132. Kapitel
Seit Agnes von Greyback gebissen und zu einem Werwolf verwandelt worden war, hatte sich viel verändert.
Natürlich gab es die offensichtlichen Veränderungen, die man kaum übersehen konnte und natürlich hatte Agnes sich davor nie zu Vollmond in ein blutrünstiges Monster verwandelt, aber wenn Agnes an Veränderungen nach dem Biss dachte, dachte sie an sich selbst und ihre eigenen Veränderungen in sich. Ihr Wesen hatte sich verändert und das fiel ihr auf, immerhin hatte sie eigentlich siebzehn Jahre ihres Lebens ohne diese Veränderungen verbracht.
Remus war als kleines Kind gebissen worden also war das Werwolfs-Dasein die Norm für ihn, aber Agnes kannte sich selbst besser als Nicht-Werwolf.
Es gab eindeutig gewisse animalische Züge, die sie übernommen hatte und viele Instinkte und Handlungen ähnelten mehr einem Tier, als einem Menschen, aber damit kam Agnes zurecht. Natürlich war es schwierig, andauernd eine Seite von sich selbst zu unterdrücken, aber Agnes hatte das Gefühl, dass sie langsam den Dreh heraus hatte – sie musste einfach nur dafür sorgen, dass beide Seiten in ihr – die menschliche und die animalische – in Einklang zusammenarbeiten konnten. Es brauchte Übung, die Agnes noch nicht hatte, aber sie war zuversichtlich, dass sie – sollte sie überhaupt so lange überleben – mit ihrem Werwolfsdasein zurechtkommen würde, wenn auch nicht so, wie Remus oder Greyback es taten.
Der Kampf dieser beiden Seiten wurde immer zu Vollmond am schlimmsten, wie Agnes aufgefallen war. In der Regel gewann dann immer die animalische Seite und das blutrünstige Monster, das jederzeit in Agnes schlief wurde geweckt mit einem einzigen Ziel – Menschen umbringen und diese aufessen... Agnes gab es nicht gerne zu, aber diese Seite war um einiges weniger kompliziert, als ihre menschliche Seite.
Aus Erfahrungen aus Hogwarts aber wusste Agnes, dass ein Wolfsbanntrank ihrer menschlichen Seite die Möglichkeit gab, gegen das Tier in ihr anzukämpfen. Es war anstrengend und vage konnte Agnes sich noch daran erinnern, dass sie es gehasst hatte, den Wolfsbanntrank zu nehmen – einfach nur, weil diese Kontrolle auch ihren Preis hatte, aber nach dem Desaster, in dem sie als Werwolf zwei Menschen umgebracht und teilweise verzehrt hatte, bezahlte sie diesen Preis gerne und Tia, ihre Schwester, konnte ihr diese Möglichkeit bieten.
Aber trotzdem wusste Agnes, dass selbst mit dem Wolfsbanntrank ihre animalische Seite wach wurde und es brauchte Konzentration oder Erfahrung, um sie komplett zu unterdrücken. Deswegen hätte Agnes es bevorzugt, wenn sie alleine zu einer der Hütte appariert wäre, von denen sie wusste, dass es dort sicher für sie und alle anderen wäre, aber sie war eindeutig überstimmt worden und so apparierte sie mit Tia, Sirius, Liza und Konstantin zu einem der Orte, die sie in ihrem bisher schon zweijährigen Dasein als Werwolf kennengelernt hatte.
„Nett hier", kommentierte Konstantin und sah sich um. Es war eine alte, verlassene Waldhütte, die eher eine Ruine war und nicht mehr wirklich bewohnbar war. Vermutlich war es eigentlich nicht einmal sicher, dieses Gebäude zu betreten, aber Agnes wusste, dass die Wände und die Decke magisch verzaubert waren – nicht nur, damit das Haus nicht einstürzte, sondern auch, um einen Werwolf darin eingesperrt zu lassen. Aber das war nicht der Grund, warum Agnes hier war – nicht direkt, jedenfalls.
Agnes sah hoch zum schon dunklen Himmel. „Es wird bald soweit sein – ich sollte gehen."
