112. Kapitel

Amerika war nicht wie England. Natürlich war es nicht wie England, aber Agnes hätte es lieber gehabt, wenn es doch ein bisschen mehr wie ihr zu Hause gewesen wäre – dann hätte sie sich vielleicht nicht ganz so weit weg von ihrer Heimat gefühlt.

Stattdessen fuhr ein Taxi-Fahrer sie nach New York und die Häuser wurden gigantisch und die Straßen laut.

„Das erste Mal in New York?", fragte der Mann sie, als Agnes mit großen Augen aus dem Fenster sah. Sirius saß direkt neben ihr und Dorothy lag bei ihm und schlief ruhig. Der Taxifahrer hatte sich zwar zuerst beschwert, dass ein Hund mitfahren sollte, aber dann hatte Sirius seinen „Charme" als Hund spielen lassen und der Fahrer hatte zugestimmt, ihn ebenfalls mitzunehmen.

„Nein, aber es ist schon so lange her, dass ich mich gar nicht mehr daran erinnern kann", antwortete Agnes ihm gedankenverloren.

Das Taxi ließ Agnes und Sirius ziemlich im Stadtzentrum heraus – dort, wo man auch das berühmte Empire State Building ansehen konnte. Agnes bezahlte den Fahrer, bevor sie mit ihrer Katze und Sirius einen Moment lang ratlos auf der Straße stand und nicht wusste, wohin sie gehen sollte, aber sie wollte auf der beschäftigten Straße auch nicht zu lange einfach stehenbleiben und schnell bog sie in eine Straße ein. In einem Hauseingang verwandelte sich Sirius wieder in einen Menschen und wirkte selbst etwas verloren.

„Ich habe mir das alles irgendwie anders vorgestellt", gestand er, „Warum ist hier alles so groß und laut und schnell?"

„Ich denke, das ist eben Amerika", Agnes zuckte mit den Schultern, „Ich habe einen Plan – vorerst."

„Wir sollten vermutlich zuerst irgendwie herausfinden, wo sich das Haus aus deiner Kindheit genau befindet", schlug Sirius vor, „Vielleicht in einer Bibliothek oder einem Archiv oder –"

„Wir essen jetzt erst einmal etwas", schlug Agnes vor und Sirius verstummte, bevor er ihr nickend zustimmte.

Sie fanden ein Café und betraten es, wobei sie sich zuerst vorsichtig umsahen, ob sie jemand erkennen würde, aber es schienen alles Muggel zu sein, die schwatzend und essend sich nicht um sie kümmerte.

„Ein Tisch für zwei?", fragte eine Kellnerin sie direkt beim Eingang.

„Ja, bitte", brachte Agnes irgendwie heraus und lächelnd führte die Kellenrin sie zu einem Fensterplatz und legte vor ihnen zwei Speisekarten auf den Tisch, als ihr wohl auffiel, dass das schwarze Fell, das um Agnes' Schultern lag kein Mantel oder Schal war, sondern tatsächlich eine lebendige Katze.

„Miss, Haustiere sind hier nicht erlaubt", bemerkte die Kellnerin perplex, als hätte sie noch nie einen Gast mit einer Katze auf der Schulter gesehen. Das hatte sie vermutlich auch nicht.

„Das ist kein Haustier", bemerkte Agnes nur trocken, „Das ist Dorothy."

Die Kellnerin blinzelte – einmal – zweimal – bevor sie wieder lächelte und seufzte. „Natürlich, Miss. Wissen Sie schon, was ich Ihnen bringen kann oder wollen Sie zuerst noch in unserer Speisekarte nachsehen?"

„Wir überlegen es uns noch", bestimmte Sirius, „Danke."

Die Kellnerin lächelte noch einmal, bevor sie die beiden mit Dorothy allein ließ und Agnes schnappte sich sofort die Speisekarte.

„Glaubst du, der Tee hier in Amerika ist trinkbar?", fragte Agnes gedankenverloren, als ihre Augen über die spärliche Auswahl an Tee-Sorten huschten.

„Vermutlich nicht", bemerkte Sirius, „Aber ich habe gehört, in Amerika ist auch der Kaffee nicht sonderlich gut... Vermutlich kann man hier absolut gar nichts trinken... hast du gehört, wie die Kellnerin gesprochen hat? Dieser Akzent ist wirklich lächerlich!"

„Kommt nicht Konstantins Familie auch aus Amerika?", fragte Agnes und blickte über ihre Karte hinweg zu Sirius, der etwas rot wurde, aber trotzdem noch grinste.

