136. Kapitel

Agnes wurde von ihr nur allzu bekannten Pfoten geweckt und obwohl es nicht wirklich eine angenehme Art war, von dreckigen, kalten Pfoten geweckt zu werden, so war es doch eine Freude für Agnes.

Sie schlug die Augen auf und tatsächlich saß Dorothy auf ihrer Brust und maunzte zufrieden, als sie bemerkte, dass ihre Freundin wach war. Wenn Dorothy zurück war, bedeutete das auch, dass ein Brief von Fred gekommen war. Dorothy, die schon lange als Briefträgerin zwischen den beiden Liebenden hin und her wanderte, hatte tatsächlich ein eingerolltes Pergament um den Hals, das mit einer magentafarbenen Schleife angebunden war.

Agnes setzte sich auf und beinahe schon ehrfürchtig band sie den Brief von Fred von Dorothy los, während sie zeitgleich gedankenverloren den Kopf der Katze streichelte.

Agnes schlief zusammen mit Liza, Konstantin, Sirius und Tia im Wohnzimmer der Dursleys, wobei sie alle irgendwie Platz gefunden hatten.

Agnes hatte einen großen Sessel in Besitz genommen und schlief wie eine Katze eingerollt auf dem Sitzkissen, während Sirius sich in Hundeform auf dem Teppich ausgebreitet hatte, Tia auf einer Matratze am Boden, Liza auf dem Sofa und Konstantin sitzend auf dem anderen Sessel im Raum sitzend schlief.

Sie schliefen alle noch und nachdem Agnes in Ruhe ihren Brief lesen wollte, hoffte sie, dass das vorerst auch so bleiben würde.


Liebste Agnes,

verzeih mir, dass dieser Brief erst so spät kommt, aber wir werden seit Kurzem wieder strenger beobachtet. Ich vermute, das liegt daran, dass du nun offiziell eine landesweit gesuchte Verbrecherin bist.

Ich habe dich in der Zeitung gesehen und ich wünschte mir, es wäre unter anderen Umständen. Zugegeben, das Bild, das sie von dir benutzt haben, sieht schrecklich aus, aber gleichzeitig erinnere ich mich an dich, als wir uns das letzte Mal gesehen haben und da hast du auch sehr müde und erschöpft ausgesehen.

Aber – nachdem das Leben ziemlich düster und deprimierend wäre, wenn wir immer nur die schlechten Neuigkeiten ins Rampenlicht rücken würden – wenigstens bist du nun die Nummer zwei in unserer berühmten Rangfolge! Herzlichen Glückwunsch! Wenn ich dich so kenne, wie ich dich in Erinnerung hast, hast du dieses Ereignis bestimmt ein bisschen gefeiert, immerhin hast du nun Konstantin überholt (ich wette, er war damit überhaupt nicht zufrieden, aber er hatte seinen Spaß als die zweit-meist-gesuchte Person im Vereinigten Königreich, also ist es nur fair, wenn du nun an der Reihe bist).

Die Beschreibung ist auch sehr akkurat gewesen, wobei du zu schlechten Zeiten viel gruseliger sein kannst.

Ich sende diesen Brief zwei Tage vor dem nächsten Vollmond und ich weiß nicht, wie lange Dorothy braucht, um dich zu finden, aber sollte dieser Brief dich noch vor Vollmond erreichen, hoffe ich, du überstehst diese Nacht gut (ich denke jeden Vollmond an dich und frage mich, wo du gerade bist, als wäre der Mond ein Spiegel, der uns verbindet); sollte es schon nach Vollmond sein, hoffe ich, es geht dir gut. Bestimmt bist du sehr gestresst und all diese Ereignisse helfen bestimmt nicht dabei, dich gesund durch den Vollmond zu bringen.

Ich vermisse dich.

Natürlich vermisse ich dich – man hört nicht einfach so von einem Tag auf den anderen auf, jemanden zu vermissen – aber in letzter Zeit fällt es mir immer mehr auf. Jetzt, wo ich weiß, dass du lebst und ich nun auch eine gewisse Sicherheit habe, dass du am leben bist, nachdem sie es bestimmt in den Tagespropheten schreiben würden, wenn sie dich erwischen würden, sehne ich mich nach dir (und das sage ich nicht nur, weil George vor kurzem versucht hat, deine berühmten Kekse nachzubacken (und jämmerlich darin versagte)).

Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.

Ich hoffe, wir sehen uns wieder.

Ich hoffe du bist und bleibst gesund und ich hoffe, dieser Brief erreicht dich.

Ich hoffe in letzter Zeit viel, aber wenn man jegliche Hoffnung verloren hat, nur um wieder hoffnungsvoll zu werden, kann man wohl nicht mehr aufhören zu hoffen.

Bis zu unserem nächsten Wiedersehen

in Liebe

Dein Fred.


Agnes las den Brief dreimal, bevor sie ihn zur Seite legte.

Sie vermisste Fred auch und auch sie hoffte, dass dieser Krieg bald zu Ende wäre oder sie wenigstens die Möglichkeit hätten, sich zu treffen, ohne Fred in Gefahr zu bringen.

Agnes stand leise auf und verließ auf Zehenspitzen das Wohnzimmer, ohne jemanden zu wecken.

Dorothy folgte ihr ebenso leise und schlich zwischen ihren Füßen herum. Agnes' Weg führte sie in die Küche – sie würde Fred zurückschreiben, aber dieses Mal würde nicht nur ein Brief für Fred dabei sein.

Agnes hatte schon vor einiger Zeit gelernt, dass die Leute sie so behandelten, wie sie aussah. Wenn man ihre Narben sehen konnte, behandelte man sie wie ein Monster oder voller Mitleid. Wenn sie dreckige Kleidung trug, behandelte man sie wie einen Landstreicher oder Obdachlosen und genau das war sie genau genommen im Moment.

Ihre Narben versteckte Agnes aus Prinzip schon nicht mehr so gerne, aber ihre Kleider waren wenigstens sauberer, als sie es sonst waren, aber trotzdem hatte sie bemerkt, dass die Dursleys sie eher mit Abneigung behandelten.

Agnes hatte sich schon daran gewöhnt, aber gleichzeitig empfand sie keinen sonderlich großen Ehrgeiz, den Dursleys das Gegenteil zu beweisen.

Als Agnes also beschloss, dass sie backen wollte, nahm sie sich einfach alles, das sie brauchte aus den Schränken und fühlte sich in dieser Küche wie zu Hause, wobei Agnes eigentlich noch nie wirklich eine eigene Küche gehabt hatte, sondern sich bisher immer in allen von ihr benutzten Küchen einfach wie zu Hause gefühlt hatte. Nach dem Krieg würde sie sich eine eigene Küche einrichten, die an sie angepasst war.

Butter, Eier, Mehl, Zucker und sogar etwas Schokolade, die zwar eigentlich nicht die Sorte war, die Agnes normalerweise zum Backen benutzte, aber wie sollte sie Schokokekse ohne Schokolade machen?

Sie musste die Zutaten nicht abmessen – die jahrelange Übung und Erfahrung halfen dabei, ungefähr zu wissen, wie viel von allem sie brauchte.

Sie mischte die Zutaten zuerst brav in einer Schüssel, benutzte aber da schon ihren Zauberstab. Lange hielt sie diese halbe Fassade aber nicht aufrecht und sie ließ den Teig einfach in der Luft schweben, damit sie magisch mehr Platz hatte, um ihn zu kneten.

Sie hörte, wie jemand die Küche betrat und erkannte am Geruch, dass es Harrys Muggel-Cousin war... Dudley Dursley, wenn sie sich richtig an seinen Namen erinnerte.

Sie reagierte nicht auf ihn, als hätte sie ihn nicht bemerkt und wartete darauf, dass er etwas sagte, aber er blieb einfach bei der Tür stehen, während Agnes die Zutaten zusammenmischte.

Agnes hasste es aber, wenn jemand hinter ihr stand besonders, wenn sie gerade dabei war, eine so meditative und beruhigende Tätigkeit auszuführen wie Backen.

„Kann ich dir irgendwie helfen?", fragte sie deswegen laut und ließ den Teig in die vorbereitete Schüssel fallen.

Dudley keuchte erschrocken auf, verschluckte sich und hustete erst einmal kräftig. Agnes drehte sich noch nicht um. Dudley beruhigte sich wieder und räusperte sich peinlich berührt.

„Ich wollte nicht spionieren", verteidigte er sich sofort.

