114. Kapitel
Agnes holte Bartolomäus wieder bei der Universität ab, aber dieses Mal thronte Dorothy auf ihren Schultern und ihr Schweif ringelte sich wie ein Schal um Agnes' dürren Hals und zu ihren Füßen saß Sirius und hechelte vor sich hin, den Schwanz fröhlich hin und her wedelnd. Agnes wusste nicht, warum Sirius so gut gelaunt war oder ob seine Hundeform eine ganz andere Körpersprache hatte, als Sirius eigentlich hätte, aber sie hinterfragte es nicht lange.
Die Studenten verließen schon das Gebäude und einige warfen der seltsamen Gruppe fragende Blicke zu, aber Agnes behauptete von sich, schon beinahe eine Meisterin darin zu sein, solche Blicke einfach zu ignorieren.
Bartolomäus kam erst eine Viertel Stunde später aus dem Gebäude und lächelte Agnes entschuldigend an.
„Entschuldigen Sie mich, ich habe noch –", begann er, aber Agnes unterbrach ihn schnell.
„Sind Sie nicht Amerikaner?", fragte sie ihn überrascht.
Bartolomäus stockte und musterte Agnes, als würde er herausfinden wollen, ob das eine Fangfrage war. „Ja?", seine Antwort klang eher wie eine Frage, als eine Tatsache, „Ich bin, genauer gesagt aus Washington aus einer kleinen Stadt –"
„Ich habe gedacht, Amerikaner würden sich immer über die englische Höflichkeit lustig machen", erklärte Agnes grinsend, „Sie müssen sich doch nicht entschuldigen, obwohl Sie nicht einmal wirklich zu spät gekommen sind... immerhin haben wir nie eine fixe Uhrzeit ausgemacht, oder?"
Bartolomäus öffnete den Mund, um etwas darauf zu erwidern, schloss ihn aber wieder und nickte. „Ja, das höre ich oft – entschul–"
„Siehst du, Sirius", Agnes wandte sich grinsend zu dem Hund zu ihren Füßen, „Ich habe doch erzählt, dass er genau wie Remus ist – nur amerikanisch."
Bartolomäus musterte Sirius, der ihn fröhlich anhechelte und mit dem Schwanz wedelte. Dann blickte er zu Dorothy um Agnes' Hals, die ihre Augen halb geschlossen hatte und man aus ihrem Blick nicht genau sagen konnte, ob sie Bartolomäus als ihre nächste Beute sah, oder einfach beinahe einschlief.
„Ich vermute, dass ist Ihre Katze?", fragte Bartolomäus das Offensichtliche und wandte seinen Blick wieder dem Hund am Boden zu, „Dann muss das der Massenmörder sein."
„Das haben Sie sehr gut kombiniert", bemerkte Agnes sarkastisch, „Ist das Haus in der Nähe?"
„Am anderen Ende der Stadt", gestand Bartolomäus, „Ich habe mein Auto –"
„Wir apparieren", bestimmte Agnes und zog Bartolomäus am Arm mit sich mit, „Das geht schneller und ich hasse enge Räume."
„Sie hasst enge Räume wirklich", wiederholte Sirius plötzlich direkt hinter ihnen und Bartolomäus schrie erschrocken auf und wirbelte herum. Dort war nicht mehr der riesige, schwarze Hund, der ihnen gefolgt war, sondern ein Mann, der Bartolomäus irgendwie bekannt vorkam.
„Was zum –", stammelte Bartolomäus und sah zu Agnes, die überhaupt nicht überrascht davon schien, dass ihr Hund auf einmal ein Mensch war und sie blieb nicht einmal stehen und gestattete Bartolomäus auch nicht, stehen zu bleiben und zog ihn weiter.
„Darf ich Ihnen Sirius Black vorstellen", sagte Agnes unterm Gehen.
„Sirius Black", wiederholte Bartolomäus, „Ich habe von Ihnen gehört, Sie –"
„Ich bin ein gesuchter Verbrecher gewesen, ja, aber ich bin immer unschuldig gewesen", unterbrach Sirius ihn.
„Warum unterbrecht ihr beide mich die ganze Zeit?", beschwerte Bartolomäus sich, als Agnes sie in einen Hauseingang führte, in dem sie niemand beobachten konnte, wenn sie apparierten.
„Muss an der Familie liegen", überlegte Agnes, „Sirius, die Karte."
Sirius zog aus seiner Manteltasche eine Karte des Straßennetzes von New York hervor – es war eine herausgerissene Seite eines Buches und das erkannte Bartolomäus sofort.
