93. Kapitel
Agnes war die erste gewesen, die zurück in Ivys Haus gekommen war.
Von Tonky und Ivy hatte sie einen Tee bekommen und sie hatte sich für einen Moment überlegt, ob sie vielleicht etwas backen sollte, hatte sich aber dann dagegen entschieden, als Konstantin gekommen war – ein triumphierendes Lächeln im Gesicht.
Agnes fühlte sich schlecht – beschämt, nutzlos, schwach. Sie hasste es, wenn sie verlor – selbst dann, wenn sie eigentlich überhaupt keine Kontrolle darüber hatte.
Sie hatte jeden Schritt im Plan genauestens befolgt, sie hatte keine Fehler gemacht, sie hatte alles perfekt gemacht, bis zu dem Moment, in dem es ihr eigentlich unmöglich war, unbemerkt und ohne viel Aufsehen zu erregen die Zutaten für einen einfachen Vielsafttrank zu bekommen.
Natürlich hätte sie die Apotheke in die Luft sprengen können, die Zutaten aus den kalten, leblosen Händen des Apothekers reißen können und dann einfach so verschwinden können, während hinter ihr die Winkelgasse in Flammen aufging, aber was hätte sie dann von Agnolia Tripe unterschieden?
Agnolia Tripe hätte einfach alles zerstört, das sich ihr in den Weg gestellt hätte, so wie sie Agnes langsam zerstörte mit jedem Mal, in dem sie sich begegneten. Aber Agnes war nicht Agnolia – das redete sie sich zumindest ein.
Agnes hatte eine friedliche Lösung bevorzugt und hatte dafür versagt. Sie hatte versagt, weil sie schwach war, wie ihre Mutter es ihr schon so oft gesagt hatte. Sie hatte versagt, weil sie nicht wahllos einen Apotheker umbringen wollte, der nur seinen Job machte. Wenn es bedeutete, Unschuldige am Leben zu lassen, dann war Agnes gerne schwach.
Später kamen dann auch noch Liza, Tia und Sirius zurück, die die Aufgabe gehabt hatte, ein paar Haare von Leuten zu besorgen, die Konstantin „Greifer" genannt hatte – diejenigen, die immer zur Stelle waren, wenn man sie nicht brauchte.
Die drei waren jubelnd mit Phiolen in den Händen zurück gekommen, in denen die Haare von einigen Personen waren – ohne Vielsafttrank waren sie nutzlos.
Nachdem Agnes gestanden hatte, was ihr nicht gelungen war, verschwand die ausgelassene Stimmung schnell.
„Es war also alles umsonst?", fragte Sirius und sofort warf Agnes ihm einen zornigen Blick zu.
Es war doch nicht ihre schuld, dass sie die Zutaten nicht bekommen hatte. Wie konnte Sirius es wagen, auch nur anzudeuten, dass es ihre schuld war, dass ihr Plan nicht funktionieren würde. Wie konnte Sirius es wagen, sie infrage zu stellen.
„Ich kann nichts dafür!", zischte Agnes und nahm eine abwehrende Haltung ein.
Sie überlegte sich noch, ob sie Sirius angreifen sollte oder nicht, als Tia ihr zustimmte: „Natürlich ist es nicht deine Schuld, Agnes", versicherte Tia ihr schnell und lächelte freundlich – Tia schien die einzige zu sein, die nicht mitleidig oder enttäuscht zu Agnes blickte und dafür war Agnes ihr unendlich dankbar, „Wer hat denn schon erwarten können, dass so etwas passiert?"
„Ich", sagte Konstantin plötzlich, „Ich hätte daran denken können. Eigentlich ist es nur logisch, dass sie nicht mehr jedem erlauben, Vielsafttrank zu brauen – das ist davor schon eher eine Grauzone gewesen und jetzt haben sie die Gesetze eben verschärft."
Agnes war ganz zufrieden damit, dass jemand anderer die Schuld auf sich nahm. Natürlich konnte Konstantin genauso wenig dafür, wie sie, aber seine Worte sagten ihr, dass es wirklich nicht ihre schuld gewesen war, dass sie versagt hatte. Agnes hasste es, zu versagen. Sie hatte schon häufiger gelernt, dass ein kleiner Fehler ihr Leben verändern konnte. Sie hatte einen Moment lang nicht aufgepasst und war von Greyback angegriffen worden. Sie hatte einen Moment lang nicht aufgepasst und war von Agnolia entführt worden.
Agnes hatte gelernt, dass sie sich keine Fehler erlauben durfte – niemals.
„Nein, Kon, du hättest es auch nicht wissen können", seufzte Liza genervt, „Wir alle haben keine –"
„Das Gute an der ganzen Sache ist, dass mir ein anderer Plan eingefallen ist!", unterbrach Konstantin seine Schwester und wirkte zufrieden mit sich selbst.
Agnes hasste das – Konstantin fühlte sich manchmal ein bisschen zu selbstbewusst für ihren Geschmack. So viel Eitelkeit konnte ihm sein Leben kosten und sie war nicht bereit, für Konstantins Dummheit zu sterben. Sie respektierte Konstantin und genoss es jemanden unter sich zu haben, der ebenfalls bereit war, alles zu tun, um diesen Krieg zu gewinnen, aber manchmal ging ihr Konstantin eben auf die Nerven.
„Lass hören", Agnes klang überheblich und machte eine abfällige Handbewegung in Konstantins Richtung, um ihn zum Sprechen zu bewegen, „Erleuchte uns mit deiner Weisheit!"
„Agnes!", rief Tia empört und sah sie enttäuscht an – Agnes hasste es, wenn Tia sie enttäuscht ansah. Tia war immer freundlich zu ihr, also musste sie wirklich etwas schlimmes in den Augen des Mädchens gemacht haben, dass sie so reagierte. „Konstantin versucht nur zu helfen."
Helfen? Agnes bezweifelte, dass Konstantin irgendjemanden helfen wollte, außer sich selbst. Und jetzt verteidigte Tia ihn auch noch. Agnes sah Tia wütend an, aber dann erkannte sie, dass Tia es wirklich so meinte. In ihren Augen wollte Konstantin wirklich nur helfen. Er wollte nur den Fehler ausbessern, den Agnes gemacht hatte. Noch ein Grund, warum Agnes sich lieber keine Fehler erlaubte – das bedeutete nur, dass andere mit diesen Fehlern umgehen mussten.
Agnes schnaubte unzufrieden, verschränkte die Arme vor der Brust und setzte sich einfach auf den Boden – sie wollte sich lieber nicht auf ein Sofa setzen, die von Sirius oder Liza besetzt waren.
„Hört zu und lernt vom Meister", rief Konstantin grinsend, „Dieser Plan ist wirklich ein Meisterstück."
