140. Kapitel
Agnes fand das Haus, in dem sie in dieser kalten Nacht untergekommen waren, wieder und sie bemerkte in diesem Moment auch eine Veränderung in sich.
Es war ein innerer Frieden, der Agnes schon beinahe fremd geworden war. Eine Ruhe, die allen Stress von ihr fernhielt und obwohl Agnes die Fluten der Angst, der Hilflosigkeit und des Schmerzes hinter dieser Mauer noch spüren konnte, so hatte sie für diesen Moment Ruhe. Es war ein schönes Gefühl – ein Gefühl von der Art, die Agnes schon beinahe vergessen hatte.
Ausnahmsweise einmal mitzuerleben, wie Leben geboren wurde, anstatt immer nur Tode zu sehen... das hatte Agnes positiv verändert, wie sie selbst fand und sie half mit, die schlechten Gedanken für diesen Moment zu vergessen, indem sie erst gar nicht daran dachte, dass sie selbst wahrscheinlich niemals Kinder haben würde. Sie verletzte sich zu Vollmond selbst und die Verwandlungen waren schmerzvoll und anstrengend für Werwölfe und sollte sie ein Kind in sich tragen, würde dieses wahrscheinlich durch die Verwandlung sterben. Agnes wusste nicht, ob sie es auch noch ertragen könnte, ein Kind zu verlieren, also dachte sie lieber gar nicht daran, dass Fred vermutlich ein wundervoller Vater wäre; sie fragte sich lieber nicht, ob das Kind rote oder blonde Haare oder blaue oder braune Augen. Agnes dachte lieber nicht daran, was hätte sein können, dann verlor sie nichts.
Agnes betrat das Haus und roch zu ihrer Erleichterung, dass die anderen noch immer da waren. Es hätte sein können, dass sie fluchtartig das Haus hätten verlassen müssen und sie noch nichts davon erfahren hatte, aber die Gerüche waren frisch und als erstes sah sie ins Wohnzimmer, wo sie Tia zurückgelassen hatte.
„Hey, ich bin wieder –", begann sie und sah dann, dass Tia nicht nur wach war, sondern es schien ihr auch wieder besser zu gehen und Agnes eilte zu ihr, „Hey, wie geht's dir?" Agnes war einfach nur froh, dass Tia ihre Krankheit überstanden hatte – Agnes dachte lieber nicht daran, dass sie keine Möglichkeit gehabt hätten, in ein Krankenhaus zu gehen, hätte sich ihr Zustand nicht gebessert. Liza war ebenfalls an Tias Seite und hatte sich offenbar gut um Agnes' kleine Schwester gekümmert und Agnes war erleichtert, als sie erkannte, dass es jemanden gab, der ein Auge auf Tia haben würde, sollte sie das nicht können.
Agnes griff Tia an die Stirn und obwohl ihre Hände noch kalt von draußen waren, schien Tia nicht mehr ungesund heiß zu sein – kein Fieber mehr; das war schon einmal ein guter Anfang. „Gut, kein Fieber mehr. Und sonst?"
„Mein Hals ist noch ein bisschen kratzig, aber ansonsten ist alles gut", sagte Tia gut gelaunt. Agnes war wieder einmal davon überrascht, dass scheinbar nichts und niemand Tias Laune trüben konnte. Sie schien immer heiter und gut gelaunt zu sein und ein Lächeln fand man meistens in ihrem Gesicht. „Wir sollten zusammen packen."
Das schien nicht nur Agnes zu verwundern, sondern auch Liza, die verwirrt nachfragte: „Warum? Hier sind wir sicher. Wir sind nicht nur wegen dir hierher gekommen, Tia, wie haben sowieso einen sicheren –"
„Mir ist eingefallen, wohin wir gehen können", unterbrach Tia sie, was an sich schon ungewöhnlich war, aber Agnes bezweifelte, dass Tia das böse gemeint hatte, „Da wären wir längere Zeit sicher und es ist in London."
„Wo?", fragte Agnes nach. Das klang zu gut, um wahr zu sein, aber Agnes bezweifelte, dass es ein so guter Ort war, wie Tia behauptete. Andererseits schien sie sehr überzeugt davon. Es war wiederum aber auch ein Fiebertraum von Tia gewesen, wie Agnes vermutete. Sie war sich nicht sicher, ob sie Tia in diesem Moment wirklich zutrauen konnte, rational zu denken. Das bestätigte sich, als Tia vom Sofa aufstand, obwohl es ihr offensichtlich noch nicht ganz perfekt ging, denn sie schwankte gefährlich, schien aber ehrgeizig, sich nicht wieder hinzusetzen.
„Wecken wir Konstantin und Sirius – wir können sofort los", schlug Tia vor, aber Liza war nicht so begeistert davon.
„Warte, warte, warte! Junge Dame, du hast die letzten dreißig Stunden geschlafen. Wir haben es nicht geschafft, dich zu wecken und teilweise ist dein Fieber ziemlich hoch gewesen. Du legst dich hin, ich wecke Sirius und Konstantin und dann besprechen wir gemeinsam deinen Plan."
„Komm schon, Tia", stimmte Agnes Liza zu – der Heilerin im Rudel widersprach man lieber nicht, wenn es um gesundheitliche Fragen ging, also half sie Tia wieder aufs Sofa und deckte sie wieder zu, „Während wir unsere Pläne besprechen, kannst du dich ausruhen. Hast du schon etwas getrunken?"
Tia nickte.
„Gegessen?" Es war ein bisschen heuchlerisch von Agnes, nachdem sie selbst in den letzten paar Stunden nicht gegessen hatte, aber sie war auch nicht krank gewesen.
