117. Kapitel
Agnes und Sirius hatten sich von Bartolomäus verabschiedet und nahmen ein Taxi zurück zum Flughafen.
Bartolomäus wollte sie eigentlich begleiten, aber ihr Flug ging zur Mittagszeit und Bartolomäus musste unterrichten, also verabschiedeten sie sich von ihm. Er hatte sie in seiner Wohnung schlafen lassen und Agnes hatte es sich auf dem Sofa bequem gemacht, während Sirius sich auf dem Boden in seiner Hundegestalt zusammengerollt hatte. Sie hatten ein Streichhölzchen gezogen, um zu entscheiden, wer von ihnen auf dem Sofa schlafen würde, nachdem keiner von beiden den anderen auf dem Boden schlafen lassen wollte.
Sie waren kaum eine Woche in Amerika gewesen, aber trotzdem vermisste Agnes England und freute sich schon auf ihre Rückkehr, auch wenn das bedeutete, dass sie wieder mitten im Kriegsgebiet sein würden; selbst, wenn es bedeutete, wieder in ein enges Flugzeug steigen zu müssen; selbst, wenn sie sich wieder ihren Ängsten stellen musste – Agnes freute sich, wieder nach Hause zu kommen.
Mit Dorothy auf ihren Schultern und Sirius in seiner Hundegestalt neben ihr suchte Agnes einen abgelegenen Ort, um mit Sirius als Mensch sprechen zu können – als Hund verstand sie ihn zwar, aber sie hatte nie gelernt, die Hundesprache zu sprechen und selbst, wenn sie hündisch reden könnte, war sie sich sicher, dass Sirius einen schrecklichen Akzent haben würde.
Agnes deutete Sirius zum Hintereingang und niemand war in Sicht, also nickte sie ihm zu und Sirius verwandelte sich wieder in einen Menschen.
„Muss ich wieder in einem Zwinger reisen?", fragte er unzufrieden und streckte sich, sodass seine Knochen knackten.
„Ich habe Papiere für einen Hund, aber nicht für einen Menschen", bemerkte Agnes nur, „Was denkst du, denken sich die Muggel, wenn ich ihnen diese Papiere vorlege, aber du ein Mensch bist?"
„Sie würden dich vermutlich als verrückt erklären", vermutete Sirius unbeeindruckt, „aber nachdem du tatsächlich verrückt bist, sehe ich kein Problem darin."
„Dann sage ich ihnen, dass ich dich nicht kenne, dass du mich schon länger verfolgt und während sie dich festnehmen, reise ich ganz entspannt nach London zurück", konterte Agnes, „Dorothy muss auch in einem Zwinger reisen, hörst du, ob sie sich beschwert?"
Dorothy maunzte.
„Siehst du? Keine Einwände, keine Beschwerden. Dorothy weiß eben, wenn es keine andere Möglichkeit gibt", bestimmte Agnes sicher und lächelte Sirius überheblich an.
„Ich bin mir ziemlich sicher, das ist gerade eine Beschwerde gewesen", widersprach Sirius ihr.
„Oh, tatsächlich?", Agnes hob eine Augenbraue, „Seit wann sprichst du Katze?"
„Seit drei Minuten."
„Wer von uns beiden ist jetzt verrückt?", schnaubte Agnes, „Dorothy würde anders reagieren, wenn sie überhaupt nicht einverstanden wäre. Es sind nur ein paar Stunden und es ist unauffälliger, als dich in –"
Agnes verstummte, als sie hörte, wie sich jemand ihrer Position näherte und sie lehnte sich gegen die Mauer und lachte, als hätte Sirius gerade etwas Lustiges erzählt. Zuerst schien Sirius verwirrt, aber dann kam diese Person – eine Frau in Muggelkleidung – um die Ecke und er verstand ebenfalls.
„Musst du nicht deinen Flieger erwischen?", fragte Sirius sie, um möglichst unauffällig zu wirken und Agnes hatte das Gefühl, es gelang ihnen auch wirklich gut, „Es war mir eine Freude, dich hier in Amerika zu haben."
Der Muggel war stehengeblieben und holte ein Handy heraus – offenbar hatte auch sie einen ruhigen Ort gesucht, um noch ein Telefonat zu führen. Agnes nervte das – jetzt konnte Sirius sich nicht zurück verwandeln.
„Vielleicht kann ich ja wieder einmal hierher kommen", versuchte Agnes ein Gespräch aufrecht zu erhalten, um möglichst lange so auszusehen, als wären sie beschäftigt, damit der Muggel hoffentlich schnell verschwinden würde und Sirius sich in einen Hund verwandeln würde – so lange konnte das doch nicht dauern.