„Wie viele Komponenten überlassen wir dem Zufall?", fragte Liza misstrauisch, „Welche Unwahrscheinlichkeiten müssen geschehen, damit wir wieder sicher da raus kommen?"
„Oh, liebste Schwester", Konstantin grinste sie breit an, „So einige."
Natürlich sah Agnes wieder wie ihre Mutter aus.
Es war nicht genug Vielsafttrank für sie übrig gewesen und sie hatten sich darauf geeinigt, dass sie sich wieder als die gefürchtete Todesserin verkleiden sollte. Agnes hasste das, aber Tia hatte nur noch zwei Phiolen mit Vielsafttrank, die sie auf Sirius, Liza und Konstantin aufteilte, sodass diese wenigstens jeweils vierzig Minuten hatten, in denen sie sich verkleiden konnten.
Die einzige, um die sie sich Sorgen machte, war Tia, in diesem neuen Plan.
Sie würde sich nicht verkleiden und sie würde auch keinen Vielsafttrank einnehmen.
Sie würde einfach als Tia Fuego ins Ministerium gehen und sich ergeben – einfach so. Sie war auf der Liste der meistgesuchten Verbrecher im Land und bestimmt war sie ein wichtiger Fang für die Ministeriumsmitarbeiter der Strafverfolgung, aber es gab einfach zu viele ungeklärte Faktoren, die Agnes noch zu unsicher waren.
Irgendjemand musste aber als Ablenkung vorgehen. Ein so wichtiger Fang würde im Ministerium bestimmt genug Aufruhr verursachen, dass die anderen vier der Gruppe ungehindert einfach ihre eigene Arbeit verrichten konnten.
Zuerst hatte Konstantin sich angeboten, als Köder zu agieren, aber die Gefahr bei Konstantin war, dass sie ihn bei Sichtkontakt einfach umbrachten und er eigentlich nichts dagegen machen konnten.
Er war wegen Mord gesucht – bestimmt zögerten die Auroren nicht lange und brachten ihn einfach um, während Tia wie ein unschuldiges, verstörtes Mädchen aussah, das eigentlich unschuldig und ohne jeglichen Grund festgenommen wurde.
Sie war nur ein weiteres Schlammblut, das vor Gericht gestellt wurde, eine unfaire Verurteilung über sich ergehen lassen musste und dann nach Askaban gebracht wurde. Wenn sie sie sich nicht wehrte, würde ihr nichts passieren. Das hatte jedenfalls Tia gesagt, als sie sich angeboten hatte, diese Aufgabe zu übernehmen.
Trotzdem konnte Agnes nicht anders, als sich Sorgen zu machen.
Es war ihre Schuld, dass ihr ursprünglicher, etwas sicherer Plan nicht durchgeführt werden konnte und dementsprechend verantwortlich fühlte sie sich für Tia.
Jeder war nervös – jeder außer Tia, die die gefährlichste Aufgabe von ihnen hatte.
Sie würde mehr oder weniger schutzlos ins Ministerium gehen, aber sie lächelte entspannt und schien sich schon beinahe zu freuen.
Vielleicht versteckte sie ihre Nervosität auch nur sehr gut, aber Agnes war sich bei Tia nie so sicher.
Tia hatte manchmal genau die gegenteiligen Gefühle, die man ihr zutrauen würde. Sie freute sich, wenn sie Angst haben sollte und war nervös, wenn es um Kleinigkeiten ging.
„Du schaffst das schon", wollte Agnes sie beruhigen – egal, ob sie jetzt wirklich nervös war oder nicht, sie wollte, dass Tia wusste, dass sie trotz allem nicht allein im Ministerium sein würde und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
„Ist schon in Ordnung, Agnes", Tia klang vollkommen entspannt – wenigstens eine unter ihnen war es, „Solange sie mich nicht bei Sichtkontakt umbringen, kann eigentlich nichts schiefgehen."
Agnes fand es seltsam, dass Tia in solchen Situationen so entspannt sein konnte, aber vielleicht war ihr Tia deswegen so schnell ans Herz gewachsen. Sie war eine Lichtung der Ruhe inmitten des Chaos' und des hektischen Treibens.
„Eigentlich ist das eine ernstzunehmende Möglichkeit", murmelte Sirius leise, aber Agnes war sich sicher, dass Tia es genauso gehört hatte und warf ihm einen warnenden Blick zu – es war Tia zwar erlaubt, nervös und ängstlich zu sein, aber Sirius half bestimmt nicht weiter. Sie wollten das Mädchen doch nicht verschrecken.
Wenn Tia Sirius gehört hatte, dann ließ sie es sich nicht anmerken. „Ich glaube, ich gehe jetzt", bestimmte sie munter und wollte schon gehen, aber Konstantin riss sie noch einmal sanft zurück zu sich in die Seitengasse, in der sie Zuflucht gefunden hatte, damit sie niemand sah.
„Nicht so schnell, Kleine", lachte er, „Wir wollen uns noch von dir verabschieden."
„Wir verabschieden uns nicht", tadelte Tia ihn streng, „Wir sehen und später wieder. Also... bis später!"
Das war wieder typisch Tia – immer positiv, außer in den Momenten, in denen sie es sein durfte.
„Pass auf dich auf, Kleine", Konstantin zog sie in eine Umarmung, „Bis später."
„Du bist nicht allein da drin", versprach Liza und umarmte Tia ebenfalls schnell, „Wir sind gleich hinter dir. Wir holen dich da raus, selbst wenn alles schief gehen sollte."
„Überhaupt nichts wir schiefgehen", versprach Tia, als Liza sie wieder losließ, „Immerhin sind da ganze vier intelligente Köpfe versammelt – was soll schon schiefgehen?"
„Vier intelligente Köpfe und Sirius", scherzte Agnes grinsend und Sirius griff sich künstlich empört an die Brust, dort, wo sein Herz schlug.
„Agnes, ich bin wirklich verletzt von deinen Worten", sagte er jammernd und verzog das Gesicht, als hätte er wirklich Schmerzen.
„Ich habe gerade kein Pflaster da, um dich zu heilen", entschuldigte sich Tia, „aber ich denke auch, ein Pflaster wäre gegen eine solche Verbrennung wirkungslos."
Agnes lachte laut auf – Tia klang immer so, dass man sich nie sicher sein konnte, wann sie es ernst meinte und wann nicht – noch eine Eigenschaft, die Agnes mehr als nur amüsant fand.
„Aja... Tia", seufzte Sirius und schüttelte den Kopf, „Pass auf dich auf, Baby-Lupin, oder dein Vater wird mir das niemals verzeihen."
Remus würde keinem von ihnen jemals verzeihen, wenn sie Tia in den Tod schickten – noch ein Grund mehr, Tia zu beschützen – nicht, dass Agnes noch mehr Gründe gebraucht hätte, außer dem, dass Tia ihre beinahe-Schwester war und sie sie liebte.
