97. Kapitel
Agnes erinnerte sich schnell wieder daran, warum sie es hasste, auf offener Straße unverkleidet und unbedeckt zu gehen.
Ein Blick in den Spiegel war für Agnes unerträglich geworden – ihre Haare immer zerzauste und wild; ihre kühlen Augen, die schon viel zu viel gesehen hatte und die dunklen Ringe darunter, die bewiesen, dass die Nächte ebenso von Albträumen und Schlaflosigkeit heimgesucht wurden, wie die Tage; ihre eingefallenen Wangen und die Rippen, die sich klar unter ihrer kränklich bleichen Haut und unter den vielen Narben abzeichneten; die Narben an ihrem Bauch, die sie immer an den Angriff durch Greyback erinnerte und an die Nacht, die ihr Leben verändert hatte; die Narben an ihren Armen, die ihre jahrelange Geschichte des Kampfes beschrieben; ihre knochige Figur und ihre immer zum Kampf bereiten Muskeln. Agnes erinnerte sich nicht mehr daran, wann ein Blick in den Spiegel nicht mehr nur unerwünscht geworden war, sondern schon beinahe schmerzvoll, aber sie hatte beschlossen, dass sie keine Zeit oder Geduld für ihr Selbstmitleid hatte und vermied ihr Spiegelbild einfach. Das half ihr enorm – es ließ sie schon beinahe vergessen, dass ihr Gesicht ebenso von Narben gezeichnet war, wie ihr restlicher Körper, aber sie erinnerte sich immer wieder daran, wenn sie auf der Straße von vorbeigehenden Passanten angestarrt wurde mit einem Ausdruck des Entsetzens im Gesicht.
Sie trug keine kurzärmligen T-Shirts mehr, obwohl ihr, seit sie ein Werwolf war, nicht mehr wirklich kalt wurde, aber die langen Ärmel verdeckten wenigstens ihre vernarbten Arme.
Leider gab es keine langärmligen Pullover für den Kopf, sonst hätte sich Agnes gleich unter Stoffen und Schichten vor der Welt versteckt.
Aber sie wusste, dass das keine Option war. Selbstmitleid war keine Option. Also hob sie stolz ihren Kopf, setzte eine stolze Miene auf, die sie wie ihre Mutter aussehen ließ und ging einfach weiter, egal wie viele Leute starrten.
Etwas anderes blieb ihr gar nicht übrig. Vielleicht war es auch ein Vorteil, so schrecklich auszusehen, immerhin brauchte es nur einen warnenden Blick, um Personen von ihnen wegzuscheuchen und niemand sprach sie an oder kam auch nur auf die Idee, sich der seltsamen Gruppe zu nähern.
Unauffällig waren sie nicht wirklich.
Tia stammte von einer Veela ab und sie schien sich zu freuen, zu diesem Treffen mit ihren Freundinnen zu gehen, also war ihr Schritt locker und beinahe schon wie ein eigener Tanz. Sie war hübsch und zog ihre eigenen Blicke auf sich, die sie entweder ignorierte oder gar nicht bemerkte – bei Tia konnte man sich nicht sicher sein.
Liza und Konstantin verhielten sich auch nicht gerade unauffällig – ihre Hände waren in ihren Manteltaschen vergraben, in denen sich ihre Zauberstäbe befanden, während Agnes den ihren in ihrem Hemdärmel versteckt hatte und ihn so immer griffbereit hatte. Die Geschwister sahen sich so auffällig um, dass Agnes ein paar Mal kurz davor war, sie zu tadeln, aber sie selbst war nicht direkt unauffällig, also hatte sie wohl kaum das Recht, sich zu beschweren. Konstantin hatte zudem auch noch beschlossen, dass er auf gar keinen Fall Muggelkleidung anziehen wollte und behielt deswegen seinen unüblichen, lapislazuliblauen Umhang an, der zwar schick war, aber in der Muggelwelt auffällig und zudem war es auch ein Markenzeichen von Konstantin, aber nicht nur Agnes hatte ihren Stolz, sondern wohl auch Konstantin und er hatte sich geweigert, etwas anderes anzuziehen.
Sirius war in seiner Hundeform – groß, schwarz und furchterregend. Ein so großer Hund hatte dieselbe Wirkung, wie Agnes Narben – er brachte Leute dazu, einen großen Bogen um sie herum zu machen und das war vielleicht ganz gut so.
Es wäre aber besser gewesen, wenn er wie ein normaler Haushund ausgesehen hätte – weniger auffällig.
„Wir hätten Sirius an die Leine hängen sollen", meinte Agnes leicht und angespannt lächelnd, als ihr der Gedanke kam, „Ein Hund an der Leine fällt weniger auf, als dieser Streuner, der uns zufällig folgt."
Sirius knurrte nur und vermutlich war es auch ganz gut, dass Agnes kein Hündisch konnte.
„Sirius mit Halsband – das wäre ein Anblick, für den ich Geld bezahlen würde", grinste Liza.
„Hören wir auf, von Sirius mit Halsband zu sprechen", bat Konstantin angespannt.
„Du hast Recht", Liza schmunzelte amüsiert, „Solche Gedanken gehören wohl in euer Schlafzimmer, oder?"
„Tia?"
Diese Stimme war neu, aber Agnes nicht wirklich fremd. Eigentlich kannte sie diese Stimme und sogar den Geruch dieser Person, aber als Konstantin und Liza schon kampfbereit ihre Zauberstäbe zückten, folgte Agnes zur Sicherheit ihrem Beispiel.
Aber diese Person war keine Gefahr, wie Agnes bald darauf bestätigt wurde. Es war Katie Bell – Agnes kannte sie auch Hogwarts, da sie Quidditch gespielt hatte, wenn auch für Gryffindor. Außerdem war sie eine von Tias besten Freundinnen.
Tia begann breit zu lächeln und ohne zu zögern rannte sie auf Katie zu und umarmte sie stürmisch.
Lächelnd schob Agnes ihren Zauberstab wieder in ihren Ärmel und mit einem warnenden Blick zu Liza und Konstantin folgten diese ihrem Beispiel.
