150. Kapitel

Agnes schlug die Augen auf und war im Gemeinschaftsraum der Ravenclaws.

Sie saß in einem der gemütlichen Sessel, die meistens besetzt waren, weil immer jemand darin ein Buch lesen wollte. Im Kamin brannte ein Feuer.

Es war warm und so ruhig.

Agnes fühlte sich wunderbar. Sie war nicht müde und ausnahmsweise einmal brannten ihre Augen nicht vor Müdigkeit und sie hatte auch nicht das Gefühl, dass ihre Augenringe bis zu ihren Knien hingen. Sie hatte keine Schmerzen. Ihrem Rücken ging es super, ihre Muskeln waren keineswegs müde und sie fühlte sich so, wie sich Menschen vermutlich nach einer langen, entspannenden Massage fühlen mussten.

Sie fühlte sich so ruhig und ausgeglichen, aber als sie zur Seite blickte, erhaschte sie einen Blick auf ihr Gesicht in einer Spiegelung von einer Vase: Sie hatte keine Narben mehr.

Ihr Gesicht war vollkommen rein und voller Schrecken erkannte sie, dass sie ihrer Mutter wirklich ähnlichsah. Die Narben hatten sie wenigstens ein bisschen daran erinnert, dass sie nicht ihre Mutter war, aber ohne sie... Agnes fühlte sich unwohl, sich selbst zu sehen und sie sah lieber schnell weg und ihr Blick fiel auf ihre Arme.

Ihre rechte Hand war von jeglichen schwarzen Narben befreit, die sie vom Fluch der Schwarzen Rosa davongetragen hatte und aus das Wort „Abschaum", das Agnolia auf ihrer Haut verewigt hatte, war verschwunden.

Agnes hatte wie durch Zauberhand keine Narben mehr, aber bevor sie sich selbst dafür eine Erklärung zurechtlegen konnte, betrat noch jemand den Gemeinschaftsraum.

Es war Fred Weasley und etwas in Agnes machte einen fröhlichen Hopser, als sie ihn sah, wie er schelmisch grinsend mit einem Tablett in den Händen hereinkam. Auf dem Tablett standen zwei Tasse und eine Kanne mit Tee.

„Hey!", begrüßte Fred sie ruhig und stellte das Tablett auf dem Couchtisch vor ihnen ab, „Ich habe schon auf dich gewartet. Ich habe uns Tee gemacht, während ich gewartet habe, aber ich habe keine Kekse gefunden – vielleicht können wir später welche zusammen machen?"

Agnes stand ruckartig von ihrem Stuhl auf und wich erschrocken zurück. Sie warf das Tablett mit den Tassen und dem Tee vom Tisch, aber es fiel nicht zu Boden. Es gab keinen Lärm und es wurde nicht chaotisch. Stattdessen sah es einen Moment lang so aus, als würden sie zu Boden fallen, bevor sie sich einfach wieder auf ihren Platz stellten, als wären sie aus Gummi und würden immer wieder in ihre alte Form zurückkehren.

„Agnes, beruhige dich", sagte Fred ruhig und hob die Hände, als würde er ein wildes Tier beruhigen und so fühlte Agnes sich gerade auch. Das war nicht echt. Wo war sie? Was für ein Trick war das? Was hatte ihre Mutter mit ihr getan?

„Es ist zu ruhig, um mich zu beruhigen!", zischte Agnes, „Wir sind im Krieg, Fred! Was ist das hier?"
„Wir sind nicht im Krieg", verbesserte Fred sie mit einem traurigen Lächeln, „Also... nicht mehr..."

Agnes verstand nicht, aber irgendwie schon und plötzlich fühlte sie sich wieder so, als hätte Agnolia sie mit einem Eiszapfen erstochen.

„Warum ist es so friedlich?", fragte Agnes.

„Sterben ist friedlich", meinte Fred leise, „Alle denken immer nur, dass es wild und hektisch ist, aber... es ist ruhig..."

„Ich sterbe?"

Fred antwortete nicht darauf, aber das musste er auch nicht.

„Oh", machte Agnes und setzte sich wieder. Sie fühlte eine Übelkeit in sich aufsteigen und Fred sah sie besorgt an, bevor er ihnen Tee einschenkte und Agnes eine Tasse hinhielt.

Agnes nahm sie an. Sie hätte erwartet, dass ihre Hände zitterten, aber das taten sie nicht. Jetzt, wo sie sich wieder beruhigt hatte, fühlte sie sich wieder ruhig.

Es war irgendwie schön, tot zu sein.

So ruhig.

So friedlich.

Es war schön, sich ausnahmsweise einmal keine Sorgen um das eigene Leben zu machen. Agnes musste nicht hören, ob sich jemand von hinten an sie anschlich und sie umbringen wollte.

Agnes musste nicht darauf aufpassen, dass niemand ihre Freunde oder ihre neugefundene Familie umbrachte.

Es war eigentlich ganz nett, tot zu sein. Aber irgendwie auch nicht.

„Was ist mit dir?", fragte Agnes Fred und nahm einen Schluck von ihrem Tee – er war perfekt... perfekte Temperatur, perfekte Menge an Zucker und Milch – „Warum bist du hier? Bist du Einbildungs-Fred?"