„Er wird es dir so oder so niemals verzeihen, dass ihr mich da rein schickt", erinnerte Tia Sirius. Da hatte sie wohl auch Recht.
„Komm her, Kleine", Sirius zog sie in eine Umarmung, klopfte ihr aufmunternd auf den Rücken und ließ sie wieder los, „Dein Dad muss nichts davon erfahren, okay? Wenn der alte Moony wüsste, dass du dich dem Ministerium stellst, dann wäre er sofort hier und würde dich retten wollen."
„Hoffentlich nicht", rief Tia aus, „Das gehört doch gar nicht zu Konstantins Plan!"
Agnes konnte nur hoffen, dass Remus niemals davon erfuhr. Er würde ausflippen, selbst, wenn Tia sicher wieder herauskam. Besser er erfuhr niemals davon und sie alle übergingen diesen Teil der Geschichte einfach, wenn es vorbei war. Agnes stockte. Wenn es vorbei war... dieser Gedanke war so surreal und so weit entfernt, dass Agnes sich gar nicht vorstellen konnte, dass es jemals vorbei sein sollte.
Der Einbruch ins Ministerium war der erste Schritt, aber viele weitere, kleine Schritte würden folgen, bis sich herausstellte, welche Seite gewann. Im Moment sah es nicht sonderlich gut für sie aus, obwohl sie als kleine Gruppe schon lächerlich viele Siege errungen hatten. Dieser Tag war eine größere Schlacht.
„Ich werde nach dir Ausschau halten, wenn ich drin bin", versprach Agnes an Tia gerichtet, „aber mein Weg führt woanders hin. Aber ich bin auch hier, um dich zu retten, wenn es nötig ist."
„Ich denke nicht, dass ich Rettung brauchen werde", Tia lächelte heiter, „Ich kann auch auf mich selbst aufpassen – keine Sorge."
Agnes bezweifelte das keinen Moment, aber sie würde sich auch um Liza, Konstantin oder Sirius Sorgen machen, wenn sie einen von ihnen Tias Aufgabe übernehmen ließe. Es war einfach gefährlich, schutzlos ins Ministerium zu gehen.
„Pass einfach auf dich auf und mach keinen Unsinn – wir warten auf dich", bat Agnes sie und umarmte sie ebenfalls, drückte Tia an sich und wollte sie am liebsten gar nicht mehr loslassen – sie wollte sie hochheben und weit weg mit ihr rennen – fern von Krieg und Verzweiflung, aber das konnte sie nicht. Tia würde es ihr niemals verzeihen, wenn sie sie fern von ihrer Familie versteckte, während diese um ihr Leben kämpften – für Harry und gegen den Dunklen Lord. „George wartet auch irgendwo auf dich", flüsterte Agnes noch leise, bevor sie sie losließ.
„Und Fred wartet auf dich", wisperte Tia lächelnd zurück, „Er hat dich noch nicht aufgegeben."
Agnes' Lächeln verschwand. Fred wartete auf sie – sie hoffte nicht. Noch war nicht sicher, ob sie lebend aus diesem Krieg herauskommen würde. Diese Mission war nur ein weiteres Beispiel dafür, wie gefährlich ihr Leben geworden war.
Sollte Fred erfahren, dass sie lebte, nur um dann doch ihre Leiche vorzufinden, würde ihn das noch mehr zerstören, als ihr erstes Verschwinden. Lieber er blieb unwissend und sie begegneten sich nach dem Krieg wieder.
Außerdem war es so auch sicherer für ihn – Agnes war ein Ziel und sie wollte Fred nicht mit sich auf die Zielscheibe schnallen.
Tia blieb nicht mehr zurück, sondern ging schnurstracks und ohne Zögern zum Besuchereingang des Ministeriums.
Agnes wollte ihr hinterherrennen und sie aufhalten, aber das konnte und durfte sie nicht.
Sie musste sich an den Plan halten, sonst hatten sie überhaupt keine Chance. Nur der Plan gab ihnen ein bisschen Struktur in dieses Chaos.
„Hier trennen sich auch unsere Wege", bemerkte Konstantin und holte aus seinem Umhang eine Phiole mit einem Schluck Vielsafttrank. Es war nicht einmal genug für eine Stunde – nur vierzig Minuten würden jedem von ihnen bleiben, aber es musste reichen. Mit dem Trank mussten sie nur ins Ministerium kommen – wie sie wieder hinaus kamen, war eine Sache, um die sie sich später kümmerten.
Sie würden sich alle nach den vierzig Minuten wieder im Atrium treffen – weiter hatte sie nicht vorgeplant. Das einzige, das für Agnes zählte, war, dass sie dieses Mal ihren Auftrag ausführte und dann Tia sicher herausbrachte. Um alles andere konnte sie sich danach kümmern.
Konstantin starrte auf die Uhr – fünf Minuten. So lange würden sie warten ab dem Moment, an dem Tia ihr Sichtfeld verlassen hatte, bis sie den Vielsafttrank einnahmen, damit sich ihre Ereignisse nur überlappten, aber sie sich nicht gegenseitig in die Quere kamen.
„Es ist soweit", bestimmte Konstantin und schluckte zusammen mit Liza den Vielsafttrank.
Sofort veränderten sich ihre Züge – Agnes gab es zwar nicht gerne zu, aber sie wurden hässlicher.
Konstantin wuchs eine größere Nase und seine Haare wurden schlammbraun, während Lizas Haare nur einige Töne dunkler ins Dunkelblonde wechselten, aber ihre Augen kleiner wurden und ihre Zähne größer.
Sie trugen Kleidung, die man nicht bei den Gregorovich-Geschwistern gewohnt war. Kleider aus dem Second-Hand-Shop um die Ecke, die schon ziemlich abgetragen und alt aussahen.
Agnes roch noch, dass sie Konstantin und Liza waren – Tia hatte erklärt, dass sich bei Vielsafttrank nur das Aussehen, aber die der Geruch einer Person veränderte und so würde Agnes sie auch immer erkennen, aber Agnes bezweifelte, dass sie zwei so hässliche Personen so schnell vergessen würde.
„Wir sehen uns später", bestimmte Liza und lächelte mit ihren schiefen Zähnen im Mund, „Bringen wir es hinter uns."
„Lasst euch nicht umbringen", bat Konstantin sie.
„Ich würde dir ja gerne einen Abschiedskuss geben, Kon, aber du bist hässlich", bemerkte Sirius und musterte Konstantin von oben bis unten.
Konstantin lächelte kühl und apparierte zusammen mit Liza mit einer unhöflichen Geste.