„Du bist jederzeit bei uns willkommen." Sirius verstand zum Glück, was Agnes erreichen wollte und spielte einfach mit. Agnes fand es traurig, dass die beiden es schon so gewohnt waren, sich zu verstecken, dass es schon normal geworden war. Agnes war nicht einmal nervös oder angespannt – eigentlich nur genervt. Selbst, wenn dieser Muggel sie seltsam finden sollte, so würde Agnes wahrscheinlich nie wieder nach Amerika kommen und dieser Muggel würde sie nie wieder sehen. Und sollte sie auf die Idee kommen, irgendwelche Behörden einzuschalten, würden diese Agnes niemals finden – immerhin galt Agnes in der Muggelwelt schon länger als vermisst, nachdem sie aus dem Waisenhaus weggerannt war. Wie lange das schon her war – Agnes hatte beinahe vergessen, wie sehr sich ihr Leben eigentlicher verändert hatte, als sie beschlossen hatte, das Waisenhaus als Minderjährige zu verlassen.
Der Muggel hielt das Handy ans Ohr, aber Agnes fiel etwas Seltsames auf. Sie sprach nicht und machte auch sonst nicht den Eindruck, als würde sie einer Unterhaltung folgen. Stattdessen fiel Agnes auf, dass die Frau auffällig oft in ihre Richtung blickte. Sie schien nervös zu sein. Agnes war es gewohnt, dass Leute in ihrer Gegenwart nervös waren, aber wenn diese Frau solche Angst vor ihnen hatte, warum ging sie nicht einfach woanders hin, um zu telefonieren? Niemand zwang sie, hier zu bleiben und bestimmt konnte sie auch überall anders telefonieren.
Dieser Muggel hatte absolut keinen Grund, hier zu bleiben, außer natürlich, sie telefonierte nicht wirklich.
Agnes roch in der Luft und plötzlich fiel ihr auf, dass diese Frau nicht wirklich nach einem Muggel roch. Agnes hatte zwar noch nicht ganz herausgefunden, wie sie ihre neueste Fähigkeit, Leute riechen zu können einsetzen sollte, aber sie kannte schon ungefähr den Unterschied zwischen verschiedenen Gerüchen. Werwölfe rochen anders, als Hexen und Zauberer... und Hexen rochen anders, als Muggel. Und diese Frau war eindeutig eine Hexe.
„Wir müssen hier verschwinden", zischte Agnes Sirius zu und wartete nicht einmal auf eine Antwort, sondern packte ihn am Arm und zog ihn möglichst unauffällig mit sich.
Sirius hinterfragte sie nicht, aber er griff in seine Manteltasche, wo sich sein Zauberstab befand und verstärkte seinen Griff darum. „Was ist los?", fragte er leise und sah sich um, aber er konnte außer dem Muggel niemanden entdecken.
„Sie ist eine Hexe", erklärte Agnes ebenso leise, „Wir finden einen anderen Ort, wo du dich verwandeln kannst. Wir müssen nur –"
Eine Gruppe von Zauberern und Hexen tauchte vor ihnen auf und Agnes erkannte dieses Mal den Geruch sofort, blieb stehen und drehte sich auf den Fersen um, aber auch hinter ihnen tauchten nun Zauberer und Hexen auf. Agnes kannte sie nicht – waren das Todesser oder anderer Zauberer? Warum hatte sie die Falle nicht schon früher bemerkt?
Agnes zückte ihren Zauberstab, den sie in ihrem Ausschnitt versteckt gehalten hatte und richtete ihn bedrohlich auf ihre Gegner, aber sie waren umzingelt. Diese schienen erkannt zu haben, dass sie aufgeflogen waren und zückten ebenfalls ihre Zauberstäbe, griffen aber noch nicht an.
„Im Namen des Magischen Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika – ergeben Sie sich!", befahl eine Frau, die ihren Zauberstab direkt auf Agnes gerichtet hatte bedrohlich.
„Die sind von MACUSA", bemerkte Sirius und hob eine Augenbraue, „Unser Urlaub hier scheint ziemlich Aufsehen erregt zu haben, Darling. Was hast du angestellt?"
„Ich habe gar nichts gemacht", bemerkte Agnes unschuldig und spielte einfach mit, denn im Moment hatten sie sowieso keine andere Möglichkeit, „Ich habe gedacht, du hättest schon wieder Unsinn angestellt."
„Wie kommst du auf diese Idee?", fragte Sirius empört und sah Agnes anklagend an, „Ich bin ein absolut harmloser Teilnehmer dieser Gesellschaft!"
„Wenn du das sagst", summte Agnes, bevor sie sich an die Frau wandte, die gesprochen hatte, „Entschuldigen Sie die Frage, aber was wird uns vorgeworfen?"
„Wir wollten keine Schwierigkeiten bereiten", versicherte Sirius in einem ebenso höflichen Ton, „Verzeihen Sie uns, dass wir solche Schwierigkeiten bereitet haben – es war nie unsere Absicht, Ihnen mehr Arbeit zu verschaffen."
„Wir sind untröstlich, dass Sie gezwungen gewesen sind, hierher zu kommen", entschuldigte sich Agnes schnell, „Bestimmt haben Sie besseres zu tun, als uns zu verfolgen!"
„Lassen Sie sofort Ihre Zauberstäbe sinken!", befahl die Frau barsch. Agnes und Sirius sahen sich an, bevor sie synchron ihre Zauberstäbe senkten, sie aber noch nicht wegsteckten.
