103. Kapitel

„Okay, sind alle bereit?", fragte Konstantin in die Runde. Sie hatten sich in kleine Gruppen aufgeteilt, nachdem niemand riskieren wollte, mit so vielen Leuten auf einmal zu apparieren – es könnte jemand zersplintern.

Agnes war in einer Gruppe zusammen mit Duncan, Randy und Terry und Agnes würde diejenige sein, die sie alle nach Hogsmeade apparieren würde.

Es würden nicht alle vom Widerstand mitkommen – die meisten würden weiterhin außerhalb der Schule agieren und Angelina würde das Kommando übernehmen, nachdem Leanne zusammen mit Katie, Colin, Dennis, Parvati und Padma nach Hogwarts gehen würde, die sich auf drei weitere Gruppen aufgeteilt hatten.

„Ich denke, für so einen Wahnsinn kann man nie bereit sein", bemerkte Liza unschlüssig.

„Ich bin bereit", widersprach Agnes ihr, „aber ich bin auch wahnsinnig."

„Auf mein Kommando apparieren wir – wir treffen uns in der Gasse vom Eberkopf", erinnerte Konstantin sie noch einmal alle, „Also... eins – zwei – drei!"

Agnes apparierte und konzentrierte sich auf ihr Ziel und nur Momente darauf erschienen sie alle wieder in der Gasse und Agnes hörte neben sich die anderen drei Gruppen, als plötzlich ein lauter Schrei gellte.

Agnes drückte instinktiv die Hände auf die Ohren und auch die anderen sahen sich verwirrt um, aber keiner von ihnen wusste genau, was das gewesen war.

„Ein Alarm", zischte Konstantin warnend, „Sie haben tatsächlich einen Alarm aufgestellt – verdammte Todesser."

„Ein Alarm? Der war noch nicht da, als Agnes und ich hier appariert sind", gestand Sirius nervös.

„Sie müssen eine Ausgangssperre errichtet haben", vermutete Liza nachdenklich, „Ihr seid am Abend gekommen – jetzt ist es Nacht."

„Dann sollten wir lieber schnell von hier verschwinden", schlug Leanne vor, aber es war schon zu spät und Agnes hörte, wie sich Todesser näherten und sie warf Konstantin, dem Leiter dieser Operation einen warnenden Blick zu.

Er nickte ihr zu und signalisierte damit, dass er sie verstanden hatte, bevor er zu Liza blickte und die beiden schienen eine stumme Unterhaltung zu führen, wie Agnes es eigentlich nur von Fred und George kannte.

„Okay, kleine Planänderung", verkündete Konstantin und diese Worte allein lösten Unruhe in den Reihen auf, aber Konstantin blieb ruhig, „Liza und ich werden die Todesser ablenken und ihr geht nach Hogwarts."

„Was?", fragte Sirius und seine Stimme war eine Oktave höher, als normal, „Aber... Kon? Bist du sicher?"

„Wir trennen uns?", fragte Tia ebenfalls nervös.

„Wir treffen uns wieder", versprach Liza ihr.

„Wie sollen wir uns wiederfinden?", fragte Agnes und auch sie wirkte nach außen hin ruhig und gefasst, aber innerlich war sie angespannt – diese Planänderung war nicht das, was sie erwartet hatte.

„Ihr werdet uns schon finden", Konstantin grinste vielsagend, „Ihr solltet hier lieber verschwinden – los!"

Ohne auf weitere Fragen einzugehen, rannten Konstantin und Liza aus der Gasse raus.

„Schwesterherz, wie nennt man einen Todesser mit Hirn?", hörte man Konstantin provozierend laut fragen.

„Konstantin, das ist eine dämliche Frage", rief Liza ebenso auffällig laut, „Es gibt doch keine Todesser mit Hirn!"

Die beiden lachten, aber nicht lange.

„Hier sind sie! Ihnen nach!", rief ein Todesser und eine Gruppe von ihnen rannte an ihnen vorbei, ohne in die Gasse zu blicken, in denen sich ein ganzer Haufen Eindringlinge versteckte und die bestimmt gesehen worden wären.

„Sie sind tatsächlich auf diesen Trick hereingefallen", bemerkte Agnes überrascht, „Scheinbar gibt es wirklich keine Todesser mit Hirn."

