24. Kapitel

Kingsley apparierte Agnes und sich nach Askaban. Er brauchte dafür eine spezielle Zulassung, die nur für diesen einen Besuch galt, den er schon einige Male mit Agnes gemacht hatte, das erste Mal war sie ein verstörtes, sechsjähriges, kleines Mädchen gewesen. Sie hatte gezittert, als sie fest seine Hand gehalten hatte während sie die dunklen Gänge hinuntergingen und die Dementoren trotz dem schützenden Patronus einen Teil ihrer Freude aus ihr sogen.

Jetzt war Agnes groß geworden – beinahe erwachsen, selbstsicherer, grimmiger, sie hatte die Welt gesehen, wie sie war, aber trotzdem zitterte sie ein wenig, als sie seine Hand festhielt und keine Anstalten machte, diese loszulassen, aber Kingsley störte das nicht. Er brachte Agnes jedes Jahr hierher – seit sie sechs Jahre alt war. Er hatte dabei zugesehen, wie sie aufgewachsen war, wie sie nach Hogwarts ging, wie sie größer wurde und sie sah jedes Jahr ihrer Mutter ähnlicher, glich ihr aber von der Persönlichkeit ihr in keiner Weise, was Kingsley als eine positive Entwicklung empfand.

„Du lässt mich doch nicht allein, oder?", fragte sie leise mit brechender Stimme. Sie hatte Angst und in seiner Nähe versteckte sie es auch nicht. Sie kannte Kingsley schon so lange und er war der sichere Hafen in Askaban. Sie hasste diesen Ort.

Wenn man den dunklen Gang hinunterging, sah man zu beiden seiner Seiten Zellen. In jeder war ein Gefangener, von dem man wusste, dass er dort war, weil er ein Verbrechen begangen hatte. Manche saßen leise weinend in der Ecke und wippten einfach vor und zurück, manche lagen reglos in ihren Betten, als wären sie schon tot, manche schrien verzweifelt, manche verletzten sich selber, schlugen ihre Köpfe gegen die Gitter, kratzten sich im Gesicht und den Armen, rissen sich die Haare aus, manche waren ruhig. Agnes hatte schon bekannte Gesichter gesehen – Sirius Black war einer von ihnen. Er war ruhig gewesen, als würden die Dementoren ihm nichts ausmachen.

Ihre Tante Bellatrix Lestrange hingegen schrie, wenn es ihr zu leise wurde, lachte kreischend, wenn sie etwas in ihren Gedanken lustig fand, sprach mit sich, wenn ihr langweilig war.

Ihre Mutter war Bellatrix erschreckend ähnlich. Als Agnes sie das letzte Mal gesehen hatte, hatte sie von einem Ohr zum anderen gegrinst, aber ihre Hände hatten unkontrolliert gezittert. Dunkle Augenringe waren unter ihren eisblauen Augen und ihre Haut war kränklich bleich gewesen.

„Ich lasse dich nicht allein", versprach Kingsley ihr und drückte ihr Hand fester, während aus seinem Zauberstab sein Patronus sie beschützte.

Er führte sie vor einer Zelle, vor der Agnes nie wieder stehen wollte. Zuerst sah Agnes in der finsteren Zelle nur Umrisse, als plötzlich die Gestalt in den Schatten sich elegant bewegte.

Plötzlich sprang sie vor und Agnes zuckte zurück. Ihre Mutter sah grauenvoll und halb tot aus. Ihre Zähne waren schwarz und nur noch Stummel, ihre Haare wild verfilzt, ihr Aussehen fanatisch irre.

„Agnes, Schätzchen!", begrüßte sie ihre Tochter schrill, „Du bist so hübsch geworden! Du siehst aus, wie ich!"

Agnes antwortete nichts – sie stand ihrer größten Angst gegenüber und konnte sich nicht rühren.

„Aber du bist immer noch schwach", spuckte Agnolia angeekelt, „Der Dunkle Lord hat Recht! Du solltest gezüchtigt werden, damit du stark wirst, aber keine Angst, Mommy sorgt schon dafür, dass ihr Liebes groß wird! Irgendwann wird sie es schon werden und dann werden sie alle fürchten! Er wird wiederkommen, Mommy weiß das!"

„Warum sollte er das? Er ist besiegt!", brachte Agnes heraus und zu ihrem Erstaunen klang sie selbstsicherer, als sie sich fühlte.

Agnolia lachte gackernd und schien amüsiert von ihrer Tochter.

„Aber Schätzchen! Mommy weiß solche Sachen eben! Du solltest deiner Mutter vertrauen, das tun gute Töchter so oder willst du wieder bestraft werden?"

Agnes zuckte zurück und versteckte sich hinter Kingsley, der ihr beruhigend den Rücken tätschelte.

„Alles wird gut", flüsterte er und führte sie langsam von Agnolia weg.

„Sie wird doch nicht entkommen, oder?", fragte sie unsicher und Kingsley schüttelte sicher den Kopf. „Nein, sie wird ihr restliches Leben hier drinnen verbringen und wenn es sich vermeiden lässt, dann sorge ich dafür, dass du sie nie wiedersiehst, Agnes!", versprach er.

