100. Kapitel
„Wir haben nur zwei der Schlafzimmer aufgeräumt – die anderen sind noch kaum betretbar. Deswegen müssen wir immer ein bisschen zusammenrücken und wir schlafen auf dem Boden – wir haben keine Betten", erklärte Leanne ihnen, als es langsam Zeit war, ins Bett zu gehen und sie die Neuankömmlinge nach oben führte.
Agnes erkannte schon da, dass es eine lange Nacht werden würde. Sie hatte in Ivys Haus ein Zimmer für sich alleine gehabt. Es war Luxus gewesen, das wusste sie, aber nach ihrer Gefangenschaft im Keller war es genau das gewesen, was sie gebraucht hatte, wenn sie wieder einmal schreiend aus einem Traum erwachte oder stundenlang nicht die Augen zubekam, bis sie schließlich beschloss, dass es sich kaum noch lohnte, zu schlafen und sie einfach aufgestanden und in ihrem Zimmer im Kreis gegangen war.
Sie hatte die Wände ihres Zimmers so verzaubert, dass niemand außerhalb davon etwas hören konnte. Die anderen hatten keine Ahnung, was für eine Strafe Schlaf für Agnes geworden war.
Aber der Widerstand zählte einundzwanzig Mitglieder – mit ihnen waren sie also sechsundzwanzig Personen, die in drei Zimmern – den beiden Schlafzimmern und dem Wohnzimmer – Platz zum Schlafen finden mussten.
Agnes war eigentlich nicht schüchtern, aber sie wollte nicht, dass irgendjemand noch mehr über ihren Geisteszustand erfuhr, als sowieso schon durch ihre Panikattacke am Tag bekannt geworden war. Sie wollte generell nicht, dass die anderen auch nur annähernd irgendetwas über sie erfuhren – nicht einmal Tia oder Sirius. Immerhin – wann hatte man das letzte Mal von einem Werwolf gehört, der sich vor Dunkelheit fürchtete?
Aber Agnes sagte nichts von dem laut. Sie blieb schon beinahe stumm und sagte nichts, als Leanne ihnen die beiden Zimmer zeigte. Schlafsäcke lagen ausgerollt am Boden herum und Katie drückte Agnes und Sirius ebenfalls Schlafsäcke in die Hände – Tia, Konstantin und Liza hatten eigene dabei.
Die Schlafzimmer waren dunkel, aber Angelina schaltete die Lichter ein und obwohl Agnes im Dunkeln besser sehen konnte, als andere, fühlte sie sich gleich wohler. Draußen war es schon dunkel und kein Sonnenlicht konnte durch das große Fenster den Raum beleuchten.
„Ich rate euch, in den Schlafzimmern einen Platz zu finden", riet Angelina ihnen leise, damit sonst niemand es hören konnte, „Im Wohnzimmer hört man immer, wenn jemand in der Küche ist und Frühstück macht. Manche von uns hier können nicht wirklich schlafen und dann gehen wir in die Küche. Im Wohnzimmer ist es dann ein bisschen schwer zu schlafen, deswegen wechseln wir uns immer ab, wer im Wohnzimmer schläft."
„Aber ihr seid vorerst unsere Gäste", versprach Katie heiter, „Es ist eure erste Nacht hier, also könnt ihr euch ruhig einen Platz in den Schlafzimmern suchen. Wir finden schon noch Platz für euch."
„Ich kann auch gleich ins Wohnzimmer gehen, wenn es schon so einen schlechten Ruf hat", bot Agnes sofort an, „Ich wache auch immer sehr früh auf."
„Unsinn, Agnes", Tia lächelte sie breit an, „Du hast doch auch ein Werwolfgehör – du wirst nicht schlafen können, sobald jemand wach ist."
Das werde ich sowieso nicht, dachte sich Agnes, aber sie sagte es nicht laut. Tia musste nicht wissen, dass Agnes nächtelang nicht schlafen konnte und daher auch die dunklen Ringe unter ihren Augen stammten. Aber Agnes war an die Müdigkeit gewöhnt. Es war ein Teil ihres Lebens geworden.
„Wir rutschen hier ein bisschen zusammen", bot Angelina an und zog einige Schlafsäcke zur Seite, sodass eine größere Fläche des Bodens frei wurde.
„Ich ziehe heute Nacht ins Wohnzimmer", bot Chambers an, „Dann haben auch bei uns noch zwei oder drei Platz."