Agnes sah auf ihre Uhr. Sie würden zwei Minuten warten – lange genug, dass sie nicht zeitgleich ankamen, aber noch früh genug, um den Aufruhr, den Tia hoffentlich verursachen würde zu nutzen.
Agnes hoffte, dass ihr Plan funktionierten würde. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn Tia etwas passierte. Natürlich war es möglich, dass sie einfach umgebracht worden und war und sie ihre kleine Leiche im Moment loswurden, aber Agnes wollte nicht daran denken.
Sie würde schon noch sehen, was aus Tia geworden war, aber sie schwor sich, wenn Tia umgebracht worden war, würde sie nicht ruhen, bis sie entweder jeden im Ministerium niedergestreckt hatte, oder man sie selbst ausschaltete.
„Es ist soweit", Agnes nickte Sirius zu, der seinen eigenen Vielsafttrank schluckte.
Auch er veränderte sich – seine Haare wurden kürzer und etwas heller, seine Augen wurden schlammig braun und er wuchs ein Stück. Seine Kleider, die er ebenfalls aus dem Second-Hand-Shop hatte, wurden ihm etwas zu groß – sie hatten sich bei ihm ein bisschen bei der Größe verschätzt, aber das war nicht schlimm. So sah er nur noch ärmlicher und schmutziger aus.
Agnes hielt Sirius ihren Arm hin, um zusammen mit ihm zu apparieren, als ihr ein bekannter Geruch auffiel.
Sie stockte und Sirius sah sie verwirrt an, als sie aus der Seitengasse heraussprang.
Sie schnappte sich den ihr nur allzu bekannten Mann und hielt ihm mit der einen Hand den Mund zu, während sie ihn in die Gasse zerrte.
Er wehrte sich und fluchte, aber seine Worte wurden durch ihre Hand gedämpft.
„Beruhig dich, verdammt noch einmal", zischte Agnes leise und stieß ihn von sich.
Remus sah sich um, wer ihn hinterrücks angegriffen hatte und erbleichte, als er Agnolia Tripe vor sich sah und zückte sofort seinen Zauberstab.
„Agnolia Tripe, ich werde dich –"
„Remus, könntest du bitte für einen Moment dein Hirn benutzen?", fragte Agnes ihn genervt, „Wir haben dafür keine Zeit."
„Wo sind meine Töchter?", fragte Remus laut und Agnes sah sich um, ob sie jemand gehört hatte, aber niemand drehte sich zu ihnen um, „Wo sind sie?"
Remus fuchtelte mit seinem Zauberstab vor Agnes' Nase herum und sie wunderte sich, dass er sie noch nicht angegriffen hatte, aber vermutlich war er zu aufgewühlt.
Irgendwie musste er erfahren haben, dass Tia gefangen genommen worden war – ausnahmsweise einmal verfluchte Agnes die schnelle Kommunikation unter den Mitgliedern des Phönixordens.
Aber Agnes hatte weder die Zeit noch die Geduld dafür und kurzerhand schnappte sie sich Remus' Zauberstab aus seiner Hand und deutete damit wie mit einem Finger tadelnd auf ihn.
„Remus, hör auf, dich auf deine Augen zu verlassen", verlangte sie streng, „Denk einen Moment lang nach."
„Ich denke nach und ich denke, dass ich dich umbringe, für das, was du Agnes und Tia angetan hast!", zischte Remus und wollte sich auf sie stürzen, aber Sirius packte ihn von hinten.
Remus war stärker, als Sirius und riss ihn beinahe mit sich, aber Sirius gelang es, ihn wenigstens ein bisschen aufzuhalten.
„Beruhig dich, Moony!", rief Sirius, während er mit Sirius raufte und sofort stockte Remus.
Agnes lächelte zufrieden.
„Perfekt", sie trat zu Remus, „Hör zu Remus. Wir haben einen Plan. Tia ist... noch... in Sicherheit. Wir werden sie da wieder rausholen – versprochen. Vertrau uns einfach."
„Wir lassen Baby-Moony doch nicht einfach so zurück", stimmte Sirius ihr zu, „Sie ist Teil vom Team."
„Du musst uns also versprechen, dass du jetzt nicht ins Ministerium stürmst und nicht nur dich in Gefahr bringst, sondern unsere ganze Operation", verlangte Agnes streng.
Remus sah nicht so aus, als hätte er sie verstanden. Er sah zwischen Agnes und Sirius hin und her und öffnete und schloss seinen Mund immer wieder, wie ein Fisch auf dem Trockenen.
„Das... das ist nicht möglich", murmelte er, „Ihr seid... ihr seid..."
„Ich nehme das jetzt einfach einmal als ein Ja", beschloss Agnes und hielt Remus seinen Zauberstab hin, den er mit zittrigen Händen an sich nahm, „Vertrau uns, Remus. Wir kümmern uns darum. Du musst dich einfach nur raushalten."
„Schon drei Minuten verschwendet – normalerweise bin ich ja keine sonderlich pünktliche Person, aber ausnahmsweise einmal sollten wir uns an Konnies Zeitplan halten", warnte Sirius sie mit einem Blick auf seine Uhr.
Agnes wandte sich mit einem entschuldigenden Blick an Remus. „Remus, wir werden dir alles erklären... irgendwann... versprochen... vertrau uns einfach."
Agnes hielt Sirius ihren Arm hin und sie apparierten.
Remus starrte auf die Stelle, an der sie gerade eben noch gewesen waren.
Er musste sich das einbilden. Das war einfach nicht möglich. Sie waren tot – da war er sich sicher. Er hatte Agnes schon aufgegeben und Sirius war schon lange für tot erklärt worden.
Ausgesehen hatten sie wie Agnolia Tripe und ein Fremder, aber der Geruch – kein Zweifel, dass es Agnes und Sirius gewesen waren. Er hatte sich die Gerüche der beiden eingeprägt und er hätte sie niemals vergessen. Er musste halluzinieren. Es war einfach nicht möglich.
Agnes und Sirius waren tot, aber doch hatte er sie vor sich stehen sehen. Sie waren wie zwei Schutzengel für Tia – gekommen, um seine Tochter zu retten.
Sie würden eine Aufgabe übernehmen, die er selbst nicht übernehmen konnte.
Er würde so gerne ins Ministerium stürmen und Tia retten, aber er musste auch an seine Familie denken – an Dora und das Baby, das auf dem Weg war. Er konnte sie nicht in Stich lassen und Agnes und Sirius – auch wenn sie nur Einbildung gewesen waren – hatten ihm versichert, dass Tia sicher sein würde.
Agnes und Sirius apparierten im Ministerium-Atrium und wie erwartet herrschte Chaos.
Agnes blickte nur schnell zum Sicherheitsschalter – dort stand Tia, umzingelt von Auroren.
