99. Kapitel
Es herrschte eine angenehme Atmosphäre in der Küche. Natürlich hätte Agnes das niemals laut zugegeben, aber Sirius war eine erstaunlich angenehme Gesellschaft, wenn sie nicht gerade diskutierten oder sogar stritten.
Agnes backte ihre Kekse und es war erstaunlich befreiend, wieder einmal so etwas Einfaches und Normales zu machen, wie Kekse, obwohl sie dabei Magie verwendete. Kekse erinnerten sie an Hogwarts und an Tinky, der Hauselfe, die ihr das Backen erst beigebracht hatte. Agnes fragte sich, was wohl passiert wäre, wenn sie nicht in dieser ersten Nacht in Hogwarts die Küche gesucht hätte. Vielleicht hätte sie niemals mit dem Backen angefangen.
Es war, bis auf die Geräusche, die Agnes beim Teigzusammenmischen machte, komplett still. Sirius schien sich sogar zu bemühen, sich so wenig wie möglich zu bewegen, damit er keine Geräusche verursachte und es war so still, wie es schon lange nicht mehr gewesen war. In letzter Zeit hatte Agnes immer die gesamte Gruppe um sich herum gehabt, wenn sie nicht gerade in ihrem Zimmer in Ivys Haus gewesen war und es war eine Abwechslung, die Agnes gerne annahm – besonders nach ihrem kleinen Aussetzer im Wohnzimmer.
Aber die Stille lag nicht lange auf der Küche.
Als Agnes gerade die Kekse herausholte, wurde die Tür geöffnet und alle, die im Wohnzimmer gewesen waren, traten nur in die Küche ein.
Die Küche war kleiner, als das Wohnzimmer und dazu standen auch noch Möbel herum, im Gegensatz zum Wohnzimmer, also wurde es schnell eng und Agnes atmete durch ihre Nase tief ein und aus, damit sie ihre Platzangst hinunterschlucken konnte und sie redete sich ein, dass sie nicht wirklich gefangen war und dass sie noch genug Platz zum Atmen hatte. Niemals berührte sie und das war im Moment auch gut so, denn ansonsten hätte Agnes für nichts garantieren können.
Sirius warf ihr einen fragenden Blick zu, schon beinahe besorgt, aber Agnes nickte nur sicher und lächelte leicht, aber auch gezwungen. Egal, warum sich auf einmal alle in der Küche versammelten, sie würde das aushalten.
„Menschen sind wohl wie Motten", bemerkte Sirius irritiert, „nur folgen sie nicht dem Licht, sondern dem Geruch von Agnes' berühmten Keksen."
„Ein bezaubernder Vergleich", schnaubte Konstantin eindeutig sarkastisch, „Aber nein... sie reden von PotterWatch... was auch immer das ist."
„Ein legendärer Tag!", rief Sirius amüsiert, „Konstantin weiß etwas nicht! Welch ein Wunder... und was für eine Besorgnis erregende Tatsache..."
Agnes verstand nicht genau, warum alle da waren und ihre Fragen wurden auch nicht geklärt, als Randy mit einem Radio ebenfalls als letzter in die Küche kam und ihn auf den Tisch stellte, um den herum sich so viele hingesetzt hatten, so viele Platz gehabt hatten. Sie anderen standen in der Küche herum und lehnten sich an die Theken und die Wände.
Angelina machte sich sofort daran, mit ihrem Zauberstab auf den Radio zu tippen und murmelte Wörter vor sich hin. „Orden... Phönix... Orden des Phönix... Hogwarts... Dumbledore..."
Alles in allem war es eine verwirrende Tätigkeit und Agnes sah sich um, in der Erwartung, dass irgendjemand Erbarmen mit ihnen zeigen würde und endlich erklären würde, was sie eigentlich vorhatten.
Konstantin hatte etwas von „PotterWatch" gesagt, aber mit diesem Begriff konnte Agnes ebenso wenig anfangen, wie mit Angelina, die noch immer auf den Radio tippte.
„Ist das irgendein Ritual?", fragte Konstantin, „Schwarze Magie, die ihr ausübt? Irgendein mystischer Zauber, der irgendwie –"
„Wir suchen einen Radiosender", erklärte Leanne schließlich, scheinbar genervt von Konstantin, obwohl er nur eine berechtigte Frage gestellt hatte, immerhin hatten sie keine Ahnung, was vor sich ging, „PotterWatchist ein Radiosender, der von den Mitgliedern des Phönixordens ins Leben gerufen worden ist. Es ist der einzige Radiosender, der noch wahre Nachrichten bringt und sich nicht von Ihr-wisst-schon-wen beeinflussen lässt."
„Ich hab's!", rief Angelina triumphierend und es wurde still, als eine andere Stimme aus dem Radio den Raum erfüllte.
„...von PotterWatch wünschen allen Zuhörerinnen und Zuhörern einen wunderschönen Tag. Im Namen aller entschuldige ich, Stromer, mich für die kurze Pause seit der letzten Aussendung, aber einer der Radaktionäre hat aus Versehen den Namen von Ihr-wisst-schon-wem, dem Oberstehen Todesser ausgesprochen und wir haben kurzfristig unsere Position ändern müssen."
Agnes schmunzelte leicht und runzelte zugleicht die Stirn, als sie die Stimme erkannte. Es war Lee Jordan, ein guter Freund von Fred und George und Agnes hatte einige Male mit ihm gesprochen. Sie hatte ihn aber schon ziemlich lange nicht mehr gesehen und seine Stimme im Radio zu hören waren angenehm überraschend.
Die Kekse, die Agnes noch immer mit einem Zauber in der Luft hielt, waren nun ein wenig ausgekühlt und Agnes holte einen Teller aus einem der Schränke und legte die Kekse darauf.
„Vermutlich ist es keine Neuigkeit für die meisten Zuhörerinnen und Zuhörer, aber für alle Neuzugänge möchte ich noch einmal daran erinnern, dass auf dem Namen von Ihr-wisst-schon-wem ein Tabu liegt. Sobald man den Namen ausspricht, könnt ihr alle sofort aufgespürt werden und alle Zauber in der Nähe brechen zusammen. Wir raten also davon ab, diesen einen Namen auszusprechen, aber für den Fall, dass „Ihr-wisst-schon-wer" zu lang für euch ist, möchte ich Ihnen allen Nager vorstellen, der Ihnen einige Vorschläge für weitere Namen geben kann, die dem Obersten Todesser würdig sind. Hallo, Nager."
„Hey, Stromer!"
Agnes zuckte zusammen und zerbrach aus Versehen einen Keks, den sie gerade auf den Teller legen wollte. Es war nicht Fred – es war George. Sie konnte nicht genau sagen, woher sie das wusste, immerhin war es schon Monate her, seit sie das letzte Mal seine Stimme gehört hatte, aber irgendwie wusste sie es einfach. Aber das änderte nichts daran, dass sogar die Stimmen der Zwillinge so ähnlich klangen und Agnes sofort an Fred erinnert wurde.
„Oh, nein", murmelte Konstantin, aber er lächelte, „Fred oder George – wem von beiden höre ich gerade im Radio zu?"
„Das ist George!", bemerkte Tia glücklich und lächelte breit, „Ich weiß es ganz genau! Das ist George! George ist im Radio!"
„Woher willst du das wissen?", fragte Leanne ihre Freundin ungläubig.
„Es ist nicht sonderlich schwer, die beiden auseinander zu halten", erklärte Agnes finster – die Erinnerung an Fred stimmte sie nicht gerade glücklich, es erinnerte sie nur daran, dass sie ihn nicht sehen konnte, „Besonders nicht, wenn man erst einmal Zeit mit ihnen verbracht hat." Agnes stellte den Teller auf den Tisch und hoffte, dass niemand sehen konnte, wie sehr es sie doch beeinflusste, nur Georges Stimme im Radio zu hören. Sie benahm sich lächerlich.
„Also... ich habe sie noch nie unterscheiden können", gab Liza zu, „Und ich kenne die beiden schon, seit sie gerade einmal sechs Jahre alt gewesen sind."
„Mein herzliches Beileid", Angelina sah sie ernsthaft mitleidig an und Liza lachte auf.
„Seid leise, sonst kann ich nicht hören!", warnte Katie, „Ich will neue Vorschläge, wie ich Ihr-wisst-schon-wen nennen kann!"
„Da wir nicht wissen, ob nicht gerade Kinder zuhören, verzichte ich wohl darauf, eine Reihe von Schimpfwörtern vorzuschlagen, die wohl allesamt den Obersten Todesser beschrieben hätten", begann George, „Natürlich hätte ich auch noch eine Reihe von spanischen Schimpfwörtern parat, aber ich bin mir nicht so sicher, ob Eltern es gut finden würden, wenn ich ihren Kindern Schimpfwörter in einer fremden Sprache beibringe, also bleiben wir wohl bei den guten, alten Beleidigungen, die aber kindgerecht sind."
„Klingt nach einem guten Plan", schnaubte Konstantin.
„Aber bestimmt fallen dir genug andere Namen ein, ohne dass Eltern ihren Kindern die Ohren zuhalten müssen, oder?", fragte Lee und man hörte aus seiner Stimme heraus, dass er lächelte.
„Du unterschätzt meine Genialität", schnaubte George empört.
Agnes lächelte leicht. Das war wieder einmal typisch George.
„Man kann seine Genialität nur überschätzen", sagte Agnes und lächelte bei dem Gedanken daran, wie George reagieren würde, wenn er jetzt wirklich hier wäre.
„Jemand, den ich einmal gekannt habe, würde an dieser Stelle wohl sagen, dass man meine Genialität nur überschätzen kann", sagte George in diesem Moment und Agnes riss überrascht die Augen auf – das hatte sie zugegeben nicht erwartet, aber es war ihr auch aufgefallen, dass George von ihr in der Vergangenheit sprach, wenn sie überhaupt gemeint war, aber Agnes kannte niemand anderen, den er hätte meinen können, „aber in dieser Angelegenheit hört man wohl lieber nicht auf sie. In jeder anderen Situation wäre es besser, auf ihren Rat zu hören, aber vertraut mir – meine Genialität wird auch von ihr regelmäßig unterschätzt."
Agnes stimmte ihm zu, obwohl sie das natürlich niemals laut gesagt hätte. Die Zwillinge hatten viel Potential und waren intelligenter, als sie sich manchmal anmerken ließen. Ansonsten hätte Agnes sich wohl kaum mit ihnen abgegeben.
Aber Georges Worte bewiesen wieder einmal nur, dass sie wohl viel zu viel Zeit mit ihnen verbracht hatte. George war nicht nur der Zwilling ihres Freundes, der immer als Anhängsel bei ihnen war. George war ein Freund geworden – ein Vertrauter. Vielleicht sogar ein bester Freund – Agnes war sich das noch nicht so sicher. Und ihn so sprechen zu hören erinnerte sie daran, was sie zusammen erlebt hatten und was sie alles zusammen erleben könnten, wenn Agnes ihnen einfach nur sagen würde, dass sie noch lebte. Aber das konnte sie nicht – sie musste Fred und auch George und ihre ganze Familie beschützen, indem sie sich fernhielt. Das war besser so für alle Beteiligten.
„Er ist so ein Idiot", murmelte Agnes und bemerkte, dass ihre Augen feucht wurden. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und wandte sich vom Radio und den Blicken der anderen ab, damit niemand sehen konnte, dass Agnes Tripe tatsächlich weinte, weil sie ihren Freund und ihre Familie vermisste.
