14. Kapitel
Es war einer dieser Nachmittage, an denen Agnes nicht wirklich mit jemanden etwas zu tun haben wollte. Langsam bemerkte sie den Lernstress, der von Tag zu Tag niederdrückender wurde. Die ZAGs standen mehr oder weniger direkt vor der Tür und Agnes war fest davon überzeugt, dass sie in jedem einzelnen Fach durchfallen würde. Sie schaffte es nicht einmal wirklich ihre Hausaufgaben auf die Reihe zu bekommen und mittlerweile überwogen die schlaflosen Nächte, in denen sie im Ravenclaw Gemeinschaftsraum saß mit einer Kanne heißem Tee von Tinky und an ihren Hausaufgaben arbeitete, bevor sie am nächsten Tag wieder einen neuen Haufen davon bekommen würde. Ihr Leben bestand eigentlich nur noch aus Schule und Hausaufgaben – nicht mehr backen, Quidditch oder Freunde. Als sie also an einem Sonntag im März zum ersten Mal seit Langem einmal keine Hausaufgaben mehr zu erledigen hatte, fühlte sie sich irgendwie befreit und frei. Spontan und ohne jemanden etwas davon zu sagen nahm sie sich also den Tag frei und nutzte ihn, um zusammen mit Dorothy an ihrer Seite durchs Schloss zu wandeln und allen aus dem Weg zu gehen, die sie nicht sehen wollte, während sie an einer Packung „Bertie Botts Bohnen in allen Geschmacksrichtungen" naschte.
Gedankenverloren beobachtete sie Dorothys Schweif, wie er sanft hin und her schwang, während sie vornehm durch das Schloss stolzierte und Agnes an allen ihren Bekannten vorbeiführte. Es war eine beinahe meditative Bewegung, sodass Agnes überhaupt nicht mehr auf ihren Weg achtete und plötzlich gegen jemanden stieß.
Sie sprang erschrocken einen halben Meter zurück und sah sich nach demjenigen um, gegen den sie gerannt war, als sie jemanden sah, den sie überhaupt nicht erwartet hatte.
„Professor Lupin! Es tut mir leid, ich habe gar nicht auf den Weg geachtet!", entschuldigte sie sich schnell.
„Keine Ursache, Agnes", Lupin wischte sich etwas nicht existenten Staub von seinem mehrmals geflickten Umhang. Agnes hatte nichts gegen geflickte Umhänge – ihr eigener war an mehreren Stellen geflickt und sie wollte erst gar nicht von ihrer Quidditch-Uniform reden, die so durchlöchert war, dass sie schon beinahe nur noch aus Flicken bestand.
„Was tust du denn hier allein in den Gängen? Suchst du etwas?", erkundigte sich Lupin freundlich wie immer, auch wenn er etwas müde aussah. Agnes wunderte das nicht, denn er hatte sich erst noch in der Stunde am Freitag krankgemeldet und Snape hatte wie so häufig die Stunde übernommen, was Agnes einige zusätzliche, unnötige Striche auf ihrer Liste einbrachte.
„Oh, nein!", verneinte Agnes schnell, „Ich wandere nur ein wenig durch die Gänge und gehe menschlichen Interaktionen aus dem Weg – nicht wirklich erfolgreich, wie es offensichtlich scheint."
„Oh", machte Lupin und er schien ein wenig überrascht, „es scheint so, als würde jeder einmal eine kurze Auszeit von seinen Mitmenschen brauchen. Zufällig bin ich mit denselben Absichten hier unterwegs – ebenso nicht erfolgreich, wie es scheint."
„Normalerweise führt Dorothy mich immer von Menschen weg", Agnes warf ihrer Katze einen bösen Blick zu, den sie aber ignorierte und sie putzte sich stattdessen gemütlich das Ohr, „Aber heute scheint sie ein wenig zu streiken."
„Mir ist diese Katze schon einmal aufgefallen – sie scheint besonders klug zu sein", lobte Lupin sie und Dorothy maunzte, bevor sie sich weiterputzte.