„Wir sollten los", drängte Sirius sie weiter, „Kon und Liza können sie nicht ewig ablenken."

Die größere Gruppe schlich sich nun vorsichtig durch die Straßen, aber alle Todesser schienen hinter Liza und Kon her zu sein. Hin und wieder hörte man in der Ferne Geschrei Explosion und manchmal glaubte Agnes, Konstantin laut lachen zu hören, aber es war auch möglich, dass sie sich irrte. Vielleicht war das nur Wunschdenken, du wissen, dass es ihnen gutging.

Bei der Heulenden Hütte stemmte Sirius wieder das Fenster auf, das Agnes und Sirius erst vor zwei Tagen ebenfalls benutzt hatten und nacheinander kletterten sie alle hinein.

Agnes und Sirius hatten, nachdem Agnes sich wieder in einen Menschen verwandelt hatte, noch nachgeschaut, ob der Gang noch immer auf die Hogwartsgründe führte und sie waren erleichtert gewesen, als das tatsächlich noch der Fall gewesen war.

Einen Moment lang hatte Agnes wieder auf Hogwarts gesehen und hatte sich daran erinnert, dass das einmal ihr einziges zu Hause gewesen war, bevor sie schon wieder verschwinden mussten, bevor irgendjemand sie sehen konnte.

Dieses Mal führte Agnes sie alle durch den Gang nach draußen und als sie dieses Mal wieder auf die Fläche vor der Peitschenden Weide sich versammelten, würde ihr Weg sie weiterführen.

„Folgt mir", wisperte Agnes, als alle aus dem Gang draußen waren und sie führte die Gruppe an, nachdem ihr Gehör- und Geruchssinn der beste von ihnen war und sie einen entgegenkommenden Menschen am schnellsten bemerkt hätte, aber niemand kam ihnen entgegen. Es war mitten in der Nacht und bestimmt schliefen alle schon.

Sie kamen an Hagrids Hütte vorbei, blieben aber nicht dort, sondern wanderten weiter zum Schloss hoch und blieben dabei immer in den Schatten.

Nun kam ein schwieriger Teil – sie mussten irgendwie in das Schloss selbst hineinkommen.

Die Tore wurden immer zugesperrt und es gab auch nie Fenster, die offen standen, aber dafür hatte Konstantin einen Ausweg gefunden.

„Versteckt euch hier – Tia warnt euch, wenn jemand kommt", wisperte Agnes den anderen zu, während sie sich selbst auf ihre eigene kleine Mission begab.

Sie brauchte ein Fenster, das in einen Gang führte, der nicht allzu häufig begangen wurde und da war Tia als erstes das Mädchenklo im Zweiten Stock eingefallen, in dem die Maulende Myrte hauste und alle verschreckte, die dort aufs Klo gehen wollten.

Es war schwierig, die Toilette von draußen zu erkennen, aber Agnes hatte so viel Zeit im Schloss verbracht und war häufig in der Nacht durch die Gänge geschlichen, sodass sie den Innenplan in- und auswendig kannte. Zuerst suchte sie sich ein Fenster, von dem aus sie dann den Weg verfolgen konnte, wo sich ungefähr das Bad befinden musste und sie brauchte beunruhigend lange, aber schließlich glaubte sie, das Fenster gefunden zu haben.

Sie blickte hoch – es war nur im Zweiten Stock, aber die Räume in Hogwarts waren immer hoch und so lag auch der Zweite Stock sehr weit oben.

Aber die Wände von Hogwarts waren aus Stein – Ritzen dazwischen konnten Agnes Halt geben. Sie war nicht direkt dafür bekannt, eine gute Kletterin zu sein, aber sie hatte das eine oder andere gelernt, als sie beim Rudel in den Bergen gelebt hatte und sie war sehr stark und konnte ihr eigenes Körpergewicht mit Leichtigkeit halten.

Agnes trat ein paar Schritte zurück und atmete tief durch, bevor sie Anlauf nahm und sie hoch wie möglich nach oben sprang.

Sie suchte mit den Händen Halt, fand aber keinen und rutschte ab, fiel auf den Boden und kam schmerzvoll am Rücken auf. Die Luft wurde aus ihren Lungen gepresst und Agnes hätte laut geflucht, wenn sie nicht leise sein müsste.

