19. Kapitel
„Winnie, erzählst du mir noch einmal die Geschichte von den Prewetts? Die gefällt mir am besten", flüsterte Agnes leise. Sie war noch jung – gerade erst sechs Jahre alt geworden und kannte kein anderes Leben, als das Reisen. Sie blieb mit ihrer Mutter und ihrer Hauselfe nie länger als ein paar Wochen oder wenige Monate an einem Ort und immer waren es alte, finstere Häuser von alten, finsteren Familien, mit denen ihre Mutter verwandt war. Agnes hatte dabei selten Spaß mit nur der Hauselfe Winnie als Gefährtin.
„Die Herrin hat mir verboten, sie zu erzählen", quickte Winnie, aber sie klang wirklich bedauernd.
„Macht nichts", grinste die kleine Agnes und ihre blonden Locken hüpften auf und ab, als sie auf ihrem Bett sprang, „Ich kenne die Geschichte schon auswendig. Wollen wir sie spielen? Ich bin Fabian Prewett und du bist Gideon!"
„Mit Vergnügen, junge Herrin!", quickte Winnie und sprang zu Agnes aufs Bett und begann ebenfalls herumzuspringen. Lachend warfen sie mit imaginären Zaubern durch die Gegend und wichen sich aus.
„Ha, ha!", kicherte Agnes, „Ihr seid zu fünft und wir nur zwei! Ihr seid jämmerlicher, als ein kleines Kind! Ich hätte mehr von Todessern erwartet!"
„Sie werden uns nicht einmal mit einer ganzen Armee besiegen können!", rief Winnie gespielt dramatisch, „Und das soll die Elite den Dunklen Lords sein? Dass ich nicht lache!"
Die beiden waren so in ihr Spiel verwickelt, dass ihnen gar nicht auffiel, wie die Tür leise geöffnet wurde und eine ernste aber wunderschöne Frau hineinblickte. Sie sah ihre Tochter und zu ihrer Missgunst ihre Hauselfe auf dem Bett herumspringen und wollte ihr Spiel schon unterbrechen, als sie hörte, was ihre Tochter rief. Es machte sie wütend und sie riss ganz die Tür auf.
Sofort stockte Winnie und sprang vom Bett, aber Agnes brauchte noch kurz, bevor sie erkannte, dass ihre Mutter ihnen zugesehen hatte und sofort wurde sie ernst und stand steif auf ihrem Bett.
„Mutter", begrüßte sie sie und sah auf die Matratze unter sich.
„Agnes", flötete Agnolia Tripe zuckersüß und kam ganz ins Zimmer, „Was habt ihr da gespielt? Es hat lustig ausgesehen!"
„Wir haben gespielt, wie du und die anderen Todesser gegen Fabian und Gideon Prewett gekämpft haben!", erzählte Agnes ahnungslos und stolz, während Winnie versuchte sie mit einem Blick zu warnen, aber die kindliche Unschuld bemerkte es nicht.
„Wie schön", meinte Agnolia und setzte ein falsches Lächeln auf, „Du bist bestimmt ein Todesser gewesen, oder?"
„Nein, ich bin Fabian Prewett gewesen und Winnie Gideon!", erzählte Agnes stolz und hoffte ausnahmsweise einmal etwas richtig für ihre Mutter gemacht zu haben.
„Warum Fabian? Weißt du denn nicht, dass er stirbt wie auch sein Bruder?", fragte Agnolia ihre Tochter gespielt besorgt und Agnes nickte heftig den Kopf.
„Natürlich weiß ich das, aber er stirbt doch als Held, oder? Es hat fünf Todesser gebraucht, um ihn zu besiegen! Stell dir vor, Mutter, fünf von dir haben versucht nur ihn zu töten! Und selbst, als sie gewusst haben, dass sie nicht gewinnen können, haben sie gelacht und gespottet und sind mit einem Lächeln im Gesicht gestorben", berichtete Agnes stolz auf sich, dass sie sich an die Geschichte so genau erinnerte.
„Ich weiß das doch, Agnes, Schätzchen. Ich war dabei, aber trotzdem finde ich es nicht richtig, dass du solche Sachen spielst!", tadelte Agnolia ihre Tochter und Agnes Lächeln verschwand schlagartig aus ihrem Gesicht.
„Wie- wie meinst du das?", stammelte sie.
„Nun ja...", begann Agnolia, „Weißt du, ich bin einer der Todesser gewesen, gegen die Gideon und Fabian gekämpft haben und ich finde es nicht so toll, dass meine Tochter die beiden verehrt."