Agnes seufzte genervt und drehte sich um. Dudley zuckte zusammen, als er ihr Gesicht sah – er war die Narben noch nicht gewohnt. „Ein kleiner Muggel wie du kann mir nicht hinterher spionieren – ich habe dich gehört, bevor du überhaupt in die Nähe der Küche gekommen bist und von deinem Geruch will ich gar nicht sprechen!"

„Du bist dieses... Tier gewesen, oder?", fragte Dudley und wurde ganz bleich.

Agnes wusste, dass sie in diesen Moment zwei Möglichkeiten hatte, wie sie darauf reagieren konnte:

1. Sie blieb ruhig und freundlich und erklärte Dudley geduldig, dass sie unter der Wirkung des Wolfsbanntranks keine ganz so große Bedrohung darstellte, wie normalerweise zu Vollmond oder

2. ...

Agnes entschied sich für Option Nummer 2 und begann zu grinsen. „Warum fragst du?", neckte sie Dudley schon beinahe diabolisch, „Hast du dir etwa vor Angst in deine Hosen gemacht? Dieses riesige, schreckliche Monster, das selbst so große Jungs wie dich ohne Schwierigkeiten mit einem –", Agnes sprang einen Schritt vor und Dudley wich erschrocken zurück, „– Happs auffressen könnte! Jämmerliche Muggel wie du sind das nicht gewohnt, oder?"

„Aber– aber du hättest uns nichts getan", stammelte Dudley kreidebleich, „So-Sonst hätten sie dich nicht hierher gebracht!"

Das Grinsen verschwand schlagartig aus Agnes' Gesicht. „Weißt du, was ein Werwolf ist?"

Dudley schüttelte schnell den Kopf.

„Wir sind Monster – jeden Vollmond verwandeln wir uns in diese schrecklichen Monster, die durch die Gegend laufen mit nur einem Ziel: Menschenfleisch. Werwölfe lieben Menschenfleisch und ihr Blut – nur Menschen, Tiere ignorieren sie einfach. Während eines Vollmondes habe ich auch keine Kontrolle über mich und so jage ich Menschen und fresse sie, ohne etwas dagegen tun zu können. Es gibt einen Trank, der mir hilft, Kontrolle zu behalten, aber selbst dann unterdrückt er die Instinkte nur – tief im Inneren sehne ich mich trotzdem noch danach, zu töten." Agnes hauchte die Worte gerade laut genug, dass man sie verstehen konnte, aber Dudley musste ihr genau zuhören. Das hatte Agnes von Snape gelernt.

„Wie wird man zu einem Werwolf?", fragte Dudley zu Agnes' Überraschung weiter.

Sie kniff die Augen leicht zusammen, aber obwohl Dudley sichtliche Angst hatte und schon beinahe zitterte, machte er noch keine Anstalten, davon zu laufen. Das war im Waisenhaus mit den anderen Kindern immer einfacher gewesen. Vielleicht hatte Agnes verlernt, angsteinflößend zu sein.

„Ein Werwolf jagt, um zu töten, aber manchmal überleben einzelne unglückliche Seelen. Der Biss eines Werwolfs ist giftig – die Verletzungen, die ein Werwolf verursacht – ob als Mensch oder Monster – sind verflucht und können magisch nicht geschlossen werden. Wenn ein Mensch zu Vollmond von einem Werwolf gebissen wird, steckt er sich selbst mit Lykanthropie an und verwandelt sich – wenn er das Gift überlebt – beim nächsten Vollmond selbst in einen Werwolf."

„Hast du daher die ganzen... Narben?"

Narben. Davon hatte Agnes tatsächlich eine Menge.

„Zum Teil." Agnes klang nun nicht mehr angsteinflößend, sondern sie sprach ganz ruhig und rational. Sie versuchte Dudley nicht mehr Angst zu machen, sondern erklärte ihm, wie es war, ein Werwolf zu sein. „Manche sind auch von meinen eigenen Verwandlungen – wenn ein Werwolf während Vollmond eingesperrt ist und keine Menschen verletzen kann, verletzt er sich stattdessen selbst. Außerdem habe ich ein paar Monate in einem Werwolfs-Rudel gelebt und dort sind die Sitten weniger... zivilisiert. Und dann gibt es noch meine Mutter..."

