55. Kapitel

Sobald sie ihre Tasche in den Umkleidekabinen erreichte, kramte sie den Wolfsbanntrank heraus und kippte ihn schnell hinunter. Den ekelhaften Geschmack ignorierte sie einfach und so schnell sie konnte rannte sie auch zurück zum Schloss. Sie hatte zwar noch etwas Zeit, bis es dunkel werden würde, aber nicht mehr allzu viel und sie musste sich noch umziehen, damit sie nicht ihren besten Umhang zerstörte (der auch schon an vielen Stellen geflickt war).

Sie rannte die Treppen hoch und sofort in den Mädchenschlafsaal, in dem zu ihrem Glück niemand war. Sie zog sich einfache Hosen und ein T-Shirt an, das zwar nicht ihre Narben bedeckte, aber immerhin war es ihr nicht zu schade, sollte es irgendwie diese Nacht kaputt werden.

Ihren Zauberstab ließ sie zurück und sie rannte regelrecht in den Krankenflügel.

Als sie dort ankam, wartete Madam Pomfrey schon ungeduldig auf sie.

„Miss Tripe! Es ist schon spät – wo waren Sie so lange?", tadelte sie sie, während die Krankenschwester sie schon wieder aus dem Krankenflügel hinausführte.

„Wir haben Quidditch-Auswahlspiele gehabt", informierte Agnes sie und Madam Pomfrey schenkte ihr einen missbilligenden Blick.

„Ich hoffe, Sie haben wenigstens den Trank jeden Abend zu sich genommen", erkundigte sie sich streng und Agnes nickte, „Gut, wir haben trotzdem zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen, nachdem wir uns nicht ganz sicher sind, wie der Trank auf Sie wirkt. Ich führe Sie jetzt in das Versteck in der Heulenden Hütte, das sie dann bis morgen in der Früh nicht mehr verlassen können. Ich hole Sie dann, wenn es soweit ist wieder ab – keine Sorge."

Zu Agnes' Überraschung führte Madam Pomfrey sie zur Peitschenden Weide und Agnes war sich nicht sicher, was sie dort sollte, aber sobald die Weide begann sich zu wehren, vollführte die Krankenschwester einen Zauber und sie erstarrte.

„Hier hinein", sie brachte sie durch einen Tunnel zu einer Tür, die in einen Raum führte, der tatsächlich so aussah, als würde er Teil der Heulenden Hütte sein und Agnes war erstaunt, dass das wohl ein Geheimgang von Hogwarts nach Hogsmeade war.

Madam Pomfrey ließ sie allein zurück und verschloss hinter ihr die Tür mit einem Zauber, sodass sie nicht entkommen konnte. Sicherheitshalber zog Agnes ihre Kleidung aus, damit diese eventuell nicht zerstört wurde und wartete.

Es war still.

Agnes hörte nur den Wind draußen, aber er war nicht so stark, wie in der Höhe. Es war so gespenstisch still, dass Agnes schon beinahe einfach laut aufschrie, damit diese Stille unterbrochen wurde, als ein starker Schmerz sie durchzuckte und sie spürte wieder die Schmerzen der Verwandlung.

Ihre Knochen knackten, als sie sich neu anordneten und auf ihrer ganzen Haut sprossen Haare. Ihr Mund und ihre Nase verformten sich zu einer Schnauze und sie wurde größer.

Es war ein schmerzvoller Prozess und Agnes erinnerte sich dämmrig daran, dass sie beim letzten Mal ab einem gewissen Punkt das Bewusstsein verloren hatte, aber das geschah dieses Mal nicht und anstatt dass ihre tierische Seite einen Teil der Schmerzen spürte, bekam sie die ganze Verwandlung mit und es schmerzte.

Sie schrie und wand sich, als ihre menschlichen Schreie langsam zu einem klagenden Heulen wurde.

Winselnd brach sie am Boden zusammen, als der Schmerz endlich nachließ, aber sie fühlte sich nicht wohl. Sie erinnerte sich, dass sie sich das letzte Mal nach der Verwandlung zwar erschöpft und müde gefühlt hatte, aber das Gefühl, als würde sie nicht in ihren Körper passen war für einige Tage verschwunden. Dieses Mal aber fühlte sie es weiterhin und sie stand auf wackeligen Beinen auf. Sie wollte frei sein, sie wollte springen und jagen. Agnes gelüstete es nicht nach dem Blut ihrer Opfer, aber sie wollte trotzdem sich bewegen und nicht in einer engen Hütte eingesperrt sein. Sie wollte die Wände einreißen und in einem Wald sein.

Agnes war zwar furchtbar müde nach dem Quidditchspielen und einem anstrengenden Tag, aber sie konnte nicht einschlafen. Sie fühlte sich viel zu unwohl, als dass sie es hätte können.

Stattdessen sprang sie die Wände hinauf, heulte klagend und wegen der ungewohnten Größe und Stärke verschätzte sie sich des Öfteren und verletzte sich selbst.

Die Nacht war lang und als sie sich schließlich unter Schmerzen wieder zurückverwandelte, fühlte sie sich noch schlechter, als beim letzten Mal, als sie sich verwandelt hatte.