„Was ist falsch daran?", fragte Agnes ahnungslos und ließ sich auf ihr Bett fallen, während Winnie schon beinahe vor Angst zitterte.
„Du musst noch den Ernst des Todes verstehen lernen – Winnie! Komm sofort in mein Zimmer!", befahl Agnolia harsch und Winnie sprang schnell auf und nickte.
„Wir reden später weiter", flötete sie ihrer Tochter zu und als sie den Raum verließ, sperrte sie den Raum zu wohl wissend, dass ihre Tochter die Angewohnheit hatte, ihr nachzuspionieren.
Agnes wartete wie es schien für Stunden und dachte über die Worte ihrer Mutter nach. Was war so falsch daran, dass sie fasziniert von den Prewett-Brüdern war?
Plötzlich wurde die Tür leise aufgemacht und Winnie sah herein. Tränen standen in ihren Augen, aber sie schien sich zu bemühen, nicht vor Agnes zu weinen.
„Die Herrin erwartet die junge Herrin in ihrem Zimmer", sagte sie mit zitternder Stimme. Sofort sprang Agnes auf und rannte zu ihr. „Winnie! Was ist passiert? Warum weinst du? Was hat sie gesagt?", fragte sie sie schnell besorgt, aber Winnie schüttelte nur schnell den Kopf, sodass ihre riesigen Ohren flatterten.
„Die Herrin hat Winnie verboten etwas zu sagen. Sie wird es der jungen Herrin selbst sagen", schluchzte Winnie und Agnes wusste, dass sie sich nicht dem Befehl widersetzen konnte und folgte der Hauselfe stumm und leicht angespannt.
Sie klopfte höflich an der Tür ihrer Mutter, wie sie es ihr beigebracht hatte und trat vorsichtig ein.
Agnolia Tripe stand in der Mitte des Raumes und vor ihr lag ein altes Familienerbstück, bei dem sie sich weigerte es einfach zurückzulassen und sie schleppte es von Heim zu Heim. Es war ein silbernes Schwert reich verziert mit Rubinen und Smaragden mit einem goldenen Griff und dem Wappen der Tripes. Es war das erste Mal, dass Agnes es wirklich zu Gesicht bekam und neugierig betrachtete sie es.
„Ja, Mutter?", ihre Stimme war dünn und ein wenig nervös, als sie weiter hinein in den dämmrigen Raum trat.
„Siehst du das Schwert, Agnes, Schätzchen?", fragte Agnolia ihre Tochter geduldig und sie trat noch einen Schritt vor.
„Ja, Mutter", antwortete sie höflich, wusste aber noch nicht, worauf sie hinauswollte, „Warum fragst du?"
Ihre Mutter antwortete nicht, sondern warf einen angeekelten Blick zu Winnie, die einen Schluchzer unterdrückte.
„Winnie, trete vor!", befahl Agnolia und die Hauselfe gehorchte sofort. Tränen rannen über ihre Wangen und Agnes fragte sich, was an dem Befehl so schlimm war, dass sie weinte, aber sie fragte lieber nicht nach – sie kannte die Strafen ihrer Mutter nur allzu gut.
Winnie stellte sich zwischen Agnolia und dem Schwert, bevor sie sich ohne einen Befehl bekommen zu haben zu Agnes umdrehte und ihr in die Augen sah. Agnes fragte sich, warum sie ihrer Herrin den Rücken zudrehte, aber es schien Agnolia nicht zu stören, sondern eher zu belustigen, dennoch sagte sie nichts dazu.
„Der Tod ist eine ernste Angelegenheit", begann Agnolia, „Und Untreue ist das auch. Wenn man seine Nächsten verrät, dann wird man zum Verräter, verstehst du das, Agnes?"
Agnes nickte nur und verstand zwar die Worte, aber nicht den Sinn.
„Wenn du etwas spielst, das gegen den Dunklen Lord oder Todessern ist, dann verrätst du mich und deine Familie, willst du das?", fragte Agnolia und Agnes schüttelte schnell den Kopf. Natürlich wollte sie nicht ihre Familie verraten, warum sollte sie? Sie kannte doch sonst niemanden in der Welt.
„Wenn ein Hauself so etwas tut, dann wird es bestraft – schwer bestraft, verstehst du das?", fragte Agnolia weiter und Agnes warf Winnie einen ängstlichen Blick zu.
„Ich habe sie darum gebeten", wisperte sie und sah Winnie entschuldigend an. Wegen ihr würde Winnie bestraft werden.
