54. Kapitel

Das einzige, das Agnes an diesem Tag noch aufheitern konnte, waren die Quidditch-Auswahlspiele. Sie traf sich am frühen Abend mit den restlichen Teammitgliedern und auch denen, die die freien Stellen besetzen wollten. Nachdem Duncan und Grant im vorherigen Jahr die Schule abgeschlossen hatten, fehlte im Team ein Treiber und zum ersten Mal seit Jahren ein Hüter, der schwer zu ersetzen war, da er im Spiel selbst eine tragende Rolle spielte, aber auch die anderen Positionen waren möglich, dass sie ausgetauscht wurden, sollte jemand besseres dabei sein.

„Nervös?", fragte Roger Agnes und tatsächlich war sie nervös. Ihr ging es nicht so gut, die Verwandlung sollte heute Nacht sein und sie fühlte sich gestresst und müde, aber sie war selbstsicher, dass sie wieder ins Team kommen würde.

„Schon ein wenig", gab sie zu, „Ich habe nicht so gut geschlafen."

„Das sieht man dir an", stimmte Roger ihr besorgt zu, „Und gegessen hast du heute auch nicht so viel – bist du vielleicht krank? Heute Nacht ist Vollmond, bist du sicher, dass du diese Spiele durchstehst?"

„Mir geht es gut", unterbrach Agnes ihn gereizt, „Ich bin nur müde."

„Ich weiß, dass du ausgezeichnet Quidditch spielen kannst. Du bist so oder so im Team. Ich will nur nicht, dass du vom Besen fällst", versprach er und zauberte Agnes tatsächlich ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht.

„Ich schaffe das und ich muss den anderen Spielern beweisen, dass ich es schaffe. Ich werde mich von nichts und niemanden aufhalten lassen – weder von Greyback, noch von Umbridge oder von sonst irgendetwas", schwor sich Agnes und Roger nickte ihr stolz zu.

Nun wandte sich der Kapitän an alle anderen und rief: „Okay, wir machen es wie immer! Als erstes fliegen sich alle ein und dann wird aussortiert!"

Agnes schwang ihre Beine über ihren Besen und stieß ich kräftig ab. Sie stieg mehrere Meter in die Höhe und spürte sofort den kräftigen Wind, der an ihr zerrte, aber sie spürte die Kälte nicht so, wie früher. Sie sah, wie andere, die es ebenfalls in die Luft geschafft hatten, vor Kälte ein wenig zitterten, aber Agnes spürte sie nicht wirklich, was ihr wahrscheinlich auch dabei geholfen hatte, dass sie bei ihrer letzten Verwandlung einen halben Tag mehr oder weniger nackt durch einen schattigen Wald gehen konnte, ohne die Kälte zu spüren.

Mit einem Lächeln sah sie, wie Roger die ersten Anfänger schon vom Platz schickte, weil diese es nicht schafften, ihren Besen in die Luft zu bringen.

Während die, die es geschafft hatten einige Runden um den Platz drehten, genoss Agnes den Wind, der ihr die Haare aus dem Gesicht wehte und die Freiheit, die sie verspürte, als ihr Bauch angenehm kribbelte – als wäre sie verliebt.

Als Roger sie wieder zu sich pfiff, waren sie schon weniger und Agnes landete leichtfüßig auf dem Boden, während neben ihr ein Drittklässler mit dem Besenstiel in die Erde einstach und kopfüber vom Besen purzelte – Roger schickte ihn weg.

„Ich will, dass ihr euch alle in eure Positionen einteilt, die ihr spielen wollt! Jäger hier zu mir, Treiber dort drüben zu Agnes, Sucher zu Cho und Hüter dort hinüber!", befahl Roger und Agnes stellte sich hin, während die anderen ihre Stelle suchten, zu der sie gehörten.

Zu ihrer Überraschung stand Cho allein da und beinahe hätte Agnes genervt aufgestöhnt, denn Cho war nicht die beste Sucherin und seit Cedrics Tod schien sie nur noch zu weinen und traurig in der Gegend herumzustehen, aber Agnes hatte Verständnis dafür, dass es eine Zeit der Trauer für sie sein musste und sie auch Zeit brauchen würde, um über diesen Verlust hinwegzukommen. Agnes hoffte aber, Cho würde das Quidditch nutzen, um ihre Gedanken von ihrer toten Liebe wegzulocken.

Vier Hüter standen stolz zusammen und auch Treiber waren natürlich mehrere gekommen, nachdem dort jeweils eine Stelle frei war, während Roger, Jeremy und Randy nur mit einem anderen zusammenstanden – einem Zweitklässler, der nicht so aussah, als wäre er auf dem Besen sicher unterwegs.

„Na dann", meinte Roger und blickte zu Cho und versuchte offenbar sich nicht ansehen zu lassen, wie enttäuscht auch er war, aber er sah schnell weiter und rief: „Beginnen wir mit den Hütern!"

Agnes nutzte die Zeit und schloss ein wenig die Augen, damit die Kopfschmerzen verschwanden. Pochend waren sie schon den ganzen Tag ein ständiger Begleiter, aber Agnes lernte langsam, sie einfach zu ignorieren.