Agnes hielt Dudley ihre Arme hin, bevor sie sie hinter dem Rücken wieder versteckte. „Ich habe so einige Narben."

„Harry hat auch eine Narbe", erkannte Dudley.

„Die berühmteste Narbe der Zaubererwelt", bestätigte Agnes, „Ich habe so einiges überlebt, aber den Todesfluch – und dann auch noch den Todesfluch des Dunklen Lords... und das alles als Kleinkind... das habe ich nicht überlebt."

„Todesfluch", wiederholte Dudley leise, als wäre es das erste Mal, dass er dieses Wort hörte.

Agnes hob überrascht eine Augenbraue. „Wie ignorant, wie blind, wie naiv", sie lachte hämisch auf, „Oh, wie schön euer Leben doch sein muss. Harry hat sein Leben lang mit dir unter einem Dach gelebt und doch bist du nie auf die Idee gekommen, ihn zu fragen, wie sein Leben ist? Selbst Muggelgeborene lernen schnell die Geschichte vom Jungen, der überlebte."

Dudley sah beschämt zu Boden und Agnes durchbohrte ihn noch einen Moment länger mit ihrem eisigen Blick, bevor sie sich wortlos wieder ihrer Arbeit zuwandte, aber Dudley war noch nicht fertig damit, sie mit Fragen zu durchlöchern.

„Du backst?"

Agnes blickte über ihre Schulter zu ihm zurück. „Ganz offensichtlich, ja."

„Mum backt nicht so oft – nur, wenn es einen besonderen Anlass gibt", erzählte Dudley.

„In diesem Fall gibt es bei mir immer einen besonderen Anlass, wenn ich gerade Lust darauf habe, etwas zu backen", bestimmte Agnes und es entstand einen Moment lang eine unangenehme Stille. Dudley sah Agnes mit einem Blick an, den sie eigentlich nur von bettelnden Hunden kannte – sie hatte nicht sonderlich viel Erfahrung mit bettelnden Hunden, nachdem sie eindeutig ein Katzenmensch war, aber diesen Blick kannte jeder. Sie seufzte. „Willst du mir vielleicht helfen?"

Sofort nickte Dudley und eilte zu ihr. „Ich wollte nach der Schule als Bäcker arbeiten, aber Dad sagt, das ist kein ordentlicher Beruf."

„Nun...", Agnes zwang sich selbst dazu, ohne ihren Zauberstab zu backen, was eigentlich kein Problem für sie darstellte, immerhin hatte sie es zum größten Teil ohne Magie gelernt und sie die Zauber erst später beigebracht, „Wenn das alles vorbei ist, eröffne ich bestimmt meine eigene Bäckerei – das plane ich schon lange und nichts und niemand kann mich dann noch davon abhalten."

„Du?", Dudley sah Agnes ernsthaft überrascht an, „Ich habe gedacht... du siehst aus wie eine Kriegerin."

„Und deswegen werde ich ein ruhiges Leben führen", bestimmte Agnes, „Ich kämpfe schon beinahe mein Leben lang – Leute, die noch nie wirklich Ruhe gehabt haben, wünschen sich keine Abenteuer mehr. Ich glaube auch nicht, dass Harry noch viel Spannung im Leben braucht."

„Ich hoffe, Harry kommt zurück", gestand Dudley zu Agnes' Überraschung leise, „Ich habe noch so viel, das ich ihn fragen muss und ich muss mich noch ordentlich bei ihm entschuldigen."

Agnes war einen Moment lang nachdenklich leise. „Das klingt wie ein Schritt in die richtige Richtung", entschied sie nickend.

Dudley lächelte erleichtert und wieder entstand eine seltsame Stille.

„Okay, konzentrieren wir uns auf den Teig – ich muss ein paar Kekse weitersenden und das heute noch!"

Dudley war nicht sonderlich intelligent oder interessant oder nennenswert sympathisch, aber trotzdem wurde Agnes und er so etwas wie Freunde. Keiner von beiden wusste so genau, ob sie wirklich Freunde waren, aber es war eine Verbindung, die Dudley bisher noch nie gehabt hatte. Eine wahre Verbündete. Noch nicht ganz eine Freundin, aber schon einmal mehr als das, was sich bisher seine „Freunde" geschimpft hatte. Es war eine Abwechslung, die Dudley die Augen öffnete.

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