„Ich weiß, Schätzchen", flötete Agnolia, „Deswegen wirst du es sein, der sie bestraft."
„Was?", keuchte Agnes erschrocken, „Aber ich kann doch gar nicht zaubern! Wie sollte ich sie bestrafen?"
„So wirst du deine Lektion lernen", meinte Agnolia ruhig, „So lernst du auch, dass das Leben und der Tod ernste Angelegenheiten sind. Ich will, dass du das Schwert nimmst und Winnie köpfst."
Einen Moment schaute Agnes ihre Mutter fassungslos an und erwartete, dass sie zu ihr sagte, es wäre nur eine Probe gewesen und sie würde die beiden wie immer mit einem Zauber bestrafen, aber nichts dergleichen geschah. Agnolia betrachtete ihre Tochter nur mit einem kühlen Lächeln im Gesicht und wartete auf ihre Reaktion.
„Nein", krächzte Agnes ungläubig, „das werde ich nicht tun!"
„Du musst, Schätzchen", Agnolia zückte ihren Zauberstab und richtete ihn auf Agnes, „Sonst werde ich dich zwingen müssen!"
„Dann zwing mich eben!", schrie Agnes stur, „Ich werde Winnie nicht töten!"
„Tut es, junge Herrin! Ich bin Euer Leben nicht wert!", quickte Winnie und Agnolia trat ihr in die Knie, sodass sie nach vorne fiel und zischte: „Befehle meiner Tochter nichts!"
„Ich werde Winnie nicht weh tun!", kreischte Agnes.
„Wie du meinst", flötete Agnolia und richtete ihren Zauberstab auf ihre so kleine Tochter, „Crucio!"
Das kleine Kind kreischte unter dem Fluch und fiel zu Boden, während Winnie weinte und Agnolia kühl lächelte. Agnes spürte unendliche Schmerzen, aber es war nicht das erste Mal, dass sie bestraft wurde, aber dieses Mal war es schlimmer, als sonst. Ihre Mutter schien einen Hass gegen sie zu hegen, den sie noch nie zuvor verspürt hatte.
Als Agnolia ihre Tochter vom Fluch befreite, keuchte und weinte sie verzweifelt, weigerte sich aber immer noch.
„Ich bin es nicht wert!", quickte Winnie, aber Agnes schüttelte unfähig zu sprechen den Kopf und Agnolia richtete wieder ihren Zauberstab auf sie und sagte ruhig: „Crucio!"
Wieder zuckte Agnes unter den Schmerzen und sie schienen immer schlimmer zu werden. Als Agnolia ihr wieder eine Pause gönnte, sah sie schon weniger sicher zum Schwert.
„Hast du dich entschieden? Wirst du gehorchen?", fragte Agnolia ihre Tochter ruhig, als hätte sie nie mitbekommen, dass sie Schmerzen hatte.
„Ich bin es nicht wert!", wiederholte Winnie verzweifelt und Agnes nickte.
„Ich tu es! Aber tu mir nicht mehr weh!", weinte sie.
„Du bist schwach", spuckte Agnolia, „Der Dunkle Lord hatte Recht – du bist so schwach und klein, ich muss dich erst aufbauen, damit du in meine Fußstapfen treten kannst! Und jetzt – heb das Schwert auf und köpfe die Elfe!"
Mit zitterten Knien rappelte Agnes sich auf und stolperte zum Schwert zu. Winnie hatte aufgehört zu weinen und lächelte sogar traurig. Sie nickte Agnes ermutigend zu und Agnes hob das Schwert auf. Als sie mit ihren kleinen Händen den Griff umschlang, spürte sie die Kälte des Schwertes. Agnes weinte nicht, sie heulte nicht und sie stockte nicht, als sie das Schwert einfach durch Winnies Hals hub und der Kopf kullerte zu Boden wie ein reifer Apfel. Agnes spürte nichts mehr und behielt das Schwert in ihren Händen. Sie spürte, wie ihr Herz genauso kalt und eisern wurde, wie das Schwert und es schien einzufrieren. Sie spürte nichts mehr außer Hass – Hass gegenüber sich und ihrer Mutter.
„Sehr gut", lobte Agnolia sie, „Jetzt hast du deine Lektion gelernt. Geh auf dein Zimmer und denk darüber nach!"
Agnes legte das Schwert behutsam zu Boden und stolzierte aus dem Zimmer. Beim Vorbeigehen sah sie auf den Kopf der Hauselfe und lächelte – ihre Helden lebten in ihr weiter.
Winnie lächelte.
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