„Sein Vater ist aus Amerika", bestätigte er, „aber seine Mutter ist Russin – und er hat eindeutig mehr von der russischen Seite geerbt, als von seinem Vater."

„Trotzdem... hast du seinen Vater schon kennengelernt?", fragte Agnes grinsend über den Tisch hinweg.

Sirius wurde noch roter. „Nein, das hat sich bisher noch nicht ergeben... immerhin bin ich jetzt schon einige Zeit angeblich tot und davor war ich im Grimmaultplatz eingesperrt, solltest du dich nicht mehr daran erinnern."

Agnes faltete ihre Speisekarte wieder zusammen und legte sie auf den Tisch. „Ich glaube, ich riskiere es und nehme einen Earl Grey. Ich brauche jetzt einen Tee."

„Dann nehme ich einen Kaffee und hoffe, dass ich es überlebe", bemerkte Sirius und tat es Agnes gleich.

Kurz darauf kam auch schon die Kellnerin zurück und sie bestellten auch noch jeweils Frühstück, Agnes ein englisches Frühstück – in England ist es einfach nur „Frühstück" gewesen, deswegen kicherte Sirius amüsiert, während Sirius die Pancakes probieren wollte.

Das Essen kam und natürlich war der Tee nicht so gut, wie Agnes ihn sich gewünscht hatte, aber sie hatte schon schlimmeres getrunken. Das englische Frühstück war ganz gut und Agnes ließ Dorothy von ihren Würstchen essen.

„Wie willst du das Haus finden?", fragte Sirius sie unterm Essen. Er schien nicht ganz so begeistert von seinen Pancakes zu sein, aber er hatte ebenfalls Hunger und aß sie deswegen trotzdem.

„Ich weiß noch, dass es etwas außerhalb von New York gewesen ist", erinnerte sich Agnes, „Ich bin nach New York gekommen, als ich weggerannt bin."

„Könntest du den Weg zurückfinden?", fragte Sirius hoffnungsvoll, aber Agnes schüttelte den Kopf.

„Ich habe New York selbst kaum wiedererkannt. Ich kann mich an vieles meiner Kindheit erinnern, aber ich bin damals nur sechs Jahre alt gewesen und dazu noch traumatisiert. Ich weiß nicht einmal mehr, wie ich nach New York selbst gekommen bin..."

„Du hast mir nie erzählt, wie du das überhaupt geschafft hast", bemerkte Sirius interessiert.

„Das habe ich noch nie jemanden erzählt", konterte Agnes, „Ein Zauberer verrät seine Tricks nicht."

„Du bist aber eine Hexe", erinnerte Sirius sie grinsend, „Wie hast du es also geschafft, alleine als kleines Kind von Amerika nach England zu kommen?"

Kurz blickte Agnes in die Ferne, als wäre sie tief in Gedanken versunken, bevor sich ihr Blick wieder auf Sirius fixierte. „Ich habe ein Schiff genommen", Agnes zuckte gleichgültig mit den Schultern, „Ich habe mich an Bord geschlichen und habe mich zwischen einigen Kisten versteckt. Im Müll habe ich Essen gefunden und in der Nacht bin ich raus und habe ein paar Flaschen Wasser mitgehen lassen. Die Muggel haben mich nicht einmal bemerkt."

„Ganz allein über die halbe Welt", staunte Sirius ernsthaft beeindruckt, „Das habe ich nicht einmal als Erwachsener geschafft."

„Damals ist es mir egal gewesen, ob mich jemand verdächtigt oder findet", gestand Agnes, „ich wollte nur so weit weg von meiner Mutter, wie möglich."

„Dann bist du in England gewesen", vermutete Sirius, „sie haben dich dort doch noch gefunden?"

„Ich weiß nicht einmal, wie", gestand Agnes, „aber als das Schiff angelegt hat und ich mich wieder ungesehen herunterschleichen konnte, hat Kingsley schon auf mich gewartet."

„Kingsley Shacklebolt?", wiederholte Sirius überrascht, „Warum genau er?"

„Er ist schon damals Auror gewesen und das Ministerium hat von Dumbledore einen Tipp bekommen, dass ich ankommen würde. Das habe ich natürlich erst später von Kingsley erfahren. Ich weiß auch nicht, wie Dumbledore es gewusst hat, aber ich vermute, dieser Mann hat einfach alles gewusst."

„Eigentlich ziemlich gruselig", bemerkte Sirius, „und dann ab ins Waisenhaus..."

