50. Kapitel

Agnes hatte nicht gut geschlafen, aber sie wachte trotzdem am Morgen früh auf. Einige Zeit lag sie in ihrem Bett und starrte auf die Decke, bevor sie sich aus dem Bett quälte.

Unten in der Küche konnte sie hören, dass andere schon wach waren, aber noch war sie nicht bereit, Leute zu treffen. Stattdessen begann sie auf der Suche nach Ruhe einen Raum zu suchen – sie hatte sogar schon einen gefunden. Es war ein Raum, den sonst noch niemand benutzte. Sie würden ihn erst in ein paar Tagen säubern und bis dahin war er unbewohnbar, aber für Agnes und ihre Ruhe reichte es.

Sie trat ein und roch sofort, dass sie sich geirrt hatte – sie war doch nicht allein.

In dem Raum war schon jemand – Tia Fuego, die Tochter von Remus Lupin.

„Oh", meinte Agnes unbeholfen, „Ich... ähm... Entschuldigung. Ich habe nur einen ruhigen Ort gesucht."

„Den hast du gefunden", antwortete Tia ihr, „Also... nicht ganz ruhig, weil ich schon hier bin, aber... wenn ich nicht da bin, ist es leise..."

Agnes musterte sie. Tia selbst sah Remus eher nicht ähnlich. Sie hatten zwar Ähnlichkeiten in Gesichtsform und vielleicht der Nase, aber ansonsten nicht wirklich. Tia hatte etwas dunklere Haut und Agnes hatte schon von Fred erfahren, dass ihre Familie aus dem Spanien stammte und sie daher nicht nur die schön gebräunte Haut, sondern auch ihre dunkle Haarfarbe hatte. Ihre Haare hatte sie zu einem sehr langen Zopf geflochten und Agnes fragte sich, wie ihre Haare wohl ungeflochten aussahen. Das seltsamste an Tia waren ihre Augen. Das eine war dunkelbraun, wie schwarzer Kaffee, das andere so hellgrün, wie die Augen von Remus. Allein der Kontrast von hell zu dunkel und dazu noch die seltsame und ungewöhnliche Farbkombination verwirrte Agnes. Ansonsten war Tia auch wunderschön – nicht nur hübsch, sondern wirklich schön. Das war auch der Grund, warum Molly sie nicht leiden konnte, wie Agnes wusste. Tia war mit George zusammen, aber Molly war darüber überhaupt nicht zufrieden. Sie glaubte, dass George sie nur mochte, weil Tia hübsch war und sie war sich sicher, dass Tia George nur ausnutzte. Agnes konnte das nicht einschätzen, immerhin hatte sie noch nie wirklich mit Tia gesprochen.

Ihr fiel aber auf, dass Tia irgendwie seltsam bleich war und sie sah so aus, als würde sie bald zu weinen beginnen und Agnes erinnerte sich, dass Tia doch nur ein Mädchen war, egal, wie erwachsen sie schon aussah und wie hübsch sie war, dass sie jeden verzaubern konnte, wenn sie wollte. Tia war ein Jahr jünger, als sie und das hatten wohl viele vergessen.

„Geht es dir gut?", fragte Agnes sanft.

„Ja, klar", Agnes merkte, dass Tia log, als sie sich mit der Hand übers Gesicht fuhr. Diese Angewohnheit hatte sie wohl von Remus übernommen. „Ich... klar doch... mir geht es gut, warum fragst du?"

Agnes schaute sie an und überlegte, ob sie Tia einfach in Ruhe lassen sollte, oder sich doch lieber zu ihr setzen sollte. In Hogwarts half sie anderen immer, wenn diese Probleme hatten. Sie hatte Hermine zugehört, als diese mit Harry und Ron gestritten hatte; sie hatte Neville zugehört, der ihr gestanden hatte, was mit seinen Eltern passiert war; sie buk Kekse für die fleißig Lernenden und kümmerte sich um jeden, der ihre Hilfe brauchte, auch, wenn sie nicht immer Hilfe zurückbekam.

„Nein", meinte Agnes schließlich sanft und setzte sich neben Tia auf den Boden, „Nein, dir geht es nicht gut."

„Was kümmert dich das?", fragte Tia leicht abweisend, „Du kennst mich nicht."

Agnes verwunderte das ein wenig. Tia war nicht abweisend – noch nie wirklich gewesen, aber Agnes kannte sie nicht gut. Aber Agnes kannte sie nur als freundlich und ruhig, gefasst und immer lächelnd.

„Vielleicht will ich dich kennenlernen", meinte Agnes schulternzuckend, „Vielleicht habe ich das Gefühl, dich kennen zu wollen."