„Aber zurück zu den Namen für Ihr-wisst-schon-wen", bestimmte George, „Wenn der Oberste Todesser schon darauf besteht, unbedingt den Titel von einem Adeligen zu haben, dann schlagen wir von PotterWatch gerne ein paar Namen vor. Wie wäre es mit König Bleichgesicht – Quellen haben uns verraten, dass er wohl ein paar Stunden mehr in der Sonne verbringen sollte. Ein Vorschlag von meinem Bruder ist auch Prinzessin Sonnengleich – wir sind nämlich alle sehr froh, wenn er so weit weg bleiben würde, wie die Sonne."
„Nager, wir haben gehört, dass einige Geschichten von Leuten, die seinen Namen gesagt haben zu uns gedrungen sind. Kannst du uns vielleicht ein paar von ihnen erzählen?"
„Oh, ich kann eine ganze Menge darüber erzählen", warnte George, „Royal, der sich erst diese Woche unserem Radaktionsteam angeschlossen hat, hat davor seine eigene Flucht vor einigen Todessern und Greifern hinlegen müssen. Er hat selbst erzählt, dass es über ein Dutzend gewesen sind, aber er ist trotzdem ohne einen Kratzer davongekommen."
„Apropos Royal", unterbrach Lee, „Er ist gerade hier angekommen und bei ihm sind einige Informationen, die wir Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer bis jetzt vorenthalten haben, da Royal sich verspätet hat. Hallo, Royal!"
„Hallo, Stromer." Wieder zuckte Agnes zusammen. Noch eine Person, die sie kannte und die Erinnerungen an früher kamen wieder an die Oberfläche und brachten Agnes dazu, schwach zu werden.
Es war Kingsley Shacklebolt und Agnes versuchte nicht daran zu denken, dass sie Kingsley schon kannte, seit sie gerade einmal sechs Jahre alt gewesen war und gerade erst ihrer Mutter entkommen war. Sie versuchte, nicht daran zu denken, dass es Kingsley gewesen war, der ihr das Leben gerettet hatte, als sie unter dem Fluch der Schwarzen Rose gestanden hatte – dank einer Rose, die ihre Mutter ihr geschickt hatte. Sie versuchte, nicht daran zu denken, dass Kingsley eigentlich ihr einziger Freund gewesen war, nachdem die Hauselfe Winnie gestorben war. Es war Kingsley gewesen, der ihre Hand gehalten hatte, wenn sie nach Askaban gegangen waren. Es war Kingsley gewesen, der immer an ihrer Seite geblieben war und nie auch nur ein einziges Wort darüber gesagt hatte, dass sie schwach war, wenn sie nach den Besuchen bei ihren Eltern geweint hatte. Das war schon Jahre her, seit sie das letzte Mal nach einem Besuch in Askaban geweint hatte, aber es war Kingsley gewesen, der sie getröstet hatte.
„Entschuldigen Sie die Verspätung, aber es einige Komplikationen gegeben, diese Informationen weiterzugeben", sagte Kingsley. Es tat gut, zu wissen, dass es ihm gutging.
„Ich denke, die Zuhörerinnen und Zuhörer werden dir verzeihen, Royal!", lachte Lee.
„Vermutlich nicht", hörte man George sagen.
„Ohne weitere Verzögerungen... die Todesfälle dieser Woche...", sagte Kingsley ernst und auch die Leute im Raum wurden ernst. Todesfälle – wann war es wohl normal geworden, dass regelmäßig Leute wegen diesem neuen Regime starben, dass es sogar im Radio eine eigene Sendung dafür gab. Agnes fragte sich, ob es war, sobald der Dunkle Lord das Ministerium übernommen hatte, kurz danach oder schon davor. Es war erst einen Monat her, aber offenbar war es schon normal.
„Wie wir heute erfahren haben, wurden Damocles Belby, seine Frau, Daisy Belby und deren ungeborenes Kind."
Agnes kannte keinen, der Damocles Belby hieß, aber er musste mit Marcus Belby verwandt sein. Mit einem Blick auf ihren ehemaligen Teamkollegen erkannte sie auch, dass er traurig und ein bisschen verwirrt aussah – also hatte er ihn auf jeden Fall gekannt.
„Es wurde ebenfalls ein altes Muggel-Ehepaar tot aufgefunden. Sie haben in der Wohnung neben den Belbys gewohnt und vielleicht gehört und beschlossen, zu helfen", erzählte Kingsley weiter.
Selbst schuld, wenn sie sich in die Angelegenheiten von anderen einmischen. Agnes erschrak ein bisschen, als sie das dachte, aber tief im Inneren wusste sie, dass sie das auch wirklich so meinte. In Zeiten wie diesen war es wohl besser, wenn man auf sich selbst achtete und versuchte, sich selbst irgendwie am Leben zu erhalten. Freunde und Familie – das konnte Agnes noch akzeptieren, aber alles darunter... Natürlich waren es Muggel gewesen – die hatten eigentlich keine Ahnung, welche Gefahr da draußen auf sie lauerte. Aber letztendlich war es ihre eigene Schuld gewesen, dass sie gestorben waren. Wenn sie sich einfach herausgehalten hätten und alles ignoriert, dann hätten sie vielleicht überlebt.
„Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ich möchte Sie zu einer Schweigeminute auffordern für die Familie Belby und das Muggel-Ehepaar, das versucht hat, so mutig Zauberern zu helfen", bat Lee und es wurde still.
Agnes zählte im Kopf mit, wann die Minute zu Ende sein würde. Nicht, weil sie sich das Ende herbeisehnte, sondern weil sie Angst hatte, dass ihre anderen Gedanken in dieser Stille sie wieder ertränken würden. Also zählte sie lieber die Sekunden, anstatt an andere Dinge zu denken, die lieber in den Tiefen ihres Bewusstseins versteckt blieben.
„Danke", bedankte sich Lee, „Und nun zu den anderen Nachrichten dieser Welt, Royal. Wie sieht es derzeit in der Welt der Zauberer aus?"
„Gestern ist ein ereignisreicher Tag gewesen", gestand Kingsley, „Vermutlich hat schon jeder davon gehört – vielleicht auch nicht."
„Du sprichst von dem Ereignis, das mittlerweile schon als das „Chaos im Ministerium" bekannt ist, denn anders kann man es nicht nennen", lachte Lee.
„Da hast du Recht, Stromer", stimmte Kingsley ihm zu, „Man hört von einer Apokalypse, die auf das Ministerium niedergegangen ist – eine Katastrophe."
„Weiß man schon genaueres?", fragte Lee weiter.
„Es kursieren viele Gerüchte, Erzählungen und Vermutungen", gestand Kingsley, „Aber von Zeugenaussagen im Ministerium selbst kann man sich so einiges zusammenreimen, obwohl selbst diese Erzählungen so unfassbar klingen, dass sie schon beinahe unfassbar sind."
„Ich habe gehört, es wurde überall zugleich zugeschlagen", erzählte Lee, „Haben wir es mit einer Person zu tun, die sich verdoppeln kann oder gibt es da draußen noch eine andere Gruppe, außer dem Orden des Phönix?"
„Eine weitere Gruppe ist nicht auszuschließen", erklärte Kingsley, „Und es ist wahr – es wurde an verschiedenen Stellen gleichzeitig zugeschlagen. Hinter diesem Plan steckte eine Menge Planung und Präzision, so viel steht fest."
„Kingsley sollte mich besser kennen", schnaubte Konstantin amüsiert, „Ich habe diesen Plan am Tag zuvor ausgearbeitet – so lange haben wir jetzt auch nicht dafür gebraucht."
Das war wahr. Der Plan war für Agnes' Geschmack viel zu offen für Gefahren gewesen, aber solange sie sicher wieder herauskamen, war es wohl in Ordnung. Trotzdem... Agnes hätte es anders gemacht, als Konstantin.
„Wie meine Quelle aus dem Ministerium mir versichert hat, gibt es sogar ein paar Namen der Verantwortlichen, aber obwohl Augenzeugen berichten, was sie gesehen haben, kann man kaum glauben, was sie sagen."
„Du spannst uns auf die Folter", tadelte Lee Kingsley, „Wer ist der Mastermind hinter diesem Chaos im Ministerium?"
„Ich habe einige Namen", erzählte Kingsley, „Konstantin und Liza Gregorovich, sowie Tia Fuego scheinen Teil dieses Plans gewesen zu sein."
„Was ist daran so unfassbar?", fragte Lee verwirrt, „Wir wissen doch schon lange, dass diese kleine Gruppe Chaos in den Reihen der Todesser stiftet. Das haben sie bewiesen, als sie schon im August die ersten Greifer besiegt haben und sie es irgendwie auf die Top-Liste der gesuchten Verbrecher geschafft haben."
„Das verwunderliche sind nicht diese drei", winkte Kingsley ab, „Nein, das verwunderliche ist, dass Augenzeugen darauf schwören, dass sie nicht nur den für Tod erklärten Sirius Black gesehen haben wollen, sondern auch noch Agnolia Tripe auf ihrer Seite gekämpft hat."
Agnes fluchte innerlich – natürlich war sie gesehen und vielleicht sogar erkannt worden. Das lief alles überhaupt nicht so, wie sie geplant hatte. Sie wollte versteckt bleiben und anderen nicht zeigen, dass sie lebte – es stellte sich als schwieriger heraus, als gedacht.
„Ich bin nicht tot!", rief Sirius, als könnten die Leute im Radio ihn hören und hob die Hand.
„Leider", murmelte Agnes leise.
„Du machst Witze", lachte Lee, „Das klingt wie der Anfang eines Witzes – Agnolia Tripe, Sirius Black und eine Gruppe an Widerstandskämpfer versucht gemeinsam, das Ministerium zu stürzen –"
„Aber ich sage die Wahrheit", versprach Kingsley, „Das sagen die Augenzeugen."
„Egal, wer es gewesen ist, wir wollen uns dafür bedanken, dass diese mutige Gruppe sich dafür eingesetzt hat, nicht nur die Muggelgeborenen im Ministerium zu retten, sondern es auch noch geschafft haben, dass Askaban über Nacht leer geworden ist. Sie haben richtig gehört, meine Damen und Herren. Jeder verurteilte Muggelgeborene, der in Askaban gewesen ist, ist befreit worden. Es war eine unmögliche Aufgabe, aber diese Gruppe hat es geschafft und dafür haben sie Applaus verdient."
Es ertönte Klatschen aus den Lautsprechern des Radios und nach und nach begannen auch die Leute im Raum zu klatschen. Agnes klatschte nicht mit ihnen, sondern verzog sogar das Gesicht und bemühte sich, ihre Hände nicht über ihre Ohren zu legen. Ihr war noch nie aufgefallen, wie nervtötend und laut das Geräusch von klatschenden Leuten war – besonders, wenn man das Gefühl hatte, als hätte man diesen Applaus nicht verdient.
„Als fröhlichen Abschied haben wir von Romulus mit seiner beliebten Reihe: Freunde von Potter", kündigte Lee an, als es endlich wieder leise war.
„Danke, Stromer." Agnes hob überrascht eine Augenbraue. Es war Remus Lupin. Sie erkannte ihn an seiner Stimme und konnte nicht anders, als tatsächlich überrascht zu sein. Sie hatte nicht erwartet, dass Remus sich tatsächlich einer Gruppe anschließen würde, die einen illegalen Radiosender ausstrahlte, aber scheinbar war Remus doch hin und wieder rebellischer, als gedacht. Remus, der jetzt verheiratet war mit ihrer Cousine, Tonks. Wie klein die Welt doch sein konnte – viel zu klein, für Agnes' Geschmack.