Wachsam beobachtete Agnes, wie die Auroren sie angriffen, aber es waren nur Seile, die sich um Tias Körper wickelten und Tia sah nicht so aus, als hätte sie Angst.
Alles war in Ordnung, wenn irgendetwas an dieser Situation in Ordnung sein konnte.
Also konnte Agnes sich auf ihre eigene Aufgabe konzentrieren – sie hob stolz ihren Kopf und begann mit großen Schritten in Richtung der Aufzüge zu gehen.
Sirius, der noch einen Moment länger zu Tia blickte, folgte ihr schnell, wie ein Hund.
Agnes warf ihm einen scheinbar verächtlichen Blick zu und murmelte leise: „Du siehst zu selbstbewusst aus – geh gefälligst ein bisschen zusammengesunkener."
„Kein Grund, überheblich zu werden, Madame Tripe", zischte Sirius leise, tat aber wie geheißen und beugte seinen Kopf und wirkte sofort unsicherer, während Agnes scheinbar die Königin der Welt war, so wie sie sich benahm.
Vor den Aufzügen standen einige Personen, die ebenfalls darauf warteten, einen Platz in einem Aufzug zu bekommen, aber Agnolia Tripe hätte niemals Geduld für so etwas.
Agnes zückte ihren Zauberstab und eine scheinbar unsichtbare Kraft schob die Mitarbeiter des Ministeriums einfach zur Seite, sodass sich ein Weg für Agnes und Sirius bildete.
Einige drehte sich zu Agnes um, um sich zu beschweren, aber als sie bemerkten, wer es war, verstummten sie lieber und senkten lieber ihren Blick und murmelten eine höfliche Begrüßung.
Agnes widmete keinem von ihnen einen Blick, sondern stieg einfach mit Sirius im Schlepptau in den ersten Aufzug, der offen stand und machte sich nicht einmal die Mühe, manuell einen Knopf zu drücken, sondern machte das ebenfalls magisch.
Der Aufzug war eng.
Agnes hasste das. Sie fühlte sich eingesperrt. Sie fühlte sich eingeengt. Sie bekam kaum noch Luft, aber sie musste sich zusammenreißen, solange noch andere im Aufzug waren.
Sie fühlte, wie ihre Fassade brach. Sie sackte immer mehr zusammen und atmete schnell. Sirius sah sie besorgt an und Agnes hätte ihn am liebsten angefaucht, dass er gefälligst seine Rolle weiter spielen sollte, aber sie bekam kaum noch genug Luft, um gerade stehen zu bleiben.
Ein anderer Zauberer im Lift schien es sich anders zu überlegen, als er Agnes sah und drückte lieber den Knopf für den siebten Stock und der Aufzug blieb schon nach kurzer Zeit wieder stehen, aber nicht nur ein Zauberer stieg aus, sondern alle.
Als die Türen sich wieder schlossen, sackte Agnes zusammen und wimmerte leise.
„Ist alles in Ordnung?", fragte Sirius sie leise.
„Es ist so eng – so eng", wisperte sie, „Kommen die Wände immer näher?"
Sirius sah sich um, aber er erkannte schnell, dass das nicht passierte.
„Hey, alles wird gut – wir sind bald oben", versprach er und legte ihr vorsichtig eine Hand auf die Schulter, aber Agnes schlug diese schnell wieder weg.
Die Lifttüren öffneten sich, aber als die wartenden Zauberer und Hexen sahen, wer darin war, stieg keiner ein.
Sie fuhren weiter und näherten sich immer mehr dem zweiten Stock.
Agnes wünschte sich, es würde Treppen geben – warum gab es in diesem verdammten Gebäude keine Treppen? Wer baute ein so großes Gebäude ohne Treppen?
Sie hielt es nicht mehr lange aus – sie würde ersticken, sie wusste es.
„Zweiter Stock – Aurorenzentrale, Magische Strafverfolgungspatrouille, Zaubergamot-Verwaltungsdienst, Büro gegen den Missbrauch der Magie und Büro gegen den Missbrauch von Muggelartefakten", sagte die Stimme im Aufzug endlich und Agnes riss sich zusammen, dass sie sich nicht sofort aus dem Aufzug stürzte, als dieser seine Türen öffnete.
Stattdessen ließ sie sich qualvoll lange Zeit, bis sie elegant nach draußen trat und sofort bekam sie wieder Luft. Sie war ihrem Tod durch Ersticken oder dem Zerquetschungstod wieder einmal entkommen.
Die Zauberer und Hexen, die in den Aufzug steigen wollten, wichen zurück und beugten ihre Köpfe, als Agnes an ihnen vorbeitrat. Sie fühlte sich stark.
Diese Schwäche, die sie wohl entwickelt hatte, war ein Schwachpunkt, den Agnes an sich nicht tolerieren konnte. Immerhin war sie Agnes Tripe – sie hatte keine Schwäche. Agnolia Tripe im Zaubereiministerium zu sein gab ihr das Gefühl, als würde ihr die Welt zu Füßen liegen.
Agnolia war eine mächtige und gefürchtete Frau. Bestimmt hatte sie nicht mit banalen Platzängsten zu kämpfen. Aber Agnes sollte besser sein, als ihre Mutter. Ihre Mutter sollte ein lächerliches Beispiel ihrer Familie sein – Agnes sollte diejenige sein, die allen bewies, dass Agnolias Weg nicht der richtige war.
Und doch hatte Agnolia es geschafft, ihr eine bis jetzt andauernde Angst du beschaffen, indem sie Agnes einfach nur in einem engen, dunklen Raum einsperrte.
Agnes hatte es noch niemanden gesagt, aber sie schlief nicht einmal mehr im Dunkeln. Sie behielt immer die Lichter im Raum an und sie war Ivy unendlich dankbar, dass sie ein Einzelzimmer bekommen hatte. Sie schämte sich vor so einer Angst. Sie war erwachsen, sie war eine talentierte, mächtige Hexe, sie war ein gefürchteter Werwolf – ein Wesen der Nacht. Dunkelheit sollte sie nicht verschrecken. Sie sollte die Dunkelheit sein, die alle erschreckte. Sie sollte diejenige sein, die Schrecken verbreitete, stattdessen fürchtete sich Agnes vor mittlerweile so vielen Sachen, dass sie sich schwach fühlte. Sie träumte nächtlich von engen, dunklen Räumen und das ständige Gefühl, in ihrem Körper eingesperrt zu sein, was mit dem Biss eines Werwolfes eben mit sich kam, half ihr bestimmt nicht.
Sie fürchtete sich vor ihrer eigenen Existenz. Das war jämmerlich.
Also hob sie stolz den Kopf, blickte kühl gerade aus und mit einem Wischer ihres Zauberstabs schob sie jeden Mitarbeiter des Ministeriums zur Seite, der ihr zu nahe kam.