„Katie", Tia wirkte so glücklich, wie schon lange nicht mehr, als sie ihre Freundin aus der Umarmung wieder losließ, „Es ist schön, dich zu sehen."
„Gleichfalls", grinste Katie breit und sie schien sich mindestens genauso über Tias Anblick zu freuen, „Gestern ist es ein bisschen zu stressig gewesen, um sich wirklich zu unterhalten, oder?"
Tia lachte – ein wirkliches Lachen, das Agnes in letzter Zeit viel zu selten hörte. Es war Zeit, dass Tia wieder mehr Zeit mit George verbrachte, damit sie wieder lachte. Aber dieser Gedanke erinnerte sie daran, dass sie wohl auch wieder Zeit mit Fred verbringen sollte, um wieder lachen zu können und sie schob diese Gedanken schnell beiseite – es war nicht der Moment, um über Fred nachzudenken. Eigentlich war jeder Moment, an den sie an ihn dachte, ein verschwendeter Moment, immerhin konnte und wollte sie ihn nicht sehen. Ihre Anwesenheit würde ihn nur in Gefahr bringen, also sollte Agnes sich lieber keine Hoffnungen machen, ihn in nächster Zeit zu sehen. Leider dachte sie viel zu häufig an ihn.
„Das Ministerium hat noch nie wirklich Verständnis dafür gehabt, oder? Nicht einmal mit einer alten Freundin darf man sich noch unterhalten, während Krieg herrscht", beschwerte sich Tia.
„War das Sarkasmus, Fuego?", fragte Katie und Agnes lächelte, als sie die beiden Mädchen beobachtete. Sie waren das, was Roger und sie gewesen waren. Wahrscheinlich hatte keiner Agnes so gut gekannt, wie Roger. Aber er war tot und wenn Agnes sich weiterhin von Toten und weit entfernten Personen ablenken ließ, würde sie auch eher früher als später sterben.
„Sie hat wohl zu viel Zeit mit uns verbracht", vermutete Agnes lächelnd – es war ein mütterliches Lächeln, obwohl Agnes sich selbst niemals als Mutter sehen konnte.
Tia blickte sich wieder zu ihnen um und wurde ein bisschen rot, bevor sie sie alle vorstellte: „Ah ja! Katie, das sind Konstantin, Liza, Agnes und Sirius; Leute, das ist Katie Bell, eine meiner besten Freundinnen."
„Ihr habt den Hund nach Sirius Black benannt?", fragte Katie und schaute teils mit Ehrfurcht, teils mit Staunen auf den großen Hund.
„Nein", antwortete Konstantin ihr und Agnes lächelte verschmitzt, als sie die Verwirrung in Katies Augen sah, aber das Mädchen fragte nicht weiter nach.
„Okay... Ich fühle mich geehrt, euch kennenzulernen?", sagte Katie, „Wir sollten die Unterhaltung nach drinnen verlegen – wer weiß, wer hier draußen aller mithört."
„Eine ausgezeichnete Idee", bestimmte Konstantin nervös und blickte sich wieder um, „Gehen wir – wir sind gesuchte Verbrecher, sollte das jemand vergessen haben."
„Also ob man das vergessen kann", schnaubte Liza, „Ich muss mir dein hässliches Gesicht schon seit einem Monat jeden Tag in der Zeitung ansehen!"
„Mein Gesicht ist engelsgleich im Gegensatz zu deiner Visage!", verteidigte sich Konstantin.
Agnes seufzte leise. Agnes wusste nicht, wie Fred es mit so vielen Geschwistern aushielt, denn offenbar war eines schon genug, um sich ständig zu streiten.
„Diese Zankereien können wir auch nach drinnen verlegen", bestimmte Agnes streng – sie wollte lieber Katies Rat folgen und irgendwo weg von der Straße weitersprechen.
„Ja, Mutter", Konstantin verdrehte die Augen, aber Agnes zuckte bei seinen Worten zusammen.
Mutter. Agnes war keine Mutter – das wusste sie und hatte es schon immer gewusst. Agnes mochte Kinder – sie hatte immer gerne gesehen, wie sich die jüngeren in Hogwarts immer über ihre Backkünste gefreut hatten und sie hatte auch immer lange Nächte hinter sich, wenn jemand Hilfe bei den Hausaufgaben gebraucht hatte. Agnes hatte immer gerne geholfen, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie eine gute Mutter sein könnte. Immerhin hatte sie selbst nie wirklich erfahren, wie es war, eine Mutter zu haben. Sie hatte die erste, liebevolle Mutter erst kennengelernt, als sie Molly Weasley begegnet war und da war sie schon sechzehn gewesen. Davor hatte sie immer nur schlechte Beispiele kennengelernt – ihre eigene Mutter, die Heimleiterin, Rogers Mutter,... wie sollte sie eine gute Mutter sein, wenn sie keine Ahnung hatte, wie man das überhaupt war.
Nicht, dass es jetzt noch viel ausmachen würde. Sie war ein Werwolf – ihre monatliche Verwandlung würde verhindern, dass sie jemals Kinder bekommen könnte. Wenn sie überhaupt lange genug lebte, um auch nur den Gedanken an Kinder zu fixieren. Wenn sie überhaupt lange genug überlebte, um Fred wiederzusehen. Fred wäre bestimmt ein liebevoller Vater – er war mit den Kindern im Scherzartikelladen immer geduldig und freundlich, aber Agnes nahm ihm auch die Möglichkeit, eigene Kinder zu haben, indem sie mit ihm zusammen war.
Agnes riss sich selbst aus ihren deprimierenden Gedanken. Sie hatte keine Zeit dafür und musste sich auf etwas anderes konzentrieren. Sie würde niemals eine Mutter sein – Punkt.
„Nenn mich noch einmal „Mutter", Gregorovich, und ich verspreche dir, ich erwürge dich mit deinen eigenen Armen!", zischte Agnes an Konstantin gewandt und hoffte, dass das Warnung genug war, um nie wieder von ihm „Mutter" genannt zu werden.