Fred riss empört die Augen auf. „Na, ich bitte dich!", keuchte er und hielt sich eine Hand an sein Herz, während er übertrieben blinzelte, „Jetzt sind wir schon seit... ein paar Stunden verlobt und du erkennst mich nicht? Natürlich bin ich nicht einfach nur Einbildungs-Fred! Sollte ich eifersüchtig sein?"

„Ich habe mir eigentlich gewünscht, dass du Einbildungs-Fred wärst", gestand Agnes leise, „Ich bin hier offenbar in einer Welt, in die man kommt, wenn man stirbt –"

„Ein Zwischenstopp – der Tod hat gerade ziemlich viel zu tun, wie man sich denken kann", unterbrach Fred sie.

„– und die Tatsache, dass du ebenfalls hier bist, bedeutet wohl, dass du ebenfalls tot bist."
„Scheint so, ja", bestätigte Fred.

Agnes spürte dabei überraschender Weise nichts. Sie war nicht wirklich traurig. Vielleicht gab es sogar einen kleinen, egoistischen Teil in ihr, der froh darüber war, dass Fred ebenfalls gestorben war – es wäre gruselig gewesen, alleine weiter zu gehen.

Plötzlich begann Fred zu lachen und Agnes sah ihn verwirrt an, aber Fred lachte und lachte und prustete in seinen Tee, sodass dieser überall hin spritzte, aber Agnes verstand nicht, warum.

„Ist... alles in Ordnung?", fragte Agnes ihn verstört, aber das war sie von Fred schon beinahe gewohnt.

Fred klatschte sich auf den Oberschenkel und brachte lachend heraus: „Ich... ich habe nur gerade daran denken müssen, dass andere Paare zusammen Essen gehen oder vielleicht auch spazieren und wir...", Fred lachte laut, „und wir sterben zusammen!"

Agnes fand das eigentlich nicht so lustig, aber Fred lachte so laut und ansteckend, dass sie nicht anders konnte, als ebenfalls zu grinsen und leise zu kichern.

Sofort verstummte Fred und sah sie mit einem seltsamen Blick an. Er lächelte, so als hätte er einen Liebestrank geschluckt und Agnes sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an.

„Was ist?", fragte sie ihn.

„Ich habe das vermisst", sagte er nur und sah Agnes noch immer so an, als wäre sie die Sonne.

„Was denn? Schlechte Witze?", fragte Agnes amüsiert.

„Dein Lachen..."

Agnes blinzelte überrascht und wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Es war schön.

„Was passiert jetzt?", fragte sie und trank ihren Tee aus und stellte die Tasse wieder auf den Tisch.

„Keine Ahnung", gestand Fred schulternzuckend.

„Ich will nicht tot sein", gestand Agnes missmutig.

„Ich weiß", sagte Fred ruhig, „Das ist typisch für dich..."

„Wie komme ich zurück?"

„Du willst zurück?", fragte Fred amüsiert, „Wirklich? Agnes, dein Leben ist Schrott gewesen! Wann hast du das letzte Mal keine Schmerzen gehabt, so wie jetzt?"

Agnes hatte darauf keine Antwort.

„Wenn du zurückgehst, kommen die Schmerzen wieder und das Leid und die Müdigkeit und alles, das schlecht im Leben ist", spuckte Fred aus und griff nach Agnes' Hand – er sah wirklich aufgebracht aus, „Dein Leben war so schrecklich und das alles in einer einzigen Person und ich habe mich immer wieder gefragt, was das Schicksal gegen dich hat! Immer und immer wieder hast du nur Leid erfahren, aber trotzdem bist du immer aufgestanden und hast weitergemacht! Dafür liebe ich dich, Agnes, aber... quäle dich nicht selbst!"

„Ich liebe es aber, mich selbst zu quälen", grinste Agnes, „Immerhin bin ich wohl mit dir verlobt."

Fred lachte auf.

„Also...", Agnes drückte Freds Hand, „Kann ich... können wir zurück?"

Fred sah sie nachdenklich an, als würde er wirklich darüber nachdenken, obwohl Agnes tief im Inneren genau wusste, dass das unmöglich war. Tote standen nicht einfach wieder auf.

„Nun", Fred grinste sie vielsagend an und zuckte mit den Augenbrauen, „Wir könnten uns hinauf in die Mädchenschlafsäle stehlen und dort wieder so richtig lebendig werden."

Agnes wurde knallrot und das wurde sie nicht oft und mit der Hand fächerte sie sich empört Luft zu. „Fred!", schimpfte sie peinlich berührt, „Sag so etwas nicht, das ist –"

„Nein, ich meine das ernst", meinte Fred ernst, „Wir können wirklich hochgehen und dann sollten wir wieder leben."

Agnes sah Fred verstört an, aber dieser sah sie weiterhin ernst an.

„Wirklich?"

„Nicht einmal ich würde darüber Witze machen", versprach Fred.

„Kommst du mit?"

„Ich folge dir, wohin auch immer du gehst."

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