„Romulus, es ist eine alltägliche Frage geworden, die ich dir jedes Mal stelle, wenn du hier bei uns bist: Denkst du noch immer, dass Harry Potter nach wie vor am Leben ist?"
„Du bekommst wie immer dieselbe Antwort", man hörte, dass Remus lächelte, „Natürlich glaube ich das – nein, ich weiß das. Manche denken sogar, dass der gestrige Anschlag auf das Ministerium von Harry ausgegangen ist."
„Es ist denkbar, dass Harry selbst den Angriff auf das Ministerium angeführt hat", stimmte Lee ihm zu, „Er selbst ist zwar nicht gesehen worden, aber wie man hört, wurde Vielsafttrank benutzt, um sich zu tarnen – so simpel, aber doch effektiv."
„Egal, ob das Chaos im Ministerium von Harry geleitet worden ist oder nicht – er hat offenbar Freunde in jenen, die dabei gewesen sind. Scheinbar sogar Agnolia Tripe höchstpersönlich", Remus lachte leise. Er klang seltsam einsam, bis Agnes hörte, dass Tia ebenso leise mit ihm lachte.
„Hast du eine Theorie, wie Agnolia Tripe selbst plötzlich im Ministerium gegen das Ministerium kämpft – und das ziemlich effektiv, wie man hört?", fragte Lee.
„Ich habe eine Theorie, aber die ist noch unfassbarer, als diese gesamte Situation es sowieso schon ist", gestand Remus.
„Lass trotzdem hören", bat Lee ihn, „Warum sollten wir diese Geschichte nicht noch unfassbarer machen?"
„Nun... es gibt eine Person, die Agnolia Tripe erschreckend ähnlich sieht", erzählte Remus, „So ähnlich, dass ich gedacht habe, es wäre sie, als ich sie das erste Mal gesehen habe."
Agnes lachte beinahe laut auf, als sie sich selbst daran erinnerte. Es war in ihrem fünften Jahr gewesen, ein Dementor war im Zug gewesen und Agnes hatte Antworten bei dem Professor gesucht, den sie schlafend im Abteil gesehen hatte. Damals hatte Remus sie wohl beinahe angegriffen, als er sie gesehen hatte und für Agnolia Tripe gehalten hatte. Seltsam, wenn man daran dachte, dass er nur ein paar Jahre später angefangen hatte, sie als seine Tochter zu bezeichnen.
„Du sprichst von Agnes", erriet Lee, „Agnes Tripe, die als vermisst und vermutlich tot gilt."
„Ganz genau", bestätigte Remus heiter, „Agnes, die vielleicht doch nicht tot ist... vielleicht, wenn die Welt es gut meint."
„Ich bin mir nicht so sicher, ob die Welt es gut gemeint hat, als sie mich am Leben gelassen hat", meinte Agnes leise und verschränkte die Arme vor der Brust, um eventuell den Schmerz in ihrer Brust auszublenden und zu vergessen, aber es funktionierte nicht wirklich. Wie gut konnte es eine Welt mit ihr meinen, wenn sie noch immer lebte?
„Die Welt hat es ganz sicher gut mit mir gemeint, als sie mir meine Schwester zurückgegeben hat", sagte Tia heiter und lächelte Agnes so fröhlich an, dass Agnes nicht anders konnte, als zurück zu lächeln. Sie selbst mochte egoistisch sein, wenn sie daran dachte, dass es wohl besser gewesen wäre, wenn sie irgendwann zwischen dem Werwolfangriff und jetzt gestorben wäre, aber vielleicht hatte das Leben es ja nicht gut mit ihr gemeint, als es sie am Leben gelassen hatte, sondern mit den anderen. Agnes wollte sich darüber freuen, aber ihre egoistische Seite gewann beinahe die Oberhand – beinahe.
„Agnes Tripe lebt also", fasste Lee zusammen, „Denkst du, sie hört in diesem Moment zu?"
„Vermutlich nicht", gestand Remus lachend, „Aber... ich hoffe es... dann würde sie nämlich wissen, dass sie Freunde hat. Sie würde wissen, dass jemand auf sie wartet – nicht nur ich, sondern auch andere, die ihr viel bedeuten. Und... ich würde ihr sagen, dass ich... ihr so-gut-wie Vater sehr stolz auf sie bin. Wirklich sehr stolz. So stolz, wie es ein Vater nur sein kann – auf beide meiner Töchter. Sie sind beide wundervoll und mein einziger Wunsch ist es, dass meine beiden kleinen auf sich aufpassen. Mehr will ich gar nicht."
Wieder sammelten sich Tränen in Agnes' Augen und sie schob es auf den Vollmond, der nur noch wenige Tage entfernt war, dass sie so emotional auf alles reagierte.
Aber im Inneren wusste sie, dass sie wirklich gerührt war und sie hatte auch volles Recht dazu. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann ein Elternteil das letzte Mal wirklich stolz auf sie gewesen war – wann ein Elternteil überhaupt stolz auf sie gewesen war. Vermutlich nie. Aber dann gab es Remus, der sie irgendwie unter seine Fittiche genommen hatte, als sie dasselbe Schicksal auferlegt bekommen hatten und sagte ihr durch das Radio, dass er stolz auf sie war.
„Sag das nicht, Remus", wisperte Agnes leise. Sie wollte nicht wirklich, dass Remus stolz auf sie war – sie wusste, sie würde ihn nur genauso enttäuschen, wie ihre anderen Elternteile. Sie schien kein Talent dafür zu haben, eine Tochter zu sein.
Agnes drehte sich weg, damit niemand ihre Tränen sehen konnte und atmete tief durch – sie benahm sich lächerlich. Sie war Agnes Tripe und Agnes Tripe weinte nicht – niemals. Aber Agnes Tripe verlor auch eigentlich nicht den Verstand.
„Es gibt viele, die auf sie warten", sprach Remus weiter, „und sie würden sich alle über ein Zeichen von dir freuen. Wir verstehen natürlich, dass du dich nicht offenbaren willst, aber ein Zeichen als Beweis dafür, dass die Geschichten stimmen und du wirklich lebst, wäre alles, was wir... was ich mir im Moment wünschen kann."
Es war verlockend, einfach das Haus zu verlassen, Remus aufzuspüren und vielleicht umarmt zu werden. Es war wirklich verlockend und es wäre einfach, im Gegensatz zu dem, was Agnes sich selbst auferlegt hatte. Sie wäre sicher – wenigstens für ein paar Momente. So lange, bis ihre Mutter sie finden würde und sie alle abschlachten würde. Dann wäre sie tot.
„Sehr bewegende Worte, Romulus", bedankte sich Lee bei ihm und sprach ruhiger, als er es sonst tat, „An dieser Stelle raten wir allen, die auf der Flucht sind und irgendwie die Chance haben, eine Nachricht zu schicken, sich bei ihren Familien zu melden. Es herrschen gefährliche Zeiten und etwas Sicherheit tut jedem gut. Aber denkt immer daran, dass euer eigenes Wohl vorgeht und ihr lieber nichts riskiert."
„Achtet immer darauf, dass ihr euch selbst und andere nicht in Gefahr bringt, wenn ihr eine Nachricht sendet", stimmte Remus ihm ernst zu.
„Lieber Zuhörerinnen und Zuhörer, nach diesen Worten der Weisheit endet PotterWatch. Wir versuchen, noch in der nächsten Woche wieder zu senden, aber wegen einiger Durchsuchungen in der Nähe sind wir auf der Hut. Das nächste Passwort ist Dumbledore und ich rate Ihnen allen, immer fleißig weiter am Rädchen zu drehen und darauf zu warten, wieder unsere bezaubernden Stimmen zu hören. Passt auf euch auf und leistet weiterhin Widerstand. Gute Nacht."
Es wurde leise und Agnes wischte sich schnell über die Augen, atmete tief durch und fasste sich wieder und sie wusste, dass man ihr nicht mehr ansehen konnte, dass sie geweint hatte. Stattdessen bemühte sie sich, eine kalte Miene im Gesicht zu behalten und sich nicht anmerken zu lassen, was sie überhaupt spürte.
„Er ist mein Onkel gewesen", sagte Marcus leise und bewies damit Agnes' Theorie, „Damocles Belby... ich habe ihn eigentlich nicht gekannt... mein Vater und er haben sich nicht sonderlich gut verstanden, aber... er ist der Grund, warum ich geflüchtet bin. Die Todesser sind gekommen – in unser Haus – und haben gefragt, wo er ist. Meine Eltern haben sie geschnappt... ich weiß nicht einmal, ob sie tot sind, aber ich bin abgehauen."
„Dein Vater hat deinen Onkel nicht gemocht, weil er mit einem Werwolf verheiratet gewesen ist, oder?", fragte Tia und Agnes war überrascht, woher Tia das schon wieder wusste. Das Mädchen schien immer genau diese Informationen zu haben, die man nicht von ihr erwartete.
„Woher weißt du das?", fragte Marcus verwirrt.
„Ich habe Damocles einmal getroffen", erzählte Tia, „Slughorn hat ihn zu dieser kleinen Weihnachtsfeier eingeladen und er hat uns auch vorgestellt. Wir haben kurz gesprochen... er ist ein ziemlich großartiger Mann gewesen... er hat den Wolfsbanntrank erfunden."
„Den Wolfsbanntrank?", wiederholte Agnes und wandte sich zu Tia um.
Gedanken rasten in Agnes' Kopf. Der nächste Vollmond war in drei Tagen. Drei Tage war nicht genug, um den Wolfsbanntrank noch früh genug einzunehmen, damit er wirken musste – man musste schon drei Tage davor anfangen, ihn zu nehmen, wie sie gelernt hatte. Aber es würden weitere Vollmonde folgen – immer mehr.
Agnes hasste den Wolfsbanntrank – sie verabscheute ihn geradezu, aber es würde ihr Kontrolle geben. Sie würde sich daran erinnern, was sie getan hatte und sie würde sich sicher sein, dass sie nicht am nächsten Morgen blutverschmiert und mit menschlichen Körperteilen im Magen aufwachte. Sie hatte keine Ahnung, wie man einen Wolfsbanntrank machte – sie hatte es nie in der Schule gelernt, aber Snape hatte ihn für sie gemacht. Sie hatte sich nie wohl gefühlt, ihn während ihrer Schulzeit zu nehmen, aber sie hatte Kontrolle gehabt. Und Kontrolle über ihren eigenen Verstand und ihren eigenen Körper war im Moment das, was Agnes begehrte.
„Er hat dir nicht zufällig das Rezept dafür gegeben, oder?", fragte Agnes an Marcus gewandt. Er schüttelte entschuldigend den Kopf und Agnes fluchte innerlich – was hatte sie auch erwartet. Es wäre zu gut gewesen, um wahr zu sein.
„Mein Vater wollte nie viel mit ihm zu tun haben", gestand er.
„Damocles hat den Wolfsbanntrank für seine Frau erfunden", erzählte Tia, „Als sie von einem Werwolf gebissen worden ist, wollte er ihr helfen. Wir haben bei dieser Weihnachtsfeier darüber gesprochen, dass er Kinder haben wollte, aber seine Frau sich nicht sicher war, ob diese Kinder nicht ebenfalls... verflucht sein würden... Anscheinend wollten sie es probieren, aber... sie haben wohl nie die Chance gehabt, herauszufinden, ob dieses Kind ein Werwolf gewesen wäre. Sie sind davor gestorben... und das Kind mit ihnen."
