107. Kapitel
„Die beiden haben es wohl wirklich geschafft", bemerkte Sirius überrascht und blickte an dem Gebäude in der Winkelgasse auf. Für Agnes war er schon ein ganz normaler Anblick geworden, aber doch, als sie ihn wiedersah, spürte sie einen kleinen Stich der Nostalgie, als sie sich daran erinnerte, dass sie selbst Teil von diesem Laden geworden war, als Fred ihr diese schreckliche, magentafarbene Jacke gegeben hatte.
Agnes hasste Magenta, aber es war schön gewesen, Teil von diesem Chaos zu sein.
Weasleys zauberhafte Zauberscherze war wohl trotz dem Krieg und dem Chaos in der Zaubererwelt noch immer ein gut besuchter Laden und Agnes sah durch die Ladenfenster Kundschaft im Inneren.
Sirius und sie hatten sich in einer dunkleren Gasse versteckt und bemühten sich, dass sie niemand sah und erkannte, aber die meisten Passanten beeilten sich, schnell von der offenen Straße fort zu kommen und achteten nicht einmal auf sie.
Agnes hatte auch schon George entdeckt – mit einer magentafarbenen Jacke war er kaum zu übersehen – und selbst ohne dem fehlenden Ohr hätte sie ihn erkannt. Sie wusste immer ganz genau, welcher Zwilling wer war, auch ohne ihren Geruchssinn. Zum Glück hatte sie Fred noch nicht gesehen – sie wusste nicht genau, wie sie auf ihn reagieren würde.
„Als ich das letzte Mal von den beiden gehört habe, hat Molly sie verflucht und regelrecht angeschrien, weil sie die Schule geschmissen haben", erinnerte sich Sirius nachdenklich, „Zu diesem Zeitpunkt habe ich aber nicht erwartet, dass sie wirklich so erfolgreich werden würden."
„Das hat keiner gedacht", stimmte Agnes ihm zu, „Okay... bist du bereit?"
„Ich wollte schon immer bei den Zwillingen einbrechen", grinste Sirius nickend.
„Du hast dir schon einmal darüber Gedanken gemacht?", fragte Agnes verwirrt.
„Nö", grinste Sirius begeistert, „Mein Begriff für „immer" reicht nur eine halbe Stunde zurück."
„Ja dann...", Agnes wusste nicht, ob es eine gute Idee war, Sirius mitzunehmen, „Gehen wir..."
Agnes kannte das Gebäude gut und so wusste sie zufällig auch, dass man an den Fensterbänken am hinteren Teil des Gebäudes nur hoch genug springen musste, um dann beinahe wie an einer lebensgefährlichen Leiter hoch zu steigen.
Agnes machte für Sirius eine Räuberleiter und sah dabei zu, wie er mit viel Ächzen und Keuchen sich irgendwie mit einer Menge Hilfe von Agnes nach oben zog, er sich auf die unterste Fensterbank stellte, nach oben griff und sich dieses Prozedere wiederholte, aber dieses Mal ohne Agnes' Hilfe, sodass es noch länger dauerte, aber schließlich schaffte er es doch und sah stolz zu Agnes hinunter. Agnes ging selbst ein paar Meter zurück, nahm Anlauf und sprang dann aus eigener Kraft nach oben, bekam den Ansatz zu fassen und zog sich mit scheinbarer Leichtigkeit nach oben.
Sirius sah beinahe schon beleidigt zu ihr hinunter. „Angeberin", murmelte er, bevor er sich noch eine Fensterbank weiter hochstieg und Agnes folgte ihm.
Sie hielt sich mit einer Hand fest und öffnete mit dem Zauberstab in der anderen Hand das Fenster, sodass sie ins Innere kommen konnten – Agnes scheinbar vollkommen unbeeindruckt vom Aufstieg und Sirius verschwitzt und keuchend.
