18. Kapitel
Nur, weil sie die Prüfungen jetzt hinter sich gebracht hatte, bedeutete das noch lange nicht, dass sie schon frei hatte. Tatsächlich wartete noch die schlimmste und grausamste Strafe auf sie – beinahe zehn Stunden nachsitzen bei Snape.
Die Striche, die sie übers Jahr gesammelt hatte, hatten sich aufgestaut und so wurden aus Minuten, Stunden, die Agnes jetzt irgendwie hinter sich bringen musste.
„Miss Tripe, kommen Sie herein", bat Snape sie, als die an der Klassenzimmertür klopfte und doch ein wenig vorsichtig tat sie, wie geheißen.
Snape war bei den Vorratsschränken und schien vor den Ferien noch alles zu ordnen, aber das leichte Lächeln auf seinem Gesicht sagte Agnes, dass er noch Arbeit für sie hatte.
„Sie kennen es ja schon", mit einer lockeren Bewegung zeigte Snape auf viele, viele Kessel, die überall herumstanden. Die meisten von ihnen waren mit Substanzen bekleckert, die Agnes noch nie gesehen hatte und eigentlich nicht wissen wollte, was es war. Manchmal waren Tranke darin angebrannt, manchmal waren alte Tränke eingetrocknet oder die Tränke, was bei ihr häufig der Fall gewesen war, waren schlichtweg nicht gelungen, hatten sich aber mit dem Kessel verbunden.
Natürlich wusste sie, was zu tun war. Sie hatte diese Arbeit schon letztes Jahr erledigen müssen.
„Ja", seufzte Agnes und machte sich an die stumpfe, stumme Arbeit, die Kessel zu schrubben.
Die Minuten vergingen langsam und nach zwei Stunden schmerzten Agnes Arme schon, aber jedes Mal, wenn sie aufhörte zu schruppen, sah Snape mit diesem feixenden Blick zu ihr und sie wollte ihm einfach die Genugtuung geben, dass sie Schwäche zeigte.
„Pst!", hörte sie plötzlich und sie sah auf, ohne mit dem Schruppen aufzuhören. Es kam von der Klassentür, die noch immer offenstand, also blickte Agnes schnell zu Snape, der noch immer beschäftigt war – für Agnes sah es so aus, als würde er die Pufferfischaugen liebevoll nach Größe sortieren, aber sie hinterfragte den Professor gar nicht mehr.
Vorsichtig stand Agnes noch mit dem Kessel, den sie gerade putzte in der Hand auf und sorgte dafür, dass sie ihre Putzbewegungen trotzdem noch durchgängig vollführte, damit Snape nichts bemerkte. So schlicht sie sich langsam Schritt für Schritt zur Tür und spähte hinaus.
Plötzlich tauchte jemand hinter der Tür auf und beinahe wäre Agnes zurückgestolpert, aber sie fasste sich wieder und sah denjenigen zornig an.
Indem sie ein wenig lauter und kräftiger putzte, sorgte sie dafür, dass Snape nichts hörte und sie zischte leise: „Fred! George! Was macht ihr hier?"
„Wir brauchen noch etwas aus Snapes Zutatenschrank", erklärte Fred leise, „Noch vor den Ferien. Heute ist unsere letzte Chance!"
„Hilfst du uns, ihn abzulenken?", fragte George und die Zwillinge sahen Agnes herausfordernd an.
„Wenn ich erwischt werde, bekomme ich noch hundert Striche auf meine Liste!", wisperte sie, bevor sie sich umdrehte und zu ihren Kesseln zurückging.
Im ersten Moment dachten die Weasley-Zwillinge, sie würde es nicht machen, aber im nächsten Moment sahen sie dabei zu, wie Agnes über die Kessel stolperte und dabei einen Höllenlärm verursachte.
„Oh du meine Güte!", rief sie erschrocken, aber sie hatte ihr Ziel erreicht. Snape sah von seiner Arbeit auf und beobachtete Agnes mit zusammengezogenen Augenbrauen, wie sie versuchte, aus dem Haufen an Kesseln wieder aufzustehen, aber sich dabei absichtlich doof anstellte.
„Huch! Oh Gott! Das war jetzt nicht so klug!", meinte sie dabei und versuchte sich in Snapes Sicht aus den Kesseln zu befreien, aber eigentlich verhedderte sie sich absichtlich darin.
Sie warf den Zwillingen einen vielsagenden Blick zu und die verstanden sofort, dass das alles von ihr geplant war.
„Professor, Sie wären nicht so freundlich, mir einmal kurz meinen Zauberstab zu reichen?", fragte sie, nachdem sie sich endgültig in den Kesselhenkeln verwirrt hatte. Den Zauberstab hatte sie zu Anfang ihrer Strafe abgegeben, damit Snape sicher sein konnte, dass sie nicht zauberte.