Sie fühlte sich in ihrem eigenen Körper eingesperrt und es war ein Gefühl, dass Agnes nicht mochte. Trotz der furchtbaren Kopfschmerzen und Muskelschmerzen zog Agnes sich ihre alte Kleidung an, die nun zwar etwas zerrissen und dreckig war, aber immer noch besser als nichts.

Madam Pomfrey kam wenig später mit ihrem Zauberstab gezückt, aber Agnes hockte nur müde in einer Ecke und sah auf, als sie in den Raum kam.

„Liebes, du siehst schrecklich aus. War es eine anstrengende Nacht?", fragte sie und kniete sich vor ihr hin. Agnes konnte nur müde nicken und ließ sich ohne Widerworte von der älteren Dame aufhelfen.

Der Weg zurück schien länger, als der Hinweg und bis sie endlich durch den Tunnel wieder Sonnenlicht sahen, konnte Agnes sich kaum noch auf den Beinen halten.

Im Krankenflügel legte Madam Pomfrey sie auf eines der Betten und versorgte ihre Wunden an ihren Armen und einem Kratzer in ihrem Gesicht, der quer über ihre restlichen Narben verlief. Eine weitere Narbe, die Agnes mit einem Zauber verstecken musste.

Es war ein Zustand zwischen Schlaf und Wachsein, in dem Agnes sich befand. Sie schlief immer kurz und schlecht, wachte aber ruckartig immer auf und schreckte aus ihrem Schlaf.

Als sie schon das dritte oder vierte Mal aus einem schlechten Traum voller rotäugiger Wölfe und gefletschten Zähne aufwachte, saß neben ihr jemand.

„Du bist wach", bemerkte Fred lächelnd und reichte ihr ein Glas Wasser, das Agnes dankbar leerte, „Wie geht es dir?"

„Miserabel", gab sie offen zu, „Als hätte man mich zerstampft und dann wieder zusammengesetzt."

„Du siehst auch nicht so gut aus", bemerkte Fred besorgt, „Madam Pomfrey sagte, du hattest einen Unfall, aber diese Verletzungen kommen nicht von einem Treppensturz. Was ist mit dir passiert?"

„Nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest", versprach Agnes seufzend, „Nur... nur meine üblichen Probleme, aber ich komme zurecht. Was machst du hier?"

„Ich habe dich beim Frühstück nicht gesehen und dein Freund – Davies hat mir erzählt, dass er dich heute in der Früh im Krankenflügel besucht hat, aber er war sich nicht sicher, ob du Besuch haben willst."

„Ich bin eigentlich nur müde – es war keine gute Nacht", winkte Agnes ab, „Ich sollte auch eigentlich schon wieder in den Unterricht gehen – ich kann nicht meine Stunden verpassen."

„Typisch Ravenclaw", scherzte Fred und Agnes erinnerte sich, dass sie normalerweise die war, die sich über die Gryffindors lustig machte, „Schlaf dich lieber aus – wenn du im Unterricht einschläfst, hilfst du auch niemanden weiter."

„Es geht mir schon besser und ich denke nicht, dass ich noch einmal schlafen kann", winkte Agnes ab und schwang ihre Beine über die Bettkante. Sie humpelte zu einem Spiegel an einer Wand und betrachtete ihre Narben in ihrem Gesicht. Wie sollte sie nur hinauf in den Ravenclawturm kommen, ohne dass jemand die Narben sah?

„Ich könnte dich nach oben schmuggeln", bot Fred hilfsbereit an und Agnes sah ihn verwirrt an, „Ich meine... Ich habe nichts gegen deine Narben und andere sollten auch nichts dagegen sagen, sonst bekommen sie es mit mir zu tun, aber ich verstehe auch, dass du nicht willst, dass die ganze Schule sie sieht."

Agnes stockte und wusste einen Moment nicht, was sie darauf antworten sollte.

„Ich... ähm... ich...", stammelte sie unsicher und Fred bemerkte, dass sie unsicher war, also übernahm er das Reden für sie: „Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es noch in deinen Turm bevor die Stunde vorbei ist. Gehe einfach dicht hinter mir – du bist sowieso so klein, es ist ein Wunder, dass Leute nicht täglich über dich stolpern."

„Egal, wie süß und zuvorkommend du gerade noch gewesen bist", maulte Agnes, „jetzt hast du es wieder zunichtegemacht."

„Es wäre generell gut, wenn wir noch vor Stundenende zurück sind, ich habe nächste Stunde Snape und habe keine Lust auf Nachsitzen bei ihm", gab Fred zu.

„Warum sagst du das nicht sofort? Beeilen wir uns!", rief Agnes aus und ging schon voraus, aber Fred holte sie schnell ein und schob sie hinter sich.

Die meiste Zeit waren sie leise, während sie die Treppen hinauf und Gänge entlanggingen. Agnes hörte alles, was ihnen entgegenkam – oder sie hätte es gehört, aber niemand schien auf den Gängen zu sein. Sie hatten wirklich Glück. Schon bald standen sie vor der Tür mit dem Türklopfer.

