84. Kapitel

Agnes wachte ruckartig auf und bemerkte sofort, dass die sich nicht bewegen konnte. Als sie ihren Kopf ein wenig drehte, sah sie, dass sie mit magischen Seilen gefesselt war und obwohl sie sich wirklich versuchte, sich zu befreien, zogen sie sich einfach immer dichter zusammen und schnürten Agnes ab wie ein Paket.

„Du bist wach!", ertönte eine Stimme vor der Tür des Raumes und Agnes zuckte zusammen, als sie die Stimme ihrer Mutter erkannte. Sie sah auf und dort stand sie – dieselben weißblonden Locken, die sich majestätisch ringelten, wie auch Agnes sie hatte, dieselben edlen, eisblauen Augen, die Agnes von ihr geerbt hatte und sie sahen sich so ähnlich – dunkle Ringe unter den Augen, bleiche Haut, ausgemergelte Wangen, hasserfüllte, aber doch neutrale Blicke. Agnes hatte ganz vergessen, dass sie beinahe das Ebenbild ihrer Mutter war.

„Was willst du mit mir? Warum bin ich hier?", fragte Agnes aufgebracht und versuchte sich aus ihren Fesseln zu winden, aber sie zogen sich nur noch fester zusammen.

„Hör auf, dich zu bewegen, Schätzchen", befahl Agnolia entspannt und amüsiert, „Und ich will gar nichts mit dir – wenn es nach mir gehen würde, wärst du schon tot, aber leider bist du Teil unseres Plans."

„Was für ein Plan? Seit wann sind jämmerliche Todesser klug genug, um etwas zu planen?", zischte Agnes und sofort richtete Agnolia ihren Zauberstab auf ihre Tochter und kreischte: „Crucio!"

Agnes kreischte unter den Schmerzen, aber dieses Mal würde niemand kommen und sie retten. Dieses Mal würde niemand hier sein, der sie vor diesen Schmerzen befreien würde. Dieses Mal war sie allein.

Agnolia hörte erst auf, als Agnes schon zu schwach war, um zu schreien und keuchen und hustend blieb Agnes am Boden liegen, die Seile noch immer dicht um sie geschlungen wie Würgeschlangen und wischte sich ihre Tränen mit ihrer Schulter von den Wangen.

„Du solltest etwas respektvoller in meiner Gegenwart sein, Schätzchen", warnte Agnolia wieder kühl, „Eine Mutter verdient den Respekt ihrer Tochter!"

„Meinen Respekt verdient man sich!", zischte Agnes schwach, aber sofort erhob Agnolia ihren Zauberstab wieder gegen sie: „Crucio!"

Es waren unbeschreibliche Schmerzen, die Agnes vergessen hatte – vergessen wollte, aber mit den Schmerzen kamen wieder die Erinnerungen – diese schmerzvollen Erinnerungen.

„Wenn es nach mir ginge, wärst du gar nicht mehr am Leben!", versprach Agnolia, aber Agnes konterte: „Das kann ich nur zurückgeben!"

Crucio!"

Agnes spürte, wie sie versank – wie in einem tiefen, dunklen See und das kalte Wasser zog sie immer weiter nach unten, aber da sah sie am Horizont einen Schimmer von Rot – so rot, wie Freds Haare. Bei dem Anblick musste Agnes lächeln und die tauchte wieder auf.

„Gibst dich mit Blutsverrätern und Schlammblütern ab, kämpfst für diesen alten Trottel Dumbledore, der jetzt leider nicht mehr unter uns weilt – wirst selbst zur Blutsverräterin! Eine Schande für die Familie – ich bin entsetzt!"

„Es war nie meine Absicht, dich zu beeindrucken", brachte Agnes schwach heraus.

„Das wird sich noch ändern", lächelte Agnolia kühl, „Du wirst mich schon noch beeindrucken wollen – wenn du dich nach dem Tod sehnst, wenn du den Tod mit offenen Armen empfängst, wenn du darum bettelst, endlich zu sterben, dann wirst du mich beeindrucken wollen, damit ich dein Leid beende!"

„Ich kämpfe für die Freiheit!", zischte Agnes und wiederholte damit die Worte, die sich für immer in ihre Haut gezeichnet hatten, als sie für Umbridge die Zeilen hatten schreiben müssen, als sie das erste Mal gemerkt hatte, dass manchmal der Schmerz das alles wert war.