„Was genau gedenken Sie damit zu tun?", fragte Snape mit seiner üblichen, gleichgültigen Stimme.
„Keine Ahnung – rosa Funken heraufbeschwören? Was werde ich wohl tun?", fragte Agnes sarkastisch und Snapes Augen verengten sich kurz zu Schlitzen, bevor er tatsächlich ihren Zauberstab, der neben ihm auf dem Tisch gelegen hatte nahm und ihn langsam zu ihr brachte, als wäre ihm das Ganze nicht geheuer.
Fred und George nutzen den Moment, in den Snape sich auf Agnes konzentrierte, um in die Klasse zu huschen und während Snape überaus vorsichtig den Zauberstab weiterreichte, als wäre es eine Bombe, schnappten sie sich die paar Zutaten, die sie brauchten und verschwand wieder, bevor Agnes überhaupt ihren Zauberstab in den Händen hielt.
Schließlich kam Snape wohl auf die Idee, dass Agnes sich wirklich nur befreien wollte und er überreichte ihn ihr.
Innerhalb von wenigen Sekunden war Agnes befreit und sie stand wieder. Ein wenig verstimmt wischte sie sich den Dreck von ihrem Umhang, als sie bemerkte, dass Snape seine Hand offenhielt – bereit, ihren Zauberstab wieder an sich zu nehmen.
„Wir sehen uns wieder, mein Schatz", wisperte Agnes dramatisch und für Snape gut hörbar, bevor sie ihn unter künstlichen Schluchzern zurückgab, damit Snape ihn wieder an seine ursprüngliche Stelle legen konnte.
Erleichtert, dass sie diese Hürde auch hinter sich hatte, wollte Agnes sich wieder an die Arbeit machen, als sie im Augenwinkel sah, dass die beiden rothaarigen Individuen noch immer vor der Klasse standen.
Sie wollte die beiden gerade zurechtweisen, als plötzlich eine Art Hologramm durch sie hindurchsickerte und begann, genau ihre Arbeit zu verrichten.
Verwirrt stoppte sie mit dem Schruppen, aber wider ihre Erwartungen hörte das Geräusch von Schwamm auf Metall nicht auf, sondern wurde von ihrem Hologramm-Ich einfach weiter erzeugt.
„Was zum...", stammelte sie verwirrt, als sie jemand am Arm packte und nach hinten zog.
Derjenige zog sie schnell aus der Klasse raus und Agnes wollte sich schon beschweren, bemerkte dann aber, dass es niemand anderer als Fred gewesen war.
„Was macht ihr hier noch? Was geht hier vor?", fragte sie verwirrt und blickte zwischen Fred und dem Hologramm hin und her – es war ihr Abbild, das jetzt einfach weiter die Kessel schruppte, als wäre nichts passiert.
„Ein einfacher Ebenbild-Zauber", erklärte Fred, als wäre es das Offensichtlichste der Welt, „Hält für höchstens zehn Stunden, also sollte es für die nächsten sieben Stunden deinen Platz einnehmen."
„Den Zauber haben wir in einem Buch in der Verbotenen Abteilung gefunden", fügte George grinsend hinzu, „Er verrichtet deine Arbeiten – oder tut jedenfalls so, denn zum Schluss wird Snape bemerken, dass du die ganze Zeit nur an einem Kessel geschruppt hast."
„Natürlich wird er nichts bemerken, weil wir davor zurückkommen werden und mit einem Zauber die restlichen Kessel putzen", führte Fred fort.
Dann nimmst du wieder seinen Platz ein und wartet darauf, dass Snape dich entlässt", vollendete George den Plan und Agnes sah zwischen den beiden hin und her.
„Ihr seid wirklich genial", hauchte sie und grinste breit, „Danke."
„Keine Ursache – du hast uns davor geholfen", winkte Fred ab, „Ist übrigens wirklich eine ziemlich coole Vorstellung gewesen – zuerst habe ich gedacht, du wärst wirklich gestolpert."
„Agnes Tripe stolpert nicht einfach so", korrigierte ihn Agnes, „Jetzt habe ich Zeit, meinen Koffer zu packen. Sonst hätte ich das heute Nacht erledigt. Danke!"
„Vergiss nur nicht – wir treffen uns in ungefähr", Fred sah auf seine Uhr, „sechs Stunden wieder. So lange sollte der Zauber auf jeden Fall halten. Du musst dann wahrscheinlich trotzdem noch eine halbe Stunde deiner Strafe absitzen, aber so fällt es Snape wenigstens nicht auf."
„Ihr seid die besten", bedankte Agnes sich noch einmal, „Also... nach mir natürlich. Aber trotzdem danke!"