Sie stand wieder auf und wischte sich Blut von ihren Händen in die Hose, bevor sie wieder zurücktrat und wieder tief durchatmete. Sie rannte wieder, sprang und rutschte wieder ab, konnte sich dieses Mal aber mit den Fingerspitzen festkrallen und sie spürte, wie die Haut an ihren Händen schmerzvoll aufgerissen wurde, aber dieser Schmerz war nichts im Vergleich zu dem, was Agnes bisher schon alles erlebt hatte.

Sie fand mit ihren Füßen Halt in einer Ritze und atmete tief durch. Jetzt durfte sie nur nicht hinunterfallen. Agnes hatte noch nie Angst vor Höhen gehabt, sondern war sogar immer liebend gerne auf dem Besen geflogen und war auch oft genug vom Besen gefallen, aber sie hatte sich dabei auch immer wieder verletzt und sie konnte sich nicht leisten, sich jetzt zu verletzen. Also krallte sie sich an die Wand und kontrollierte immer, ob die Steine auch fest in der Mauer verankert waren und sie nicht abrutschte.

Plötzlich verlor ihr Fuß den Halt und einen Moment lang rutschte Agnes' Herz in ihren Magen, als sie schon dachte, sie würde fallen, aber dann fand sie mit einer Hand noch Halt und baumelte einen Moment nur an einer Hand hängend an der Wand. Sie blickte nach unten – sie war schon drei oder vier Meter oben – dieser Sturz hätte sie nicht umgebracht, aber wahrscheinlich verletzt. Eigentlich hätte Liza mitkommen sollen, damit sie Agnes helfen konnte, sollte sie sich bei einem Sturz verletzen, aber dieser Plan war nun natürlich nicht mehr möglich.

Agnes zog sich wieder hoch und war dankbar, dass sie unnatürlich stark war, sonst hätte sie das nicht geschafft und sie kletterte weiter nach oben, bis zum Fenster hoch.

Sie stand nun auf dem Fensterbrett etwas sicherer und konnte ihren Zauberstab herausholen, den sie in ihrem Ausschnitt verstaut hatte, damit er ihr nicht beim Klettern im Weg war und richtete ihn auf das Glas.

Sofort erschien ein heller Strahl, der sich durch das Glas schmolz und Agnes erinnerte sich daran, dass ihre Mutter diesen oder einen ähnlichen Zauber benutzt hatte, um das Wort „Abschaum" in ihre Haut zu brennen. Die Narbe sah selbst nach Monaten noch immer frisch aus und Agnes vermutete, dass durch einen Zauber sie auch immer so rot und auffällig sein würde und sie nicht wie andere Narben verblassen würde.

Agnes schüttelte den Kopf, um diese Gedanken loszuwerden – sie musste sich auf ihre Aufgabe konzentrieren – und sie schnitt ein Stück aus dem Glas, das groß genug war, damit sie hindurchkriechen konnte.

Die Kanten des Glases waren noch scharf und sie schnitt sich an den Handflächen und leicht am Bauch, als sie hindurchkroch und ihr Oberteil etwas nach oben rutschte. Die Wunde am Bauch blutete nicht stark, aber an ihren Händen tropfte das Blut auf den Fließenboden im Bad und Agnes seufzte – dafür hatte sie eigentlich keine Zeit.

Kurzerhand riss sie einen Streifen von ihrem T-Shirt ab, das sie trug und wickelte jeweils ein Stück um ihre Handflächen, damit sie wenigstens keine Blutspur hinterließ.

„Du bist keine Schülerin", erkannte plötzlich jemand und Agnes zuckte zusammen – sie hatte niemanden kommen gehört oder gerochen, aber dann erkannte sie auch, warum. Es war die Maulende Myrte gewesen, die über ihr in der Luft schwebte und so jämmerlich und nervig wie immer aussah.

„Gute Nacht, Myrte", begrüßte Agnes sie trotzdem leicht sarkastisch, „Das hast du sehr gut erkannt. Du bist ziemlich klug." Agnes war dankbar, dass Myrte keinen Sarkasmus verstand, aber sie hatte sich diesen Kommentar nicht verkneifen können.