Sie hielt Sirius ihren Zauberstab hin, der nicht wirklich ihr Zauberstab war, sondern der Zauberstab eines toten Zauberers und Sirius nahm ihn ohne ein Wort an – sie hatten das schon einmal hinter sich.
„Das Haus ist sicher", versprach Agnes ihnen weiter und nahm ihren Rucksack von ihrem Rücken und gab ihn ebenfalls an Sirius weiter, „Es sieht vielleicht nicht so aus, aber es kann unter keinen Umständen einstürzen, also müsst ihr euch heute Nacht keine Sorgen machen, ihr braucht nur immer einen Zauberstab, wenn ihr es verlassen wollt oder betreten und –"
„Warte, warte, warte", unterbrach Konstantin sie, „Was redest du da? Das klingt so, als würden wir da drinnen die Nacht verbringen..."
„Ja, klar", schnaubte Agnes, „Du hast doch nicht ernsthaft gedacht, dass ich mich mit dem Wolfsbanntrank trotzdem noch selbst einsperre, oder? Ich meine... deswegen habe ich diesen Ort hier ausgesucht – weit und breit keine Zivilisation und selbst, wenn ich auf die Idee kommen würde, dass Mensch heute Nacht doch ziemlich gut schmecken könnte, wäre vermutlich niemand in der Nähe."
„Du wirst dieses Bedürfnis nicht haben", versicherte Tia ihr zuversichtlich, „Ich habe bestimmt keinen Fehler bei diesem Trank gemacht."
Agnes lächelte Tia trotz allem dankbar an. „Danke, Tia – ich weiß, dass du bestimmt keinen Fehler gemacht hast, aber trotzdem... so funktioniert die Verwandlung zu Vollmond mit einem Wolfsbanntrank nicht. Die Instinkte werden nur unterdrückt und verschwinden nicht ganz – aber ich denke nicht, dass ich jemanden umbringen würde."
„Du willst frei herumlaufen?", fragte Liza sie unsicher, „Bist du sicher, Agnes? Du könntest dich verletzen..."
„Hör mal, Liza – ich habe Erfahrungen mit dem Wolfsbanntrank und ich weiß, wie es bei mir wirkt", erklärte Agnes und verzog bei dieser Erinnerung unzufrieden das Gesicht, „Ich bin auch dann nicht gerne eingesperrt – ich habe euch doch gesagt, dass ihr mich nicht begleiten müsst."
„Tja, ich komme trotzdem mit dir mit", bestimmte Sirius.
Agnes seufzte und sah hinauf in den Nachthimmel – der Mond stieg immer höher. Sie zog auch noch ihren Mantel aus, den sie von Ivy bekommen hatte und reichte ihn ebenfalls noch an Sirius. „Ich verwandle mich alleine – das muss niemand sehen. Ich rate euch trotzdem im Haus zu bleiben, damit euch wirklich nichts passiert."
„Pass auf dich auf", bat Liza sie besorgt und Agnes dachte nach, was sie darauf antworten konnte, es fiel ihr aber nichts ein, also nickte sie nur und winkte der kleinen Gruppe noch einmal zu, bevor sie sich umdrehte und im Wald verschwand.
Sie ging nicht allzu weit weg – nur außer Sichtweite und dann noch ungefähr fünf Minuten weiter, bevor sie sich einfach auf den Boden setzte und wartete.
Das war immer einer der schlimmsten Momente während Vollmondnächten. Es waren die Minuten vor Vollmond.
Agnes hatte Kopfschmerzen und ihr ganzer Körper schmerzte und in jeder Sekunde schien dieser Schmerz schlimmer zu werden und gleichzeitig breitete sich in ihr ein Gefühl der Unruhe aus. Sie wollte sich strecken und das tat sie auch. Ihre Wirbel knackten, als sie ihre Arme weit in die Luft streckte, aber das Gefühl verschwand nicht, sondern wurde nur noch schlimmer. Sie wollte sich bewegen, laufen... jagen. Aber gleichzeitig wurden die Schmerzen immer schlimmer und ihr wurde schwindelig, sodass sie sich lieber auf den Boden legte und in den Himmel starrte. Er drehte sich zwar auch, aber immerhin bildeten die Sterne und der volle Mond über ihr ein schönes Muster.