Sirius folgte ihr und Agnes bezweifelte, dass er noch so tun musste, als würde er sich in Agnes' Gegenwart unwohl fühlen – sie war sich sicher, dass das wirklich der Fall war.
Sie war ihrer Mutter eben ähnlich – daran konnte sie nichts ändern und obwohl sie am liebsten ihr Gesicht gegen jedes andere getauscht hätte, das sie nicht an die Frau erinnerte, die sie geboren und gequält hatte, so stellte sich diese Ähnlichkeit mittlerweile als Vorteil heraus. Es machte Agnes ein bisschen Spaß, Agnolia mit ihren eigenen Waffen zu schlagen – mit ihrem Aussehen.
Agnes war sich nicht ganz sicher, wo sich das Büro befand, das Konstantin ihr genannt hatte, aber sie durfte sich das nicht anmerken lassen. Ihre Augen huschten immer zu den Schildern, die die Büros beschrieben, aber die meiste Zeit bemühte sie sich, ihren Kopf hoch erhoben zu halten.
Agnes war noch nie in diesem Stockwerk gewesen, aber die Stockwerke ähnelten sich in Aufbau. Nur die Büros waren anders eingerichtet.
Schließlich fand Agnes das, was sie gesucht hatte: Büro für Transport von und nach Askaban
Ohne zu klopfen oder zu zögern riss Agnes die Tür auf und schritt ins Innere des Büros.
Es gab fünf Schreibtische, die alle besetzt waren und fünf Zauberer und Hexen arbeiteten unentwegt einen großen Stapel Akten ab, die sich auf jedem Schreibtisch türmten – mit so vielen Muggelgeborenen, die sie nach Askaban schickten, gab es für diese Abteilung bestimmt mehr Arbeit, als sonst.
Agnes schritt näher an den nächststehenden Schreibtisch, an dem eine Hexe arbeitete und sie nicht einmal bemerkte, obwohl Agnes' hohe Schuhe bei jedem Schritt ein Klack-Geräusch auf dem Holzboden machten.
Agnes räusperte sich.
Die Hexe blickte kurz auf, wandte sich wieder ihrer Arbeit zu, bis ihr langsames Hirn wohl zu realisieren schien, wer vor ihr stand und sofort unterbrach sie ihre Arbeit.
„Madame Tripe!", rief sie erschrocken aus und auch die anderen Zauberer und Hexen im Raum blickten auf, wandten sich aber nervös wieder ihrer Arbeit zu, als wären sie froh, dass es nicht sie gewesen waren, die Agnes aufgesucht hatte.
„Wie– Wie kann ich Ihnen helfen, Madame Tripe?", stammelte die Hexe nervös und legte eine Akte zur Seite, die ihr aus den zittrigen Händen auf den Boden fiel und einige Zettel verteilten sich auf dem Boden, aber die Hexe wagte nicht, Agnes aus den Augen zu lassen, um sie aufzuheben und ließ sie einfach liegen.
„Ich suche jemanden", sagte Agnes kühl und blickte in die Luft, als wäre die Hexe nicht einmal einen Blick von ihr wert.
„In... in Askaban?", fragte die Hexe nervös.
„Wo denn sonst?", zischte Agnes und funkelte die Hexe ungeduldig an, die einen wimmernden Laut ausstieß, „Denken Sie, ich würde hier meine Zeit verschwenden, wenn es nicht so wäre?"
„Na-Natürlich nicht, Madame Tripe", versicherte die Hexe ihr schnell, „Haben... haben Sie einen Namen?"
Agnes kannte den Namen, aber sie tat so, als wäre er ihr entfallen – ein so einfacher Name von einem Muggelgeborenen wäre ihre Zeit nicht wert, also wandte sie sich an Sirius, der sich geistesabwesend im Büro umsah.
Agnes räusperte sich und Sirius sah sie an.
„Huh?", fragte er sie und Agnes musste ihn schon beinahe loben – er spielte seine Rolle perfekt.
Aber auch Agnes war eine ausgezeichnete Schauspielerin, wenn es um die Rolle ihrer Mutter ging.
Sie holte aus und schlug Sirius ins Gesicht. Das weckte ihn scheinbar auf und er griff sich instinktiv an die Wange, wo Agnes ihn getroffen hatte und blinzelte Agnes ungläubig an.
Agnes lächelte kühl. „Der Name, den du mir genannt hast!", befahl sie ungeduldig.
„Justin Finch-Fletchley", brachte Sirius nuschelnd heraus und rieb sich die knallrote Wange und musterte Agnes beleidigt. Als Agnolia Tripe hätte sie das bestimmt nicht geduldet, aber in diesem Fall hatte Sirius schon genug gelitten.
Agnes wandte sich wortlos wieder an die Hexe, die zuerst einen Moment lang wie paralysiert vor ihnen saß, bevor sie nickte und schnell zu einem der vielen Aktenordner eilte, die überall im Raum herumstanden.
Sie durchsuchte drei Schubladen und schien immer nervöser zu werden und auch Agnes wurde immer nervöser.
Sie kannte Justin Finch-Fletchley wage – er war Teil der DA gewesen, die Harry mit Hermine und Ron gegründet hatte, aber sie hatte kaum ein Wort mit ihm gesprochen.
Der Grund, warum sie seinen Namen gewählt hatten, war der, dass Konstantin sich sicher gewesen war, dass er in Askaban war. Sie hatten jemanden gebraucht, der in Askaban eingesperrt war und das war der erste Name, der Konstantin eingefallen war. Er hatte davon in der Zeitung gelesen und er hatte sich daran erinnert.
Aber je länger die Hexe brauchte, desto unsicherer wurde Agnes – vielleicht hatten sie einen Fehler gemacht und Justin war gar nicht in Askaban. Was würden sie dann machen?
Aber Agnes behielt Haltung, wartete aber ungeduldig und ließ die Hexe nicht aus den Augen, sondern beobachtete sie wie ein Raubvogel seine Beute.
Schließlich holte die Mitarbeiterin endlich eine Akte hervor und schien selbst unendlich erleichtert zu sein, dass sie etwas gefunden hatte.
„Hier ist sie! Er ist vor zwei Wochen nach Askaban gebracht worden!", rief sie und reichte sie mit zitternden Händen an Agnes, die sie mit den Fingerspitzen anfasste, als wäre schon allein die Akte eines Muggelgeborenen ekelerregend und legte sie auf dem übervollen Schreibtisch der Hexe ab und stieß dabei einen Stapel Akten um, aber Agnes kümmerte sich nicht darum.
Sie tat ein paar Momente so, als würde sie die Akte lesen, bevor sie wieder aufsah und der Hexe in die Augen blickte, die sie ängstlich beobachtete.