„Danke!", hauchte Myrte überwältigt und verschwand schnurstracks in einer Toilette – Agnes hörte sie beschämt kichern.

Agnes seufzte. Dieses Problem hatte sie jetzt auch schon hinter sich, also konnte sie ja fortfahren. Sie öffnete die Tür des Badezimmers und lauschte, vertraute auf ihre Nase und bemerkte, dass niemand in der Nähe war. Erst dann schlich sie sich hinaus auf den Gang.

Es war seltsam, wieder in den Gängen von Hogwarts zu sein. Es war schon lange her – es kam ihr wie ein Jahrhundert vor, aber das vertraute Gefühl kam schnell zurück. Sie erinnerte sich daran, wie sie früher häufig in der Nacht durch die Dunkelheit geschlichen war, um in die Küche zu gehen. Jetzt war sie nicht auf dem Weg in die Küche, sondern zur Eingangshalle.

Auf dem Weg traf sie niemanden, aber sie war die ganze Zeit über übervorsichtig und lauschte und roch, bevor sie in einen Gang einbog. Sie wollte jetzt auf gar keinen Fall gesehen und erwischt werden – dann wäre die Mission im Eimer und dazu noch würde sie die anderen in Gefahr bringen.

Ihren Zauberstab behielt sie in der Hand, bereit für einen Angriff, sollte sie doch gesehen werden. Zum Glück brauchte sie kein Licht, sondern konnte in der Dunkelheit gut sehen, sodass sie noch unauffälliger sein konnte. Die Dunkelheit erdrückte Agnes beinahe, aber durch die großen Fenster leuchtete der noch immer ziemlich volle Mond und spendete wenigstens ein bisschen Licht. Eigentlich hätte Liza Agnes begleiten sollen, aber die war anderswo beschäftigt, also musste Agnes das alleine machen und sie wollte nicht, dass ihre Angst das Scheitern dieser Mission verursachte. Sie konzentrierte sich auf das Licht des Mondes – der Mond, den sie doch so sehr zu hassen gelernt hatte, aber im Moment war es der einzige Trost in diesem leeren, kalten, dunklen Schloss.

Agnes Schuhe machten kaum Geräusche, selbst auf den harten Steinböden, als sie mit leichten Schritten ihren Weg suchte und dabei immer aufmerksam blieb. Jedes kleine Geräusch schreckte sie auf und sie blieb jedes Mal einen Moment stehen, den Atem angehalten, um sicher zu gehen, dass niemand in ihre Richtung kam. Früher, in ihrer Schulzeit waren es Lehrer und Filch gewesen, vor denen sie sich in Acht genommen hatte – jetzt waren es zwei Todesser und die Geister, die sie nicht riechen oder hören konnte und somit könnten sich diese an sie anschleichen und, wenn es wirklich ungünstig für Agnes verlief, andere warnen. Aber niemand kam und niemand sah Agnes.

Sie erreichte das Eingangsportal und richtete ihren Zauberstab darauf. Hogwarts war voller Magie und die Zauber, die auf die Mauern gelegt worden waren, waren schwer zu bannen, aber Agnes schloss die Augen und murmelte leise einen Bannzauber gegen die Tür. Nacheinander brach sie die Zauber, die auf der Tür lagen, damit niemand sie öffnen konnte, aber sie war innerhalb von Hogwarts und sie war eine talentierte Hexe, also lösten sich nacheinander die Schlösser, bis das Portal schließlich aufging.

Es war laut – natürlich nicht extrem laut, aber Agnes hatte trotzdem Angst, dass jemand sie hören könnte, aber Sirius und Leanne scheuchten die anderen schnell ins Schloss und Agnes konnte das Tor wieder schließen.

Sie würden einen anderen Weg hinaus finden oder Agnes würde den Zauber wieder brechen, der Widerstand würde sowieso, wenn alles gut lief, innerhalb des Schlosses bleiben.

„Hast du auf dem Weg noch einen Tee getrunken?", fragte Sirius sie leise, als die Tore wieder geschlossen waren, damit niemand bemerkte, dass jemand eingedrungen war.

„Ich bin fast von der Mauer hinuntergefallen, Sirius", zischte Agnes leise, „Ein bisschen Dankbarkeit wäre angebracht."