„Ich bin nicht sonderlich interessant, fürchte ich", seufzte Tia, „Ich meine... ich bin nur Tia."

„Keiner ist ein „Nur". Jeder ist jemand, und du, Tia, scheinst interessanter zu sein, als du selber glaubst", meinte Agnes.

„Ich glaube, du irrst dich."

„Ich irre mich selten", verbesserte Agnes sie, „Also... was ist los?"

„Keine Ahnung", seufzte Tia, „Ich... ich habe mein Zeugnis bekommen."

„Stimmt! Du hast letztes Jahr deine ZAGs geschrieben? Ist es gut gelaufen?"

„Wohl kaum", schnaubte Tia, „Sieht nicht sonderlich gut aus."

Tia hielt ihr ihr Zeugnis hin – noch etwas, das Agnes verwunderte. Gerade eben hatten sie sich noch darüber unterhalten, dass Agnes sie nicht kannte, aber nun war Agnes wohl die erste, die ihr Zeugnis ansehen durfte. Agnes nahm es an und las es durch.



ERGEBNIS DER ZAUBERGRAD-PRÜFUNGEN


Bestanden mit Noten:

Ohnegleichen (O)

Erwartungen übertroffen (E)

Annehmbar (A)


Nicht bestanden mit den Noten:

Mies (M)

Schrecklich (S)

Troll (T)


TARA ISABEL APATE CARLA PELOMA FUEGO HAT FOLGENDE NOTEN ERLANGT:

Astronomie: A

Geschichte der Zauberei: S

Kräuterkunde: E

Pflege magischer Geschöpfe: E

Verteidigung gegen die Dunklen Künste: S

Verwandlung: E

Wahrsagen: M

Zauberkunst: E

Zaubertränke: O



Es waren nicht die besten Noten, aber auch nicht die schlechtesten. Agnes wusste nicht, warum Tia sich solche Sorgen machte, immerhin war Remus noch nie streng gewesen und die Noten waren gut. Immerhin hatte sie sechs ZAGs geschafft – schon einmal mehr, als Fred oder George oder andere, die Agnes kannte.

„Ist nicht so schlecht", widersprach Agnes ihr schließlich, „Sechs ZAGs, das ist mehr, als manche von meinen Freunden geschafft haben."

„Ich weiß nicht", Tia fuhr sich nervös mit der Hand übers Gesicht, „Ich meine... Remus hat sogar Verteidigung gegen die Dunklen Künste gelehrt und hat mir stundenlang in der Schule Nachhilfe gegeben, aber ich schaffe trotzdem nichts Besseres, als ein „Schrecklich". Ich... ich glaube, er hat sich etwas Besseres erwartet."

Agnes musterte sie. Sie glaubte, dass Tia sich mehr Sorgen machte, als sie musste. Remus war nicht streng oder wurde schnell wütend und was Agnes bisher gesehen hatte, liebte er Tia, wie man eben eine Tochter lieben sollte, wenn man nicht gerade Tristus oder Agnolia Tripe hieß. Aber Tia machte sich Sorgen und die Tatsache allein sagte Agnes, dass sie mit ihr vorsichtig umgehen musste. Manchmal machten sich Leute mehr Sorgen, als sie sollten – egal, ob berechtigt oder nicht.

„Ich weiß nicht, Tia", meinte Agnes ratlos, „Ich kenne Remus jetzt wahrscheinlich nicht so gut, wie du, aber ich hätte ihn nicht so eingeschätzt, dass er dich so verurteilen würde. Ich glaube, er ist mit allem zufrieden. Vielleicht bin ich kein Spezialist in diesem Gebiet, aber ich glaube, Eltern wie Remus sind einem nicht wegen Noten böse."

„Ich weiß nicht, wie er auf schlechte Noten reagiert – ich kenne ihn ja auch noch nicht so lange", schnaubte Tia und sie sah nachdenklich in die Ferne. Agnes hoffte, sie hatte es nicht noch schlimmer gemacht – das wäre wieder einmal typisch.

„Außerdem", zeigte Agnes aufmunternd auf, „Außerdem haben Fred und George auch nur vier ZAGs geschafft. Und du willst doch nicht sagen, dass die beiden dumm wären, oder? Intelligenz zeichnet sich nicht durch Schulnoten aus."

„Wodurch dann?", fragte Tia und legte den Kopf schief.

„Keine Ahnung", Agnes zuckte mit den Schultern, „Ich glaube, durch verschiedene Weisen."

„Ich weiß nicht", murmelte Tia.

„Warum versuchst du es nicht einfach?", schlug Agnes vor, „Ich meine... früher oder später wird Remus dein Zeugnis sehen wollten. Nimm all deinen Mut zusammen und sag es ihm."

