte sie zu einer der Türen an den Seiten des langen, finsteren Ganges.
„Is 'ne seltsame Göre", berichtete die Heimvorsteherin, während sie ein wenig hinkend vorging, „Passier'n seltsame Sachen, wenn s'e in der Nähe is'. Sind Sie sicher, dass sie die richtige is'?"
„Absolut", vergewisserte die Professorin sie, „Keinen Zweifel."
Sie klopfte zwei Mal an einer morschen Tür, wartete kaum eine Sekunde und stieß sie dann quietschend auf.
Im Inneren gab es nicht viel – ein Kasten, ein Bett, ein Fenster mit Gittern davor und sogar einem alten, zerfledderten Teppich, der so aussah, als wäre die eine Ecke fast verbrannt.
Auf dem Bett saß ein Mädchen und sah McGonagall und die alte Frau mit großen, eisblauen Augen an – fast schon ängstlich und verschreckt, als würde sie eine Strafe erwarten.
McGonagall hatte das Bedürfnis der alten Frau einmal zu zeigen, dass man Kinder gut behandeln sollte und hätte beinahe ihren Zauberstab gezückt, aber dann erinnerte sie sich, dass es nicht ihre Aufgabe war, diesen grauenvollen Muggel in ihre Schranken zu weisen. Immerhin hatte sie auch mitansehen müssen, wie Dumbledore den kleinen Harry Potter auf die Türschwelle dieser muggeligsten aller Muggel gelegt hatte. Sie wollte sich nicht einmal ausmalen, wie sie ihn behandelten – er musste nun neun Jahre alt sein, wenn sie sich recht erinnerte, aber nun brauchte eine andere außerordentliche Hexe ihre Hilfe dabei in die Welt der Hexen und Zauberer zu finden.
„Agnes, Besuch für dich! Benimm dich und vermassle es nicht!", schnauzte die alte Frau, bevor sie McGonagall noch ein letztes, gequältes Lächeln zuwarf und die beiden tatsächlich allein ließ.
Die Professorin schloss hinter ihr die Tür und murmelte leise: „Repello Muggeltum", während sie mit ihrem Zauberstab auf die Tür zeigte. Nun dürfte dieser grauenvolle Muggel weit weg von der Tür bleiben, soviel war sicher.
„Wer sind Sie?", fragte das junge Mädchen und machte sich noch etwas kleiner, als es sowieso schon war. Sie war zart und dünn – als würde sie nicht genug essen, was McGonagall nicht verwunderte, klein für ihr Alter war sie auch und sah noch gar nicht wirklich wie elf aus, aber McGonagall war sich sicher, dass sie sich nicht geirrt hatte.
Ihre Haare waren unordentlich und weißblond gelockt, ein wenig verfilzt und dreckig, als würde sich niemand um ihre Haare kümmern oder sie waschen. Ihre Haut war bleich nur dunkle Ringe unter ihren Augen waren zu sehen – wahrscheinlich war das arme Mädchen nicht häufig außerhalb dieses Zimmers, sowie sie Muggel kannte, aber McGonagall verbat sich Mitleid zu haben. Wenigstens ihre großen, eisblauen Augen blickten sie zwar ängstlich, aber auch neugierig und klug an, als würde mehr hinter der Fassade stecken, als man dachte.
„Mein Name ist Professor McGonagall und ich wurde von der Schule Hogwarts geschickt um dir ein Stipendium anzubieten", erklärte sie geduldig und ein verschmitztes Lächeln huschte über das Gesicht des Mädchens. „Ihr Vorname ist ‚Professor'?"
Beinahe hatte die Lehrerin ebenfalls gelächelt – wenigstens hatten diese Muggel ihren Humor nicht vollkommen ausgerottet, aber sie riss sich zusammen und bewahrte ihre strenge, kluge Miene.
„Nein, mein Vorname ist Minerva, aber ich bin Professorin und lehre in Hogwarts, eine ganz besondere Schule für Kinder wie dich", sagte sie ruhig und gefasst.
Agnes betrachtete sie noch einen Moment aufmerksam – ihr Blick glitt zu dem Stock – den Zauberstab, den sie immer noch in der rechten Hand hielt, zu den Gewändern, die man nicht überall sah zu den klugen Augen der Professorin, bevor sie langsam aufstand und zu ihrem Schrank ging, diesen öffnete und das Chaos darin offenbarte. Sie begann seelenruhig darin herumzukramen, als wäre McGonagall gar nicht hier, aber dann begann sie zu sprechen: „Ich habe eigentlich eine Eule erwartet."
Perplex blinzelte McGonagall zwei Mal, bevor sie komplett realisierte, was das Mädchen gerade gesagt hatte.