Es war Agnes egal, warum der Wolfsbanntrank erfunden worden ist, sie wollte nur eine Möglichkeit haben, ihn herzustellen.
„Ich will einen Wolfsbanntrank", sagte Agnes sicher und blickte kalt in die Runde, ob irgendjemand genug Verstand hatte, um einen Vorschlag zu bringen. Es waren genug intelligente Persönlichkeiten versammelt, es musste irgendjemanden geben, der mit Agnes Schritt halten konnte.
„Warum willst du den Wolfsbanntrank?", fragte Angelina, „Wofür?"
Agnes' Gedanken rasten. Sie wog innerhalb von wenigen Momenten ihre Möglichkeiten ab und entschied sich schließlich für die Wahrheit.
„Weil ich ein Werwolf bin", erklärte Agnes und beobachtete im Raum die Reaktionen und sie wurde nicht enttäuscht. Sie hatte es schon einem ziemlich großen Teil des Widerstandes erzählt, aber die anderen hatten keine Ahnung gehabt – wahrscheinlich hatten sie nicht einmal vermutet, dass sich ein Monster in ihrer Mitte befand. Es gab Agnes ein seltsames Gefühl von Macht, als sie sah, dass einige erschrocken einen Schritt zurückwichen und andere nur erbleichten. Ein oder zwei sahen sie schon beinahe mitleidig an – Agnes wandte ihren Blick schnell ab und beobachtete lieber diejenigen, die die Nachricht mit weniger Mitgefühl auffassten.
Besonders amüsant war Leanne, die Anführerin der Gruppe und wohl eine ziemlich gute Freundin von Tia. Für das, dass sie mit Tia befreundet war – die Tochter eines Werwolfs – reagierte sie ziemlich feindselig. Agnes sah, wie ihre Hand einen Moment lang sogar in die Richtung ihres Zauberstabes zuckte – aus Reflex, bevor sie sich wohl anders entschied. Aber auch ihre Mimik verriet Agnes viel – sie wurde bleich und ihre Miene änderte sich von wütend zu ängstlich zu unsicher. Es war wirklich amüsant.
„Ein... Werwolf?", fragte Leanne schließlich und Agnes war amüsiert von ihren Versuchen, Würde zu bewahren und möglichst neutral auszusehen, aber es war eine eigene Kunst, anderen nicht anmerken zu lassen, was man wirklich spürte. Konstantin hatte diese Kunst perfektioniert und auch Agnes brüstete sich damit, dass sie das ziemlich gut konnte.
„Hast du Angst, Anführerin?", sprach Agnes die wahren Gefühle von Leanne an und lächelte – sie konnte nicht anders, „Ein großer, böser Wolf in eurer Mitte."
Leannes Blick huschte zu Tia – ihrer Vertrauten in dieser Angelegenheit und Tia lächelte aufmunternd, wie Tia es nun einmal tat.
Leanne schluckte schwer und schien sich entschieden zu haben. „Zugegeben... Ich... ich weiß nicht, was ich von Werwölfen halten soll, aber... Ich vertraue Tia und Tia vertraut dir, also vertraue ich dir auch."
„Ein schrecklicher Fehler", Agnes genoss es schon beinahe, als sie sah, dass Leanne bei ihren Worten noch bleicher wurde, „Ich bin einer dieser Werwölfe, vor denen Eltern ihre Kinder warnen."
„Bist du das?", ruinierte Sirius wieder einmal alles, „Wenn du der schrecklichste Werwolf bist, den diese Welt zu bieten hat, dann muss man sich wohl vor keinem Werwolf fürchten."
„Du hast selbst gesehen, zu was ich imstande bin, Sirius", erinnerte Agnes ihn.
„Und doch willst du den Wolfsbanntrank", konterte Sirius, „Ein Trank, der dich einsperrt. Werwölfe fühlen sich niemals in ihrer eigenen Haut wohl, oder? Niemals, außer kurz nach der Verwandlung. Du hast es selbst gesagt – es ist ein befreiendes Gefühl, oder nicht? Das erste Mal in einem Monat, dass du dich wirklich frei und nicht fremd in deinem eigenen Körper fühlst. Aber mit dem Wolfsbanntrank verschwindet dieses Gefühl. Du wirst weiterhin gefangen in dir selbst sein. Du hasst – nein, verabscheust es, gefangen zu sein, Agnes. Warum willst du dich selbst einsperren?"
Agnes hasste, dass Sirius den anderen so viel über sie verriet und sie wusste nicht genau, was Sirius damit erreichen wollte, indem er sie darauf ansprach.
„Vielleicht kenne ich nicht mehr anderes?" Es war eine Lüge. Agnes kannte sehr wohl noch den süßen Geschmack von Freiheit – das war auch der Grund, warum sie sich nicht mehr einsperren lassen wollte. Sie kannte so viele verschiedene Arten von Freiheit und Sirius hatte Recht – es war eine ganz andere Art von Freiheit, ein Werwolf zu sein. Es waren nicht nur negative Effekte mit dem Biss gekommen. Natürlich war da diese ständige Müdigkeit und diese Kopfschmerzen und sie spürte die Wirkung des Vollmondes schon Tage zuvor an ihrem Körper, aber gleichzeitig waren da die verbesserten Sinne, die zwar nicht immer gewünscht waren, aber doch einen Vorteil boten. Außerdem die Stärke, die mehr der eines Wolfes oder Werwolfes ähnelte, als einem Menschen. Agnes war stärker, als normale Menschen und das wusste sie. Es war tödlich, sich mit ihr anzulegen.
Und Agnes hätte auch gelogen, wenn sie gesagt hätte, dass sie nicht auch ein gewisses Gefühl von Freiheit verspürt hatte, wenn sie getötet hatte, als sie in Greybacks Rudel gewesen war. Es war diese Macht, die immer so verführerisch an ihrer Fingerspitze saß und sie schon beinahe neckte und dazu aufforderte, sie zu benutzen. Agnes versuchte natürlich aktiv, diese Gefühle zu unterdrücken – sie stammten aus der animalischen Seite in ihr, wie sie wusste, aber dennoch war der Geschmack von Macht süßer, als der Geschmack von Blut.
Es war auch eine gewisse Freiheit, loszulassen, wenn sie sich in einen Werwolf verwandelte. Es war einfacher, als einzuschlafen. Man bekam nur einen Teil der schmerzvollen Verwandlung mit, wenn man irgendwann dem Werwolf die Kontrolle übernehmen ließ – diesem Monster in sich selbst, das auch normale Menschen in sich hatten und das ebenfalls durch Schmerz geweckt werden konnte. Der Wolfsbanntrank verhinderte diese Übernahme und nicht nur musste man die Schmerzen allein durchstehen, sondern man musste dann auch noch die ganze Nacht allein mit sich zurechtkommen, mit den Gedanken eines Tieres im hintersten Teil seiner Gedanken.
„Lüg dich nicht selbst an, Agnes", tadelte Sirius sie und hatte scheinbar direkt durch ihre Lüge gesehen – das war auch nicht sonderlich schwer gewesen. Hätte Agnes ihn wirklich anlügen wollen, dann hätte er es nicht einmal bemerkt. „Sag schon – was ist der wahre Grund, warum du den Wolfsbanntrank haben willst?"
Langsam ging Sirius Agnes auf die Nerven. Egal, ob er ihr im Moment helfen wollte oder einfach nur das Wissen benutzte, um sich ausnahmsweise einmal ihr gegenüber überlegen zu fühlen – sie war tatsächlich wütend auf ihn und überlegte sich tatsächlich, ob sie ihn angreifen und ihn so wieder an seinen Platz erinnern sollte. „Du kennst den Grund", zischte Agnes und wartete noch ab.
„Ich will ihn aber von dir hören", bemerkte Sirius, „Sieh es als ersten Schritt der Besserung – ich versuche gerade, dich zu heilen."
Es war schon lange her gewesen, seit Agnes das letzte Mal geheilt worden war, aber soweit sie sich erinnerte, funktionierte das anders. Auf jeden Fall hatten die Heiler im St. Mungos sie nicht so lange provoziert, bis sie bereit war, diese anzugreifen. „Ein jämmerlicher Versuch." In Agnes Stimme hörte man ihre Wut – sie wollte es nicht einmal verstecken.
Sirius zuckte nur entspannt mit den Schultern – entweder, er war dumm genug, um nicht zu erkennen, dass er gerade einen mörderischen Werwolf provozierte – das würde ihm ähnlich sehen – oder es interessierte ihn schlichtweg einfach nicht, was aber wiederrum ebenfalls auf Dummheit hindeuten würde. „Ein Versuch ist es wert. Und du hast noch immer nicht gesagt, warum du den Wolfsbanntrank haben willst... also... wir warten."
Ihre Blicke trafen sich und Agnes starrte ihn an, wie es ein Raubtier tat, bevor diese zuschlug. Sie beobachtete jede seiner Bewegungen und kalkulierte schon die Stärke, die sie brauchen würde, um ihn anzuspringen. Sie hätte ihn natürlich auch mit Einfachheit mit einem Zauber angreifen können, aber Agnes wollte ihm viel lieber beweisen, dass sie ein Monster war und dieses auch freilassen konnte, wenn sie wollte. Sie war die Herrin über sich selbst und sie konnte selbst kontrollieren, wann sie ihren Wahnsinn freiließ. Es war das Monster, das sie in ihrem eigenen Keller in ihrem Kopf eingesperrt hatte und das sie freilassen konnte, um ihre Feinde zu zerfetzen.
Aber dieses Anstarren artete schnell aus und Sirius starrte einfach zurück – genau das, was man bei einem wilden Tier nicht machen sollte und Agnes bemerkte, dass dieses Anstarren zu einem Spiel der Dominanz geworden war. Ein kindisches Spiel – wer zuerst blinzelte, hatte verloren. Und Agnes verlor nicht gerne.
Also starrte sie einfach zurück mit dem Wissen, dass Sirius sich wieder einmal übernommen hatte und zuerst blinzeln würde. Sie sah schon die Schwäche in seinen Augen und seine Lider zuckten, als seine trockenen Augen darum flehten, wieder bedeckt zu werden. Aber Agnes starrte ihn einfach weiter an und begann leicht zu lächeln. Sie war schon immer besser gewesen in solchen Sachen, als Sirius und eigentlich wusste er es.
„Agnes, ich bin schlecht in Starr-Wettbewerben", Agnes hörte leichte Verzweiflung in Sirius' Stimme, „Du gewinnst immer."
„Ich weiß", Agnes kümmerte es nicht, was Sirius fühlte – sie verlor nicht gerne und insbesondere nicht gegen Sirius, „Deswegen ist es meine bevorzugte Art, Diskussionen gegen dich zu gewinnen."
„Du weißt, dass ich Recht habe", meinte Sirius, „Gib einfach auf."
„Es liegt nicht in meiner Natur, aufzugeben", konterte Agnes.
„Dann sag schon, warum du den Wolfsbanntrank haben willst", befahl Sirius.
Warum wollte sie den Wolfsbanntrank wirklich? Sirius hatte sie mit dieser Frage überrascht – sie hatte, ehrlich gesagt, schon beinahe vergessen, warum sie den Starr-Wettbewerb überhaupt begonnen hatten. Diese unschuldige Frage brachte sie aus dem Konzept und bevor sie sich selbst davon abhalten konnte, blinzelte Agnes verwirrt. Sie wusste, dass sie verloren hatte, bevor sich ihre Augen vollkommen geschlossen hatten.