Sirius sah sie nur schelmisch an und grinste breit, bevor er sich an die Gruppe wandte

„Ich hoffe, jeder weiß noch, was er zu tun hat", wisperte Sirius leise, als sie sich versammelt hatten, „Ich weiß es nämlich nicht mehr von jedem von euch und Konnie ist nicht da, um den Plan noch einmal zu erklären."

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir das schaffen", bestimmte Tia sicher, „Ich denke, ich weiß noch den größten Teil vom Plan, aber das ist nicht schlimm. Den Rest können wir ja wie immer improvisieren."

„Tia, du schaffst es immer wieder, mich siegessicher zu stimmen", murmelte Sirius, „Also... hier trennen sich unsere Wege. Passt auf, ihr beiden. Moony würde mich lebendig häuten, wenn euch etwas passiert."

„Wir kommen schon klar", beruhigte Agnes ihn spöttisch, „Pass lieber auf, dass euch niemand erwischt. Ihr habt niemanden mit verbesserten Sinnen bei euch."

„Wir brauchen niemanden, der die Cheats des Lebens kennt", schnaubte Sirius, „Damals, als ich ein Schüler gewesen bin, haben wir es auch geschafft, Filch und den Professoren aus dem Weg zu gehen, oder nicht?"

„Habt ihr nicht einen Unsichtsbarkeitsmantel gehabt?", fragte Tia ihn unschuldig.

„Ja...", das selbstsichere Lächeln in Sirius' Gesicht bröckelte.

„Und dieses Mal würdet ihr nicht nur Nachsitzen bekommen, wenn sie euch erwischen", warnte Agnes ihn ernst, „Sie würden euch einfach umbringen – einfach hier in Hogwarts schlachten wie Lämmer."

„Du bist wirklich ein Sonnenschein, Baby-Moony", seufzte Sirius, „Ich gehe lieber, bevor eure negativen Ansichten mich zum Weinen bringen."

„Und das wollen wir ja nicht", versicherte Agnes ihm sarkastisch.

Sirius winkte ihnen, bevor er mit der Gruppe in Richtung der Treppen noch oben verschwand, während Tia und Agnes zusammen einen anderen Weg einschlagen würden.

„Beeilen wir uns", flüsterte Agnes Tia zu und nahm sie an der Hand. Hogwarts fühlte sich nicht mehr wie zu Hause an. Stattdessen wirkte es einschüchternd auf Agnes. Die Wände schienen sie erdrücken zu wollen und die Dunkelheit schnürte Agnes den Hals ab, aber Tias Hand in der ihren war warm und Agnes konzentrierte sich darauf.

Tia war bei ihr – sie war nicht allein im Keller. Sie war bei Tia, ihrer Schwester.

Tia drückte aufmunternd ihre Hand und stumm schlichen sie nebeneinander durch die Gänge. Sie beide kannten den Weg. Agnes hatte diesen Weg immer gehasst und sie erinnerte sich, wie sie Roger manchmal beinahe in den Wahnsinn getrieben hatte, wenn sie wieder einmal getrödelt hatte. Das war so lange her. Wie seltsam in Ordnung die Welt damals noch gewesen war. Agnes hatte nie wirklich die Chance gehabt, ein Kind zu sein, aber jetzt, da sie sich zurück erinnerte, wünschte sie sich diese Zeit zurück, in der ihre einzige Sorge tatsächlich der Zaubertrankunterricht gewesen war. Ihre Mutter und ihr Vater waren in Askaban eingesperrt gewesen, Greyback hatte sie noch nicht gebissen und sie war noch nicht im Keller gewesen. Schon damals war sie nicht normal gewesen, schon damals war ihr Verstand seltsam brüchig gewesen. Ihre Kindheit hatte sie nie losgelassen, aber mittlerweile war ihr Verstand schon so brüchig, dass Agnes sich gar nicht sicher war, ob er schon zerstört war oder noch gerade so von dem letzten Rest an Hoffnung zusammengehalten wurde, das sie hatte.

Vor der Tür zu Klasse, in dem Snape versucht hatte, Agnes Zaubertränke beizubringen, würden sich ihre Wege trennen.

Tia drückte ihre Hand und sah ihr lächelnd ins Gesicht und Agnes versuchte zurück zu lächeln.