„Würdest du lieber Mamágenannt werden?", fragte Tia und Agnes war bereit, sie anzufauchen, dass sie nicht auch noch darauf herumhacken musste, aber als sie Tias Gesicht sah, erinnerte sie sich daran, dass Tia das nicht böse meinte. Es war eine ernst gemeinte Frage und Tia hatte schlichtweg nicht herausgehört, dass Agnes überhaupt nicht mit Mütter assoziiert werden wollte. Also atmete sie tief durch und beruhigte sich, bevor sie antwortete: „Ich bin keine Mutter – gehen wir."
„Folgt mir", Katie sah so aus, als würde sie in einem Theater ein Schauspiel verfolgen und das war diese Unterhaltung auch – lächerlich, unnötig und zeitverschwendend. Ein perfekter, erster Eindruck. Sie mussten lächerlich aussehen – eine Gruppe, die nicht einmal einen Moment lang aufhören konnte, zu streiten.
Katie ging vor, was Liza und Konstantin nicht davon abhielt, immer noch Ausschau nach Gefahren zu halten und man konnte es ihnen nicht verübeln.
Agnes selbst war ebenfalls angespannt, aber anders, als die Gregorovich-Geschwister brauchte sie nicht mehr ihre Augen, um Gefahren zu erkennen. Sie hatte ihr Gehör und ihren Geruchssinn und sie musste sich nur auf einen Geruch konzentrieren – der ihrer Mutter.
Alle anderen Gefahren waren keine wirkliche Gefahr für Agnes. Sie hatte keine Angst vor ihnen – nur ihrer Mutter wollte sie nicht begegnen. Sie hätte sich liebend gerne hundert Mal gegen den Dunklen Lord duelliert und von ihr aus auch verloren, aber ihrer Mutter wollte sie lieber nie wieder gegenüberstehen.
„Wir haben einige Schutzzauber aufgestellt, damit wir keine unerwarteten Besucher haben", erklärte Katie entspannt, „Deswegen habe ich auf euch gewartet, um euch abzuholen. Die anderen sind schon ganz aufgeregt, euch zu sehen."
„Die anderen?", fragte Liza und wirkte ein bisschen nervös – offenbar gab es mehr, als sie erwartet hatten und das machte auch Agnes nervös.
„Welche anderen?", fragte Konstantin ebenfalls misstrauisch und blickte sich um, ob vielleicht doch noch jemand aus dem Nichts hinter ihnen auftauchen würde, wie Katie es getan hatte, aber Agnes roch und hörte niemanden.
„Keine Sorge, ihr könnt allen dort vertrauen", winkte Katie ab und zückte ihren Zauberstab, als das Haus in Sicht kam, wohl um die Schutzzauber zu lösen.
Weit kamen sie nicht, denn plötzlich blieb Konstantin einfach stehen und Agnes ging noch ein paar Schritte weiter, bevor sie bemerkte, dass auch Sirius und Liza und schließlich auch Tia stehengeblieben waren, um nach Konstantin zu sehen, der auf das Haus starrte, zu dem sie wohl unterwegs waren.
„Ist alles okay, Kon?", fragte Liza ihren Bruder besorgt. Vergessen war die Zankerei zwischen den beiden und in diesem Moment verstand Agnes ein bisschen mehr das Prinzip von Geschwister. Egal, wie sehr sie sich stritten, man verzieh ihnen immer schnell.
Agnes fragte sich, wie es gewesen wäre, wenn sie selbst kein Einzelkind unter Agnolia und Tristus Tripe geblieben wäre – die reinblütigen Zauberer – Agnolia zumindest – hatten kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie lieber einen Sohn gehabt hätten, der den Namen der Familie weitergetragen hätte. Vermutlich war es aber besser, dass Agnes das einzige Kind von diesen beiden wahnsinnigen Todessern geblieben war – sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie dieses Geschwisterchen geworden wäre. Vielleicht ein bisschen mehr wie Agnolia und Tristus.
Tia war Agnes viel lieber – diese Schwester, die sie irgendwann einfach ihre Schwester genannt hatte und seitdem auch ihre Schwester war.
„Hu?", Konstantin befreite sich selbst aus seinen Gedanken und riss seinen Blick vom Haus weg, „Oh... ja... ich..."
Agnes lächelte Konstantin traurig an, als dieser für einen kurzen, unvorsichtigen Moment erlaubte, hinter die Fassade von Konstantin Gregorovich zu sehen, aber dieser Moment war schnell vorbei und Konstantin fasste sich wieder und räusperte sich. „Ich kenne nur dieses Haus."
„Hast du die Travis' gekannt?", fragte Katie neugierig.
„So ähnlich", Konstantin überlegte sich seine nächsten Worte genau, „Ich bin einer der Auroren gewesen, die ihren Mordfall untersucht haben."
Agnes selbst kannte niemanden mit dem Namen „Travis", aber offenbar hatte ihnen das Haus gehört und sie waren ermordet worden und irgendetwas an diesem Mordfall hatte Konstantin aus dem Konzept gebracht.
Das Thema wurde fallengelassen und sie legten die letzten Meter zum Haus zurück. Katie löste die Schutzzauber um das Haus herum, sodass sie gefahrlos eintreten konnten und öffnete die Haustür, als wäre es ihr zu Hause. Vermutlich war es auch ihr zu Hause. Wenn sie eine Flüchtende war, wie auch Agnes und die anderen, dann hatte sie kein anderes zu Hause mehr, außer dieses hier.
Agnes hatte auch kein zu Hause – sie wusste nicht, ob sie schon jemals ein zu Hause gehabt hatte.
Das einzige Haus, außerhalb von Hogwarts, in dem sie sich nicht vollkommen fremd gefühlt hatte, war die Wohnung von Fred und George gewesen. Die Wohnung, in der sie überfallen und aus der sie entführt worden war. Die Wohnung, in dem ihr bester Freund ermordet worden war. Sie fragte sich, ob sich diese Wohnung noch immer wie ein zu Hause anfühlen würde.