„Ich bin auch nicht sonderlich mutig", gestand Tia und wurde etwas rot, „Ich weiß nicht, warum ich in Gryffindor bin."

„Nun, ich bin auch nicht sonderlich mutig", meinte Agnes lächelnd, „Ich komme trotzdem gut durchs Leben."

Tia schnaubte. „Du bist mutig", verbesserte sie Agnes, „Ich glaube nicht, dass ich mutig genug wäre, um nach all dem wieder aufzustehen."

Ein kalter Schauer lief Agnes über den Rücken und ihr aufmunterndes Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. Es klang erschreckend danach, dass Tia wusste, was mit Agnes los war. Das war nicht so abwegig, immerhin war Remus ihr Vater. Warum sollte er ihr es nicht verraten.

„Nach was?", fragte Agnes sicherheitshalber nach, aber es kam nicht die gewünschte Antwort.

„Nun... wahrscheinlich wäre ich nicht so mutig, einfach weiter zu machen, nachdem ich von einem Werwolf gebissen worden wäre."

Agnes wurde blass und riss erschrocken die Augen auf. Tia wusste es und Tia war mit George zusammen und schon bald würde es auch Fred wissen. Wie würde er reagieren? Agnes wollte es ihm eigentlich anders beibringen, wenn überhaupt. Sie behielt es doch lieber für sich – ihr kleines Geheimnis, dass sie ein Werwolf war. „Wo-Woher weißt du das?", fragte sie stammelnd.

„Keine Sorge, ich sag es keinem weiter", versprach Tia und Agnes entspannte sich wieder ein wenig, „Die Narben, deine Launen zu Vollmond, du verschwindest mit meinem Vater zu Vollmond und kommst am nächsten Tag erst zurück."

„Oh", machte Agnes nickend und sie bemerkte, dass Tia auf gar keinen Fall so dumm war, wie sie sich dargestellt hatte. Eigentlich schien sie sogar sehr intelligent zu sein und sehr aufmerksam. Es konnte eine Gabe sein, solche Kleinigkeiten so zu kombinieren, dass es ein Gesamtbild ergaben. „Klingt... klingt logisch. Denkst du, es könnten andere auch noch herausfinden?"

Tia zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht", gestand sie, „Vielleicht. Andererseits habe ich auch gerochen, dass du anders riechst – Werwölfe riechen ähnlich. Diesen Vorteil haben andere nicht."

„Oh", machte Agnes, „Klingt logisch."

Tia nickte und es wurde still.

„Wirst du das Zeugnis jetzt deinem Vater zeigen?", fragte Agnes, um wohl das Gespräch wieder auf ein angenehmeres Thema zu lenken.

„Mir bleibt wohl nichts anderes übrig", seufzte Tia und stand auf, „Am besten, ich bringe es hinter mich."

„Das ist eine ausgezeichnete Idee", lobte Agnes sie lächelnd, „Und ich bin mir sicher, du schätzt Remus ganz falsch ein."

„Hoffentlich", murmelte Tia und ließ Agnes allein im Raum zurück und es wurde endlich still, aber plötzlich war die Stille doch irgendwie erdrückend.

Agnes Gedanken drehten sich um Tia. Sie war so anders, als sie gedacht hatte. Zwar war sie wirklich so freundlich und zuvorkommend, wie Remus es auch war, aber hinter den verschieden farbigen Augen steckte so viel gefährliche Intelligenz und Agnes wollte sie auf gar keinen Fall als ihren Feind wissen. Irgendwie verstand sie plötzlich, warum George sie so mochte – Tia war mehr, als nur ein hübsches Gesicht. Tia war um einiges mehr, als man ihr zutraute und vielleicht machte sie genau das so interessant.



Fred und George waren in ihrem Zimmer und tüftelte neue Produkte für ihren Scherzartikelladen aus. Seitdem Harry ihnen das Startgeld gegeben hatte, waren sie noch sicherer, dass sie das durchziehen wollten. Eigentlich gingen sie nur noch nach Hogwarts zurück, weil auch Tia und Agnes dort sein würden – außerdem würde ihre Mutter sie vermutlich köpfen und vierteilen.

Sie waren so in ihre Arbeit versunken, dass sie gar nicht bemerkten, wie langsam die Tür geöffnet wurde und jemand leise ihr Zimmer betrat. Erst, als derjenige die Tür wieder ins Schloss fallen ließ, zuckten die beiden zusammen und bemühten sich alles schnell unter ihrem Bett zu verstecken, als sie sahen, dass gar nicht ihre Mutter dort stand, sondern Remus Lupin.