Und dann begann es. Die Schmerzen und die Unruhe hatten ihren Höhepunkt erreicht und Agnes schrie auf, als die Schmerzen der Verwandlung einsetzten.
Ihre Knochen brachen und wuchsen ebenso schnell wieder zusammen; ihre Muskeln rissen und verbanden sich neu und alles an ihr verformte und veränderte sich. Agnes hätte dieses Gefühl niemanden beschreiben können, denn wie beschrieb man das Gefühl, wenn ein Knochen zu winzigen Stücken zerbrach, nur um anders und neu zusammen zu wachsen. Wie beschrieb man das Gefühl, wenn der Schädel und das Gesicht sich verformten und verzogen und wie beschrieb man das Gefühl von wachsenden Haaren – viel zu schnell und viel zu viele auf einmal, sodass die Haut schon beine zu brennen schien, überzogen von winzigen Verletzungen.
Alles tat weh, alles schmerzte, alles fühlte sich fremd und falsch an. Wenn Agnes keinen Wolfsbanntrank genommen hatte, dann verschwand ihre menschliche Seite irgendwann und ihre animalische Seite ertrug einen Teil der Schmerzen. Sie hatte sich dann nie an die schlimmsten Schmerzen erinnern können, aber so musste sie selbst jeden Schmerz und jede Veränderung selbst durchstehen, ohne die sanfte Erlösung durch Bewusstlosigkeit zu erhalten. Denn obwohl sie Schmerzen litt, obwohl sie schrie und keuchte und weinte und heulte – trotzdem wurde sie mit jedem Moment wacher und aktiver, als die Jagdinstinkte einsetzten.
Sie bekam Hunger – ein Werwolf war immer hungrig. Sie wollte Blut schmecken. Sie wollte Fleisch.
Aber dann erinnerte sie sich selbst daran, dass es nicht in Ordnung war, Menschen zu töten. Es war nicht einfach, diese Instinkte zu unterdrücken, selbst, wenn man unter dem Einfluss von Wolfsbanntrank stand, aber Agnes gelang es. Trotzdem ging sie niemals Risiken ein und hatte die anderen lieber einen Schlafplatz in der Hütte gegeben – sicher war sicher.
Agnes lag auf dem Boden, als sie spürte, dass die Verwandlung vollendet war und sie hechelte, als die Schmerzen verschwanden und sie mit zitternden Beinen wieder aufstehen konnte.
Oh, wie lange war es schon her, seit sie das letzte Mal eine Verwandlung unter Wolfsbanntrank überstanden hatte. Sie hatte ganz vergessen, wie anders sich ein Werwolfs-Körper anfühlte. Wie stark sie war – stärker noch, als sie es war, seit sie gebissen worden war. Wie schnell und wie wendig – der perfekte Jäger.
Die Sinne noch genauer und noch entwickelter und Agnes streckte sich.
Vermutlich sollte sie Sirius suchen – er wollte sie in seiner Animagus-Form begleiten. Natürlich hätte sie ihn einfach zurücklassen können, aber es herrschten gefährliche Zeiten und sie wusste, dass sie lieber niemanden Sorgen bereiten sollte, indem sie einfach zu einem Treffpunkt nicht erschien.
Sie sah sich in der Dunkelheit um, aber die Dunkelheit war hell. Es gab zwar keine Farben mehr, aber trotzdem konnte Agnes noch alles genau erkennen – ein Werwolf war dazu gemacht, in der Nacht jagen zu können.
Sie sah sich um und suchte den Weg, über den sie hergekommen war, aber sie konnte ihre eigene Spur riechen. Es war seltsam, sich selbst zu riechen, wenn man nicht sich selbst war – es war ein vertrauter und gleichzeitig fremder Geruch.
Aber dann bemerkte Agnes noch etwas und sie stockte. Da war noch ein Geruch, der ihr unbekannt war. Aber sie kannte die Art des Geruches und konnte ihn sofort differenzieren – es war ein anderer Werwolf und seine Spur führte genau in die Richtung, von der sie wusste, dass doch Agnes' Freunde waren. Ein anderer Werwolf war unterwegs und Agnes fürchtete, dass er nach Menschenfleisch suchte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top