Der Gang, der in das Haus hineinführte, war offen und groß. Das Haus war noch größer, als es von außen ausgesehen hatte – vermutlich war es magisch vergrößert worden. Agnes war dankbar dafür. Sie hasste enge Räume.
An beiden Seiten waren jeweils zwei Türen und eine Treppe führte in ein weiteres Stockwerk hoch.
Stimmen drangen aus einem Raum und Agnes konnte nicht anders, als sich angespannt zu fühlen. Wenn das eine Falle war, war das der perfekte Moment, um sie zu überfallen und einzusperren. Wieder in einen dunklen Keller ohne Sonnenlicht und mit Wänden, die jeden Tag versuchten, sie zu zerquetschen.
Agnes schüttelte den Kopf. Sie durfte nicht einmal daran denken. Der Gedanke daran würde die Erinnerungen zurückbringen und sie durfte sich jetzt nicht erlauben, eine Panikattacke wegen ihrer lächerlichen Platzangst zu haben. Sie war in einem fremden Haus mit vielen fremden Menschen. Sie durfte keine Schwäche zeigen. Das war der einzige Befehl, bei dem ihre Mutter wohl Recht gehabt hatte: Zeig keine Schwäche oder du wirst umgebracht. Damals war sie vier Jahre alt gewesen, aber sie erinnerte sich noch daran. Besonders, weil ihre Mutter sie bei jedem treffen daran erinnerte, dass sie noch immer schwach und jämmerlich war. Sie war nur Abschaum – schwacher Abschaum, der den Namen Tripe nicht verdient hatte. Agnes machte das nicht viel aus – sie würde den Namen „Tripe" nur allzu gerne ablegen. Aber Schwäche durfte sie deswegen trotzdem nicht zeigen.
„Sie sind vermutlich alle im Wohnzimmer", erklärte Katie und deutete auf die Tür, aus der die Stimmen zu hören waren – es waren mehr Leute, als Agnes erwartet hatte und das machte sie noch nervöser, „Folgt mir."
Katie ging vor und öffnete die Tür – sofort verstummten die Gespräche und Katie betrat den Raum – ein Schwall von Gerüchen begrüßte Agnes und es waren so viele auf einmal, dass sie nicht wirklich in der Lage war, in ihrem panischen Zustand sie zu unterscheiden.
„Seht mal, wen ich auf der Straße gefunden habe! Darf ich sie behalten?", begrüßte Katie ihre Freunde und Tia folgte ihr in den Raum und blieb einen Moment lang im Türrahmen stehen. Agnes' Hand zuckte schon zu ihrem Zauberstab, um im Notfall Tia verteidigen zu können, aber das war nicht nötig, wie es schien.
„Ihr erwartet jetzt doch keine Rede, oder?", fragte Tia offensichtlich unsicher und Agnes hörte belustigtes Lachen von einigen Leuten im Raum. Tia trat in den Raum und Liza, Konstantin und Sirius – noch immer in Hundegestalt – zögerten nicht, ihr zu folgen.
Agnes blieb einen Moment länger außer Sichtweite stehen, bevor sie sich zusammenriss und ebenfalls den Raum betrat.
Sie war überrascht, wie viele Leute in diesem Raum versammelt waren. Es waren vielleicht zwanzig Leute, wie Agnes auf die Schnelle zählen konnte. Der Raum war groß und geräumig – es standen keine Möbel herum und alle Anwesenden saßen einfach auf dem Boden. Der Raum war zwar groß, aber es befanden sich viele Menschen in ihm und Agnes fühlte, wie sich leichte Panik in ihrem Bauch ausbreitete. Es war ihr ein bisschen zu eng – es war noch nicht zu eng, aber eng genug, um sie vorsichtig und gereizt werden zu lassen. Über zwanzig Leute in einem Raum und sie alle starrten Agnes an. Das erinnerte Agnes wieder daran, dass ihr Gesicht gezeichnet war. Sofort reagierte Agnes wie immer auf das Starren auf ihr Gesicht – sie funkelte die Anwesenden warnend an und knurrte gereizt: „Wenn ihr nicht sofort aufhört zu starren, zwinge ich euch, eure Augen zu essen."
Tia lachte – sie hatte die Ernsthaftigkeit in Agnes' Stimme nicht verstanden, aber alle anderen schienen noch vorsichtiger zu sein und wandten ihre Blicke ab, aber immer dann, wenn sie vermuteten, dass Agnes nicht hinsah, blickten sie wieder zu ihr.
„Agnes", Agnes zuckte zusammen, als ihr Name genannt wurde, aber als sie die Person erblickte, die sie angesprochen hatte, schaffte sie es, sich ein bisschen zu entspannen, „immer noch die Alte, wie ich sehe."
Duncan Inglebee. Agnes wusste nicht, wann sie ihn das letzte Mal gesehen hatte – vermutlich als er Hogwarts abgeschlossen hatte und seinen eigenen Weg als Quidditchspieler eingeschlagen hatte. Aber Agnes erinnerte sich noch daran, dass er mit ihr an seiner Seite Quidditch gespielt hatte und sie waren ein perfektes Treiber-Team gewesen. Damals, als die Welt noch ein bisschen mehr in Ordnung war. Es war schon so lange her und Duncan hatte sich verändert – er schien noch größer geworden zu sein und noch muskulöser, aber er saß auch dicht neben Randy Burrows – ebenfalls ein ehemaliger Teamkollege von Agnes. Agnes hatte von Roger erfahren, dass Randy und Duncan offenbar zusammengekommen waren und offensichtlich hatte er Recht gehabt. Man sah es ihnen einfach an. Bei ihnen saßen ebenfalls Grant Page, Cho Chang und auch Marcus Belby, der in Agnes letztem Jahr als Hüter fungiert hatte, nachdem Grant die Schule verlassen hatte. Das war das Jahr gewesen, in dem Agnes das erste Mal als Werwolf die Schule besucht hatte und Umbridge Lehrerin gewesen war, also hatte sie leider Marcus nicht sonderlich gut kennengelernt. Janet Whol war ebenfalls sicher angekommen und stand bei den Ravenclaws, als wäre sie schon immer Teil dieser Gruppe gewesen. Man sah ihr noch an, dass sie eine Gefangene von Askaban gewesen war – die dunklen Ringe unter den Augen und die bleiche Haut waren Zeugen von den Schrecken, die sie gesehen hatte, aber sie lächelte, als Agnes ihren Blick auf sie legte.