Agnes gab ihm aber nicht wirklich Zeit zum Verschnaufen, sondern schaute sich sofort um, aber niemand war da – die Wohnung von Fred und George war leer, nachdem die Zwillinge im Laden einen Stock darunter arbeiteten.
„Warum habe ich mir erwartet, dass die Wohnung vollkommen chaotisch sein wird?", fragte Sirius und sah sich um – tatsächlich waren in dem Raum, in den sie eingestiegen waren überall Kleidungsstücke am Boden verteilt und am vollgestellten Schreibtisch standen Reste von einem Abendessen oder Mittagessen. Aber es war ein Geruch in der Luft, der Agnes wieder nostalgisch werden ließ. Es war Freds Geruch – natürlich war es sein Geruch, immerhin war es sein Zimmer. Er war überall, aber doch war er nicht hier. Agnes wünschte sich, sie hätte keinen so guten Geruchssinn.
„Natürlich sieht es so aus – immerhin wohne ich in letzter Zeit nicht hier", erinnerte Agnes ihn.
„Bist du wirklich die Ordentlichste hier gewesen?", fragte Sirius überrascht.
„Natürlich nicht", schnaubte Agnes amüsiert, „Es würde noch schlimmer aussehen. Hilf mir einmal, meinen Rucksack zu suchen – er müsste hier irgendwo sein."
„Hier in diesem Chaos?", fragte Sirius ungläubig, „Wir hätten mehr Zeit einplanen sollen..."
Plötzlich hörte Agnes leise Schritte und horchte sofort alarmiert auf, aber dann bemerkte sie, wie seltsam die Schritte klangen – es waren keine menschlichen Schritte.
Und tatsächlich – kurz darauf erschien ein bekanntes Gesicht an der offenstehenden Tür und lugte vorsichtig in den Raum hinein.
Agnes stockte für den Moment und sah ihre älteste Freundin ungläubig an. Oh, ihr war gar nicht aufgefallen, wie sehr sie sie vermisst hatte.
„Dorothy", hauchte Agnes glücklich und kniete sich auf den Boden, breitete die Arme aus und hoffte, dass ihre Katze sie noch erkannte.
Dorothy sah sie einen Moment lang an, bevor sie schnell zu ihr huschte und Agnes direkt in die Arme sprang, als wäre sie keine Katze, sondern ein Mensch, der Agnes nach langer Zeit der Trennung wiedersah.
„Oh, deine Katze", bemerkte Sirius überrascht.
„Die beiden haben sich um dich gekümmert?", fragte Agnes an Dorothy gerichtet und erwartete natürlich keine Antwort, aber Dorothy schmiegte liebevoll ihren Kopf gegen Agnes' Gesicht, „Ich habe dich auch vermisst."
„Vielleicht kann sie uns helfen, deine Sachen zu suchen", schlug Sirius eher scherzhalber vor, aber Dorothy sah ihn mit ihren gelben Augen an, bevor sie aus Agnes' Armen sprang und schnell unter Freds Bett huschte. „Was ist?", fragte Sirius verwirrt, „Habe ich sie irgendwie beleidigt?"
„Dorothy?", fragte auch Agnes besorgt und bückte sich, um unters Bett zu sehen, „Ist alles in– oh!"
Agnes sah, was Dorothy ihnen zeigen wollte und streckte ihren Arm unters Bett und holte ihren Rucksack hervor – ihr Rucksack, der schon einiges mit ihr mitgemacht hatte, „Perfekt! Danke, Dorothy!"
Dorothy kam wieder aus ihrem Versteckt hervor und sprang elegant auf Agnes' Schultern, legte ihren Schweif um ihren Hals wie eine Federboa und krallte sich vielleicht ein bisschen schmerzvoll, aber doch liebevoll an ihrer „Besitzerin" fest. Agnes verdrehte ihren Arm, um Dorothys Kopf zu streicheln und stand mit ihrem Rucksack in der Hand auf.