„Agnes?", fragte eine krächzende Stimme schwach. Agnes sah auf und aus dem Schatten einer Zelle trat ein verbrauchter Mann. Seine Haut war bleich, seine Haare lang und verfilzt, seine eisblauen Augen leblos, aber er lächelte. Agnes hatte ihn schon so lange nicht mehr gesehen, aber sie erkannte ihn trotzdem.

„Vater?", fragte sie unsicher. Sie hatte ihn einmal mit sechs Jahren gesehen, aber damals war er noch nicht ansprechbar gewesen. Er hatte in einer Ecke gesessen und war nur vor und zurück gewippt, während er leise geweint hatte, aber jetzt schien er wie einer der Gefangenen zu sein, die nicht von den Dementoren beeinflusst wurden.

„Es ist so lange her", flüsterte er, „Du bist so groß geworden!"

„Das passiert eben, wenn man seine Tochter allein lässt – sie wird alleine groß!", warf Agnes ihm vor.

„Es tut mir so leid", schluchzte er laut auf und griff nach den Gitterstäben, die er umarmte, als wären sie Agnes, „Es tut mir alles so leid! Ich habe deine Mutter geliebt, aber sie ist wahnsinnig geworden. Ich hätte sie stoppen müssen, als sie diese furchtbaren Dinge dir angetan hat! Ich hätte dich einfach nehmen müssen und weggehen – nach Amerika, Irland... weg von dem Krieg und dem Leid, dem Dunklen Lord und seinen Anhängern..."

Er schob den Ärmel seines zerfetzten Hemdes etwas hinauf und entblößte sein Dunkles Mal, das auf seinen Unterarm prägte aber nur blass aussah, „Am liebsten würde ich es mir aus der Haut kratzen."

„Aber nicht von all dem hast du getan", wisperte Agnes gerade laut genug, dass er es hörte, „Du hattest zu viel Angst! Ich war dir weniger wert, als dein eigenes Leben!"

„Aber ich liebe dich und mit deiner Hilfe, komme ich hier raus! Dann können wir zwei eine Familie sein! Du musst sie nur davon überzeugen, dass ich gut bin – ich habe meine Fehler eingesehen!"

„Ich liebe dich aber nicht", bemerkte Agnes kalt und ihr Blick erinnerte ihren Vater an ihre Mutter, die denselben Blick hatte, wenn sie vor dem Dunklen Lord stand – dieser kühle, gleichgültige Blick, jedes Mal, wenn ein Muggel starb, aber im Inneren freute sie sich über ihr leid genauso wie ihre Schwester Bellatrix.

„Bitte", bettelte Tristus Tripe verzweifelt und rüttelte an den Gittern, was den Dementoren nicht gefiel und sie kamen trotz Kingsleys Patronus etwas näher, was Agnes einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ, „Du wirst doch deinen Papi nicht hier sitzen lassen – das ist ein grauenvoller Ort!"

„Ein Vater kümmert sich um seine Tochter", zischte Agnes wütend, „Ein Vater tut seiner Tochter nicht weh! Ich hoffe, du stirbst langsam und qualvoll!"

Sie drehte sich um und mit Kingsley ließ sie Tristus zurück. Die Dementoren kamen näher und er spürte wieder das Leid und er spürte Hass. Er hätte gedacht, seine Tochter wäre weich, aber stattdessen war sie genauso kalt wie ihre Mutter. Dann musste er eben einen anderen Weg finden, um hinauszukommen und um seine unartige Tochter kümmerte er sich noch.



Nachdem Agnes zurückgekommen war, war sie ganz still. Noch bleicher als sonst saß sie in einer Ecke und hatte sich dort aus vielen Kissen eine Art Nest gebaut, in dem sie saß und sehr lange nur ihre Katze Dorothy streichelte und in die Luft starrte.

Fred machte sich irgendwie Sorgen um sie, aber er traute sich nicht wirklich, sie anzusprechen. Seine Mutter hatte gemeint, sie brauche wahrscheinlich nur ein wenig Zeit für sich, aber irgendwie wollte Fred, dass es ihr sofort besserging.

„Hey", begrüßte er sie vorsichtig. In seiner Hand war eine Tasse mit heißem Tee, die er ihr versuchshalber hinhielt. „Ich habe dir einen Tee gemacht."

Agnes sah auf und runzelte verwirrt die Stirn. „Warum machst du mir Tee? Was hast du hineingetan?"

„Gar nichts", versprach Fred, „Du siehst nur so aus, als würdest du jemanden brauchen, der dir zuhört."

„Mir zuhören?", fragte Agnes leicht amüsiert, „Und wer soll mir zuhören? Doch nicht etwa du, oder?"

Fred wurde ein wenig rot und er stammelte: „Ich... ich kann zuhören. Ich kann sogar sehr gut zuhören!"

„Wirklich?", fragte Agnes neckisch und musterte ihn kurz, bevor sie auf ihrem Nest ein wenig zur Seite rutschte, damit Fred Platz hatte und deutete ihm, dass er sich setzen sollte, was er auch tat.