„Bestechlich ist sie auf jeden Fall", murmelte Agnes, die sich daran erinnerte, dass sie viel zu häufig von ihrer eigenen Katze geweckt wurde, weil diese gerne die Katzenminze hatte, die Roger ihr immer gab.
„Wie auch immer", Lupin sah auf seine Taschenuhr, „Mir ist jetzt nach einer Tasse Tee. Vielleicht willst du mich begleiten?"
Agnes war noch immer nicht so sicher dem Professor gegenüber. Irgendetwas an ihm war seltsam und es bestimmt nicht, dass er eindeutig ihre Mutter kannte. Leute, die ihre Mutter von früher kannten, waren nicht freundlich zu Agnes, das hatte sie schon früh gelernt und sich sofort darauf eingestellt. Mittlerweile erzählte sie niemanden mehr, wer ihre Eltern waren.
„Wie kann ich zu einer Tasse Tee nein sagen?", scherzte Agnes zustimmend und sie folgte Lupin in sein Büro.
Es war relativ seltsam eingerichtet mit diversen Wesen, die er für den Unterricht verwendete in diversen Behältern und Käfigen.
„Setz dich bitte", bat Lupin sie und zeigte auf seinen Tisch, auf dem diverse Gegenstände standen, die er einfach zur Seite fegte, damit zwei Tassen darauf Platz hatten.
„Soll ich Ihnen irgendwie helfen?", fragte Agnes ein wenig unsicher, während Lupin in einer Kiste vermutlich Tee suchte.
„Wenn es dir möglich ist, dann könntest du schon einmal das Wasser kochen", bot Lupin an, „Ich habe leider nur Teebeutel hier – ich hoffe, du bist nicht wählerisch."
Agnes fand sofort den leeren Teekessel auf einem Schrank stehen und füllte ihn schnell mit einem Aguamenti-Zauber, bevor sie ihn mit einem Icendio-Zauber brachte sie es zum Kochen.
„Wenn Sie in die Küche von Hogwarts mit den Hauselfen sprechen, dann machen diese Ihnen einen wundervollen Tee. In letzter Zeit trinke ich am Tag mehrere Kannen voll, während ich meine Hausaufgaben mache und sie freuen sich auch immer, wenn sie solche Kleinigkeiten für jemanden erledigen können, solange man freundlich zu ihnen ist", schlug Agnes ihm vor.
„Ich habe die Küche zwar schon während meiner Zeit in Hogwarts entdeckt", gab Lupin zu, „aber mir ist nie in den Sinn gekommen, die Hauselfen um Hilfe zu bitten."
Sein Blick wanderte zum Kochenden Wasser, während er in der Hand den Zucker und die Beutel mit Tee hielt.
„Das ist höhere Magie", bemerkte er anerkennend, „Du scheinst ein Talent dafür zu haben."
„Eher eine Leidenschaft fürs Backen, bei der diese Sprüche überaus praktisch sind", winkte Agnes ab.
„Oh, ja", Lupin nickte und legte die Teebeutel in den Kessel, „Ich habe schon von anderen Lehrer von deinem Talent gehört. Ein ungewöhnliches Hobby, wenn ich das so sagen darf."
„Vermutlich habe ich unterbewusst nach einem Hobby gesucht, das so muggelig ist, wie möglich", scherzte Agnes.
„Wegen deiner Mutter?", kombinierte Lupin schnell und brachte das Thema genau in die Richtung, in der er es haben wollte. Er schenkte Agnes Tee in die Tasse, während sie ins Leere starrte und über seine Frage nachdachte.
„Ich weiß es nicht", gab Agnes zu, „Seit meiner Kindheit versuchen mich verschiedenste Zauberer und Hexen zu analysieren und beobachten mich um sicher zu sein, dass ich nicht wie meine Mutter werde, aber ich fühle mich nicht wie meine Mutter."