„Alles in Ordnung?", fragte plötzlich jemand neben ihr und sie zuckte zusammen. Sie sah auf und sah einen Jungen aus Ravenclaw, dessen Name sie aber nicht kannte.

„Denke schon... nur Kopfschmerzen", winkte Agnes ab und hoffte, er würde schnell wieder verschwinden.

„Dafür bist du aber ziemlich gut geflogen", lobte er sie, aber es klang so falsch. Trotzdem schenkte Agnes ihm ein gequältes Lächeln und sah zu Roger, der gerade einen der Hüter vom Platz schickte, weil dieser schon den zehnten Ball durch einen Ring ließ, ohne ihn auch nur annähernd abgewehrt zu haben.

„Seid ihr zusammen?", fragte der Junge Agnes plötzlich und sie runzelte verwirrt die Stirn.

„Bitte was?", fragte sie überrascht und er wiederholte: „Ob du und Davies zusammen seid."

„Oh, nein", Agnes schüttelte den Kopf, „Nur Freunde."

„Oh, gut", meinte der Junge.

„Wer bist du eigentlich?", fragte Agnes langsam genervt von ihm und schnell stellte er sich vor: „Tut mir leid! Das kannst du nicht wissen! Ich bin Theodor Chambers – ich möchte Treiber an deiner Seite werden!"

„Schön für dich", Agnes erinnerte sich, dass Theodor ihres Wissens eine Stufe unter ihr war und jetzt die sechste Klasse besuchen musste. Sie hatte noch nie ein Wort mit ihm gewechselt, ihm noch nie bei seinen Hausaufgaben geholfen oder etwas von ihm gehört. Sie hatte wohl erst heute von seiner Existenz erfahren.

„Agnes und die restlichen Treiber!", rief Roger vom anderen Ende des Spielfelds, während die Hüter, die nicht gewählt waren vom Platz gingen, „Ihr seid die nächsten!"

Nur einer der Hüter blieb am Platz. Sein Name war Marcus Belby und er war in der fünften Klasse – ihm hatte Agnes schon einmal bei einem Aufsatz über den Schwebezauber geholfen, also kannte sie wenigstens seinen Namen und wusste, dass er freundlich war.

„Okay, Leute! In einer Reihe, ich will erst einmal euren Schlagarm sehen und dann arbeiten wir uns vor bis zum zielgenauen Treffen!", befahl Roger und die insgesamt sieben Spieler reihten sich brav auf. Agnes versuchte als letzte zu sein, aber da stellte sich Chambers noch hinter sie und grinste sie breit an. Agnes verdrehte nur die Augen und ignorierte seinen Blick, der auf ihr lag. Dieses Jahr waren die Treiber ein wenig talentierter. Sie trafen alle bis auf einen den Ball und schossen ihn auch nicht auf Roger oder köpften beinahe jemanden mit dem Schläger. Tatsächlich waren es alles Spieler, mit denen Agnes sich vorstellen konnte, den Pokal dieses Jahr zu gewinnen. Als sie an der Reihe war, steckte sie all ihre Wut und ihren Zorn in diesen einen Schlag. Sie traf den Ball perfekt und er flog über das Spielfeld, bevor er auf dem Boden auftraf, noch einen Büschel Gras mit sich nach, einige Meter weit rollte und schließlich zum Stehen kam.

Roger pfiff beeindruckt und nickte Agnes zu.

„Nicht schlecht", lobte Chambers, „Jetzt komme ich – mal sehen, ob ich diesen Rekord breche!"

„Schade, dass Wood vor zwei Jahren Hogwarts verlassen hat", seufzte Roger, „Sonst wäre jetzt die perfekte Chance für ein Liebesgeständnis an ihn gewesen. Mal sehen, ob du ihn überhaupt triffst."

Chambers traf, aber nicht sonderlich stark. Er flog zwar weit, aber nicht außergewöhnlich weit und er kam nicht wirklich an Agnes' Ball heran. Er war nicht wirklich schlecht, aber auch nicht wirklich gut.

Chambers wurde rot und Roger machte unbeeindruckt: „Hm", bevor er weiter Befehle erteilte, „Also gut! Für zielgenaues Treffen machen wir eine einfache Übung – ihr schlägt einfach die Bälle durch die Ringe!"

„Wir sind doch keine Jäger!", beschwerte Chambers sich, aber Roger hob nur eine Augenbraue und erklärte: „Und deswegen werdet ihr sie auch mit euren Schlägern da durch katapultieren."

„Stellt euch einfach vor, die Ringe wären die Köpfe eurer Gegner", schlug Agnes grinsend vor und eine jüngere Spielerin sah sie leicht verstört an, bevor Agnes ihr ein Lächeln schenkte und sie so beruhigte.