Sie rannte hoch in den Ravenclawturm und packte ihre Sachen zusammen, die sie über das Jahr hinweg im ganzen Turm verteilt hatte.
Nach sechs Stunden ging sie wieder nach unten, wo Fred und George schon warteten.
„Da ist sie!", begrüßte George sie und winkte ihr.
„Bereit, wieder dein Leben zu übernehmen?", fragte Fred.
„Eigentlich nicht – aber ihr habt mir schon sehr geholfen. Danke", meinte Agnes noch einmal.
Fred und George brauchten mit ihren Zauberstäben kaum ein paar Sekunden, um die meisten Kessel blitzeblank zu zaubern und nachdem sich Agnes wieder an ihren Arbeitsplatz geschlichen hatte, verschwand auch wieder das Hologramm.
Snape sah auf, aber Agnes saß schon wieder bei ihrer Arbeit, als wäre nichts geschehen und Snape verengte zwar misstrauisch die Augen, wandte sich aber wieder seiner eigenen Arbeit zu.
Ihre Arme schmerzten trotzdem am Abend, als Agnes von ihrer Strafarbeit befreit wurde, aber bei weitem nicht so sehr, wie sie nach neun Stunden geschmerzt hätten und bestimmt würde sie den Zwillingen nie vergessen, was sie für sie getan hatten.
Agnes verstaute ihren Koffer im Zug und suchte das Abteil, in dem Roger, Randy, Grant, Duncan und sogar Jeremy sein sollten – ihre besten Freunde, die sie wahrscheinlich den ganzen Sommer über nicht sehen würde.
Die quetschte sich an ein paar Erstklässlern vorbei, die den Weg versperrten und stolperte dabei über einen ihrer Koffer. Beinahe fiel sie auf den Boden, aber im letzten Moment bekam sie schwarze Roben zu fassen und sie zog sich an ihnen hoch, nur um direkt vor Fred Weasley zu stehen, nur ein paar Zentimeter von seinem Gesicht entfernt, obwohl er um einiges größer war, aber sie zog ihn an seiner Schuluniform nach unten, sodass er leicht gebückt über ihr stand.
Schnell stellte sie sich gerade hin und ließ ihn los – Fred war knallrot, während Agnes von der peinlichen Situation nichts zu bemerken schien. George, der direkt hinter Fred stand und das ganze mitangesehen hatte, konnte sich ein Lachen kaum verkneifen, was aber von sowohl Fred als auch Agnes dezent ignoriert wurde.
„Entschuldigung", meinte sie schnell und wollte an ihm vorbei, aber Fred hielt sie zurück und fragte: „Was machst du über Sommer?"
Agnes stockte und einen Moment war sie ratlos – was machte sie im Sommer? Sie dachte an das Kinderheim, in das sie wohl oder übel zurückkehren musste. Sie war noch nicht volljährig – weder in der Zaubererwelt, noch in der Muggelwelt, also musste sie wohl zurück, obwohl sie sich lieber von einer Klippe gestürzt hätte.
Bevor einer der Zwillinge bemerken konnte, dass sie sich nicht so sicher war, ob sie in ihr Heim zurückkehren wollte, murmelte sie verständlich aber trotzdem sehr schnell: „Keine Ahnung... Wahrscheinlich zurück zu den Muggeln..."
Sie quetschte sich an ihnen vorbei und suchte weiter das Abteil mit ihren Freunden.
Als sie von außen Roger mit Jeremy reden sah, lächelte sie und vertrieb die dunklen Gedanken aus ihrem Kopf – sie hatte noch ein paar Stunden, bevor sie sich darüber Sorgen machen konnte.
Sie schob die Tür auf und setzte sich zu ihnen, als wäre nichts anders, als wäre alles so, wie in den letzten Jahren auch, aber keiner sah wirklich, wie besorgt Agnes Tripe wirklich unter ihrer Maske war.
Als die Schüler sich von ihren Freunden verabschiedeten, ihre Eltern begrüßten, ihren Verwandten glücklich von dem Jahr erzählten und zusammen mit ihren Lieben Gleiß 9¾ verließen, wanderte Agnes allein mit ihrem Koffer, ihrer Katze Dorothy und dem restlichen Zeug das sie bei sich hatte durch die Absperrung und kam allein in der Muggelwelt an.
Die Fahrt zurück dauerte Ewigkeiten und sie fühlten sich wie Tage an, obwohl es nur zwei Stunden waren, in denen Agnes immer wieder umsteigen musste, bis sie in das Kinderheim kam, in dem sie schon seit ihrem sechsten Lebensjahr lebte – Wool's Waisenhaus.
Agnes war schon in Askaban gewesen, aber trotzdem fühlte sich dieses Waisenhaus mehr wie ein Gefängnis an, als es diese verfluchte Insel tat.