Ein dunkler Raum, Weiten voller nichts, ein dunkler Ort mit meinem Gesicht", stellte der Adler wie üblich sein Rätsel und sofort fiel Agnes etwas ein, aber sie wollte es nicht aussprechen.

„Bitte sag, dir fällt etwas ein", hoffte Agnes, dass Fred wieder einmal verwunderlich war und ein Rätsel lösen konnte.

„Öhm...", machte er unsicher, „Ich weiß noch nicht einmal, in welche Richtung dieses Rätsel gehen soll? Diese Dinge haben nichts gemeinsam!"

„Ich weiß es", gab Agnes zu und wandte sich wieder dem Adler zu, „Mein Verstand ist ein dunkler Raum, Weiten voller nichts, ein dunkler Ort und er hat mein Gesicht."

„Sehr gute Antwort", lobte der Adler unschuldig und gab den Weg frei. Schnell huschte Agnes an der Tür vorbei und Fred folgte ihr, blieb aber im leeren Gemeinschaftsraum, während Agnes zu den Mädchenschlafsälen hochrannte, um ihre Sachen zu holen und sich ihre Uniform anzuziehen.

Neugierig sah er sich um. Er mochte es, in Gryffindor zu sein. All diese Bücher in den Regalen und das chaotische Durcheinander von Hausaufgaben, Aufsätzen und Lehrbücher, die auf den Tischen verteilt waren, mochten vielleicht zu Ravenclaw passen, aber für einen Gryffindor war es ein Segen, wenn dieser einmal kein Buch zu Gesicht bekam – natürlich gab es Ausnahmen, aber Fred war keine davon.

Plötzlich fiel sein Blick auf ein ganz besonderes Buch. Es war ganz oben auf dem höchsten Regal, sodass sogar er sich einen Stuhl heranschieben musste, damit er es erreichen konnte. Sein Einband war ledergebunden und alt, zarte Blattgoldverzierungen formten kleine Blumen und in der Mitte das Wappen der Ravenclaws. Es schien sehr abgegriffen zu sein, als hätte man es häufig in der Hand, aber doch schien es wichtig.

Vorsichtig schlug er die erste Seite auf und las: Rowena Ravenclaw – Ich hinterlasse ein Haus der Kreativität, ein Haus der Weisheit, eine Waage zwischen Scharfsinn und Logik, die beide zusammen alle Wege öffnen können und jeden Feind bezwingen.

Fred glaubte einen Moment nicht, dass es wirklich von Rowena Ravenclaw – eine der Gründerinnen von Hogwarts persönlich sein konnte. Unter dem Zitat stand eine Jahreszahl und plötzlich war Fred sich nicht mehr so ganz sicher. Diese Zahl entsprach ungefähr dem Gründungsjahr von Hogwarts. Fred blätterte weiter und es standen auf den großen Pergamentseiten unzählige Namen, manchmal mit einem kleinen Spruch, manchmal mit einer Zeichnung. Einige hatte etwas eingeklebt – Blätter, Blumen, Gräser, Notizzettel aus dem Geschichtsunterricht. Fred schlug die letzte beschriebene Seite auf und erkannte einige der Namen von Schülern, die letztes Jahr Hogwarts verlassen hatten.

„Das Buch von Ravenclaw", erklärte Agnes plötzlich und Fred zuckte zusammen. Sie war schon vor einiger Zeit aus den Mädchenschlafsälen gekommen, aber als sie gesehen hatte, dass Fred das Buch entdeckt hatte und es bestaunt betrachtete, wollte sie ihm noch etwas Zeit geben.

„Ein Buch, in der jeder Schüler sich verewigt", schlussfolgerte Fred, „das ist genial."

„Es ist eine Ehre, wenn man hineinschreiben darf. Die Vertrauensschüler stellen es jedes Jahr den Erstklässlern vor und ab diesem Zeitpunkt an überlegt man sich, wie man für die Ewigkeit erhalten bleiben will. Es ist wirklich genial", stimmte Agnes zu.

„Weißt du schon, was du hineinschreiben willst?", fragte Fred und Agnes verzog das Gesicht.

„Bis vor kurzem war ich mir noch sicher, aber mittlerweile habe ich eine andere Idee", gab sie zu.

Fred nickte und schlug das Buch zu, legte es wieder auf seinen Platz und wandte sich nun vollkommen Agnes zu. Ihre Narben hatte sie magisch überdeckt und sie sah irgendwie ungewohnt aus so ganz ohne Narben im Gesicht.

„Gehen wir, ich will nicht Snapes Stunde verpassen", beschloss er.

„Du meinst wohl, du willst nicht Snapes Stunde verpassen, damit du nicht später eine Privatstunde mit ihm verbringen musst."

„Das ist so ziemlich genau das, was ich damit gemeint habe, Agnes, immerhin haben manche Leute im Gegensatz zu anderen noch immer Zaubertränke."

„Willst du damit irgendetwas andeuten, Weasley?"

„Das würde mir nie im Traum einfallen, nein! Natürlich nicht!"

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