„Verzeihen Sie, dass ich meine Frage wiederhole, aber was wird uns vorgeworfen?", fragte Agnes höflich und lächelte leicht.
„Der illegale Aufenthalt eines Werwolfs in den Vereinigten Staaten von Amerika!", blaffte die Frau, die wohl die Anführerin dieser Gruppe war und somit auch das Sprechen übernahm.
„Ein Werwolf? Hier in Amerika?", wiederholte Agnes und riss erschrocken die Augen auf, „Das ist schrecklich! Darling, ich habe gedacht, hier gäbe es keine Werwölfe!"
„Davon bin ich auch ausgegangen, Darling", bestätigte Sirius ebenso künstlich schockiert, „In der Broschüre stand eindeutig, dass es hier keine Werwölfe geben würde! Ich werde einen Beschwerdebrief an diese Organisation schicken!"
„Aber vergiss nicht, ihnen zu schreiben, wie wundervoll das Hotel gewesen ist, in dem wir übernachtet haben!", erinnerte Agnes ihn, „Es ist wichtig, sie nicht nur auf ihre Fehler aufmerksam zu machen!"
„Natürlich, Darling – so etwas vergesse ich doch nicht!", bemerkte Sirius empört, bevor er wieder mit der Frau von MACUSA sprach, „Es ist schrecklich, dass Sie einem Werwolf hinterherjagen müssen, aber was hat das mit uns zu tun, wenn Sie die Frage erlauben?"
„Sei nicht so unhöflich mit der Frau, Darling!", tadelte Agnes ihn streng, „Sie macht doch nur ihren Job!"
„Schluss damit!", befahl die Frau laut und Agnes und Sirius sahen sie empört an.
„Entschuldigen Sie uns, Madam, aber das ist kein Grund, unhöflich zu werden!", tadelte Sirius sie, „Wir haben absolut nichts verbrochen! Es ist schrecklich – Amerikaner haben einfach keinen Sinn für Höflichkeit!"
„Hat Ihnen Ihre Mutter keine Manieren beigebracht!", stimmte Agnes ihm zu, „Sie bedrohen uns und werfen uns etwas vor, von dem wir nichts wissen! Wie können Sie es wagen, Madam!"
Die Frau von MACUSA seufzte müde. „Dafür sind wir nicht ausgebildet worden", murmelte sie.
„Wofür?", fragte Agnes grinsend und fiel einen Moment lang aus ihrer Rolle, „Mit Engländern zu sprechen?"
„Genug von diesem Unsinn!", befahl sie gereizt, „Wir wissen, dass Sie ein Werwolf sind!"
„Du bist ein Werwolf, Darling?", fragte Agnes erschrocken und wandte sich an Sirius.
Dieser riss ebenso überrascht die Augen auf und schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht, Darling – das hätte ich dir erzählt!"
„Nicht er – Sie!", brüllte die Frau nun und zeigte auf Agnes.
„Senken Sie Ihre Stimme, Madam!", bat Sirius sie ruhig, „Und hören Sie auf, mit dem Finger auf Leute zu zeigen – das ist alles andere als höflich!"
„Ich soll ein Werwolf sein?", fragte Agnes unschuldig, „Madam, ich denke, davon wüsste ich."
„Oh, da wäre ich nicht so sicher", bemerkte Sirius und musterte Agnes, „Einmal im Monat bist du schon ziemlich launisch."
„Ich zeige dir gleich, wie eine launische Agnes aussieht", zischte Agnes leise, dass nur Sirius ihre Drohung hören konnte, bevor sie die Frau von MACUSA wieder lächelnd ansah, „Madam, ich denke, da liegt ein Missverständnis vor. Ich bin doch kein Werwolf!"
„Natürlich ist sie kein Werwolf!", bestimmte Sirius, „Außer natürlich, „Werwolf" bedeutet hier in Amerika etwas anderes, als bei uns zu Hause... würden Sie das näher erläutern, Madam?"
„Ein Wesen, das sich zu jedem Vollmond in ein schreckliches Biest verwandelt, das Menschen umbringt", zischte die Frau wütend.
„Oh, dann hat es ja doch dieselbe Bedeutung!", fiel Sirius heiter auf und musterte Agnes nachdenklich, bevor er wieder den Kopf schüttelte, „Nein, sie ist kein Werwolf. Ich wüsste das! Du hättest mir doch davon erzählt, oder nicht, Darling?"
„Natürlich, Darling!", Agnes lächelte Sirius zuckersüß an, „Ich habe keine Geheimnisse vor dir!"
„Leider", murmelte Sirius leise, „Ein paar Anblicke würde ich lieber aus meinem Gedächtnis löschen..."
„Halt die Klappe", zischte Agnes, bevor sie die Frau von MACUSA wieder anlächelte, „Nachdem wir jetzt geklärt haben, dass das alles nur ein Missverständnis ist – wir müssen jetzt unseren Flieger erwischen, aber es war uns eine Freude –"
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