Dieses Mal schüttelte Tia den Kopf.
„Siehst du? Dann kommst du erst einmal zu Kräften und ich muss mir keine Sorgen mehr um dich machen, immerhin habe ich eine Geburt hinter mir."
Sofort begann Tia zu lächeln und Agnes fand das irgendwie niedlich. „Ah ja!", rief Tia aus und griff nach Agnes' Hand und diese zuckte von der plötzlichen Berührung nicht zurück, „Wie geht es Ivy? Und... dem Baby?"
Agnes lächelte leicht, als sie sich an dieses kleine Ding neben Ivy erinnerte. „Ihnen geht es beiden ausgezeichnet", versicherte Agnes, „Es ist ein Junge – sie hat ihn Roger genannt."
„Roger...", wiederholte Tia lächelnd, „Nach deinem besten Freund und den Vater."
„Ich wecke unsere beiden Schlafmützen", beschloss Liza.
„Ich mache schnell eine Suppe", beschloss Agnes, „Ich hoffe, wir haben hier alle Zutaten und sonst wird es eben eine sehr wässrige Suppe."
Agnes fand „zufällig" die Zutaten für eine Hühnersuppe, wobei Liza niemals erfahren würde, dass sie dafür im Laden nebenan eingebrochen war, nachdem dieser noch geschlossen gewesen war und sie trafen sich für das Essen alle im Wohnzimmer und verteilten sich um Tias Sofa herum mit jeweils einer Schüssel in der Hand, während Tia von ihrem Plan erzählte.
„Ich habe geträumt. Es sind seltsame Träume gewesen und sie haben mich ein bisschen verstört...", begann Tia heiter, was Agnes ein bisschen beunruhigte, aber sie ließ es sich nicht anmerken, „Jedenfalls bin ich bei mir zu Hause gewesen mit meiner abuelita und da ist mir etwas eingefallen."
„Dass wir mit Carlas Hilfe diesen Krieg schon längst gewonnen hätten und dass wir sie aus Spanien holen sollten?", fragte Sirus.
Tia lachte und schüttelte den Kopf. „Nein, aber dieses Haus, in dem wir gelebt haben, ist in London und es gehört noch immer meiner abuelita und sie hat gesagt, dass wir es benutzen können, wenn wir es brauchen. Ich habe bisher nicht daran gedacht, aber nach diesen Träumen –"
„Ein Haus in London", murmelte Konstantin, „Denkst du, die Todesser wissen davon?"
„Ja", gestand Tia, „Wir sind einmal dort angegriffen worden, aber danach hat papa einige Zauber angebracht, damit es etwas gesicherter ist und es sind schon einige Monate vergangen. Ich denke nicht, dass sie vermuten, dass dort jemand ist."
„Es ist besser, als in Häuser einzubrechen", bemerkte Agnes, „Das funktioniert vielleicht während der Weihnachtszeit, wenn die Leute verreisen, aber wie ist das später? Wir haben noch ein paar kalte Monate vor uns."
„Es hat geschneit, also ist es verhältnismäßig warm gewesen", warnte Sirius, „Vertraut mir, ich habe ein paar Winter auf der Straße verbracht – wenn es schneit, ist es ein gutes Zeichen, aber im Januar und Februar kommen die wirklich eisigen Nächte und in dieser Zeit verreist niemand mehr. Es wäre Glück, wenn wir ein Haus finden würden, wie dieses hier."
„Also sind wir uns einig?", fragte Konstantin in die Runde, „Wir versuchen es mit diesem Haus?"
Er bekam keine Widersprüche und jeder von ihnen wusste, dass sie Risiken eingehen mussten, um die Natur zu überleben.
„Okay...", Konstantin atmete tief durch, „Aber nicht ohne eine Vorhut. Liza und ich –"
„Sirius und ich", verbesserte Sirius ihn, „Ich bin schon einmal dort gewesen. Remus und Carla haben mich schon einmal in dieses Haus geschleust, ich kenne mich aus."
„Was ist mit mir?", fragte Tia beleidigt.
„Du bist für einige Zeit außer Gefecht, junge Dame", schimpfte Konstantin und ausnahmsweise einmal stimmte Agnes ihm vollkommen zu, „Wir haben uns wirklich Sorgen um dich gemacht und kein Körper braucht Zeit, um sich etwas zu erholen."
„Aber –", begann Tia.
„Nope!", unterbrach Konstantin sie, bevor sie noch etwas sagen konnte, „Tia, es ist keine Schande, krank zu sein. Es zeugt sogar von großer Stärke, wenn man sich so vorausgabt, dass man krank wird, aber dann sollte man auf seinen Körper hören und sich selbst eine Pause gönnen. Du bist ein wichtiges Mitglied des Rudels, Tia, aber wenn du wieder krank wirst, weil du dich zu früh wieder anstrengst, dann hilfst du uns nicht weiter."
Tia wirkte überrascht von Konstantins Worten, nickte dann aber geschlagen. Agnes war froh, dass sie nicht so starrköpfig war, wie andere im Rudel und es auch einmal hinnahm, sich einfach auszuruhen. Tia tat niemanden etwas Gutes, wenn sie jetzt schon wieder voll im Einsatz war.
„Okay", begann Konstantin wieder, „Sirius und ich werden dorthin gehen und sehen, ob Todesser Wache stehen. Wenn ja, werden wir sie entweder los oder wir überlegen uns etwas anderes – so oder so, wir kommen hierher zurück. Wenn es sicher ist, ziehen wir wohl wieder um."
„Klingt nach einem ordentlichen Plan", bestätigte Liza nickend, „Machen wir das."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top