Die einzige Person, die sie bei dieser Gruppe sah, der sie nicht sonderlich erfreute, war Theodor Chambers. Agnes war einmal mit ihm ausgegangen – nur ein Date, aber es war ein schreckliches Date gewesen. Damals hatte Agnes aus ihrer eigenen Sicherheit noch versteckt, dass sie ein Werwolf war und Chambers hatte fröhlich erzählt, wie sein Vater einen Werwolf gejagt hatte. Jetzt versteckte sie ihr Werwolf-Dasein nicht mehr. Sie war ein Werwolf – ein blutrünstiger Werwolf, der erst beim letzten Vollmond zwei Menschen umgebracht hatte. Sie war ein Monster. Sie fragte sich, wie Chambers auf diese Neuigkeiten reagieren würde.
Sie erkannte auch noch die anderen Anwesenden. Es waren Leute aus der DA-Gruppe, die Harry gegründet hatte und weiter hinten erkannte sie auch noch Oliver Wood, der stolz inmitten der Gryffindors saß.
Duncan war aufgestanden und machte sich sogar die Mühe, über die sitzenden zu steigen, um zu ihr zu gelangen. Agnes wusste nicht, wie sie ihn begrüßen sollte – sie hatten sich seit Jahren nicht mehr gesehen.
„Duncan", Agnes lächelte, als sie ihn und die anderen bekannten Gesichter sah und fühlte sich sicherer – das waren Leute, denen sie vertraute, „Lange nicht gesehen!"
„Das ist bestimmt nicht meine Schuld gewesen", verteidigte sich Duncan, „Sie haben uns gesagt, du seist tot, aber offenbar kann dich nichts und niemand umbringen."
Das stimmte wohl. Bisher hatte Agnes es geschaffte, jeden Mordversucht zu überstehen, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sie unvorsichtig werden würde, wie damals, als Greyback sie angegriffen hatte und sie beinahe umgebracht hatte.
Duncan kam bei ihr an und Agnes hielt ihre Hand ausgestreckt in der Erwartung, dass sie einen festen Händedruck teilen würden, aber Duncan hatte andere Pläne, denn er zog Agnes an sich und umarmte sie.
Das brachte Agnes einen Moment lang aus dem Konzept und sie spannte sich an, aber dann erinnerte sie sich, dass das Duncan war – einer ihrer besten Freunde und sie umarmte ihn vorsichtig zurück, ließ ihn aber vielleicht ein bisschen zu schnell wieder los, aber Duncan schien das nicht zu stören, denn er lächelte immer noch fröhlich darüber, sie zu sehen.
Jetzt standen auch noch die anderen Anwesenden von ihren Plätzen am Boden auf und begrüßten die Neuankömmlinge. Agnes war schnell umzingelt und ihr Überlebensinstinkt brachte sie dazu, einen Schritt zurück zu treten, aber dann erinnerte sie sich selbst daran, dass das keine Angreifer oder Wände waren, die sie zerquetschen wollten und sie versuchte zu lächeln, obwohl das nicht leicht war.
„Agnes", vielleicht täuschte Agnes sich, aber als Randy sie begrüßte, meinte sie, Tränen in seinen Augen zu sehen, „Du lebst. Du lebst wirklich."
„Wir haben es nicht wirklich geglaubt, als sie uns erzählt haben, dass du tot bist", erklärte Grant grinsend, „Immerhin bist du Agnes Tripe – was bringt dichschon um?"
„Es ist beinahe das ganze Quidditchteam versammelt", bemerkte Agnes überwältigt und blickte von Person zu Person – sie alle hatte sie schon so lange nicht mehr gesehen, Janet ausgenommen.
„Oh ja", Duncan nickte, „Wir haben uns schon zusammengefunden, bevor er Krieg überhaupt wirklich begonnen hat."
„Als wir von... Roger... gehört haben –", Chos Stimme versagte und sofort verschwanden die lächelnden Gesichter. Agnes erinnerte sich daran, wie Roger vor ihren Augen gestorben war. Die Erinnerung war noch immer schmerzvoll, aber der Gedanke an Roger war genauso eine Ablenkung, wie Fred. Das redete sie sich immer wieder ein – so lange, bis sie sich selbst glaubte.
„Er ist mutig gestorben, falls euch das hilft", Agnes lachte trocken auf, „Dumm, aber mutig."
„Mutig?", wiederholte Grant traurig lächelnd, „Dabei hat er doch immer etwas gegen Gryffindors gehabt."
„Beinahe schon ironisch, dass er wie ein Gryffindor gestorben ist", bemerkte Duncan und versuchte zu lächeln, aber obwohl er der größte in der Gruppe war und mit seiner massigen Figur ziemlich eindrucksvoll aussah, waren trotzdem Tränen in seinen Augen, „Dumm, aber mutig."
„Er hätte wissen sollen, dass man sich nicht mit Greyback anlegt", Agnes erinnerte sich daran, wie Roger es geschafft hatte, Greybacks Griff zu entkommen und ihr so lange genug Zeit gegeben hatte, um sich, letztendlich erfolglos, gegen Bellatrix und Agnolia zu wehren, „Und dann auch noch zusammen mit Agnolia und Bellatrix. Letztendlich war es meine schuld, dass er gestorben ist."
„Sag so etwas nicht", bat Cho sie traurig, „Du kannst dir nicht selbst die Schuld dafür geben."