„Das ist unfair – du hast mich abgelenkt", beschwerte sich Agnes.
„Ich habe nie gesagt, dass ich fair kämpfe", grinste Sirius, „Also... deine Antwort."
„Na gut", Agnes hob stolz ihren Kopf, „Ich will den Wolfsbanntrank, weil ich finde, dass Menschen nicht gut schmecken."
Es war genau die Antwort, die Sirius nicht hören wollte und die die anderen vermutlich verstörte, so wie sie erschrocken die Augen aufrissen, aber Agnes lächelte nur leicht. Es war nicht wirklich gelogen, nur nicht die ganze Wahrheit.
„Das ist eine schreckliche Antwort", bemerkte Sirius und sah sich um, um ebenfalls zu sehen, wie die anderen darauf reagierten – sie reagierten so, wie Menschen nun mal reagierten, wenn man ihnen sagte, dass man Menschenfleisch nicht mochte, „Du machst den anderen Angst."
„Das war das Ziel", gestand Agnes und hob stolz den Kopf.
„Formuliere es besser", bat Sirius sie.
„Ich will den Wolfsbanntrank, damit ich ein bisschen Kontrolle über mein Leben zurückgewinne", erklärte Agnes gereizt, „Ich will den Wolfsbanntrank, weil ich, obwohl ich diese Pausen in meinem Körper genieße und es wirklich die einzige Zeit war, in der ich wirklich das Gefühl gehabt habe, dass ich einfach schlafen kann, keine Gefahr für andere sein will. Ich brauche Kontrolle – wenigstens über mich selbst. Und wenn ich schon nicht kontrollieren kann, was mir meine Augen zeigen, was mir meine Ohren sagen oder was mein Verstand sich zusammenreimt, dann will ich wenigstens Kontrolle darüber haben, was zu Vollmond passiert."
Agnes verfluchte sich selbst, als sie Worte ihren Mund verlassen hatten. Sie hatte nicht vorgehabt, so viel über sich selbst zu verraten.
„Eine ausgezeichnete Antwort", wenigstens Sirius grinste zufrieden, „Ich bin stolz auf dich. Das war doch gar nicht so schwer, oder?"
„Ich werde dich später umbringen", beschloss Agnes kühl.
„Sie meint es nicht so."
„Doch." Agnes überlegte es sich wirklich, aber gleichzeitig wusste sie, dass sie einige Probleme mit ihren Verbündeten bekommen würde, wenn sie Sirius umbringen würde – auch mit Tia. Tia mochte Sirius.
„Jetzt, da wir geklärt haben, warum Agnes den Wolfsbanntrank haben will", unterbrach Konstantin die Diskussion, „Vielleicht sollten wir uns darüber Gedanken machen, ob wir ihn überhaupt herstellen können."
„Viele Zutaten für den Wolfsbanntrank stehen auf der Liste der Verbotenen Zutaten", vermutete Liza, „Wir müssten sie irgendwo anders besorgen."
„In Hogwarts könnte es die Zutaten geben", erinnerte sich Tia.
Hogwarts. Agnes hatte nicht viele Gedanken an Hogwarts verschwendet – den Ort, den sie ihr zu Hause nennen konnte, nachdem sie eigentlich nie wirklich ein zu Hause gehabt hatte. Den Ort, von dem sie vertrieben worden war, als Umbridge Schulleiterin geworden war.
„Ich weiß nicht, ob Snape die Zutaten weggeworfen hat, nachdem Agnes die Schule verlassen hat, aber vielleicht hat er noch Vorräte", erklärte Tia ihre Gedanken.
Sie konnte Recht behalten. Agnes wusste nicht genau, was sie von Snape halten sollte. Er war die Art von Mensch, die alles tun würde, um zu überleben, wie sie vermutete – er war Agnes vielleicht gar nicht so unähnlich. Es würde Agnes nicht wundern, wenn Snape sie hasste, immerhin war sie ziemlich respektlos zu ihm gewesen – so wie zu jeder Autoritätsperson, der Agnes jemals begegnet war – aber gleichzeitig war er ihr gegenüber immer ein bisschen gnädiger gewesen, als mit anderen und das rechnete Agnes ihm hoch an. Außerdem hatte er ihr in Hogwarts den Wolfsbanntrank gebraut – Agnes hatte noch nicht die Chance gehabt, sich bei ihm dafür zu revanchieren.
„Im St. Mungos ist die Herstellung des Wolfsbanntrankes verboten worden", erzählte Janet, „Am selben Tag, an dem die Todesser das Ministerium übernommen haben. Sie sind gekommen und haben alle Zutaten mitgenommen – dort gibt es also nichts zu holen."
„Sie haben den Wolfsbanntrank verboten?", fragte Liza entsetzt, „Aber... wie helfen sie den Werwölfen, die kommen. In der Abteilung, in der ich gearbeitet habe, sind Werwölfe die häufigsten Kunden gewesen."
Agnes war ebenfalls im St. Mungos gewesen, nachdem Greyback sie angegriffen hatte und hatte sie wieder zusammengeflickt. Eigentlich war es vermutlich ein Wunder, dass Agnes den Angriff überlebt hatte – Greyback hatte ein ziemlich großes Stück aus ihrem Bauch gerissen und sie war danach noch selbstständig appariert und hatte einiges an Blut verloren. Aber besonders dankbar war Agnes den Heilern im magischen Krankenhaus, dass sie auch Dorothy, ihre Katze wieder zusammengeflickt hatten. Agnes fragte sich, wo Dorothy jetzt war. Hoffentlich noch immer bei Fred und George in deren Wohnung, wo Agnes sie zurückgelassen hatte.
„Den Heilern ist es nicht mehr erlaubt, einen Werwolf zu behandeln", erzählte Janet leise, „Sie können ihre Wunden versorgen, aber sobald sie soweit sind, um wieder entlassen zu werden, werden sie das auch. Sie bleiben nicht mehr über Vollmond zur Beobachtung im St. Mungos."
„Das ist... schrecklich", meinte Liza, „Die Heiler sind die einzigen gewesen, die ihnen während des ersten Vollmonds ein paar wissenswerte Fakten mitgeben konnten... wie können sie sie ablehnen?"
Andere Werwölfe hatten keinen Remus, der ihnen beibrachte, wie man mit dem Fluch umging und dafür gab es Heiler, die es wussten oder ungefähr wussten, immerhin war keiner von ihnen selbst ein Werwolf. Das hatten die Werwölfe jetzt wohl nicht mehr.
Aber das bewies nur wieder, dass auch unter dem Dunklen Lord die Rechte für Werwölfe noch immer eingeschränkt waren. Sie waren noch immer nicht anderen Zauberern gleichgestellt.
„Ich frage mich, was Greybacks Rudel dazu sagt", meinte Agnes nachdenklich, „Greyback folgt dem Dunklen Lord, weil er ihm das gibt, was Greyback sich wünscht – Menschen zum Umbringen. Aber sein Rudel ist da... ein bisschen... anders. Sie erhoffen sich auch mehr Rechte unter der Herrschaft des Dunklen Lords. Viele haben sich ihm angeschlossen, weil sie einfach hoffen, wieder arbeiten zu können, wenn das Ministerium unter seiner Herrschaft steht."
„Das hat ja wirklich gut funktioniert", schnaubte Konstantin sarkastisch. Agnes konnte ihm nur zustimmen. Diese neuen Richtlinien führten eigentlich für die Werwölfe in die komplett falsche Richtung.
„Was denkst du, wie reagiert Greybacks Rudel auf diese neue Art der Unterdrückung?", fragte Sirius Agnes und Agnes verstand sofort seinen Gedankengang.
Wenn die Werwölfe ebenfalls erkannten, dass auch der Dunkle Lord ihnen nicht das gab, was sie wollten, bestand die Möglichkeit, dass sie sich wieder auflehnten. Es wäre eine positive Sache für Agnes. Sie selbst könnte zu ihnen gehen und sie anwerben. Sie war ein Werwolf und sie besaß Eigenschaften, die ihr als Werwolf Macht verliehen. Außerdem kannte sie die Gemeinschaft der Werwölfe in verschiedenen Ebenen – sie war eine Ausgeschlossene der Zivilisation gewesen und war von der Schule geflohen, um nicht eingesperrt zu werden, aber gleichzeitig hatte sie auch im Rudel gelebt. Sie konnte töten und konnte kalt und kühl sein, wenn sie wollte. Das war wichtig, wenn man Macht vermitteln wollte. Aber gleichzeitig erinnerte sich Agnes daran, wie unterwürfig die Werwölfe Greyback gegenüber gewesen waren. Sie hatten mehr Angst vor Greyback gehabt, als vor ihr und vielleicht war auch viel von ihrer Macht daher gekommen, dass Greyback ein spezielles Interesse an ihr gezeigt hatte. Der größte Teil der Werwölfe in England hielt sich entweder komplett versteckt und hatte sich Greybacks großem Rudel angeschlossen – er war nicht nur Anführer des größten Rudels, in dem Agnes gelebt hatte, sondern auch viele kleinere Rudel horchten auf ihn und waren ihm untergeben. Die einzige Chance, Greyback und somit die Werwölfe auf ihre Seite zu bringen, war es, auch Greyback auf ihre Seite zu bringen.
Sie war Agnes Tripe – bestimmt könnte sie das. Greyback unterlag ihr, das wusste sie insgeheim und wenn sie ihm die richtigen Angebote machte, würde er sich ihr anschließen. Er brauchte nur dieselben Möglichkeiten, wie unter dem Dunklen Lord – er würde weiterhin morden wollen.
Es war ein Preis, den Agnes bereit war, zu zahlen, um den Dunklen Lord und die Todesser zu besiegen. Nach dem Krieg könnten sie Greyback verraten und irgendwie loswerden – zu diesem Zeitpunkt wäre er bestimmt schon so tief in ihre Falle getreten, dass es ein Leichtes wäre, ihn einfach umzubringen und endgültig die Werwolfgemeinschaft wieder auf den richtigen Weg zu führen. Aber als Agnes sich umsah und bemerkte, dass sie von Pazifisten und Leuten umgeben war, die noch nie gemordet hatten, um zu überleben, verwarf sie diesen Gedanken schnell wieder. Die anderen würden bestimmt nicht begeistert von ihrer Idee sein und irgendwie verstand sie es, aber gleichzeitig hasste sie es, dass andere in ihrem Team noch von einer Kleinigkeit wie solchen Hemmungen gestoppt wurden. Nach dem ersten Mord wurde alles leichter – das hatte sie gelernt, als sie die Hauselfe Winnie umgebracht hatte und dann, Jahre später, den Werwolf, an deren Namen sie sich gar nicht mehr erinnern konnte.
. „Sie werden sich nicht gegen Greyback stellen", sagte Agnes also und ließ sich nicht anmerken, wie düster ihre Gedanken geworden waren, „Darauf können wir nicht vertrauen. Greyback hat sich viel Macht aufgebaut und einige seiner Anhänger folgen ihm aus animalischeren Gründen. Greyback ist ein ausgezeichneter Kämpfer und ein kaltblütiger Mörder. Unter Werwölfen sind das angesehene Eigenschaften." Eigenschaften, die sie ebenfalls besaß.
„Die Werwölfe sind also noch immer auf der Seite von Ihr-wisst-schon-wem", fluchte Sirius, „Es wäre praktisch gewesen, wenn sie sich uns angeschlossen hätten."