„Oh, sehr schöne Worte – ich habe schon bemerkt, dass du sie dir eingeprägt hast", bemerkte Agnolia und kam einen Schritt näher und türmte nun, trotz ihrer ebenfalls nicht sonderlich beeindruckenden Größe über Agnes, die am Boden kauerte, „Wie wäre es, wenn ich dir noch etwas einpräge – etwas, das dich daran erinnert, wohin du gehörst? Etwas, das dich daran erinnert, was du bist?"

„Was willst du von mir?", fragte Agnes und ihre Stimme brach, als sich Agnolias Schatten über sie legte.

„Ich will nur deinen Tod, doch der bleibt mir verwehrt, also muss ich mich mit deinem Leid abgeben", Agnolia hockte sich vor Agnes auf den Boden und war nun in Augenhöhe mit ihrer Tochter. Einen Moment starrten sich die beiden Frauen kühl in die Augen und sprachen kein Wort, als Agnolia ihren Zauberstab zückte und ihr auf Agnes' Arm richtete. Wie ein Sonnenstrahl, den man mit einer Lupe bricht und auf unschuldige Ameisen richtete, um sie zu verbrennen schoss aus der Spitze des Zauberstabs ein dünner, heißer Strahl und als er auf Agnes' Arm traf, schrie sie vor Schmerzen auf und wollte zurückzucken, aber sie konnte nicht, konnte sich nicht bewegen, sich nicht wehren, als Agnolia etwas in ihre Haut brannte – für immer eine Erinnerung an die Schmerzen und das Leid.



Schwach und kaum noch bei Bewusstsein wurde Agnes schließlich nach Stunden der Foltern in einen Keller gebracht. Hinter ihr wurde die Tür zugeschlagen und so verschwand auch das letzte Licht, das den Raum erhellt hatte und ließ sie in vollkommener Dunkelheit zurück. So konnte sie wenigstens nicht Agnolias Werk betrachten. Mit den Jahren hatte Agnes schon allerhand Narben auf ihrem Körper gesammelt – die dunklen Narben des Fluchs ihrer Mutter, die sie schon als Kind zugefügt bekommen hatte, die kleineren Narben von diversen Quidditch-Unfällen, auf die Agnes aber stolz war, die grauenvollen und hässlich zusammengewachsenen Narben des Werwolfangriffs und natürlich die Worte „Ich kämpfe für die Freiheit", die Agnes sich selbst zugefügt hatte und damit ihre Nachricht verbreitet hatte, aber diese eine neue Narbe war die bisher Hässlichste von allen.

Es war ein Wort – ein einfaches Wort in fein säuberlich, aber doch groben Buchstaben in die Haut gebrannt. Abschaum. Es beschrieb wohl das, was Agnolia von ihrer Tochter dachte. Es beschrieb den Hass, den sie Blutsverrätern, Schlammblütern, Halbblütern, Werwölfen und solchen wie Agnes entgegenbrachte – jene, die nicht für den Dunklen Lord kämpften.

„Hallo?", Agnes' Stimme war schwach und nach den Stunden, in denen sie nur geschrien hatte und sich ihren Tod gewünscht hatte, war ihre Stimme rau und brüchig.

Das Wort hallte an den Wänden wieder und als sich Agnes' Augen an die Dunkelheit gewöhnten, konnte sie sehen, dass sie in einer Art Kellerraum war. Es war feucht und dreckig und seltsame Flecken waren an der Wand, sodass Agnes sich wünschte, doch nichts sehen zu können.

Der Raum war rechteckig und es gab nichts. Nur eine alte, verschimmelte in einer Ecke – vermutlich ihr Bett, wie sie vermutete. Sogar als sie bei den Werwölfen gelebt hatte, hatte sie mehr gehabt. Dort hatte sie sich wenigstens Respekt verdient und so auch ein paar Decken, aber vielleicht war es das Ziel ihrer Mutter, sie einfach dort unten erfrieren zu lassen.

An einer Wand sah Agnes Gitterstäbe, wie von einem Fenster und sofort rannte sie hin, erkannte aber bald, dass draußen nicht Nacht war, sondern das Fenster mit Ziegel zugemauert worden war – schon vor langer Zeit, wie das Moos an den Ritzen ihr verriet. Sie war gefangen in einem dunklen Raum und die Wände schienen immer näher zu kommen und Agnes erwürgen zu wollen.

War das ein weiterer Zauber? War das eine weitere Folter ihrer Mutter?