„Ich bin hier draußen und passe auf", versprach Agnes ihr.

„Bist du sicher?", fragte Tia sie unsicher. Sie machte sich Sorgen um Agnes, aber eigentlich hätte es andersrum sein sollen. Eigentlich war Agnes die große Schwester, auch wenn Tia körperlich größer war – eigentlich sollte Agnes sich um Tia Sorgen machen.

„Ich komme schon zurecht", versprach Agnes ihr und versuchte, beruhigend zu klingen, „Beeil du dich und vergiss keine Zutat – ich denke nicht, dass wir noch einmal hierher zurückkehren können."

„Das werde ich nicht", versicherte Tia ihr und nickte, „Ich werde genug mitnehmen, damit wir vielleicht sogar ein paar Monate lang auskommen. Ich werde den Trank für dich brauen."

„Das weiß ich", flüsterte Agnes leise und küsste ihr schnell auf die Wange, bevor Tia den Klassenraum betrat.

Agnes hatte Wachdienst. Sie würde darauf achten, dass niemand auf die Idee kam, im Klassenzimmer nachzusehen. Tia konnte nicht so gut hören, wie Agnes, nachdem sie nur ein halber Werwolf war und sie waren sich nicht sicher, ob sie die Gefahr früh genug erkannt hätte, deswegen stand Agnes vor der Tür und wartete. Sie lauschte in die Dunkelheit, aber da war nichts. Da war nur Dunkelheit.

Im Klassenzimmer konnte sie Tia hören, wie sie die Zutaten zusammensuchte.

Plötzlich hörte Agnes Schritte und alarmiert blickte sie in die Richtung, aus der sie kamen.

Die Person schien zu versuchen, leise zu sein und sie trug keine Schuhe.

Agnes überlegte, was sie tun sollte. Sollte sie Tia warnen oder doch lieber abwarten?

Sie blickte in die Dunkelheit – dort war kein Lichtschein von einem Zauber zu sehen. Diese Person schien ebenso zu versuchen, nicht gesehen zu werden.

Agnes war hin und her gerissen. Tia war noch nicht fertig, das hörte sie. Wenn sie sie jetzt aus ihrer Arbeit reißen würde, wäre alles umsonst gewesen. Natürlich nicht ganz alles – der Widerstand war im Schloss. Aber Agnes würde nicht den Wolfsbanntrank bekommen und das war der Grund, warum sie hier war.

Agnes sah in die Dunkelheit und plötzlich sah sie die Umrisse von etwas, das niemals ein Professor oder Filch hätte sein können. Es war ein Kind – ein Schüler.

Lumos", wisperte Agnes und die Spitze ihres Zauberstabes erhellte sich.

Dort, noch einige Meter von ihr entfernt, stand ein kleiner Junge, erstarrt von Agnes' plötzlicher Anwesenheit und er sah sie erschrocken und ängstlich an. Agnes war diese Blicke gewohnt – mit ihren Narben war sie ein furchterregender Anblick.

„Bitte", wimmerte der Junge und er sah so aus, als würde er bald zu weinen beginnen, „Bitte tu mir nichts."

„Was machst du hier?", fragte Agnes sanft.

„Ich... es tut mir leid...", stammelte der Junge und eine Träne rann über seine Wange.

„Es ist schon spät – du solltest nicht mehr im Schloss herumgehen", erklärte Agnes ruhig und hoffte, sie sah auch beruhigend aus, aber sie bezweifelte es.

„Ich... ich weiß", wimmerte der Junge, „Ich... bitte tu mir nicht weh."

„Ich werde dir nicht wehtun", versprach Agnes, „Was machst du hier um diese Zeit?"

„Ich... ich wollte meinen Eltern einen Brief schicken", gestand der Junge schluchzend und Agnes hoffte, dass ihn niemand hörte, aber soweit sie selbst hören konnte, war niemand außer ihnen in der Nähe, „Wir dürfen keine Briefe schicken, ich weiß, aber... aber ich muss doch unbedingt! Bitte, verrate das nicht Professor Carrow."

Carrow – das waren die Todesser, Agnes wusste das.

„Das werde ich nicht", versicherte Agnes ihm, „Aber es ist gefährlich, im Schloss herum zu schleichen."