„Dafür hätte das Ministerium schon vor Jahren anfangen müssen, den Werwölfen mehr Rechte zu geben", schnaubte Agnes und Tia konnte ihr nur Recht geben, „Hast du das Regelbuch schon einmal gelesen, Sirius? Ich habe es nämlich schon beinahe auswendig gelernt. Für jede einzelne Lebenssituation gibt es eine andere Regel, die man befolgen muss. Ich kann es anderen Werwölfen nicht übelnehmen, wenn sie sich lieber in Rudel in die Wildnis zurückziehen. In einem Rudel gibt es nicht so viele Regeln – dort heißt es nur: Überlebe oder sterbe." Agnes' Überleben verdeutlichte nur, für welchen Weg sie sich entschieden hatte.
„Selbst, wenn wir die Zutaten auftreiben könnten", erinnerte Marcus sie wieder, „Wir wissen nicht, wie man ihn herstellt. Soweit ich weiß, ist es ein ziemlich komplizierter Trank und das Rezept wurde schon immer vom Ministerium unter Verschluss gehalten. Nur wenige Leute haben Zugriff darauf bekommen."
„Wir könnten im St. Mungos das Rezept suchen", schlug Liza vor, „Sie haben vielleicht die Zutaten nicht mehr, aber im Rezeptbuch könnte es noch stehen. Ich habe ihn ein- oder zweimal gebraut – ich weiß sogar, auf welcher Seite er steht."
„Aber du kennst ihn nicht auswendig?", fragte Konstantin.
„Es ist ein komplizierter Trank", verteidigte sich Liza, „und es hat immer ein Rezept gegeben. Woher hätte ich wissen sollen, dass ich ihn einmal illegal brauen muss? Außerdem hat Hippocrates das meistens übernommen – bei diesem Trank darf absolut kein Fehler passieren."
Vermutlich hätte Agnes sich mehr mit dem Wolfsbanntrank beschäftigen sollen, immerhin war er wichtig für sie gewesen. Vermutlich hätte sie Snape nach dem Rezept fragen sollen oder es einfach stehlen sollen, aber sie hatte sich noch nie sonderlich für Zaubertränke interessiert. Aber sie kannte jemanden, der es tat uns sie wurde nicht enttäuscht.
„Ich kenne ihn auswendig", gestand Tia und lächelte. Agnes lächelte ebenfalls, aber man konnte nicht wirklich sagen, ob es ein triumphierendes oder finsteres Lächeln war.
„Du kennst ihn?", Konstantin schien ihr nicht zu glauben.
„Ich habe ihn einmal mit Snape gemacht", erinnerte Tia sich, „Aber ich kenne das Rezept noch ganz genau – ich könnte ihn brauen."
„Tia ist genial in Zaubertränke", Katie warf einen Arm um Tias Schultern, „Bestimmt könnte sie das."
„Dir dürfte kein Fehler passieren", warnte Agnes sie ernst, „Ich vertraue dir zwar, Tia, aber wenn dir ein Fehler passiert, könnte das schlimm enden."
„Keine Sorge", es kam leider viel zu selten vor, dass Tia erkannte, was wirklich in ihr steckte, aber dieses eine Mal war sie sich sicher, „Ich bin in nicht vielen Dingen gut, aber ich bin sehr gut in Zaubertränke. Ich bin mir sicher, ich könnte ihn brauen."
„Tia kann ihn also brauen und die Zutaten gibt es vielleicht in Hogwarts", fasste Leanne zusammen, „Dafür müsst ihr also nach Hogwarts."
„Das ist der Plan, ja", stimmte Konstantin ihr zu.
Agnes beobachtete, wie der Widerstand darauf reagierte und achtete besonders auf Leanne – die Anführerin. Sie tauschte mit den anderen Blicke aus, bevor sie nickte und selbstsicher sagte: „Wie kommen mit."
„Warum?", fragte Sirius verwirrt, „Ich bin mir sicher, es ist Wahnsinn, im Moment nach Hogwarts zu kommen... ich habe eigentlich noch gar nichts von Hogwarts gehört... hat nicht vor ein paar Tagen das Schuljahr wieder begonnen? Ist McGonagall jetzt nach Dumbledore Schulleiterin?"
„Ihr habt es noch nicht gehört?", fragte Duncan überrascht und warf Agnes einen ungläubigen Blick zu.
Agnes hatte keine Ahnung, wovon er sprach und das hasste sie. „Wovon redet ihr?" „Hogwarts hat einen neuen Schulleiter", erklärte Leanne und lachte, „Unser aller Lieblingsprofessor."
„Remus?", riet Agnes halbherzig – natürlich wusste sie, dass Remus auf gar keinen Fall Schulleiter sein konnte, aber er war eigentlich der beste Professor gewesen, den sie gehabt hatte – soweit ihr auf die Schnelle jedenfalls einfiel. Sie anderen Professoren für Verteidigung gegen die Dunklen Künste waren Schrott gewesen.
„McGonagall?", fragte Sirius.
„Oh, ja", stimmte Agnes ihm zu, „Professor McGonagall ist perfekt – sie ist wirklich eine ausgezeichnete Professorin."
„Wie wäre es mit Sprout?", schlug Liza vor, „Ich habe diese Frau schon immer gemocht."
„Madam Hooch – wir alle wissen, dass mit ihr als Schulleiterin Hogwarts bald die Weltherrschaft an sich reißen wird", bestimmte Konstantin.
„Du weißt, dass es nicht der Sinn einer Schule ist, die Weltherrschaft an sich zu reißen?", fragte Liza ihren Bruder verwirrt.
Konstantin hob die Augenbrauen und wirkte künstlich geschockt. „Was? Wirklich?", rief er entsetzt aus, „Dann... dann habe ich da wohl etwas falsch verstanden."
„Ist es Snape?", sprach Tia aus und sofort wusste Agnes, dass sie Recht hatte. Eigentlich hätte sie selbst auf diese Idee kommen können – immerhin war Snape Professor gewesen und gleichzeitig war er ein treuer Anhänger des Dunklen Lords. Es gab eigentlich niemanden, der besser für diesen Job geeignet war, wenn man bedachte, in welcher Situation sich Hogwarts bestimmt befand.
„Nein", winkte Konstantin sofort ab und schien nicht denselben Gedankengang zu haben, wie Agnes oder er wollte es einfach nicht glauben, „Niemand ist wahnsinnig genug, um Snape zum Schulleiter zu ernennen. Ich kenne ihn, seit er angefangen hat, in der Schule zu unterrichten – niemals wird er Schulleiter. Immerhin hat er Dumbledore umgebracht. Die Gesellschaft und die Eltern würden niemals zulassen, dass ein Todesser die Leitung der Schule übernimmt... oder?"
Niemand antwortete ihm, aber das war Antwort genug.
„Das meint ihr nicht ernst", schnaubte Sirius, „Snivellus ist niemals Schulleiter. Ihr macht Witze."
„Es war in der Zeitung", erklärte Randy ernst, „Wir haben es auch zuerst nicht geglaubt."
„Wenn ich als Elternteil mein Kind auf eine Schule schicken müsste, in der Snape Schulleiter ist, würde ich sie lieber zu Hause unterrichten", bestimmte Liza, „Es sind dieses Jahr bestimmt nur wenige Schüler zurück nach Hogwarts gekommen."
Wenn Agnes noch Schülerin gewesen wäre, hätte sie Hogwarts freiwillig verlassen und wäre nicht mehr zurück gekommen. Sie hatte schon das Bild vor Augen, wie Snape am ersten Schultag beim Großen Fest in der Großen Halle ein Blatt Pergament vor der ganzen versammelten Schule zückte und den ersten Strich daran anbrachte.
„Es ist eine allgemeine Schulpflicht eingeführt worden", erzählte Colin, „Alle Kinder von Zaubererfamilien müssen ab sofort nach Hogwarts – egal, ob sie zuvor zu Hause unterrichtet worden sind oder nicht. So haben sie beinahe Dennis und mich erwischt. Sie haben die muggelgeborenen Kinder beim Bahnsteig abgefangen – manche von ihnen sind erst elf Jahre alt gewesen. Dennis und ich sind noch gerade so entkommen – Randy und Leanne haben uns geholfen."
Agnes hätte sich selbst von so etwas nicht abhalten lassen, nicht in die Schule zu gehen. Sie hatte Erfahrungen, wie man als Obdachloser überlebte – sie hätte sich einfach versteckt. Aber vermutlich war es eine Aufgabe der Greifer, Schulschwänzer aufzugreifen, immerhin hatten bestimmt viele Muggelgeborenen schon lange das Land verlassen. Jetzt begann die Jagd nach den schulschwänzenden Kindern, die sich nicht selbst in ihre eigene Folterkammer sperren wollten.
„Wir haben es leider nicht geschafft, allen zu helfen", gestand Leanne missmutig, „Wir haben nicht erwartet, dass so viele Todesser und Leute vom Ministerium dort sein würden. Das ist ein Fehler von uns gewesen – wir wollten eigentlich alle warnen."
„Aber seitdem haben wir keine Fehler mehr gemacht." Angelina stand auf und schlug mit der Faust auf den Tisch. Es war laut, aber Agnes schaffte es, nicht zusammen zu zucken und behielt Haltung, wie ihre Mutter es ihr beigebracht hatte. Selbst nach Schmerz oder wenn man Angst hatte, musste man Haltung bewahren.
„Und wir werden auch keine Fehler mehr machen. Seitdem sind alle unsere Missionen erfolgreich gewesen", fuhr Angelina selbstsicher fort.
Konstantin klatschte. Langsam und spöttisch. „Eine wirklich inspirierende Rede. Ausgezeichnet." Er klang sogar spöttisch, so wie Konstantin es häufig tat.
„Willst du dich mit mir anlegen, Gregorovich?", fragte Angelina gereizt und Agnes hatte das Gefühl, als würde Angelina Konstantin nicht leiden können und das wunderte sie nicht wirklich.
„Nein", sagte Liza Gregorovich, „Ich will mich nicht mit dir anlegen."
Angelina blickte verwirrt zu Liza. „Ich habe nicht mit dir gesprochen."
„Ich bin auch ein Gregorovich", erinnerte Liza sie und grinste schelmisch.
„Ihr beide seid beinahe noch schlimmer, als Fred und George", seufzte Katie genervt, „Wie haltet man euch beide zugleich aus?"
Liza und Konstantin sahen sich an und zuckten mit den Schultern. Die beiden waren eigentlich die Ältesten in der Runde, aber im Moment benahmen sie sich wie Kinder.
„Keine Ahnung –", begann Konstantin.
„–wir haben eigentlich nie –", führte Liza fort.
„–wirklich darüber nachgedacht", beendete Konstantin.
Die Geschwister klatschten ein, aber es war kein normaler Handschlag. Es war eine Abfolge, die nur Liza und Konstantin zu kennen schienen und Agnes speicherte in ihrem Kopf ab, dass sich die beiden näher standen, als es manchmal den Anschein hatte, wenn sie sich wieder einmal stritten.
„Ihr beide blamiert uns noch vor diesem seriösen Widerstand!", warnte Sirius die beiden, lächelte aber leicht, obwohl er das zu verstecken versuchte.
„Vielleicht können wir zum Ausgang dieser Unterhaltung zurückkommen", schlug Agnes ernst vor, „Warum wollt ihr mitkommen, wenn wir in Hogwarts einbrechen."