Panisch wich Agnes von den Wänden zurück und stellte sich in die Mitte des Raumes, als ihr auffiel, dass sie sich das nur eingebildet hatte. Platzangst setzte ein und erschöpft und zitternd brach Agnes auf dem Boden zusammen und blieb in Embryostellung einfach liegen. Sie wollte raus. Sie wollte die Sonne sehen, den Wind auf ihrer Haut spüren... sie wollte einfach nur raus, egal, wie, aber die Tür, durch die sie gebracht worden war, war wie verschwunden. Sie war nicht einmal mehr da, als wäre sie einfach nur ein Teil der Mauer. Nicht einmal einen Türspalt konnte Agnes erkennen – vermutlich ein weiterer Zauber.

Agnes schloss die Augen und kniff sie fest zusammen. Das musste ein Traum sein. Das war viel zu schrecklich, um wahr zu sein. Andererseits war es auch zu schrecklich, um nur ihrer Fantasie zu entspringen.

Plötzlich knackte es und sofort war Agnes wieder auf den Beinen. Jemand war direkt in den Kellerraum appariert und Agnes wollte nach ihrem Zauberstab greifen, aber natürlich war der ihr abgenommen und vermutlich zerbrochen worden.

Es war kein Todesser, der Agnes besuchen kam, was sie eindeutig ein wenig erleichtert stimmte.

Es war eine Hauselfe, die Agnes an Winnie erinnerte, die Hauselfe, die ihrer Familie in der Kindheit gedient hatte.

Die Hauselfe war nur in dreckigen Lumpen gekleidet und wurde bestimmt nicht gut behandelt, so viele blutige Verbände, wie sie an ihrem ganzen Körper trug. Die Augen waren groß und beinahe schon glasig, als würde sie so viel weinen, dass ihre Augen sich gar nicht mehr die Mühe machten, überhaupt noch trocken zu werden.

„Geht es der jungen Herrin gut?", fragte die Hauselfe besorgt, als sie Agnes' panisches Gesicht sah.

Junge Herrin... Agnes speicherte diese Information in ihrem Kopf. Eine Gefangene wurde normalerweise nicht junge Herrin genannt. Wahrscheinlich diente diese Elfe ihrer Mutter und das machte Agnes auch irgendwie zu einer Gebieterin über sie, aber bestimmt hatte Agnolia dafür gesorgt, dass sie keine Befehle geben konnte.

„Wer bist du?", fragte Agnes leise.

„Die Herrin hat Tonky verboten, der jungen Herrin Fragen zu beantworten", antwortete die Hauselfe ihr und bemerkte ihren Fehler wohl zu spät, als sie versehentlich die Frage doch beantwortet hatte.

Sofort stürmte die Elfe los, wohl um sich schmerzvoll gegen eine Wand zu schlagen und sich selbst zu verletzen, aber Agnes hielt sie zurück und packte sie.

„Hör auf!", befahl Agnes sofort.

„Die Herrin hat Tonky verboten, Befehle von der jungen Herrin anzunehmen", weinte Tonky verzweifelt, „Bitte, lassen Sie mich los."

Agnes gehorchte und sah dabei zu, wie Tonky gegen die Wand rannte und bestimmt schmerzvoll davon abprallte, ein Stück wieder zurückgeworfen wurde und dann noch einmal auf dem Boden aufkam.

Agnes zuckte zusammen, aber sie konnte nichts tun. Tonks würde nicht auf sie hören.

Zitternd stand Tonky wieder auf und verbeugte sich vor Agnes, bevor sie wieder aufstand.

Erst da fiel Agnes auf, dass Tonky nicht mit leeren Händen gekommen war. Dort, wo sie appariert war, lagen ein paar Decken.

„Die Herrin lässt sie mich Euch bringen", Tonky reichte die Decken an Agnes weiter, „Sie richtet Euch Ihre Grüße aus."

Was hatte Agnolia vor? Jetzt war sie wohl wieder besorgt um Agnes' Gesundheit, nachdem sie die Folter genossen hatte. Agnes hatte diese Spielchen ihrer Mutter.

„Danke, Tonky", presste Agnes irgendwie heraus und nahm die Decken entgegen.

Tonky nickte, bevor sie einen Schritt zurücktrat und disapparierte.

Agnes hörte, wie Wasser langsam auf den Boden tropfte. Tropfen für Tropfen. Ansonsten war es leise, bis Agnes ihren eigenen Herzschlag vernahm.

Agnes drückte die Decken an sich. Sie waren von ihrer Mutter und am liebsten hätte Agnes sie verbrannt, aber hier unten könnten diese Decken vielleicht ihr Überleben sichern. Denn sie musste leben, obwohl es im Moment vielleicht eher so schien, als wäre der Tod süßer, als das Leben.

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