„Ich weiß", die Stimme des Jungen klang erstickt, „Ich... ich habe gehört, dass schlimme Dinge mit denen geschehen, die Nachsitzen bekommen. Ich will nicht nachsitzen!"

„Pst!", zischte Agnes, „Sei leiser, sonst erwischt uns noch jemand!"

Sofort versuchte der Junge, leiser zu sein und wischte sich mit dem Ärmel seines Pyjamas über die Augen.

Agnes lächelte. „Du bist auf dem Weg in die Eulerei, oder?"

Der Junge nickte.

„Ich könnte den Brief schicken", schlug Agnes vor, „Es ist zu gefährlich für dich, den ganzen Weg dort hinauf zu gehen."

Der Junge drückte etwas gegen seine Brust – es war ein Brief – und schüttelte den Kopf.

„Ich verspreche dir, ich werde ihn schicken", versicherte Agnes ihm ruhig, „Aber wenn du erwischt wirst, dann hat das schlimme Folgen für dich."

Agnes trat einen Schritt vor und als sie sah, dass der Junge nicht zurückwich, ging sie zu ihm und kniete sich vor ihm hin. Er drückte noch immer den Brief an sich.

„Bitte, lass mir dir helfen", bat Agnes ihn.

Der Junge zögerte. „Wer bist du?", fragte er sie, „Ich kenne dich nicht."

Agnes lächelte. „Mein Name ist Agnes."

„Ich bin Nigel", sagte der Junge, „Bist ein Professor oder eine Schülerin?"

„Weder, noch", gestand Agnes, „Ich bin hier, weil ich etwas aus dem Schloss brauche und du vergisst am besten, dass du mich jemals gesehen hast, sonst wird das noch schlimmere Folgen für dich haben."

Nigel musterte sie misstrauisch, bevor er ihr mit zitternden Händen den Brief hinhielt und Agnes steckte ihn lächelnd in ihre Manteltasche.

„Ich werde ihn senden, sobald ich aus dem Schloss wieder draußen bin", versprach sie und Nigel nickte.

„Danke", wisperte er und wischte sich die letzten Tränen aus den Augen, als Agnes hörte, wie sein Bauch knurrte.

„Hast du Hunger?", fragte sie ihn.

Nigel nickte wieder. „Professor Carrow hat gesagt, dass ich heute ohne Abendessen ins Bett muss, weil ich sie gefragt habe, ob ich den Brief schicken darf", gestand er leise, „Aber... aber ich freue mich schon auf das Frühstück morgen."
„Ich könnte dir auch zeigen, wo die Küche ist", bot Agnes an und sah ihn verschmitzt an.

Nigel riss überrascht seine Augen auf. „Das weißt du?", wisperte er ehrfürchtig.

Agnes nickte. „Ich habe sie entdeckt, als ich selbst hier Schülerin gewesen bin. Sie ist hier – im Keller."

Nigel nickte eilig und Agnes lachte leise, bevor sie wieder aufstand.

„Tia, ich bin bald zurück", sagte sie in die Dunkelheit in einer normalen Lautstärke und sie wusste, dass Tia sie gehört hatte.

Kurz war nichts zu hören, aber dann antwortete Tia: „Wir treffen uns hier, okay?"

„Mit wem hast du gesprochen?", fragte Nigel leise, als Agnes ihn an der Hand nahm und etwas den Gang hinunter führte in die Richtung, in der die Küche war.

„Mit meiner Schwester", erklärte Agnes, „Sie hat ein ziemlich gutes Gehör."

Beim Gemälde angekommen, das den Eingang zur Küche kennzeichnete zeigte Agnes Nigel, wie man die Birne kitzeln musste, damit man in die Küche kam, aber einen Moment lang dachte Agnes, dass das ein Fehler gewesen war, als sie noch jemanden in der Küche roch, als sie eintraten.

Sie waren nicht allein.

„Agnes!", rief eine kleine Hauselfe überrascht und Agnes begann zu lächeln, als sie Tinky erblickte. Sie sah noch immer genauso aus, wie damals, als Agnes sie mit elf Jahren kennengelernt hatte.

„Tinky!", begrüßte Agnes sie und kniete sich auf den Boden, um die Hauselfe zu umarmen. Zuerst schien Tinky überrascht über diese Geste, aber dann umarmte sie sie zurück.