„Ich sage das nicht aus Selbstmitleid", schnaubte Agnes, „Es ist ein Fakt. Agnolia und Bellatrix haben gewusst, dass ich alles tun würde, damit Roger überlebt – immerhin ist er mein bester Freund gewesen. Sie haben ihn entführt und ihn benutzt, um an mich heran zu kommen. Letztendlich ist er derjenige gewesen, der gestorben ist – nicht ich. Aber er ist mit Würde gegangen... irgendwie. Er hat versucht, Agnolia zu erwürgen... jedenfalls hat es so ausgesehen... keine Ahnung, was er letztendlich bewirken wollte."
„Das klingt ein bisschen nach Roger", murmelte Duncan nachdenklich, „Manchmal hat er erst nachgedacht, als es schon zu spät war."
„Sie haben Agnolia Tripe, Bellatrix Lestrange und Greyback auf dich gehetzt?", fragte Randy entsetzt, „Ich will nicht sagen, dass es übertrieben für dich ist – du bist ziemlich... mächtig... aber..."
„Oh, sie haben nur alle mitgebracht, die sich an mir irgendwie rächen wollen", winkte Agnes verbittert ab, „Meine liebste Mutter und mein noch lieberes Tantchen – sie haben schon immer gern gesehen, wie ich leide und Greyback... er hat es zu seiner persönlichen Aufgabe gemacht, mein Leben zu zerstören."
„Es ist gefährlich, einen Werwolf auf den Fersen zu haben", warnte Chambers und obwohl die Beziehung zwischen Agnes und ihm seit dem Date ein bisschen seltsam gewesen war, sah Agnes ernsthafte Sorge in seinen Augen – immerhin glaubte er, dass Werwölfe einer der schlimmsten Wesen der Welt waren, „aber es ist noch gefährlicher – beinahe schon tödlich – einen Werwolf wie Greyback auf den Fersen zu haben."
„Es ist gefährlich, wenn ein Werwolf hinter einem her ist", stimmte Agnes ihm zu, „aber es ist noch gefährlicher, einen Mann mit gebrochenem Herzen zu verraten."
Agnes bemerkte, dass keiner so wirklich ihre Aussage verstanden hatte. Niemand wusste, dass Greyback eine gewisse Schwäche für Agnes gehabt hatte. Niemand wusste, dass er sie in sein Rudel aufgenommen hatte, obwohl ihre Treue und Loyalität fragwürdig gewesen waren. Niemand kannte den Blick, den Greyback ihr zugeworfen hatte, als Agnolia und Bellatrix zum Rudel gekommen waren, um Greyback die fröhliche Kunde zu überbringen, dass seine perfekte Agnes eine Spionin war. Agnes hatte gesehen, dass Greybacks kaltes Herz zerbrochen war – bestimmt hatte er sie nicht geliebt, wie Fred sie liebte, aber er hatte Lust verspürt und Lust verging nicht so schnell. Die Lust nach Agnes hatte sich nur in Blutlust nach Agnes' Blut verwandelt und bestimmt fühlte Greyback sich jedes Mal überlegen, wenn er den Schmerz in Agnes' Augen sah. Zum Glück war Greyback bewusstlos gewesen, als Roger gestorben war – dieses Gefühl gönnte Agnes ihm nicht.
„Er ist es gewesen, oder?", fragte Janet leise und Agnes blickte auf. Sie lächelte, aber es war kein fröhliches Lächeln. Es war traurig und voller Mitleid. Agnes brauchte kein Mitleid – sie brauchte Lösungen. Aber für ihre Probleme gab es im Moment keine Lösungen.
Aber etwas in Janets Augen sagte Agnes, dass sie mehr wusste, als sie ihr zugetraut hatte und das jagte Agnes für einen Moment lang Angst ein, aber diese Angst verschwand schnell. Sie hatte nichts mehr zu verstecken. Sie versteckte sich selbst und ihre Krankheit nicht mehr – sie versuchte damit zu leben, denn das war nun ihr Leben. Das Leben als Werwolf.
„Du weißt es?", fragte Agnes vorsichtig. Falls Janet doch nichts wusste, bevorzugte Agnes es trotzdem, wenn nicht jeder es erfuhr... andererseits hatte sie nichts mehr zu verlieren. Warum sollte sie ihren Freunden so etwas verschweigen? Wenn sie wahre Freunde waren, würden sie es akzeptieren, wie auch Roger es akzeptiert hatte. Wenn nicht, dann würden sie sie vermutlich aus dem Haus jagen und Agnes wäre wieder auf der Straße, aber sie hatte schon häufiger alleine überlebt. Sie brauchte niemanden anderen, obwohl ein sicheres Haus einen ruhigeren Schlaf brachte und sie würde nicht immer über ihre Schulter blicken müssen.
„Ich habe deine Narben schon in Hogwarts einmal gesehen", erzählte Janet und wich Agnes' Blick aus, „Wir sind Turmgenossinnen gewesen – natürlich sieht man da manchmal mehr von seinen Zimmerkolleginnen, als man sollte..."
„Ein Wunder, dass nie jemand die Indizien verbunden hat – immerhin haben alle schon einmal Erfahrungen damit gehabt und alle haben die Zeichen gekannt", bemerkte Agnes. Eigentlich war Remus vor ihr schon als Werwolf bekannt geworden und jeder in ihrem Jahrgang hatte ihn gekannt. Man hätte sie ebenfalls als Werwolf erkennen können, aber offenbar hatte das niemand getan – oder sie hatten alle nichts gesagt, wie Janet.
Janet aber schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe deine Narben gesehen, aber ich habe es erst wirklich herausgefunden, als ich begonnen habe, im St. Mungos zu arbeiten und dort der erste Patient mit denselben Verletzungen gekommen ist, wie du. Erst da habe ich verstanden, was mit dir passiert ist..."
„Ihr könnt jetzt aufhören, in Rätsel zu sprechen", Duncan lachte nervös und blickte zwischen Agnes und Janet hin und her, „Wovon sprecht ihr? Was ist mit dir passiert, Agnes?"
Agnes sah in Janets Augen und dieses Mal wich sie ihrem Blick nicht aus.