Agnes nickte nur und trank einen Schluck ihres Tees. Kingsley hatte sie direkt ins Waisenhaus gebracht mit dem Versprechen, dass wieder jemand kommen würde, um mit ihr zu sprechen. Scheinbar hatte Dumbledore selbst aufgetragen, sie in dieses ganz spezielle Waisenhaus zu bringen – ein Muggel-Waisenhaus, obwohl es nach dem Krieg auch eines für Zauberer und Hexen gegeben hätte. Aber Agnes war das nur Recht gewesen – die einzige, Hexen und Zauberer, die sie bis zu diesem Zeitpunkt kennengelernt hatte, waren nicht sonderlich freundlich zu ihr gewesen. Natürlich hatte sie dann jahrelang erfahren, dass Muggel auch nicht sonderlich besser waren. Eigentlich war in dieser Zeit so ziemlich jeder auf der Welt in Agnes' Augen nicht lebenswürdig gewesen. Sie war von sich selbst überrascht, wie sehr sich diese Weltanschauung verändert hatte.

Niemand, außer Kingsley. Kingsley, der sogar ihr Leben gerettet hatte.

Es war nur wenige Wochen gewesen, nachdem Agnes im Waisenhaus gelandet war. Sie hatte ein eigenes, kleines Zimmer gehabt – hauptsächlich weil sich keines der anderen Kinder ein Zimmer mit ihr teilen wollte. Agnes war zu dieser Zeit für andere gruselig gewesen – das wusste sie, weil genau das ihr Ziel gewesen war.

Sie hatte ihre Mutter kopiert und hatte bemerkt, dass es funktionierte – jeder hatte sie in Ruhe gelassen. Sie hatte nur Ruhe gebraucht und es war nur praktisch für sie gewesen, wenn niemand bemerkt hatte, dass sie bis spät in der Nacht immer nur in ihrem Bett gelegen hatte und auf die Decke gestarrt hatte, wenn sie an das letzte Lächeln der Hauselfe Winnie gedacht hatte.

Aber natürlich hatte sie keine vollkommene Ruhe gehabt und selbst im Waisenhaus hatte Agnolie sie gefunden.

Natürlich nicht persönlich – sie war zu diesem Zeitpunkt schon gefunden und eingesperrt worden – aber ihre Nachwirkungen, die sie davor noch ausgelöst hatte, trafen Agnes.

Es war Agnes' Geburtstag gewesen. Nicht, dass sie jemals wirklich ihre Geburtstag gefeiert hatte. Sie hatten schon gefeiert, aber eben nicht ihre Geburt, sondern die Geburt des Dunklen Lords.

Kingsley hatte ihr einen Kuchen gebracht und Agnes hatte ihn gefragt, ob auch Nicht-Todesser den Geburtstag des Dunklen Lords feierten. Der junge Kingsley Shacklebolt hatte es dann als seine Pflicht angesehen, Agnes zu erklären, dass auch sie Geburtstag hatte und sie gefeiert werden sollte. Er hatte den Kuchen für sie gebracht, damit sie sich freute.

Agnes hatte das in diesem Moment noch nicht verstanden – erst, nachdem sie Geburtstage von anderen Kindern im Waisenhaus mitbekommen hatte, hatte sie gelernt, wie man Geburtstag feierte.

Kingsley hatte den Tag mit ihr verbracht und das hatte Agnes verwirrt, aber Kingsley war nett gewesen und obwohl sie sich ihm natürlich nicht wirklich geöffnet hatte, so hatte sie insgeheim seine Anwesenheit genossen.

Kingsley war nur kurz auf die Toilette gegangen, als ein großer, schwarzer Uhu durch ihr Fenster geflogen war. Agnes war sofort begeistert aufgesprungen – Eulen bedeuteten Post und dieser Vogel war besonders schön.

Agnes war zu ihm gegangen und hatte in seinen Klauen eine Blume gesehen – eine schwarze Rose.

Kingsley war in ihr Zimmer gestürmt, als er ihre Schreie gehört hatte und hatte zuerst nicht verstanden, warum Agnes Schmerzen hatte, als er die schwarze Blume in ihrer rechten Hand gesehen hatte. Der Uhu war aus dem Zimmer geflogen, aber er hatte seine Aufgabe erledigt.

Kingsley hatte Agnes das Leben gerettet, indem er ihr mit ihrer Decke die Blume aus der Hand gerissen hatte, aber die Folgen waren schon zu sehen.

Hässliche, schwarze Narben, die ihren ganzen rechten Arm bedeckten und die niemals verschwinden würden.

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