„Bitte sagt nicht, dass ihr ein Buch aus der Bücherei zerstört habt", seufzte er, „Ann wird euch umbringen."
„Sie wird niemals erfahren, dass wir es gewesen sind, denn bis dieses Buch das nächste Mal wieder jemand in die Hände nimmt, sind wir alle schon längst tot", beruhigte Agnes ihn, „Also... wo ist es?"
Bartolomäus sah sie noch einen Moment lang vorwurfsvoll an, bevor er auf die Karte zeigte. „Hier in Brooklyn", sagte er.
Agnes untersuchte einen Moment lang die Karte und nickte dann. „Perfekt – dann apparieren wir."
Sirius nahm ohne zu zögern ihre ausgestreckte Hand, aber Bartolomäus zögerte noch einen Moment.
„Ich bin noch nie appariert", gestand er nervös.
„Es wird schrecklich werden", versicherte Agnes ihm tonlos, „aber wenn Sie uns begleiten wollen, dann werden Sie es wohl durchstehen müssen."
„Sie müssen meine Cousine entschuldigen – sie hat jeglichen Respekt vor den Wünschen anderer verloren", bemerkte Sirius und lächelte Bartolomäus entschuldigend an.
„Wir können natürlich auch zu Fuß gehen", konterte Agnes sarkastisch, „aber dann muss ich dich wohl an die Leine nehmen, Sirius, denn ein freilaufender Hund wird nicht gern gesehen."
Sirius sah sie finster an. „Okay, dann müssen wir apparieren. Entschuldigen Sie, Barto, aber ich respektiere Ihre Wünsche jetzt auch nicht mehr."
Bartolomäus seufzte, bevor er Agnes' Hand nahm und sofort disapparierten sie und tauchten auf einem Dach eines Hauses wieder auf.
Sirius rutschte beinahe das schräge Dach hinunter, aber Agnes packte ihn schon beinahe gelangweilt am Kragen und zog ihn wieder hinauf, während Bartolomäus sich noch immer von den Folgen von Apparieren erholte und Agnes sich noch nicht sicher war, ob er sich übergeben würde.
Dorothy auf Agnes' Schultern hingegen war apparieren schon gewohnt und krallte sich in Agnes' Mantel und schnurrte zufrieden. Sie war schon lange nicht mehr von der sprunghaften Reise ihrer Freundin beeindruckt.
„Ist das hier die richtige Straße?", fragte sie den vornübergebeugten Mann neben sich und Bartolomäus sah sich um, bevor er nickte – er sah noch immer etwas bleich um die Nase aus, aber es schien ihm besser zu gehen.
Da packte Agnes aber Sirius und Bartolomäus wieder und apparierte mit ihnen das Dach hinunter und in eine nahegelegene Gasse zwischen zwei Häusern und dieses Mal konnte Bartolomäus seinen Mageninhalt nicht in sich behalten und übergab sich.
„Man gewöhnt sich irgendwann daran", versprach Sirius ihm und schien wohl einen Moment lang zu überlegen, ob er seine Hand auf Bartolomäus' Schulter legen sollte, schien dann aber doch zu angeekelt davon und ließ es lieber.
Bartolomäus wischte sich mit einem Taschentuch den Mund ab und spuckte noch einmal auf den Boden. „Bitte machen Sie das nie wieder", bat er Agnes.
„Wo ist das Haus?", fragte Agnes nur und Bartolomäus seufzte, bevor er sie aus der Gasse hinausführte und die Straße hinunter.
Agnes erkannte die Häuser zu ihrer Überraschung nicht. Die Gegend kam ihr überhaupt nicht bekannt vor und die Straße war ihr fremd. Dabei war sie schon sechs Jahre alt gewesen, als sie das letzte Mal hier gewesen war und sie konnte sich an viele andere Dinge in ihrem Leben erinnern, die viel früher passiert waren.
„Da vorne – dieses Haus", sagte Bartolomäus und zeigte auf ein Haus nicht weit von ihnen entfernt.
Selbst, wenn Bartolomäus es nicht gesagt hätte, hätte Agnes vermutet, dass das das Haus war, das sie suchten. Die Türen und Fenster waren versiegelt, obwohl es so aussah, als wäre es schon lange her gewesen, seit die Polizei das gelbe Polizeiband angebracht hatte und an manchen Stellen hatte es sich schon abgelöst.