„Ich muss mit ihm sprechen", bestimmte Agnes und ihr Ton alleine ließ keinen Platz für Widerworte und das schien die Hexe ebenfalls zu hören und sie sog erschrocken Luft ein.
„Madame Tripe, ich... wir... eigentlich ist es uns nicht erlaubt, Zivilisten –"
Agnes funkelte die Hexe warnend an und brachte sie damit zum Verstummen.
„Natürlich, Madame Tripe", bestätigte die Hexe schnell und kramte in einer Schublade ihres Schreibtisches und holte einen zerknitterten Umschlag hervor, der schon ein bisschen dreckig war. Reste von einem ehemaligen Wachssiegel klebten noch daran.
Sie reichte den Umschlag an Agnes weiter, die fragend eine Augenbraue hob.
„Es ist ein Portschlüssel", erklärte die Hexe nervös, „In wenigen Sekunden sollte er Euch nach Askaban bringen. Von dort seid Ihr natürlich autorisiert einen eigenen Portschlüssel zurück zu schaffen. Bei Komplikationen wenden Sie sich einfach an den Zauberer am Eingang."
Agnes hätte sich bedankt, aber Agnolia nicht – für sie war das offensichtlich. Sie bekam, was sie wollte.
„Ich kann dann jetzt gehen, oder?", nuschelte Sirius.
„Nein", sagte Agnes kühl, „Du kommst mit. Wenn du die Wahrheit gesagt hast, bekommst du die versprochene Belohnung... wenn nicht, dann lasse ich dich dort zurück."
Sirius schluckte schwer und wurde etwas bleich. Vermutlich reichte es für ihn schon, sich vorzustellen, wieder in Askaban gefangen zu sein, um ihm Angst zu machen.
Der Portschlüssel begann zu glühen und Sirius griff danach und Agnes spürte, wie sie die unangenehme Reise mit einem Portschlüssel erfuhr – es war natürlich nicht ihr erstes Mal, aber sie bevorzugte es zu apparieren, obwohl das Gefühl ähnlich war.
Beim Apparieren hatte sie mehr Kontrolle – dieser Portschlüssel war riskant. Wenn die Hexe im Ministerium sie hätte hereinlegen wollen, könnte dieser Portschlüssel auch direkt über dem Krater eines Vulkans sie wieder auftauchen lassen.
Aber das passierte nicht.
Agnes wusste, dass sie angekommen waren, als sie die vertrauen, dreckigen Wände von Askaban sah.
Früher war sie jedes Jahr einmal dort gewesen und hatte ihre Eltern gesehen – diese Besuche hätte sie lieber vergessen.
Damals hatte ihr Kingsley noch versichert, dass ihre Mutter niemals aus Askaban herauskommen würde – heute verkleidete sie sich als Agnolia, weil es unauffälliger war, ein Todesser zu sein, als eine normale Person.
„Der Zauberer am Eingang hat die einzigen Schlüssel", wisperte Sirius ihr leise zu, als er ihr durch die dunklen Gänge führte, „Wenn man durch diese Tür geht, kommt man zu dem Bereich, in dem die Dementoren das Sagen haben."
„Ich weiß", zischte Agnes, „Ich bin nicht zum ersten Mal hier."
„Ach ja... hab ich vergessen", Sirius lächelte schwach, als würde er versuchen, an diesem finsteren Ort noch ein letztes bisschen Humor zu finden, „Ich habe dich schon durch diese Gänge gehen sehen, als du noch so klein gewesen bist – sehr gewachsen bist du ja nicht."
„Halt die Klappe", zischte Agnes.
Der Zauberer, der, wie die Hexe im Ministerium gesagt hatte, beim Eingang saß, las in einer Zeitung und sah auf, als er Schritte hörte und erbleichte, als er Agnes und Sirius sah.
„Madame Tripe!", rief er aus, als er sie erkannte – Agnes vermutete, dass Agnolia eine ziemlich bekannte und gefürchtete Persönlichkeit war, denn jeder schien zu wissen, dass man ihr lieber nicht in den Weg kam.
„Sir, wir –", begann Sirius zu sprechen, aber Agnes unterbrach ihn, als sie ihren Zauberstab zückte und ihn gegen den Zauberer richtete. Dieser hatte das nicht erwartet und hatte nicht einmal Zeit, auch nur an seinen eigenen Zauberstab zu denken, als ihn schon ein Lähmzauber traf, der ihn vom Stuhl riss.
„Du kannst doch nicht einfach alle lähmen, die dir in den Weg kommen", tadelte Sirius sie erschrocken.
„Doch, kann ich", winkte Agnes locker ab, „Ich habe keine Lust mehr, mich als meine Mutter zu verkleiden – bringen wir es hinter uns und verschwinden von hier."
Sirius durchsuchte den bewusstlosen Zauberer am Boden nach den Schlüsseln und hob sie triumphierend in die Luft.
„Gut", schnaubte Agnes, „Wenn ich mich Recht erinnere, ist der hier die einzige Wache im Gefängnis?"
„Mehr braucht es nicht – die Dementoren übernehmen ziemlich viele Arbeiten", Sirius zuckte mit den Schultern, „Außerdem quält es die Gefangenen noch mehr, wenn sie jahrelang nur von anderen Verrückten und Dementoren umgeben sind."
„Ich bin mir sicher, das ist heilsam für ihre geistige Gesundheit", vermutete Agnes sarkastisch, „Jetzt sollten wir nur noch darauf achten, dass wir nicht aus Versehen einen wirklichen Verbrecher befreien."
„Ich denke nicht, dass es so welche hier noch gibt", vermutete Sirius.
Agnes zuckte mit den Schultern und atmete tief durch. Eine fröhliche Erinnerung – die waren in letzter Zeit rar geworden. Sie musste sich einfach konzentrieren. Der Krieg würde vorbeigehen und sie würde wieder mit Fred vereint sein. Mit Fred, George, Remus, Tia und allen anderen würde sie ein ruhiges Leben starten. Sie würde sich ihren Traum von einer eigenen Bäckerei erfüllen und sie würde sich ihr Leben aufbauen. Dieser Gedanke gab ihr Hoffnung und versuchshalber schwang sie ihren Zauberstab durch die Luft. „Expecto Patronum!"
Ein silbriger Lichtstrahl erschien und aus diesem silbernen Licht bildete sich ein Wesen – es war ein Wolf. Agnes hatte es schon immer ziemlich ironisch gefunden, dass ihr Patronus ein Wolf war – als Werwolf hatte sie wohl keine andere Wahl.
„Ha!", lachte Sirius auf, „Remus hat auch einen Wolf als Patronus!"
„Halt die Klappe", zischte Agnes und freute sich über das Licht, das der Patronus spendete. Er strahlte Wärme und Sicherheit aus – das war in letzter Zeit ziemlich selten für Agnes geworden.