„Oh du meine Güte, Professor Lupin", rief Fred keuchend und hielt sich seine Hand ans Herz, „Wir haben schon gedacht, Sie wären unsere Mutter!"

„Sie haben uns wirklich erschreckt!", stimmte George seinem Zwilling zu, „Warum schleichen Sie sich so an?"

Lupin musterte die beiden und sie bemerkten, dass er nicht so freundlich und zuvorkommend wirkte, wie sonst, sondern schon beinahe bedrohlich.

„Ich bin nicht als euer Professor hier", gab Lupin grimmig zu, „Ich bin hier, als ein Vater."

„Oh gut!", rief Fred und sprang sofort auf, „Sie wollen also mit George hier sprechen! Dann bis später! Schön, dich gekannt zu haben, George. Ich werde dich immer in Erinnerung behalten..."

Bevor Fred das Zimmer verlassen konnte, streckte Lupin seinen Arm aus und hielt ihn zurück, indem er ihm den Weg versperrte. „Ich bin als Vater meiner beiden Töchter hier."

„Seit wann haben Sie zwei Töchter?", fragte Fred, „Habe ich etwas verpasst?"

„Ich denke, er meint Agnes", wisperte George ihm hilfsbereit zu und sofort verschwand jeder Humor aus Freds Gesicht und er wurde auch ein wenig bleich um die Nase.

„Oh", machte er und trat wieder neben seinen Zwilling, der ebenfalls aufgestanden war.

„Setzt euch doch", bot Lupin an und zeigte auf die Betten.

„Ich denke, wir stehen lieber", gestand Fred, aber nachdem Lupin ihnen einen warnenden Blick zugeworfen hatte, murmelte er: „Oder vielleicht sitzen wir auch... Sitzen ist gut... sitzen ist eine gute Position, um zu sterben..."

„Ihr habt also jeweils ein Auge auf meine beiden geworfen?", begann Lupin und die Zwillinge nickten nur als Antwort. Sie hinterfragten nicht einmal, warum Lupin Agnes auf einmal ebenfalls als seine Tochter bezeichnetet, aber Fred erinnerte sich, dass sie einmal gesagt hatte, dass er sich genug für alle um sie sorgte und tatsächlich achtete er nicht nur auf Tia besonders, sondern auch auf Agnes, als wäre sie seine eigene.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich dieses Gespräch einmal führe", gestand Lupin und George unterbrach ihn: „Wir haben glaube ich auch nie gedacht, dass Sie dieses Gespräch mit uns führen werden, aber wir nehmen es jetzt einfach so hin und hoffen innerlich, dass Sie uns nicht köpfen."

Lupin ignorierte seinen Kommentar und führte einfach fort: „Bis vor knapp über einem Jahr bin ich noch gar kein Vater gewesen, aber ich denke, ich wäre kein guter, wenn ich nicht die Freunde meiner beiden zuerst ein wenig einschüchtere."

„Das ist Ihnen gelungen – ein Sternchen für den Vater des Jahres!", gab Fred zu.

„Ihr seid im Grunde gute Jungs", führte Lupin fort, „Nicht besonders fleißig, aber doch irgendwie akzeptable Zauberer. Ihr erinnerte mich an mich, als ich in eurem Alter war."

„Danke", meinte Fred grinsend.

„Das war kein Kompliment", bemerkte Lupin.

„Oh", machte Fred und sein Grinsen verschwand aus seinem Gesicht, „Doch nicht danke..."

„Ich habe bei euch also das Gefühl, als müsste ich euch tief in die Augen sehen und euch sagen, dass ihr nicht die gleichen Fehler machen sollt, die ich gemacht habe", Lupin zog die beiden Zwillinge an ihren Krägen an sich heran und blickte ihnen tief in die Augen, „Passt auf! Verletzt sie nicht oder ich werde euch jagen und zur Strecke bringen. Haben wir uns verstanden?"

Die Zwillinge nickten panisch und Lupin ließ sie los und lächelte freundlich.

„Sehr gut", meinte er zufrieden, „Jetzt, da das geklärt ist, kann ich ja wieder gehen."

Er verließ den Raum und ließ die zwei leicht verstörten Zwillinge zurück.

„Sehr gruselig", bemerkte George, „Wenn wir das wirklich irgendwie durchziehen, müssen wir ihn noch häufiger sehen."

„Das ist das alles wert", bestimmte Fred, „Und notfalls sagen wir einfach, wir wären krank und schwänzen jedes Familientreffen für den Rest unseres Lebens."

„Mit einem Schwiegervater wie ihn auf den Fersen kann das ja nicht lange sein."

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