133. Kapitel

Es war schon schwierig genug, gegen die animalischen Instinkte anzukämpfen und nicht sofort nach Menschenfleisch zu jagen. Umso schwieriger war es, genau das Gegenteil zu machen und in eine Richtung zu rennen, in der sich eindeutig Menschen befanden, aber auch ein weiterer Werwolf, der ihre Freunde verletzen wollte.

Irgendetwas musste schiefgegangen sein, ansonsten wären sie jetzt nicht in dieser Situation.

Normalerweise sollte Agnes gar nicht dazu in der Lage sein, die anderen zu riechen – es lag ein Zauber auf der Hütte, der das verhinderte. Also... warum waren sie nicht in diese Hütte gegangen? Natürlich könnte es sein, dass Konstantin einfach zu überheblich gewesen war und sich letztendlich tatsächlich geweigert hatte, in der Hütte zu schlafen, aber bei dem Anblick von diesem Werwolf hätten sie es sich doch anders überlegen müssten.

Agnes konzentrierte sich einfach auf das Gefühl, dass ein anderer Werwolf in ihrem Territorium war. Das war ihr Jagdgebiet und ein anderer Werwolf war eingedrungen – sie musste ihn verjagen oder umbringen. Wenn sie ihre tierischen Instinkte nicht komplett abschalten konnte, musste sie sich eben selbst manipulieren, um das zu bekommen, das sie wollte – den Werwolf davon abhalten, ihre Freunde zu essen.

Agnes rannte. Zugegeben, ihr Körper ist schon einmal in einer besseren Verfassung gewesen. Eigentlich war ihr Körper mittlerweile schon so zerstört, dass es wohl ein Wunder war, dass Agnes überhaupt noch auf den Beinen stand.

Aber das passierte eben, wenn man jegliche menschliche Bedürfnisse ignorierte und weder aß noch regelmäßig schlief. Agnes konnte nicht einmal genau erklären, warum sie nicht schlafen konnte, obwohl sie müde war oder warum sie nichts aß, obwohl sie hungrig war. Vielleicht war es die Angst, dass es nur ein Traum war und man ihr all das wieder wegnehmen würde.

Aber trotzdem war Agnes in einer ziemlich guten körperlichen Verfassung und sie rannte durch den Wald, den Weg zurück, den sie in ihrer menschlichen Form gegangen war zurück zu der Hütte.

Sie konnte den Werwolf immer besser riechen. Es war nicht Greyback, was schon einmal eine Verwunderung war, aber der Geruch war Agnes auch bekannt, sie konnte ihn nur noch nicht richtig einordnen.

Agnes beschleunigte noch einmal und sprang zwischen den Büschen hervor, direkt auf den anderen Werwolf.

Der andere Werwolf war größer, stärker und blutrünstiger, als sie, aber Agnes hatte den Überraschungsmoment auf ihrer Seite und es gelang ihr, den Werwolf zumindest abzulenken.

Liza und Sirius waren noch hier – Konstantin und Tia schienen schon fort zu sein, aber Agnes hatte keine Zeit, lange darüber nachzudenken.

Agnes packte das Fell am Nacken des Werwolfs und mit all ihrer Kraft schleuderte sie ihn in den Wald hinein – fort von ihren Freunden. Agnes sah sich noch einmal um – Konstantin war jetzt hier und hielt Lizas Hand – sie waren bereit zu disapparieren und Agnes nickte ihnen zu. Wenn sie jetzt disapparieren, konnte es sein, dass sie sich vorerst nicht mehr wiederfinden würden, aber das nahm Agnes in Kauf. Sie sollte lieber fliehen und sie konnte sich mit dem Werwolf anlegen – ihr konnte er nicht mehr das Schlimmste antun, zu dem ein Werwolf fähig war.

Agnes verfluchte sich selbst dafür, dass sie sich ablenken ließ. Der Werwolf erholte sich schnell wieder und sprang nun selbst aus dem Wald hervor, direkt auf Agnes und verbiss sich in ihrem Hinterbein.

Agnes war schon einmal gebissen worden. Sie war auch schon einmal von einem anderen Werwolf in menschlicher Form gebissen worden.

Aber trotzdem war es ein anderer Schmerz, von einem verwandelten Werwolf zu Vollmond gebissen zu werden, selbst, wenn man schon mit Lykanthropie angesteckt worden war. Es brannte, als hätte jemand Agnes' Bein angezündet, als das Gift in ihren Blutkreislauf eindrang und sich in ihrem Körper verteilte.

Ihr Körper reagierte darauf nach nur wenigen Augenblicken, indem ihr Oberschenkel taub wurde. Agnes heulte und riss ihr Bein aus den Reißzähnen ihres Gegners und hatte in der Hitze des Gefechts nicht an die Folgen gedacht. Die Wunde blutete stark und Agnes taumelte zur Seite.

Plötzlich war da noch jemand – kein Werwolf, aber ein großer, schwarzer Hund, der sich auf den Werwolf stürzte. Der Hund war kleiner, als der Werwolf und konnte ihn damit nicht zu Boden reißen, aber mit den Krallen an den Tatzen zerkratzte er ihm den Rücken und gab Agnes damit einen Moment Zeit, sich zu erholen.

Es war Sirius, der Agnes in diesem Moment wohl wieder einmal das Leben gerettet hatte. Sirius, der kein Werwolf war, sich aber trotzdem mit einem anlegte.

Agnes atmete tief durch. Sie würde Sirius nicht alleine kämpfen lassen.