„Dann gehen wir", schlug Agnes vor und zusammen traten sie durch die Tür.
Die Dementoren, die die Tür bewachten, wichen vor dem Patronus zurück und der Wolf patrouillierte vor Agnes und Sirius den Weg. Agnes wusste, dass er dem Weg des Patronus' folgen konnte, ohne etwas zu befürchten.
Die Zellen waren voll.
Als Agnes das letzte Mal in Askaban gewesen war, waren nicht einmal alle Zellen besetzt gewesen, aber jetzt waren in jeder mindestens zwei Personen, die alle vor dem plötzlichen Licht die Augen zusammenkniffen.
Agnes sah sich nach einem bekannten Gesicht um, aber sie erkannte niemanden wirklich. Sie wollte jemanden, dem sie trauen konnte.
Plötzlich fiel ihr Blick auf jemanden, den sie sehr gut kannte.
„Janet Whol", begrüßte sie ihre ehemalige Turmgenossin. Janet Whol war zusammen mit ihr in Ravenclaw gewesen, hatte sich mit ihr einen Turm geteilt und war in den meisten ihrer Klassen gewesen. Sie kannte Janet Whol, auch wenn sie während der sieben Jahre in Hogwarts kaum mehr als Bekannte geworden waren.
Janet erkannte sie, aber sie erkannte sie nicht als Agnes Tripe. Für Janet war sie Agnolia Tripe und das sah Agnes an ihrem Blick.
„Janet, ich bin's", versuchte Agnes sie zu überzeugen und krempelte ihren rechten Ärmel ihres Kleides hoch.
Dort zogen sich über ihren gesamten Arm Narben – nicht nur die Narben vom Werwolfangriff, sondern auch die schwarzen Adern, die Agnes schon seit ihrer Kindheit trug.
Janet kannte diese Narben – immerhin waren sie beide zusammen in einem Turm gewesen und hatten sich beinahe nackt gesehen.
„Agnes?", fragte Janet – ihre Stimme war kratzig.
„Wir holen euch hier raus", versicherte Sirius ihr.
„Ist das ein Traum?", fragte Janet verwirrt und runzelte die Stirn.
„Nope – wir sind wirklich hier", versicherte Agnes ihr, „Sirius – sperr die Tür auf."
„Sirius?", wiederholte Janet verwirrt, aber Sirius gehorchte und sperrte die erste Tür von vielen auf.
„Wir brauchen jemanden, der sich hier auskennt", gestand Agnes.
„Dann seid ihr bei mir richtig", Janet lachte trocken auf, „Ich bin schon seit Anfang an hier. Ich habe gedacht, wenn ich mich registrieren lasse als Muggelgeborene, kann ich meine Ausbildung als Heilerin fortsetzen – hat nicht funktioniert."
„Sind alle hier Muggelgeborene?", fragte Agnes und sah den Gang hinunter.
Janet nickte. „Es ist schon lange kein wirklicher Gefangener hierher gekommen. Irgendwann Anfang August – nur wenige Tage, nachdem ich hierher gekommen bin, sind ein paar Todesser gekommen und haben ehemalige Verbrecher für ihre Zwecke angeheuert – alle haben zugesagt. Niemand bleibt freiwillig länger in dieser Hölle."
„Da kann ich nur zustimmen", Sirius lachte auf, aber das Lachen klang verzweifelt.
„Dann beeilen wir uns", schlug Agnes vor, „Wir wollten uns mit den anderen in –", sie sah auf ihre Uhr, „–zwanzig Minuten treffen. Bis dahin sollten alle hier raus sein. Sirius, kannst du einen Patronus beschwören?"
„Klar", versicherte Sirius ihr und zückte seinen eigenen Zauberstab. Agnes hatte noch nie Sirius' Patronus gesehen und als aus dem Zauberstab die Gestalt eines großen Hundes auftauchte, der so aussah, wie Sirius' Animagusform, nur in silber, lachte Agnes auf.
„Und du machst dich über meinen Wolf lustig?"
„Halt die Klappe", maulte Sirius.
„Sirius, du bringst Janet zurück zum Eingang – vielleicht haben sie dort irgendwo ein paar Zauberstäbe, die sie nicht zerbrochen haben. Wenn nicht, fangt schon einmal damit an, Portschlüssel zu schaffen – bringt sie einfach in Sicherheit, am besten irgendwo, wo sie niemanden auffallen."
Sirius nickte und ging mit Janet zurück, während Agnes andere befreite. Manche schienen noch etwas ängstlich, als sie Agnolias Gestalt sahen, aber Agnes versicherte ihnen, dass sie nicht Agnolia war.
Es waren viele Menschen – über dreihundert, schätzte Agnes, aber zum Zählen hatte sie keine Zeit.
Sirius und Janet hatte wenige Zauberstäbe gefunden, aber nicht genug für alle, also teilten sie die Leute in Gruppen ein und gaben ihnen jeweils einen Zauberstab mit. Nacheinander arbeiteten sie so in kleinen Gruppen alle ab, die gefangen waren und Agnes hatte das Gefühl, als würde es unendlich lange dauern, aber als sie das nächste Mal auf die Uhr sah, als alle Zellen aufgesperrt und die letzten Gruppen mit einem Portschlüssel – Sirius und Janet hatten irgendwann angefangen, Kleidungsstücke der Gefangenen zu verzaubern – fortschickten, hatten sie noch drei Minuten bis zum Treffpunkt. Das ging schneller, als gedacht.
„Okay, verschwinden wir hier, wir haben noch ein Date mit dem Ministerium", erinnerte Agnes Sirius.
„Ich komme mit euch", beschloss Janet und griff den Zauberstab in ihrer Hand fester.
„Nein, Janet, wir haben dich gerade befreit und stürzen uns jetzt in den nächsten Kampf", versuchte Agnes sie zu überzeugen, aber Janet schüttelte den Kopf.
„Ich helfe euch – ich stehe an deiner Seite", versprach sie feierlich.
„Sie ist wahnsinnig", bestimmte Sirius, „Der Fluch von Askaban hat sie erwischt – sie will sich in den Selbstmord stürzen."
„Wir haben auf jeden Fall keine Zeit für Diskussionen", bestimmte Agnes, „Janet ist erwachsen und kann machen, was sie will und ein Zauberstab mehr kann nicht schaden. Ist unser Portschlüssel schon vorbereitet?"
„Direkt ins Atrium", bestätigte Sirius, „Sind alle bereit, wieder in den nächsten Kampf zu stürzen?"
„Ich kann es nicht erwarten", schnaubte Agnes sarkastisch.
Der Portschlüssel zog Sirius, Janet und Agnes wieder ins Ministerium und direkt ins Chaos.
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