Als Agnes das ehemaligen Anwesend der Tripes in England gesehen hatte, war ihr schnell aufgefallen, dass Vandalen einiges zerstört hatten, aber dieses Haus schien nicht einmal angerührt worden zu sein. Die Farbe blätterte ab und man sah am ungepflegten Garten und den dreckigen Fenstern, dass es unbewohnt war, aber es gab kein Graffiti, keine eingeschlagenen Fenster und es schien niemand auch nur in die Nähe des Hauses gekommen zu sein, als hätte man zu viel Respekt davor oder zu viel Angst.
„Glaubst du, es gibt Schutzzauber?", fragte Agnes an Sirius gerichtet, der sie unbeeindruckt ansah.
„Die Frage ist, welcher Zauber nicht darauf liegt", bemerkte er, „Wir reden hier von Agnolia – bestimmt hat sie so ziemlich jeden Fluch an diesem Haus benutzt, den die Zauberergemeinschaft jemals gehört hat – sie ist die Königin der unbekannten, vergessenen Flüche... außerdem hat MACUSA das Haus bestimmt für Muggel abgeriegelt."
Agnes seufzte und zückte ihren Zauberstab, sah sich paranoid um, aber niemand sonst befand sich auf der Straße, das bedeutete aber nicht, dass sie nicht trotzdem beobachtet wurden.
„Wir hätten in der Nacht kommen sollen", seufzte sie, „die Dunkelheit hätte uns etwas Deckung verschafft." Trotzdem hob sie ihren Zauberstab in die Luft und begann einen leisen Sprechgesang. Mit diesem Zauber sollte sie eigentlich jegliche Schutzzauber aufspüren, die sich in der Nähe befanden, aber die Ergebnisse waren enttäuschend und Agnes ließ ihren Zauberstab verwirrt wieder sinken.
„Nichts", bemerkte sie und runzelte die Stirn, „Kein einziger Zauber... kein Schutz... warum ist dann niemand hier gewesen?"
„Vielleicht haben sie einfach Angst", schlug Bartolomäus vor.
„Auf der ganzen Welt gibt es Geisterhäuser und verfluchte Orte, aber trotzdem gibt es immer Muggel, die dumm genug sind, dorthin zu gehen, nur um einen Adrenalin-Kick zu bekommen", schnaubte Agnes, „Warum dieses Haus nicht?"
„Es gibt nur eine Möglichkeit, um das herauszufinden", bemerkte Sirius schulternzuckend, „Wir gehen hinein."
Agnes zögerte nur einen Moment lang, bevor sie nickte. „Okay."
„Wie bitte?", fragte Bartolomäus überrascht, „Haben wir uns nicht erst kurz zuvor darauf geeinigt, dass ganz sicher ein Fluch auf diesem Gebäude liegt?"
„Bartolomäus, es gibt einen Moment im Leben, in dem man einfach immer vom schlimmsten ausgeht und trotzdem direkt in eine offensichtliche Falle geht", bemerkte Agnes müde, „Natürlich denke ich, dass das Haus verflucht ist, aber gleichzeitig... ist es mir einfach egal..."
„Wir legen uns einen gesunden Menschenverstand zu, sobald der Krieg vorbei ist", versprach Sirius, „Bis dahin machen wir verrückte Dinge, führen Selbstmordaktionen aus und folgen Konnies Plänen... und diese Pläne beziehen die ersten beiden Punkte immer ein..."
„Sie können gerne hier warten", schlug Agnes vor, wartete aber nicht auf eine Antwort, schon schritt direkt zum Haus.
Sirius folgte ihr sofort, aber Bartolomäus blieb noch einen Moment lang auf der Stelle stehen, bevor er seufzte und den beiden doch folgte.
Agnes durchtrennte das Polizeiband mit einem einfachen Zauber und trat die Tür ein – wortwörtlich, denn das Schloss war so zugerostet, dass sich die Klinke nicht mehr bewegen ließ und sie es deswegen mit einem Stück Holz heraustrat.
Das Haus sah nicht so aus, als wäre es verlassen. Kein Staub wurde aufgewirbelt und die Oberflächen sahen auf den ersten Blick sauber und schmutzfrei aus. Wohnte hier doch noch jemand und putzte? Es sah noch genauso aus, wie Agnes in Erinnerung hatte. Während die Erinnerungen an die Straße verschwunden waren, kamen die des Hauses zurück, als sie es betrat. Ein finsterer Gang ohne Fenster führte zu einer Treppe und zu einigen Türen an beiden Seiten. Agnes konnte sich noch genau erinnern – dort müsste die Küche sein, da das Wohnzimmer und oben – oben waren die Schlafzimmer gewesen. Agnes' Zimmer und das von Agnolia, in dem Agnes die Hauselfe Winnie umgebracht hatte. Es war ihr erster Mord gewesen, aber sie konnte sich an keinen anderen so genau erinnern, wie an diesen, obwohl das schon Jahre her war.