„Worüber willst du reden?", fragte Agnes schmunzelnd.

„Ich habe gedacht, das hätten wir schon geklärt", grinste Fred und stupste ihr in den Bauch, sodass sie zusammenzuckte – sie war also kitzlig, „Ich höre zu – du kannst reden."

Agnes sah in nachdenklich an, als würde sie überlegen, ob es wieder einer seiner Scherze war, obwohl er ihr noch nie einen Streich gespielt hatte. Sie war wahrscheinlich einer der wenigen, die noch nie einer seiner Opfer war.

„Ich bin fast nach Slytherin gekommen", fing sie an und Fred sah sie erstaunt an.

„Was?", fragte er ungläubig, „Das kann nicht dein Ernst sein! Nach Slytherin? Du?"

„Du wärst erstaunt, wie ähnlich ich einem Slytherin bin", widersprach Agnes, „Ganz zu schweigen davon, dass so ziemlich alle meine Vorfahren ehemalige Slytherins sind – schon seit Generationen – vielleicht schon immer."

„Deine Eltern sind also keine Muggel", kombinierte Fred.

„Meine Eltern sind Todesser, Fred", bemerkte Agnes und beobachtete, wie Freds Miene zuerst noch amüsiert war, als würde er es nicht so wirklich glauben, dann wurde sie verwirrt und ratlos, als würde er sich nicht sicher sein, wie er auf diese Information reagieren sollte – bei Merlins Unterhosen, Agnes wusste selbst nicht wirklich, wie sie darauf reagieren sollte. Sie gab ihm lieber etwas Zeit, damit er es verarbeiten konnte und eine für ihn passende Reaktion wählen konnte. Vielleicht würde er sie anschreien, vielleicht würde er einfach aufstehen und gehen, vielleicht würde er sie auslachen, vielleicht würde er sie hassen. Agnes wusste es nicht, aber sie hoffte irgendwie, dass er sie nicht deswegen abweisen würde. Fred war ihr ein Bekannter geworden und wahrscheinlich würde sie seine nervigen Gespräche mit ihr vermissen – irgendwie.

„Ich bin mir nicht sicher, wie ich darauf reagieren soll", gab Fred schließlich nach ein paar Minuten der Ruhe zu, „Ist ein ‚Es tut mir leid' angebracht?"

„Ich weiß nicht", Agnes zuckte mit den Schultern, „Ich bin mir selbst nicht sicher, welche Reaktion sich alle von mir erwarten. Natürlich war meine Kindheit nicht die glücklichste, aber ich habe einige erinnerungswürdige Stunden mit meinem Vater verbracht, die ich nicht vergessen will. Meine Mutter ist die Pest – vollkommen gestört und wahnsinnig schon bevor sie nach Askaban gebracht wurde, aber mein Vater war irgendwie immer freundlich zu mir. Natürlich war er ein Feigling und hat mich nie vor meiner Mutter beschützt, aber dennoch..."

„– du denkst das Beste von deinem Vater", beendete Fred ihren Satz.

„Ich habe heute das erste Mal mit ihm gesprochen, seit er nach Askaban gekommen ist", erzählte Agnes leise, „Bis jetzt hat er nie Reaktion gezeigt – er ist dort wahnsinnig geworden und hat nur noch mit sich selbst gemurmelt und hat sich in eine Ecke verzogen, aber sein Geisteszustand hat sich gebessert."

„Er hat mit dir gesprochen? Was hat er gesagt?", fragte Fred.

„Er hat sich entschuldigt – hat gesagt, er wollte das alles nie. Er wollte, dass ich mich dafür einsetze, dass sie ihn freilassen", wiederholte Agnes ungefähr die Worte ihres Vaters.

„Das tut mir leid", meinte Fred und Agnes sah ihn verwundert an, bevor er näher erklärte: „Das ist viel Verantwortung, die er dir auferlegt hat."

„Ich habe ihm nicht geglaubt", schnaubte Agnes, „Mein Vater mag nicht wirklich der begabteste Zauberer sein oder der hellste, aber ich weiß genau, dass er alles tun würde, um frei zu kommen. Man kann ihm nicht trauen."

Es wurde wieder leise zwischen den beiden und tatsächlich bemerkte Agnes, dass sie sich schon besser fühlte. Sie sah auf Dorothy, die in ihrem Schoß eingeschlafen war und so friedlich aussah. Es war auch so, als wäre in ihrem Inneren wieder Frieden und die aufgewühlte Stimmung war verschwunden.

„Danke, dass du zugehört hast", meinte sie zu Fred, ohne ihn anzusehen.

„Keine Ursache – jederzeit wieder", winkte Fred ab, „Danke, dass du es mir anvertraut hast."

„Wenn du es weitererzählst, schneide ich dir deine Zunge ab", schwor Agnes, „Bis jetzt wissen nur du und Roger davon – ich bin diejenige, die das herumerzählt und niemand anderer!"
„Wäre mir nie in den Sinn gekommen", versprach Fred, „Dein Geheimnis ist bei mir sicher!"

Und selten hatte Fred etwas so ernst gemeint, wie das.

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