„Die Mitglieder des Wiederstands sind weitreichend –", begann Duncan dramatisch, aber Randy unterbrach ihn zum Glück, indem er eine Hand auf seinen Mund legte und ihn so zum Verstummen brachte.
„Was Duncan eigentlich sagen wollte ist, dass wir ein paar Mitglieder des Widerstands in Hogwarts haben", erklärte Randy schnell.
„Warum habt ihr Leute in Hogwarts?", fragte Sirius und runzelte die Stirn, „Hogwarts ist im Moment vermutlich einer der gefährlichsten Orte im Königreich. Mit Snivellus an der Macht –"
„– und zwei Todessern als Lehrer", fügte Dennis hilfsbereit hinzu.
„Und... und zwei Todesser als Lehrer?", wiederholte Sirius ungläubig, schaute in die Runde, als würde er Widerworte erwarten, bevor er seufzend nickte und fortfuhr, „– und zwei Todessern als Lehrer gibt es keinen tödlicheren Ort – und ich weiß, wovon ich spreche, immerhin waren Agnes und ich erst gestern in Askaban."
„Jedes Kind ist schulpflichtig", erinnerte Katie ihn, „Alle, die hier sind, sind entweder schon ausgeschult oder selber Gejagte. Aber ein paar aus unserer Gruppe haben zurück in die Schule müssen. Sie hätten viel riskiert, wenn sie es nicht getan hätten. Am Anfang ist das auch noch eine gute Idee gewesen, immerhin hätten sie uns so Informationen aus der Schule zukommen lassen können, aber das hat nicht so gut funktioniert, wie gedacht."
„Lasst mich raten", schnaubte Konstantin mit einer Art, die anderen sagte, dass er anderen überlegen war – Agnes hasste das, „Ihr habt nie Briefe bekommen."
„Ganz genau", sagte Angelina und warf Konstantin einen warnenden Blick zu, „Es kommen grundsätzlich keine Briefe aus Hogwarts. Wir haben bei ein paar Familien nachgefragt, deren Kinder ebenfalls in Hogwarts sind – es kommen überhaupt keine Briefe."
„Was habt ihr erwartet?", schnaubte Konstantin, „Naiv von euch, zu denken, dass Briefe kommen würden."
„Kon, kannst du bitte aufhören, allen anderen das Gefühl zu geben, als wären sie dumm und einfach sagen, was du denkst?", seufzte Liza genervt von ihrem Bruder. Agnes war ebenfalls kurz davor gewesen, das Konstantin zu verdeutlichen, aber sie hätte es weniger friedvoll gemacht, als Liza.
„Aber es ist doch offensichtlich", rief Konstantin amüsiert auf und überkreuzte seine Beine und lehnte sich zurück, „Natürlich lassen sie die Kinder keine Briefe schreiben. Dann könnten sie ja ihren Eltern erzählen, was im Moment in Hogwarts so alles passiert. Diese beiden Todesser, von denen ihr gesprochen habt... diese neuen Lehrer... wer sind sie?"
„Die Carrows", antwortete Duncan ihm, „Alecto und Amycus Carrow."
Agnes hatte diese Namen schon einmal gehört, aber es waren keine Todesser, die besondere Aufmerksamkeit von ihr verlangten. Es waren nur weitere Insekten, die zufällig auf der Seite ihrer Mutter waren.
„Ich habe die beiden schon einmal getroffen!", freute sich Tia grinsend, „Ich habe Amycus beinahe dazu gebracht, Alecto umzubringen! Das ist witzig gewesen."
Agnes sah Tia amüsiert an. Manchmal war sie so unschuldig – manchmal war sie unschuldig, obwohl sie etwas Verstörendes sagte. Es war ziemlich amüsant, besonders wenn man sah, wie andere darauf reagierten.
„Was... was ist los? Habe ich schon wieder etwas Falsches gesagt?", fragte Tia alarmiert, als sie sah, dass die anderen sie verstört ansahen.
„Du bist nur hin und wieder ein bisschen gruselig", winkte Sirius ab und Tia schien erleichtert darüber zu sein.
„Wer ist das nicht?", bemerkte Agnes, „Die Carrows... ich bin mir sicher, sie haben nie eine pädagogische Ausbildung genossen. Ich will gar nicht wissen, was sie den Kindern antun."
„Das sollten ihre Eltern wohl auch lieber nicht wissen", schnaubte Konstantin, „Sie wollen nicht, dass die Kinder Informationen weitergeben können, deswegen haben sie ihnen vermutlich verboten, Briefe zu schreiben. Es könnte sogar sein, dass den Schülern nicht erlaubt wird, über die Ferien nach Hause zu kommen – vielleicht ist das auch ein Privileg. Auf jeden Fall haben sie die Schüler vollkommen von ihren Familien und der Außenwelt abgeschottet."
„Kinder sind leicht zu manipulieren", bemerkte Liza ernst, „Das ist wahrscheinlich auch der Grund für die allgemeine Schulpflicht. Ihr-wisst-schon-wer will die Kinder wohl schon früh auf seine Seite ziehen."
„Ein genialer Schachzug." Agnes konnte nicht anders, als das zu bemerken. Die Todesser und der Dunkle Lord waren vielleicht ihre Feinde, aber das bedeutete nicht, dass man nicht anerkennen konnte, wenn sie einen ausgezeichneten Zug in diesem Krieg machten. Sirius schien das nicht so zu sehen und sah Agnes anschuldigend an. „Was ist, Sirius? Ich habe Recht. Man kann ja viel über den Dunklen Lord sagen, aber er unterschätzt Kinder nicht so, wie es andere tun. Ich weiß, wovon ich spreche, immerhin bin ich wohl das erste Kind gewesen, das dazu ausgebildet worden ist, der nächsten Generation an Todessern beizutreten."
Und sie wäre eine ausgezeichnete Todesserin geworden, daran zweifelte Agnes nicht. Sie wäre eine der besten gewesen und hätte vielleicht sogar an der Seite des Dunklen Lords dienen dürfen, wie auch ihre Mutter. Aber Agnes war nicht wie die Todesser – das wusste sie, weil sie froh darüber war, dass es anders gekommen war und sie es geschafft hatte, aus dieser Unterdrückung ihrer Mutter herauszukommen – jedenfalls teilweise.
„Wir sehen ja, wie gut das funktioniert hat", schnaubte Sirius, „Es hat genau das Gegenteil bewirkt."
„Als Kind bin ich ihr treu gewesen", widersprach Agnes ihm, „Als ich allein nach England gekommen bin, haben mich unzählige Leute befragt. Leute vom Ministerium, Auroren, sogar Dumbledore. Sie alle haben mir eine einzige Frage gestellt: Wo ist Agnolia Tripe?"
Wo ist Agnolia Tripe? Wo ist deine Mutter? Wo bist du gewesen, bevor du nach England gekommen bist? Kannst du uns einen ungefähren Ort sagen? Es waren viele Fremde gewesen, die Agnes besucht hatten. Sie erinnerte sich noch an jedes einzelne Gesicht.
Guten Morgen, Agnes Tripe, mein Name ich Albus Dumbledore – ich bin Schulleiter an der Hogwartsschule für Hexerei und Zauberei. Ich bin hier im Auftrag des Ministeriums. Ich habe gehört, Sie weigern sich, zu sagen, wo ihre Mutter ist. Agnes hörte Dumbledores Stimme in ihrem Kopf, als wäre sie wieder sechs Jahre alt und er noch nicht tot. Er hatte den Raum betreten, in dem sie auch die nächsten Jahre ihres Lebens verbringen würde – in dem Waisenhaus, in dem sie aufgewachsen war.
Ich weiß nicht, wo sie ist. Es war eine Lüge gewesen, die Agnes gesagt hatte. Bei den Leuten vom Ministerium war sie einfach stumm gewesen, aber als Dumbledore den Raum betreten hatte und sie mit ungewohnter Höflichkeit angesprochen hatte, hatte sie sofort gewusst, dass Dumbledore sich nicht so einfach abwimmeln lassen würde, obwohl sie noch kaum etwas von Dumbledore gewusst hatte. Es war das erste gewesen, das sie seit einer langen Zeit gesagt hatte und ihre ersten Worte nach dieser langen Schweigsamkeit war eine Lüge gewesen.
Dumbledore hatte sie angesehen – mit seinen klugen Augen, aber Agnes war unter seinem Blick nicht eingesunken und hatte den Blick erwidert – mit einem kühlen Blick, der schon darauf schließen ließ, dass sie irgendwann ihrer Mutter sehr ähnlich sehen würde.
Lügen Sie mich an, Agnes?, hatte Dumbledore gefragt, Ich muss ehrlich mit Ihnen sein – ich erkenne es nicht.
Agnes hatte kühl gelächelt. Das Lächeln hatte nicht ihre Augen erreicht und Dumbledore hatte das erkannt und gespeichert. Es würde eine Information sein, die ihn irgendwann dazu bewegen würde, Agnes Tripe die Hilfe zu verweigern, um die sie ihn bitten würde. Wochen später würde sie von einem Werwolf angegriffen werden, aber erst über zehn Jahre später.
Mister Dumbledore, ich weiß wirklich nicht, wo sie ist, sonst hätte ich es Ihnen oder jemand anderer gesagt. Eine weitere Lüge, aber man sah es diesem sechsjährigen Kind nicht an, dass sie log. Sie hatte diese Fähigkeit schon perfektioniert. Nicht einmal der große Albus Dumbledore konnte erkennen, ob dieses kleine Kind die Wahrheit sprach – er hatte in diesem Kind seinen erbittertsten Gegenspieler gefunden, obwohl sie nie wirklich gegeneinander spielen würden.
Dumbledore hatte sie angesehen und hatte wohl versucht, sie irgendwie zu durchschauen, aber er selbst musste zugeben, dass er es nicht schaffte. Agnes Tripe war ein Mysterium.
Wie geht es Ihnen, Miss Tripe? Er hatte freundlich gelächelt und Agnes war tatsächlich für einen Moment lang überrascht gewesen, aber man hatte es ihr nicht angesehen – sie einfach kühl weitergelächelt und das Lächeln hatte weiterhin nicht ihre Augen gesehen. Sie hatte nicht wie ein kleines Kind gewirkt, sondern wie einer der wahnsinnigen Verbrecher, die in Askaban eingesperrt waren. Kühl und gefühlslos.
Gut. Eine weitere Lüge.
Wie gefällt es Ihnen hier? Behandeln sie Sie gut?
Ja. Noch eine Lüge. Kinder erkannten immer schnell, wenn jemand anders war. Die Kinder im Waisenhaus hatten schnell erkannt, dass Agnes anders war.
Sie wissen doch, dass Sie jederzeit sagen können, wenn es Ihnen hier nicht gefällt, Miss Tripe? Dumbledore hatte sie voller Mitleid angesehen. Agnes hatte es gehasst.
Mister Dumbledore, ich brauche kein Mitleid. Das Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden und Agnes hatte Dumbledore mit einem Blick angesehen, den man niemals auf einem Kindergesicht erwartet hätte. Ich brauche kein Mitleid, ich brauche Lösungen.
Wir haben eine Lösung, aber dafür müssten Sie den Aufenthaltsort Ihrer Mutter preisgeben. Ich weiß, dass Sie es wissen, Agnes. Dumbledores kluger Blick auf ihr. Sie war seinem Blick nicht ausgewichen. Ihre Mutter hatte ihr beigebracht, dass man seine Feinde nicht aus den Augen ließ. Er hatte ihren Namen direkt benutzt – nicht Miss Tripe, sondern Agnes. Agnes hatte das bemerkt und wusste, dass er damit eine Verbindung zu ihr aufbauen wollte, aber Agnes wusste auch, dass sie lieber keinem Fremden vertraute. Sie konnte nur sich selbst vertrauen.