Mit dieser Übung hatte die Spieler schon mehr Probleme. Zwar waren die Ringe eigentlich zu groß, um menschliche Köpfe zu sein, aber es fiel einigen trotzdem schwer, sie zu treffen. Sie trafen den unverhexten Ball, aber nicht den Ring. Einmal prallte er vom Ring selbst ab, einmal ging er ganz daneben, einmal war er zu hoch und einmal zu niedrig. Zum Schluss waren nur noch Agnes, Chambers und ein dritter bei der Auswahl, die den Ball wenigstens durch den Ring gebracht hatten.

„Na gut", meinte Roger, „Eine Übung habe ich noch – wartet hier!"

Roger flog auf den Boden und Chambers grinste blöd und fragte Agnes: „Was macht er denn?"

Agnes würdigte ihn nicht einmal eines Blickes und sah dabei zu, wie Roger seinen Zauberstab von den Tribünen aus seiner Tasche holte und damit wieder aufs Feld rannte, aber er stieg nicht sofort auf seinen Besen, sondern zeigte mit seinem Zauberstab auf den Boden und begann eine Zauberformel aufzusagen, die sie in Zauberkunst bei Flitwick gelernt hatten. Die Erde erhob sich und verformte sich nach Rogers Vorstellungen. Sie verfestigte sich, bröckelte wieder auseinander, formte sich und verformte sich wieder, bis eine Art Erdmensch entstanden war, der aber nur steif und stillstehen konnte.

Wingardium Liviosa!", beschwor Roger als letztes und der Erdmensch stieg in die Luft. Noch immer mit dem Zauberstab auf das Erdwesen zeigend flog Roger selbst wieder zu den drei Treibern hoch und platzierte ihn weiter weg in der Luft.

„Probieren wir das Ganze noch mit einem echten Ziel aus – natürlich bewegt es sich und ist kleiner, es sollte also eine Stufe schwieriger sein", schlug Roger vor, „Ihr müsst ihn nur mit einem dieser Bälle treffen. Das ist schwieriger, als mit einem echten Klatscher – die echten Klatscher würden sich auf ein Ziel fixieren, aber nachdem unser Freund hier nicht lebendig ist, bezweifle ich, dass das funktioniert."

„Geht klar, Roger", rief Agnes motiviert und sah zum Himmel – die Sonne stand schon recht tief und sie musste irgendwann zu Madam Pomfrey, damit sie sie zum Versteck für diese Nacht führte, „Beeilen wir uns – ich will noch Abendessen."

„Chambers – du beginnst!", befahl Roger und voller Elan griff Chambers seinen Schläger und machte sich bereit. Roger warf den Ball, Chambers traf ihn und er flog und flog auf den Erdmann zu, der sich ein wenig bewegte. Der Ball ging glatt durch seine Brust hindurch, aber die Erdteile fügten sich sofort wieder zusammen und erschufen ihn wie neu.

„Sehr gut, Chambers – Timley, du als nächstes!", damit war der Dritte gemeint, der etwas nervöser aussah. Auch er traf den Ball, aber im Gegensatz zu Chambers verfehlte er den Erdmann nur knapp.

„Agnes! Jetzt du noch!", rief Roger, „Ich glaube an dich!"

„Ich werde dich nicht enttäuschen!", antwortete Agnes theatralisch und grinsend, bevor sie ihre Position einnahm. Es war wie im echten Spiel. Dort war ihr Ziel – sie musste es nur treffen und ihr Team würde gewinnen.

Doch plötzlich war dort nicht mehr nur der Erdmann, sondern Greyback flog auf einem Besen und grinste sie hämisch an.

Agnes kniff die Augen zusammen und holte aus, nur um den Ball genau zu treffen. Er flog auf den Erdmann zu und plötzlich explodierte sein Kopf und wurde beinahe schon pulverisiert.

„Wow", machte Roger lachend, „Sehr gut! Chambers, Agnes – ihr seid im Team! Timley – vielleicht funktioniert es das nächste Mal!"

Timley zog enttäuscht ab, während Chambers sich zu den restlichen Teammitgliedern gesellte, während Agnes und Roger zusammen auf den Boden sahen. Die Sonne war schon blutrot und streifte den Horizont – Agnes musste jetzt wirklich gehen.

„Du warst gar nicht so schlecht, dafür, dass du dich noch heute in ein blutrünstiges Monster verwandeln wirst", scherzte Roger und Agnes war froh, dass er Witze riss – das bedeutete, dass es ihn wirklich nicht kümmerte, dass sie ein Werwolf war.

„Sollte das ein Kompliment sein, Davies?", fragte Agnes neckisch, aber tatsächlich pochte ihr Kopf unangenehm und das Adrenalin in ihrem Körper baute sich ab, sodass der erste Schub beim Fliegen verschwand und sie spürte wieder, wie sehr ihre Muskeln schmerzten.

„Ich muss jetzt aber wirklich gehen – ich hätte mich mit Madam Pomfrey schon vor einer halben Stunde treffen sollen", meinte Agnes entschuldigend.

„Keine Sorge, beeil dich lieber!", riet Roger ihr und Agnes nickte ihm noch dankbar zu, bevor sie zu den Umkleidekabinen rannte.

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