„Okay, ich habe alles", bestimmte Agnes, nachdem sie ihren Rucksack schnell untersucht hatte, „Wir können geh–"
Sie verstummte, als sie hörte, wie die Wohnungstür aufgesperrt wurde und jemand die Wohnung betrat. Agnes sah Sirius alarmiert an, bevor sie stumm zum Fenster deutete und zum Glück verstand Sirius und beeilte sich, aus dem Fenster zu steigen.
Agnes nahm sich noch einen Moment Zeit und legte etwas auf Freds Bett, bevor sie Sirius schnell folgte, der ein bisschen Probleme damit hatte, wieder hinunter zu klettern und zum Schluss nicht gerade elegant hinunterfiel und auf dem Bauch landete.
„Autsch", hörte Agnes ihn leise ächzen, als sie selbst eindeutig eleganter neben ihm landete.
„Sei nicht so dramatisch – gehen wir", bestimmte sie eilig und mit Dorothy auf den Schultern und ihren Rucksack in der Hand verschwanden sie zusammen aus der Winkelgasse.
„Dorothy! Essen!", rief Fred laut in der leeren Wohnung und schüttete etwas Katzenfutter in Dorothys Schüssel. Es war Mittagszeit und die Katze schien immer Hunger zu haben, aber doch war sie nicht sofort zu ihm gelaufen, als er in die Wohnung zur normalen Zeit gekommen war.
„Dorothy?", rief er noch einmal und wurde ein bisschen nervös – wo war Dorothy? Sie kam doch immer sofort zu ihm, wenn es Essen gab. War ihr etwas passiert? Er hoffte nicht, immerhin war Dorothy eine gute Freundin von Agnes und er wollte sich um sie kümmern, als wäre Agnes selbst hier.
Mit der Futterschüssel in der Hand suchte Fred nach der Katze, aber sie schien wie vom Erdboden verschwunden. Als er in sein Zimmer blickte, erstarrte er. Sein Fenster stand offen – er ließ sein Fenster niemals offenstehen. Niemals.
Er stellte die Schüssel auf dem Boden ab und zückte seinen Zauberstab. Mit leisen Schritten betrat er sein Zimmer, aber dort war niemand. Warum war also sein Fenster offen? War jemand eingebrochen? Das würde wenig Sinn machen, immerhin waren alle eher wertvollen Gegenstände unten im Laden.
Sein Blick fiel auf sein Bett und da sah er es – eine violette Blume, die er sofort erkannte.
Wolfsbann.
Alarmier ließ er sich auf den Bauch fallen und sah unter sein Bett, aber wie er schon beinahe erwartet hatte, war Agnes' Rucksack verschwunden. Er war einfach weg.
Ungläubig stand Fred wieder auf und nahm vorsichtig die Blume in die Hand. War sie hier gewesen? War das ein Zeichen von Agnes? Oder wollte nur jemand alle Zeichen von ihr verschwinden lassen, als hätte es sie niemals gegeben? Nein, Fred war sich sicher – Agnes musste hier gewesen sein. Sie lebte – sie musste leben. Sie war irgendwo da draußen und atmete, lebte.
Tränen schossen Fred in die Augen und seine Knie gaben nach, während er sich an die Blume klammerte, als wäre sie sein Lebensfaden und er konnte nicht anders, als aufzuschluchzen – nicht aus Trauer, wie er es in letzter Zeit viel zu oft getan hatte, nein. Aus Freude. Aus Erleichterung. Agnes lebte – sie lebte wirklich. All die Geschichte, die er von den anderen über sie gehört hatte – sie stimmten alle. Sie war irgendwo da draußen.
„Fred?", hörte Fred George rufen – seine Stimme klang besorgt.
Kurz darauf kam George in sein Zimmer und sein Blick wurde weich, als er sah, dass sein Zwilling weinte. George hatte Fred in letzter Zeit viel zu oft weinen sehen.
„Oh, Fred", seufzte George und wollte seinen Bruder trösten, aber Fred hielt ihm nur mit einem verweinten Grinsen die Blume entgegen und wisperte: „Sie lebt."
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