Sie irren sich, Mister Dumbledore. Agnes hatte ihn mit großen, eisblauen Augen angesehen. Sie war die erste gewesen, die das jemals zu Dumbledore gesagt hatte. Ich weiß nicht, wo meine Mutter ist.
Agnes riss sich aus ihren Erinnerungen. Das war schon lange her. Seitdem hatte sich viel verändert – sie hatte sich verändert.
„Du hast es ihnen nie verraten", erriet Konstantin und hob überrascht eine Augenbraue, „Warum nicht?"
„Ich weiß nicht." Das war keine Lüge. Agnes zuckte mit den Schultern und wusste wirklich nicht, warum sie es nie verraten hatte. Etwas in ihr hatte sie daran gehindert. Irgendetwas in ihr hinderte sie immer daran, Agnolia einfach umzubringen. Sie redete sich zwar ein, dass ihr großes Ziel es war, Agnolia Tripe umzubringen, aber sie war sich nicht sicher, ob sie, wenn es erst einmal soweit war, in der Lage sein würde, es auch durchzuziehen. Agnolia hatte sie noch immer fest in ihrem Griff. „Ich weiß nur noch, dass ich kein Wort gesagt habe, ich habe nichts verraten, ich habe meine Augen geschlossen, damit sie aus meinem Blick nicht erkennen konnten, ob sie Recht hatten oder nicht und ich habe sogar meine Gedanken verschlossen – unbewusst natürlich – damit sie nicht einmal mit Legilimentik etwas herausfinden konnten. Ich bin ein Kind gewesen – gerade erst sechs Jahre alt, aber ich weiß noch, dass ich lieber mein Leben gegeben hätte, als den Aufenthaltsort meiner Mutter preiszugeben."
„Wenn das der Fall ist, dann sollten wir unsere Sachen packen und Hogwarts übernehmen", beschloss Janet wütend, die die ganze Zeit nichts gesagt hatte, „Das sind Kinder. Wir sollten ihnen helfen, solang es noch nicht zu spät ist."
„Hogwarts ist nicht das Ministerium", widersprach Konstantin kopfschüttelnd, „Wir sind im Ministerium eingebrochen und haben Chaos veranstaltet, aber wir haben es nicht übernommen. Was passiert wohl, wenn wir Hogwarts übernehmen wollen?" Konstantin sah jeden von ihnen direkt an und erwartete eine Antwort oder Widerworte, aber keines von beiden war der Fall. „Hogwarts ist zu wichtig für unser Prinzesschen Muggelmord. Niemals überlässt er es uns einfach so. Nein, er wird eine Horde – eine Armee an Todesser auf und hetzen und uns abschlachten. Uns und die Schüler."
„Also machen wir einfach nichts?", fragte Angelina, „Wir sehen einfach zu und unternehmen nichts dagegen?"
„Ihr habt gesagt, ihr müsst nach Hogwarts, um eure Kameraden zu kontaktieren?", fragte Konstantin und Leanne nickte. „Dann bleibt dort", fuhr Konstantin fort, „versteckt euch irgendwo und helft im Untergrund. Beschützt jene, die wirklich eure Hilfe brauchen oder tröstet jene, die eure Hilfe gebraucht hätten."
„Der Raum der Wünsche", schlug Tia lächelnd vor, „Man kann ihn nur betreten, wenn sonst niemand darin ist. Dort könntet ihr bleiben und der Raum der Wünsche würde sich bestimmt euren Bedürfnissen anpassen."
„Was ist ein Raum der Wünsche?", fragte Liza.
Agnes war überrascht, dass es ihr nicht selbst eingefallen war. Es war eine offensichtliche Lösung, aber gleichzeitig war sie so fern.
„Der Raum der Wünsche ist ein geheimer Raum in Hogwarts", erklärte Katie, „Wir haben ihn benutzt, als wir mit der DA trainiert haben. Er passt sich an, je nachdem, was sich jemand wünscht."
„Wie sollen wir überhaupt nach Hogwarts kommen?", fragte Leanne, „Letztes Jahr haben sie schon so viele Sicherheitsvorkehrungen getroffen – ich bezweifle, dass sie weniger geworden sind."
„Snape hat sich bestimmt in seiner Burg verbarrikadiert", fluchte Sirius, „Daran habe ich noch gar nicht gedacht."
„Wie wäre es mit Geheimgängen?", schlug Tia vor. Es gab viele Geheimgänge, die nach Hogwarts führten – Fred und George hatten ihr ein paar gezeigt.
„Viele sind letztes Jahr schon versiegelt worden", verneinte Randy, „Filch hat ewig dafür gebraucht."
Agnes fragte sich, ob wirklich alle Geheimgänge versiegelt worden waren, oder ob eventuell noch ein gewisser Geheimgang offen geblieben war. Ein Geheimgang, der sowieso von einem mörderischen Baum bewacht wurde.
„Wir könnten wieder eine Ablenkung inszenieren", schlug Sirius vor, „Wenn ich mich irgendwie zeigen würde, dann wäre Snape bestimmt bereit, sein sicheres Versteck zu verlassen und ihr könntet hinein."
„Ich würde gerne sehen, wie Snape und du euch prügelt", gestand Agnes, „Aber ich kenne einen Geheimgang, der vielleicht noch nicht verschlossen ist."
„Welche genialen Geheimgänge haben Fred und George dir gezeigt?", fragte Duncan grinsend, „Das hat mich schon immer interessiert."
„Oh, diesen kenne ich nicht von Fred und George", widersprach Agnes und blickte zu Sirius, „Ich bin ehrlich gesagt überrascht, dass er dir nicht auch eingefallen ist, Sirius."
„Sollte ich wissen, von was für einem Geheimgang zu sprichst?", fragte Sirius unsicher, „Ich meine... ich bin ein Rumtreiber... einer der traviesos... ich kenne alle Geheimgänge."
„Die Peitschende Weide", sagte Agnes schlicht und Sirius Augen hellten sich auf, als er verstand.
Der Geheimgang, den sie genommen hatte, um ihre Vollmondnächte in Hogwarts hinter sich zu bringen. Der Geheimgang, den sie ebenfalls benutzt hatte, um Hogwarts zu verlassen, als Umbridge Schulleiterin geworden war. Sie hatte den Tunnel genommen, war in die Heulende Hütte gekommen und war durch ein Fenster nach draußen gestiegen. Es war eigentlich ziemlich einfach gewesen, Hogwarts zu verlassen. Beinahe schon zu einfach.
„Wir verstehen ja, dass die Blacks eine eigene Sprache sprechen", begann Konstantin, „Liza und ich haben auch eine eigene Art zu kommunizieren – so ist das in der Familie eben, aber... könntet ihr bitte in einer Sprache sprechen, die jeder versteht, ich verstehe nämlich im Moment gar nichts!"
„Unter der Peitschende Weide ist ein Geheimgang", erzählte Agnes, „Er führt zu einem Tunnel, der einen aus Hogwarts hinausbringt und in die Heulende Hütte in Hogsmeade."
„Die Heulende Hütte?", fragte Randy nervös, „Aber dort spukt es doch, oder nicht?"
„Das ist ein Gerücht", grinste Sirius, „Sie haben die Peitschende Weide gepflanzt und diesen Geheimgang angelegt, als ein ganz bestimmter Schüler nach Hogwarts gekommen ist."
„Hört bitte endlich auf, in Rätsel zu sprechen", stöhnte Konstantin genervt auf, „Könnt ihr eigentlich nie Klartext sprechen?"
„Das sagt der richtige", murmelte Liza, aber Konstantin hatte sie gehört und warf ihr einen warnenden Blick zu.
„Er redet von meinem Vater", sagte Tia heiter und lächelte leicht.
„Als Remus Lupin selbst noch ein Kind gewesen ist – der erste Werwolf, der nach Hogwarts gehen konnte", erzählte Agnes, „haben die Lehrer dort einen Ort erschaffen, an dem er sich sicher verwandeln konnte. Sie mussten die anderen Schüler beschützen, damit sie nicht qualvoll von einem Werwolf zerrissen und gefressen werden konnten –"
„Agnes", seufzte Sirius warnend.
„– und sie haben Remus schützen müssen, damit niemand erfuhr, dass er ein Werwolf war und die schreckliche Gesellschaft ihn aus Hogwarts gejagt hätte und er schon als kleines Kind die Grausamkeit der sozialen Gemeinschaft miterleben musste."
„Eine wirklich rosige Art, die Situation zu beschreiben", schnaubte Sirius, „Jedenfalls haben sie einen Geheimweg zur Heulenden Hütte angelegt – damals ist es einfach nur eine normale Hütte gewesen. Aber zu Vollmond konnte man das Heulen des Werwolfs hören und die Gerüchte über die verfluchte, heimgesuchte Hütte wurden verbreitet, damit niemand auf die Idee kam, eventuell nachzuforschen."
„Ich kenne diesen Gang auch", sagte Agnes, „Ich kenne ihn in- und auswendig. Ich habe Nächte dort verbracht. Ich weiß nur nicht, wie man die Heulende Hütte betreten kann. Hinaus gekommen bin ich problemlos, als ich Hogwarts verlassen habe."
„Damit kann ich helfen!", meldete sich Sirius und hob eine Hand, „Ich bin auch durch die Heulende Hütte gegangen, als ich in Hogwarts eingebrochen bin, um Peter Pettigrew zu ermorden und ein Auge auf Harry zu haben."
Es wurde still und dieses Mal war es Sirius, der von allen verstört angestarrt wurde.
„Warum kann ich eigentlich nicht mit normalen Leuten befreundet sein?", fragte sich Konstantin laut und offenbar langsam verzweifelt mit ihrer eigenen, wahnsinnigen Truppe, „Warum sind alle, mit denen ich hierhergekommen bin, absolut wahnsinnig und sprechen von Mord und Todschlag so, als wäre es etwas absolut Normales und Alltägliches? Warum bin ich von Psychopathen umgeben?"
„Das könnte daran liegen, dass man sich gerne mit Leuten abgibt, die einem ähnlich sind", half Liza ihm weiter.
„Danke, Schwesterherz", seufzte Konstantin, „Das hat meine Theorie erst recht bewiesen."
„Immer gern doch, Konnie", grinste Liza, „Wir sind eben dein Haufen Psychopathen."
„Und mit anderen Psychopathen kann man viel besser wahnsinnige Sachen machen, als mit anderen", meldete sich Tia mit einer unschuldigen Stimme und einem ebenso unschuldigen Lächeln im Gesicht, „Normale Leute fangen dann immer an zu schreien."
Konstantin sah Tia verständnislos an.
Liza sah Tia verständnislos an.
Sirius sah Tia verständnislos an.
Aber Tia lächelte nur weiter.
„Können wir diese Kekse eigentlich essen?", fragte Dennis mit einem Blick auf den Teller mit Keksen, der noch unangerührt auf dem Tisch stand.
„Natürlich!", rief Agnes und lächelte, „Dafür sind sie hier. Nehmt euch nur! Es sind genug für alle da!"
Und jeder Griff nach den Keksen am Tisch und es wurde still, als sie die kleine Normalität genossen und für einen kurzen Moment lang tatsächlich den Krieg vergessen konnten.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top