„Du weißt davon?", fragte sie langsam und vorsichtig – vielleicht war es nur Zufall gewesen.
„Natürlich!", aus dem Mund von der kleinen Agnes klang es so, als wäre es selbstverständlich, dass sie von der Welt der Zauberer wusste, „Nur, weil man in einem Waisenhaus lebt, bedeutet das nicht, dass man seine Eltern nicht gekannt hat. Manche hier sind von ihnen geschlagen worden, andere waren mit ihren Kindern überfordert und in meinem Fall wollte ich nicht mehr bei meiner Mutter wohnen – der Ach-So-Perfekten Agnolia Tripe – der Name müsste Ihnen bekannt sein."
Sie holte aus ihrem unordentlichen Kasten eine zierliche Kette heraus mit einem ebenso zierlichen, silbernen Anhänger und hielt ihn McGonagall hin. Diese betrachtete ihn mit ihren trotz des Alters scharfen Augen und erkannte das Wappen der Tripes, die in der Zaubererwelt als Reinblüter bekannt waren. Sie hatten im Krieg gegen Voldemort laut Berichten eine große Rolle gespielt. Auch der Name – Agnolia Tripe – war der Lehrerin bekannt und sie wusste nur, dass ihr Ehemann – Tristus Tripe seit dem Fall des Dunklen Lords in Askaban saß. Agnolia war geflohen und hatte sich versteckt, war aber wenige Jahre später in Amerika gefunden und ausgeliefert worden, da war aber nie die Rede von einem Kind gewesen.
„Wie-", zum ersten Mal seit Jahren war McGonagall sprachlos und stammelte sogar, war überhaupt wie sie klang. Sie fühlte sich leicht beschämt, aber zu groß war die Verwirrung.
„Ich bin von zu Hause weg als ich sechs wurde. Meine Mutter – Agnolia hat mich gezwungen unseren Hauself Winnie zu köpfen. Ich habe mich nicht widersetzen können. In der Nacht bin ich weg. Ich bin auf ein Schiff und nach England in der Hoffnung, dort Familie zu finden, aber es gab niemanden, dem ich vertraut hätte, also bin ich zu Muggel und warte seitdem auf meinen Brief aus Hogwarts. Beinahe habe ich schon befürchtet, ich wäre ein Squib und müsste für immer in der Muggelwelt bleiben, aber Ihr Besuch erheitert mich maßlos."
Agnes schaute McGonagall mit ihren großen Augen begeistert an und der Professorin fiel natürlich auf, wie gehoben das junge Mädchen nun sprach – als hätte sie es von Geburt an eingebläut bekommen und würde sich durchgehend dagegen wehren, aber in Zeiten der größten Aufregung kommt es wieder zum Vorschein wie eine ewige Erinnerung daran, wer sie war – eine Nachkommin nicht nur vom Hause Tripe, sondern auch von den Blacks, die auch in der Familie Tripe den ein oder andere Familienast eingefädelt hatten. Viele der Verwandten des kleinen Mädchens waren extreme Reinblüter, die alle Muggel verachteten, aber nicht sie – sie lebte jahrelang unter Muggeln, um ihrer Mutter zu entkommen – um ihrer Familie zu entkommen.
Professor McGonagall fragte sich, warum Dumbledore ihr nicht früher erzählt hatte, dass sie zu einer jungen Hexe gehen würde, die schon wusste, dass sie eine Hexe war, aber auf der anderen Seite konnte es sein, dass nicht einmal der Schulleiter davon gewusst hatte. Dann aber erinnerte sie sich, dass er genau sie geschickt hatte, um dem Mädchen zu verkünden, dass sie eine Hexe war und wie vielsagend sein Blick gewesen war, als er ihr den Aufenthaltsort und den Namen der jungen Hexe genannt hatte. Natürlich hatte McGonagall sofort den Namen Tripe erkannt, immerhin waren sie nicht unbekannt, aber sie hatte geglaubt, es wäre einfach ein weiterer Name wie jeder andere auch.
„Dann bleibt mir nicht mehr viel zu sagen als – Herzlichen Glückwunsch zur Aufnahme in Hogwarts, Schule für Hexerei und Zauberei, Agnes Tripe", McGonagall überreichte ihr den Brief und ein Säckchen mit Münzen, mit denen sie ihre Zauberutensilien kaufen konnte.
Agnes zuckte zwar bei ihrem vollen Namen zusammen, strahlte aber, als sie den Brief überreicht bekam. Ihre Zeit hier war vorbei – nun konnte sie zurück, wohin sie gehörte – zu der Magie und der Zauberei.
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