Sie erinnerte sich noch daran, wie traurig sie gewesen war, wie Agnolia keinerlei Mitgefühl für ihre Tochter gehabt hatte... wie Winnie im Tod gelächelt hatte. Sie war noch in dieser Nacht weggelaufen und war seitdem nicht zurückgekehrt und es war so viel passiert. So viel, dass ihre Kindheit schon beinahe wie ein Vergnügungspark wirkte im Gegensatz zu den Qualen, die sie seitdem erfahren hatte.
„So sauber...", bemerkte Bartolomäus, als er hinter Agnes das Gebäude betrat und er sich misstrauisch umsah, „Wohnt hier jemand?"
„Geht es dir gut, Agnes?", fragte Sirius sie besorgt. Agnes war bleich und starrte einfach nur in das Haus hinein, als alle Erinnerungen an die furchtbare Zeit dort zurückkamen.
„Ich muss nach oben", bestimmte Agnes sicher und ohne auf ihre beiden Begleiter zu warten, ging sie zu den Treppen, die nicht einmal knarzten, als sie nach oben rannte. Agnolia hatte knarzende Treppen immer gehasst und Winnie immer bestraft, wenn es eine doch getan hatte. Winnie hatte mit Magie immer dafür gesorgt, dass keine einzige Treppe knarzte oder ein Geräusch von sich gab.
„Agnes, warte!", rief Sirius ihr hinterher, aber Agnes wartete nicht. Im oberen Stockwerk ignorierte Agnes die Tür, die in ihr ehemaliges Zimmer führte und eilte stattdessen zur Tür, die in Agnolias Zimmer führte, aber kurz davor stockte sie.
Sirius und Bartolomäus holten sie ein, wie Agnes an ihren Schritten hörte und sie näherten sich ebenfalls vorsichtig der Tür, als sie Agnes erstarrt davor sahen.
„Agnes?", fragte Sirius sie besorgt.
Agnes wollte einfach die Tür eintreten, aber sie konnte nicht. Sie hatte es anders gelernt und selbst nach all den Jahren konnte sie sich noch immer an die Strafen erinnern, die ihre Mutter für jene gehabt hatte, die ohne zu klopfen in ihr Zimmer gekommen waren.
Agnes hob ihre Hand und mit zitternden Händen klopfte sie, aber natürlich bekam sie keine Antwort – Agnolia war nicht da, um sie ins Zimmer zu beten. Agnes wollte die Tür einfach öffnen, aber sie konnte es einfach psychisch nicht.
„Sirius", sagte Agnes so leise, dass Sirius sie kaum verstehen konnte, „Kannst du... die Tür öffnen?"
„Ist sie verflucht?", fragte Bartolomäus nervös, aber Sirius stellte keine Fragen und schien zu verstehen, als er an Agnes vorbeigriff und die Klinke hinunterdrückte.
Die Tür schwang auf und Agnes hielt den Atem an, seufzte aber, als sie keinen Leichnam am Boden sah.
Schon beinahe hatte sie erwartet, am Boden noch immer Winnie ohne ihren Kopf zu sehen, aber jegliche Anzeichen des Mordes waren verschwunden. Keine Leiche am Boden, kein Blut und keine Spuren, dass hier ein Mord passiert war.
Agnes trat vorsichtig ein und vermied es, sich genauer umzusehen – alles hier erinnerte sie an ihre Mutter – aber trotzdem wurde ihr Blick auf etwas am Boden eingefangen.
Es war ein Schwert – silbern mit einem goldenen Griff und edel verziert. Das Familienerbstück der Tripes, aber es war zerstört. Zerbrochen in einzelne Teile lag es einfach am Boden und Agnes wusste nicht genau, ob sie das schrecklich fand oder beruhigend.
Agnes ging vorsichtig darauf zu und ihre Absätze klackten bei jedem Schritt. Der Boden war sauber, aber selbst, wenn er es nicht gewesen wäre, hätte Agnes sich trotzdem hingekniet, als sie das zerstörte Schwert untersuchte und vorsichtig nach dem goldenen Griff griff, an dem noch ein Stück des Schwertes hing. Spitz zulaufend und noch immer scharf war es wohl immer noch so gefährlich, wie in seiner vollen Form.
Aber plötzlich wurde Agnes von einer ihr nur allzu bekannten Stimme überrascht und sie wirbelte herum, erschrocken und erleichtert zugleich.
„Die junge Herrin ist zurückgekehrt!"
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