„Du hast mir trotzdem vertraut, als ich dich in Askaban befreit habe?", erinnerte Agnes sie ernst, „Du bist uns trotzdem zurück ins Ministerium gefolgt, um zu kämpfen?"
„Natürlich habe ich dir vertraut, Agnes", bestätigte Janet überrascht, „Ich kenne dich schon seit Jahren – das hier? Das ändert nichts?"
Agnes starrte Janet weiter in die Augen und wartete darauf, dass etwas in ihrem Blick ihr sagte, dass sie log, aber Janet hielt ihrem Blick stand und blickte ebenso ernst und aufrichtig, wie Agnes.
Agnes brach den Augenkontakt zuerst ab und richtete sich etwas größer auf, hob stolz ihren Kopf und sah ihre anderen Freunde an. „Wir reden von meinem derzeitigen Zustand", begann Agnes und Janet sah sie überrascht an, lächelte dann aber aufmunternd und nickte zuversichtlich. Agnes holte tief Luft, bevor sie weitersprach. „Vielleicht wisst ihr es... vielleicht auch nicht, aber... meine Eltern haben ein paar Mal versucht, mich umzubringen."
„Also... den Preis für die besten Eltern der Welt haben sie sich jedenfalls nicht verdient", scherzte Duncan und Agnes lächelte, aber sie war zu nervös, wie ihre Freunde auf ihre Nachricht reagieren würden, um den lockeren Witz wirklich zu genießen – diese Spur von Normalität.
„Aber wir Duncan davor schon so ausgezeichnet zusammengefasst hat – mich kann nichts umbringen", Agnes hob stolz ihren Kopf und spürte, wie sich Tränen in ihren Augen sammelten, aber sie blinzelte sie schnell weg – sie durfte keine Schwäche zeigen. „Nicht die Folter-Flüche meiner Mutter, nicht die Schwarze Blume, die sie mir geschickt hat, nicht das Leid, das sie mir zugefügt hat, als sie noch eine flüchtige Frau gewesen ist. Es ist immer meine Mutter gewesen, die versucht hat, mich irgendwie umzubringen – natürlich nicht direkt, immerhin hat der Dunkle Lord einige Pläne mit mir gehabt, aber effizient genug, um zu beweisen, dass meine eigene Schwäche mich umgebracht hat und nicht sie."
„Du weißt, dass du nicht schwach bist Agnes, oder?", fragte Cho traurig lächelnd, „Du bist eine der stärksten Personen, die ich kenne."
„Physisch und psychisch...", murmelte Agnes, als sie an ihre Stärke dachte, die sie mit dem Biss bekommen hatte, aber schnell blickte sie wieder auf und fuhr fort, „Aber mein Vater hat es nur ein einziges Mal versucht. Es war kurz, bevor er gestorben ist. Aber die Art, wie er es versucht hat, hat sogar meine Mutter angewidert. Sie hat ihn nur einen Monat später dazu überredet, sich in Askaban selbst zu erhängen... meine Mutter hat diese Wirkung auf andere... Mein Vater hat mir keine Schwarze Rose geschickt oder mir Flüche auferlegt... jedenfalls nicht direkt."
Das war der Moment. Sobald ihre nächsten Worte gesprochen waren, würde es kein Zurück mehr geben. Dann würde sich entscheiden, ob sie ihre nächsten Monate auf der Straße verbringen musste oder nicht. Es würde sich entscheiden, ob sie wieder alleine sein würde, oder ob sie von Freunden umgeben sein würde.
„Es ist im Sommer gewesen, nachdem der Dunkle Lord wiedererstanden ist", erinnertes sich Agnes und ihr Blick fixierte sich auf etwas weit, weit weg, als sie sich daran erinnerte, was passiert war, als es passiert war, „Ich habe gewusst, dass meine Eltern jetzt, da der Dunkle Lord wieder an die Macht gekommen war, mich nicht einfach so herumlaufen lassen würden. Ich bin zu Dumbledore gegangen, aber er hat mir nicht geglaubt – er hat in mir noch immer meine Mutter gesehen. Also bin ich alleine durch die Gegend gezogen niemals an demselben Ort für mehr als ein paar Stunden geblieben. Ich habe kaum geschlafen, kaum gegessen und dann war da immer diese Angst vor dem, was passieren könnte. Aber – ich bin schwach. Irgendwann bin ich zu müde und zu erschöpft gewesen und ich habe einen Fehler gemacht."
Keiner unterbrach sie. Jeder sah sie nur an, als sie erzählte, was mit ihr passiert war dieses Geheimnis, das jeden in Hogwarts interessiert hatte, aber nur Roger Davies hatte die Wahrheit gewusst.
„Ich höre noch immer seine Schritte auf Kies hinter mir", hauchte Agnes und schauderte, „Mein Vater hat Kontakte gehabt – jeder Todesser hat seine Kontakte und gewisse Leute würden alles für einen Mordauftrag geben. Vermutlich hat mein Vater ihm gar nichts versprechen müssen – er hat nur die Erlaubnis bekommen, mich zu zerfleischen und das hat ihmgereicht. Er hat mich schon länger verfolgt, aber schließlich hat er mich eingeholt und ich hatte eigentlich keine Chance." Agnes lachte trocken auf und blickte auf, um die Reaktionen ihrer Freunde zu sehen. "Mein Vater hat Greyback hinter mir hergeschickt und er hat mich auch gefunden. Es ist ein Vollmond gewesen und ich erinnere mich noch, wie er sich verwandelt hat. Ich spüre noch immer seine Krallen und seine Zähne in meinem Fleisch. Er hat Narben hinterlassen –" Agnes hob ihr Hemd höher, sodass man die hässlich zusammengewachsene Narbe an ihrem Bauch sehen konnte – es waren eigentlich nur noch Hautwulste, die rosarot zusammengewachsen waren, wie eine dunkle Erinnerung daran, dann Greyback ihr dort ein Stück Fleisch herausgerissen hatte. Ihre Freunde sogen scharf Luft ein, Chambers wich einen Schritt zurück und Randy ging einen Schritt vor, hob seine Hand, als würde er sie auf Agnes' Schulter legen wollen, überlegte es sich dann aber doch anders und ließ sie wieder sinken.