Gerade, als es dem Werwolf gelang, Sirius abzuwerfen, sprang Agnes vor und verbiss sich in das Vorderbein ihres Gegners. Sie schmeckte dreckiges Fell und Blut in ihrem Mund. Werwölfe konnten sich nicht übergeben, aber sie hätte sie es gekonnt, hätte sie jetzt einen Brechreiz verspürt.

Natürlich brachte sie den Werwolf damit einen Moment lang aus dem Konzept, aber nicht lange genug.

Agnes spürte, wie sich Zähne um ihren Nacken legten und sie rollte schnell herum, um einem tödlichen Biss zu entkommen, damit entglitt ihr aber das Bein und sie riss nur einige Fleischfetzen heraus.

Jetzt war Agnes war wirklich wütend – dieser Werwolf hatte versucht, sie umzubringen. Sie war noch nicht bereit, zu sterben – niemand brachte sie einfach so um.

Agnes... vergaß, was danach passierte. Sie schaltete für diesen Moment ihre menschliche Seite einfach wieder aus und als sie wieder langsam zu sich kam, atmete der Werwolf gerade sein Leben aus. Er blutete aus unzähligen Wunden und aus einer Wunde am Hals spritzte mit seinem immer langsamer werdenden Puls das Blut.

Agnes hatte noch nie gesehen, wie ein Werwolf starb. Natürlich hatte sie schon gesehen, wie ein Werwolf in menschlicher Form starb, aber das war ein verwandelter Werwolf und das war das erste Mal, dass Agnes so einen umbrachte.

Zu ihrer Überraschung verwandelte er sich zurück, während er starb. Das Fell verschwand, die Knochen setzten sich wieder zu einem menschlichen Skelett zusammen, die Schnauze wurde zu einem menschlichen Gesicht. Es war ein Mann und Agnes erkannte ihn.

Es war einer der Werwölfe, die sie während ihrer Zeit bei Greybacks Rudel kennengelernt hatte. Es war Nero, der Mann, der ihr beigebracht hatte, wie man im Rudel überlebte. Sie hatte ihn umgebracht und sie fühlte absolut nichts dabei. Sie war... taub. Ihr ganzer Körper war taub und sie fühlte nichts. Nero starb und seine Augen wurden glasig. Agnes hatte ihn umgebracht.

Noch zwei Herzschläge lang beugte Agnes sich über ihn, dann trat sie zurück.

Sie konnte sich nicht daran erinnern, ihn umgebracht zu haben. Wann war das passiert? Es war ganz eindeutig, dass sie es gewesen war, immerhin war ihr ganzer Körper voller Blut und sie war die einzige, die zu so etwas in der Lage wäre, aber ihr Hirn hatte einfach ausgesetzt, als würde sie gar nicht unter dem Wolfsbanntrank stehen.

Sirius... Agnes schaute sich um und erblickte Sirius nicht weit von sich entfernt. Er stand, obwohl seine Beine zitterten – wahrscheinlich hatte er sich ein bisschen verletzt, als der Werwolf ihn zur Seite geschleudert hatte.

Er sah Agnes unsicher an, als wäre er sich nicht sicher, was er von ihr halten sollte und ob er ihr vertrauten konnte.

Aber Agnes war wieder sie selbst. Das Tier war gebändigt und sie fühlte sich menschlicher, als sie es vor diesem Kampf getan hatte.

Aber es war nicht so einfach, das auch deutlich zu machen, wenn man gerade im Körper eines riesigen, mit Blut besudelten Monsters gefangen war.

Also legte Agnes sich auf den Boden und als ihr Körper in den Ruhezustand überging, fühlte sich den Schmerz. Ihr Bein – es sah nicht gut aus, aber sie würde es überleben. Sie hatte schon schlimmeres überlebt.

„Agnes." Sirius hatte sich in einen Menschen verwandelt und seine Stimmte erschreckte Agnes, aber sie beruhigte sich schnell, als sie Sirius erkannte. Sie kümmerte sich nicht weiter um ihn, sondern begann, ihre Wunde zu reinigen, wobei ihr dazu nur ihre Zunge und ihr eigener Speichel für den Moment blieb, bis sie wieder ein Mensch war. Es war ekelerregend und Agnes hoffte, es nie wieder tun zu müssen. Ihr Blut schmeckte grauenvoll.

„Agnes, ich melde mich jetzt bei Konstantin, dann können sie uns abholen – ist das in Ordnung für dich?"

Agnes war noch nie in ihrer verwandelten Form appariert, wie sich selbst erklärte. Sie wusste nicht einmal, ob das wirklich funktionierte.

„Jemand sollte sich diese Wunde ansehen und wir wissen nicht, ob nicht noch jemand hier in der Nähe ist, der uns angreifen könnte", erklärte Sirius ruhig, „Konstantin weiß sicher einen sicheren Ort, bis die Sonne aufgeht und du wieder..."

Agnes sah ihn an und sie konnte zwar nicht verbal kommunizieren, aber sie konnte nicken, auch, wenn das nicht so einfach war – sie musste sich irgendwie ihren Nacken verrissen haben.

Sirius seufzte erleichtert und zückte seinen Zauberstab. Aus der Spitze erschien ein silberner Patronus – sein Hund, der aber schnell wieder verschwand, mit der Aufgabe, eine Nachricht an Konstantin weiter zu schicken. Und nur Momente später ertönte schon das gewohnte Poppen.

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