„Agnes", hörte Agnes noch jemanden und sie löste sich aus der Umarmung und sah auf. Dort stand Neville Longbottom, umringt von ein paar Schülern, die ungefähr gleich alt waren, wie Nigel.

„Neville", Agnes grinste breit und stand auf, „Ich habe nicht erwartet, dich hier zu sehen."

„Dasselbe könnte ich über dich sagen", meinte Neville nervös, „nicht nur, dass alle sagen, dass du eigentlich tot sein solltest..."

„Noch nicht", meinte Agnes, „Was führt dich in die Küche?"

Neville deutete auf die Kinder um ihn. „Die Carrows haben wohl gedacht, dass kein Gryffindor-Erstklässler heute ein Abendessen braucht, also muss ich das wohl erledigen. Was machst du hier?"

Agnes deutete auf Nigel, der sich schüchtern hinter ihr versteckte. „Dasselbe."

„Du bist doch sicher nicht nur deswegen hier", erriet Neville.

„Ich kann hier nicht mehr sagen", gestand Agnes und blickte vielsagend zu den Kindern, „Aber... Leanne Travis wird sich vielleicht bald bei dir melden..."

„Leanne?", fragte Neville überrascht, „Sie lebt also noch... es ist schwierig, jemanden von außerhalb zu kontaktieren."

„Habt ihr eigentlich schon daran gedacht, die DA-Münzen wieder zu benutzen?", fragte Agnes ihn, „Ich weiß, ich habe meine noch irgendwo in meinem Rucksack... habt ihr sie einfach weggeworfen, als die DA aufgelöst wurde?"

Neville wurde rot. „N-nein... daran haben wir nicht gedacht", gestand er.

Agnes lächelte, so wie sie immer lächelte, wenn sie wieder einmal intelligenter war, als andere. „Dann solltet ihr sie wieder benutzen. Vielleicht findet ihr irgendwie einen Weg, aber ich muss jetzt wieder gehen."

„Du gehst?", fragte Neville sie überrascht.

„Wir müssen aus dem Schloss auch wieder verschwinden", erklärte Agnes und fügte leiser hinzu: „Wenn sie uns erwischen, bringen sie uns um. Wir sind keine Schüler – wir sind hier in Hogwarts Freiwild. Die Gregorovich-Geschwister werden gerade in Hogsmeade von einer Horde Todesser gejagt, wenn sie überhaupt noch leben."

Neville nickte verständnisvoll – nichts anderes hatte Agnes erwartet.

„Ich kann doch darauf vertrauen, dass Nigel hier auch noch etwas zu essen bekommt, oder?", Agnes legte eine Hand auf die Schulter den Jungen und schob ihn vor.

Neville sah ihn leicht misstrauisch an. „Er ist aus Slytherin..."

Agnes schnippte Neville gegen das Ohr und brachte ihn somit zum Verstummen. „Ich bin auch beinahe in Slytherin gewesen und er hat genauso wenig Abendessen bekommen, wie die Gryffindors hier. Er wird nichts verraten. Hörst du, Nigel? Du musst mir jetzt genau zuhören –", Agnes sah ihm in die Augen und sah ihn ernst an, „– du darfst niemanden von heute Nacht erzählen, verstanden? Wenn sie erfahren, dass du mich gesehen hast, dass passiert schlimmes – noch schlimmer, als nachsitzen."

Nigel nickte – er war bleich, aber Agnes lächelte zufrieden und salutierte vor Neville.

„Wir sehen uns wieder, Neville. Ich kann dir nur dasselbe raten, wie Nigel", warnte sie ihn, „Lass niemanden wissen, dass du mich gesehen hast. Meine Mutter ist auf der Suche nach mir und sie würde jeden ermorden und foltern, um an Informationen zu kommen."

„Du kannst dich auf mich verlassen", versprach Neville.

Agnes lächelte. „Wir sehen uns wieder."

Mit diesen Worten verschwand sie aus der Küche und sah, dass Tia schon vor der Tür wartete.

„Ich bin fertig", wisperte Tia, als sie Agnes bemerkte, „Gehen wir."

„Nichts lieber als das", murmelte Agnes, „finden wir Sirius und verschwinden."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top