„Greyback hat mich an einem Vollmond gebissen", erzählte Agnes kühl und kein Gefühl war in ihrem Gesicht zu sehen, wie ihre Mutter es ihr beigebracht hatte, „er hat mich verletzt – ich wäre fast gestorben. Aber ich habe überlebt, aber er hat mich mit einem schlimmeren Fluch belegt, als den Tod. Er hat mich in einen Werwolf verwandelt – ein Monster, wie auch er es ist."
Es war still. Keiner sagte etwas. Keiner wusste so recht, was man dazu sagen konnte. „Es tut mir leid" schien in diesem Moment ebenso unangebracht, wie „Hat es wehgetan?".
„Du bist ein Werwolf?", fragte Chambers schließlich – er war bleich wie Agnes und sein Blick hing noch immer an Agnes' Narbe. Sie ließ ihr Hemd wieder sinken.
„Schon länger, ja", bestätigte Agnes tonlos, „Deswegen habe ich diese Narben, deswegen habe ich so oft Stunden verpasst, deswegen habe ich fliehen müssen, als dieser Halbblut-hassende Halbtroll namens Umbridge Schulleiterin geworden ist."
„Du bist ein Werwolf gewesen, als wir –", Chambers rang mit sich selbst, als er versuchte, seine Worte auszusprechen.
„–ausgegangen sind?", erriet Agnes und hob eine Augenbraue, „Ja, ich bin ein Werwolf gewesen, als du mir gesagt hast, dass dein Vater einen Werwolf umgebracht hat – einfach so."
Chambers schluckte schwer und nickte. „Das erklärt so einiges", murmelte er, „Es tut mir leid – hätte ich es gewusst, dann... ich meine... ich... ich habe mich geirrt."
Agnes hob ihre Augenbrauen vor Überraschung. „Worin hast du dich geirrt?", fragte Agnes ihn.
„Wenn du ein Werwolf bist –", Chambers zögerte, „– dann... dann habe ich mich geirrt. Dann sind nicht alle Werwölfe so schlimm, wie Greyback."
Agnes wusste nicht warum, aber irgendwie munterte diese Aussage sie auf. Es tat gut, das zu hören.
„Vergisst es, Chambers", grinste Duncan und schlug dem kleineren Jungen auf die Schulter, sodass dieser ein bisschen nach vorne gestoßen wurde, aber er konnte sich noch auffangen, „Du hast immer noch keine Chance gegen Fred Weasley."
„Das habe ich mir schon gedacht", grummelte Chambers und Agnes lachte kurz auf.
„Warum hast du nichts gesagt?", fragte Randy, „Also... ich verstehe schon, warum du nichts gesagt hast, aber... wir hätten dir helfen können."
„Roger hat mir schon geholfen", erzählte Agnes und lächelte traurig, „Ich habe es ihm erzählt, als ich noch nicht einmal aus dem St. Mungos entlassen worden bin."
„Schön, dass du nicht allein gewesen bist", Cho lächelte und obwohl Agnes nie wirklich warm mit ihr geworden war, so vertraute sie ihr doch im Moment eines ihrer größten Geheimnisse an.
Das Gespräch wurde unterbrochen, als Sirius beschloss, dass es wohl zu langweilig war, länger in Hundegestalt herum zu rennen und sich wieder in einen Menschen zu verwandeln.
Plötzlich wurden überall um Agnes herum Zauberstäbe gezückt und instinktiv zückte sie auch ihren, aber als sie sah, dass die Zauberstäbe auf Sirius zielten, seufzte sie und steckte ihn wieder weg.
„Hey! Ich komme in Frieden!", rief er mit erhobenen Händen, aber in seinem Gesicht konnte man ein amüsiertes Lächeln sehen.
„Nein, ich bin mir sicher, er hat böse Absichten", rief Agnes sarkastisch und sah dabei zu, wie Sirius erbleichte und sie erschrocken ansah – in solchen Situationen war Sarkasmus nicht immer angebracht, aber Agnes grinste ihn nur feixend an, „Wir sollten ihn alle zusammen einfangen, lebendig häuten und aus seiner Haut eine Flagge herstellen, damit unsere Feinde wissen, was sie erwartet, wenn sie sich mit uns anlegen."
„Was ist los mit dir?", fragte Sirius sie entsetzt und verstört, „Junge Dame, du bist wirklich gestört. Wie kommst du immer auf solche Ideen?"
„Muss wohl an der Familie liegen, Cousinchen", grinste Agnes noch breiter.
„Bist du der Hund gewesen?", erriet Collin Creevey, der ebenfalls mit seinem Bruder, Nigel im Raum war – sie waren die jüngsten Anwesenden.
„Warum gewesen?", fragte Agnes unschuldig und lächelte breit, „Er sieht noch immer wie ein Hund aus, finde ich."
„Du bist gemein, Agnes", beschwerte sich Sirius und Agnes lachte auf, als er auch noch wie ein kleines Kind die Arme vor der Brust verschränkte und sich partout von ihr abwandte.
„Ladies und Gentlemen", seufzte Konstantin, der sich den Auftritt seines Freundes offenbar anders vorgestellt hatte – weniger kindisch vielleicht, „Darf ich euch allen den schrecklichen, gefährlichen, furchterregenden Sirius Black vorstellen?"
„Du bist Sirius Black?", Angelina Johnson schien das im ersten Moment nicht ganz zu glauben, aber dann schien sie langsam sein Gesicht zu erkennen.
„Der einzig wahre", grinste Sirius stolz.
„– und darüber sind wir alle sehr froh", murmelte Agnes leise, aber noch für alle hörbar.
Bevor noch irgendjemand etwas sagen konnte, verstummten alle und Agnes blickte zur Tür, die geöffnet wurde. Eine weitere Person betrat den Raum – die Anführerin des Widerstands.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top