„Du scheinst ein Problem wie Autoritäten zu haben", zeigte Lupin auf, „Unter den Lehrer gibt es eine Wette, wie viele Striche dieses Jahr auf Professor Snapes Liste stehen werden und die Zahlen sind erschreckend hoch."
„Es gibt Wetten über meine Stunden, die ich bei Snape nachsitzen muss?", fragte Agnes fassungslos amüsiert, „Auf jeden Fall werde ich meinen Rekord vom letzten Jahr brechen – dieses Jahr gibt Snape mir viel zu viele Möglichkeiten, um respektlos mit ihm zu sein. Es ist beinahe so, als wäre er geboren, um nicht respektiert zu werden."
„Er kann schon ziemlich einschüchternd sein, wie ich von anderen Schüler erfahren habe", bemerkte Lupin, „Aber es wird dich amüsieren zu wissen, dass Professor Snape selbst die höchste Zahl angegeben hat dicht gefolgt von Professor McGonagall, die wohl fester Meinung ist, dass du besser in Gryffindor aufgehoben wärst, so viel Unsinn wie du anstellst."
„Und Professor Flitwick hat die niedrigste Zahl angegeben – vermutlich so tief, dass ich sie schon vor einem Monat überholt habe, oder nicht?", schätzte Agnes und Lupin musterte sie interessiert, bevor er nickte und bestätigte: „So ist es, ja."
„Aber mein Problem mit Autoritäten hat nicht wirklich etwas mit meiner Mutter zu tun, oder?", fragte Agnes und kam wieder auf das Thema zurück, mit dem Lupin begonnen hatte.
„Vielleicht nicht direkt oder offensichtlich, aber irgendwie doch", rätselte Lupin und Agnes runzelte die Stirn, aber der Professor sah nicht so aus, als würde er es noch näher erklären wollen, „Du siehst sie öfter, oder?"
„Einmal im Jahr", bestätigte Agnes, „Immer im Sommer. Eine Vorschrift vom Ministerium, falls die Gefangenen von Askaban ihren Verwandten gegenüber etwas preisgeben. Es werden jedes Jahr weniger Familien, die zu diesen Treffen kommen – sie schämen sich für ihre Verwandten."
„Aber du nicht?", fragte Lupin interessiert und lehnte sich etwas vor, während er an seinem Tee nippte.
„Ich schäme mich nicht für sie – ich bin wütend auf sie. Sie haben nicht nur mir, sondern auch anderen schreckliche Dinge angetan. Sie verdienen es, in Askaban zu sterben und ich hoffe, es passiert schnell, aber schmerzvoll", gab Agnes finster zu und Lupin lehnte sich wieder etwas zurück.
„Wenn du so empfindest, warum besuchst du sie noch?", fragte der Professor verständnislos, „Es muss jedes Mal eine Qual sein, sich zu erinnern, was passiert ist."
„Ist es", Agnes nickte langsam, „Aber es ist ebenso beruhigend zu wissen, dass sie noch immer in ihrer Zelle sitzen und vor sich hin sabbern. Es zeigt mir, dass sie keine Bedrohung mehr sind – sie sind gebrochen."
„Du genießt also ihre Schmerzen?", fasste Lupin überrascht zusammen und Agnes dachte einen Moment über ihre Antwort nach.
„Wenn man es in dieses Licht stellt, dann scheine ich meiner Mutter wirklich ähnlicher, als gedacht", scherzte sie trocken, „Aber ja, ich sehe gerne, dass sie ebenso hilflos sind, wie ich es war."
„Eine eigenartige Sicht, deine Situation zu betrachten", gab Lupin zu und leerte seine Tasse, „Aber keineswegs verständnislos. Ich verstehe sogar ziemlich gut, wie du dich fühlen musst."
„Bei allem Respekt, Professor", lehnte Agnes ab, „Jeder von uns hat seine Steine zu tragen, aber Sie werden trotz allem nie wissen, wie schwer meine Steine sind, genauso wenig, wie ich die Ihren kenne."
„Das will ich doch hoffen", murmelte Lupin, „Und hoffentlich wirst du sie nie tragen müssen."
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