Ihren Koffer hinter sich herziehend und mit Dorothy auf den Schultern schlich Agnes schon beinahe zur Tür und klingelte. Es war wie ein düsterer, hohler Ton, der durch das alte Haus klang, gefolgt von einer Folge schlurfender, leicht humpelnder Schritte. Jemand blickte durchs Schlüsselloch nach draußen, aber Agnes hatte sich so postiert, dass man sie nicht sofort sehen konnte, weswegen die Tür schlussendlich doch noch aufgerissen wurde, nur um von der Heimleiterin – Mrs Crysander begrüßt zu werden. Mrs Crysander schien nie zu lachen oder auch nur zu lächeln – Agnes hatte auch noch nie ein Schmunzeln auf ihren Lippen gesehen. Immer zog sie nur diese angeekelte Miene und zog die Augenbrauen zusammen, aber es konnte auch sein, dass es nur wegen Agnes' Anwesenheit war.
Mrs Crysander war auch nicht sonderlich hübsch. Agnes würde sie sogar als hässlich bezeichnen – vielleicht als die hässlichste Frau der Welt. Dick, fett und faltig stand sie immer leicht gebückt, aber doch in die Höhe gewachsen breitbeinig und stinkend herum. Sie überragte Agnes sicher um einen Kopf und Agnes konnte, wenn sie wollte, sich vollständig hinter ihrer massigen Erscheinung verstecken – sie war doch irgendwie einschüchternd, obwohl sie wohl die Intelligenz einer Stubenfliege besitzen musste.
„Du schon wieder", begrüßte Mrs Crysander sie freundlich und zuvorkommend wie immer und spuckte Agnes erst einmal elegant dank ihrer nassen Sprache ins Gesicht.
Agnes verzog angeekelt das Gesicht und wischte sich mit ihrem Jackenärmel über das Gesicht.
„Ihnen auch einen wunderschönen, guten Tag", antwortete Agnes leicht sarkastisch, aber Mrs Crysander war sowie zu dumm, um so etwas wie Sarkasmus zu verstehen.
„Komm rein", Mrs Crysander funkelte sie böse an und wollte sie vermutlich am liebsten draußen stehen lassen, aber sie wusste, dass sie sie wenigstens hineinlassen musste, sonst würden die Nachbarn, die sowieso immer so misstrauisch waren sich noch beschweren, „Es zieht!"
Agnes trat stumm ins Innere, fühlte sich aber nicht geborgen. Drinnen war es um einiges kälter, als draußen. Die warme Sommerabendluft wäre Agnes lieber gewesen, als diese stickige, eiskalte, erdrückende Dunkelheit, von der sie begrüßt wurde, aber auch sie wusste, dass sie noch nicht volljährig war – weder für Muggel, noch für Zauberer. Dafür musste sie erst noch ein Jahr warten.
Sie wusste, wo ihr Zimmer war und sie zog ihr Gepäck dorthin, um wenigstens Mrs Crysander aus dem Weg zu gehen. Hin und wieder sahen bleiche Kinder aus ihren Zimmern heraus und Agnes sah auch wenige neue Gesichter, die wohl im Laufe des Jahres neu ins Waisenhaus gekommen waren. Sie hörte sie alle tuscheln – sie wusste, dass die anderen Kinder sie seltsam fanden. Sie fanden sie merkwürdig und gingen ihr lieber aus dem Weg. In Hogwarts kam Agnes mit ziemlich allen, mit denen sie gut auskommen wollte gut aus, aber im Waisenhaus fühlte sie sich sofort eingeschüchtert und allein. Mrs Crysander war die Ausgeburt des Teufels und die anderen Kinder waren kleine Schatten, die sie aufmerksam beobachteten und nur darauf warteten, bis sie einen Fehler machte. Hier musste sie sich um ihre Kleidung prügeln, sie musste immer ein wachsames Auge auf ihren Besitz haben, der sonst gestohlen werden würde und sie musste immer auf der Hut sein, sonst verlor sie noch den letzten Respekt, den die ängstlichen Kinder vor ihr hatten.
Sie fürchtete sich vor dieser Zeit und sie wollte, sobald sie begonnen hatte, sofort wieder nach Hogwarts und hunderte ZAGs schreiben, solange sie nur nicht hierbleiben musste.
Sie hatte in ihrem ersten Jahr Dumbledore gefragt, ob sie die Ferien ebenfalls in Hogwarts verbringen durfte – sie hätte auch Arbeiten erledigt, aber Dumbledore hatte es ihr nicht erlaubt. So musste Agnes jedes Jahr zurück in das Waisenhaus und jedes Jahr begann der Albtraum von neuem.
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