„Schau, Agnes!", rief Tia aufgeregt und breitete ihren eigenen Schlafsack auf dem Boden aus, bevor sie auf die freie Fläche neben sich deutete, „Du hast neben mir noch Platz!"
Tia schien so aufgeregt darüber zu sein, neben Agnes zu schlafen, dass Agnes nicht „Nein" sagen konnte, obwohl sie es gerne getan hätte. Also lächelte Agnes gezwungen und breitete ihren eigenen Schlafsack neben Tia ihren aus.
„Dann ist für uns wohl noch ein Platz im anderen Schlafzimmer reserviert!", vermutete Konstantin, „Kommt! Schauen wir uns das Stück Boden an, auf dem wir schlafen werden!"
„Du bist ein Idiot, Kon", murmelte Liza leise, bevor sie ihrem Bruder aus dem Raum folgte.
Sirius blieb noch einen Moment zögernd zurück und egal, was ihn dazu veranlasst hatte, aber er sah Agnes schon beinahe besorgt an.
„Ich bin gleich im Nebenzimmer, sollte irgendetwas sein", versprach er ihr leise, damit nur sie ihn hören konnte – das war Agnes auch lieber so, „Du kannst mich bestimmt an meinem Geruch erkennen und du kannst mich jederzeit wecken – egal, wie spät es ist."
„Ich weiß, Sirius", zischte Agnes und verschränkte ihre Arme vor der Brust und sah ihn trotzig an, „Ich bin erwachsen. Ich kann auch eine Nacht ohne dich in einem Raum verbringen."
Sirius lächelte nur leicht und schien überhaupt nicht abgeschreckt von Agnes' Art zu sein. „Ich weiß", sagte er leise, „aber das habe ich auch Remus immer angeboten und oft genug hat er es angenommen."
Mit diesen Worten verließ er den Raum und ließ Tia und Agnes allein zurück, aber das trübte Tias Laune überhaupt nicht.
„Es wird wie eine Pyjamaparty!", freute sie sich heiter, „Ich freue mich, Agnes!"
„Oh, nein, junge Dame", widersprach Agnes ihr sofort streng, „Heute Nacht wird geschlafen. Heute ist ein aufregender Tag gewesen und morgen wird noch ein aufregender Tag folgen. Und übermorgen... und den Tag darauf..." Bis der Krieg vorbei war.
„Ich weiß", Tia gähnte und streckte sich, „aber ich bin einfach nur froh, dass du bei mir bist, Agnes."
Nachdem sie sich eingerichtet hatten, folgten ihnen auch bald die anderen Mitglieder des Widerstandes, die ihre Plätze in den Schlafsäcken suchten. Es waren sieben weitere Personen, die ihre Plätze im Raum fanden. Angelina legte sich in den Schlafsack neben Agnes, während Leanne und Katie in der Nähe von Tia blieben – die drei waren auch in Hogwarts Zimmergenossinnen gewesen.
Agnes' ehemalige Zimmergenossin, Janet, war in einem anderen Raum, sonst hätte Agnes vielleicht eine Spur von Nostalgie verspürt, als sie zum ersten Mal seit langem wieder einmal in einem Raum mit anderen schlief.
Alicia suchte sich einen Platz in der Nähe von Katie und sie kuschelten sich nahe beieinander.
„Ich hoffe, ihr schnarcht nicht!", warnte Duncan sie lachend, als er als letztes mit Randy und Grant den Raum betrat.
„Dasselbe könnte ich sagen", schnaubte Agnes unbeeindruckt, „Wenn ihr schnarcht, erstickte ich euch im Schlaf."
Agnes scherzte, aber im inneren hoffte sie, dass es eine ruhige Nacht werden würde. Sie hoffte, sie würde nicht schreiend aufwachen. Schnarchen war noch nie ein Problem für sie gewesen.
Agnes legte sich in den Schlafsack und fand es eigentlich gar nicht so schlimm, auf dem Boden zu schlafen.
Auch in Ivys Haus hatte sie es bevorzugt, auf dem Boden zu schlafen. Sie hatte einfach keinen Schlaf gefunden, als sie in dem weichen Bett gelegen hatte und hatte es sich einfach auf dem Teppich bequem gemacht. Wenn Sirius das herausgefunden hätte, hätte er sie bestimmt als „Hund" bezeichnet, deswegen blieb das lieber Agnes' Geheimnis.
Es erinnerte Agnes ein bisschen an ihre Zeit im Rudel. Dort hatten sie auch zusammen in einer Höhle geschlafen und nur wenige Decken auf dem Boden ausgebreitet, wenn man Decken überhaupt gehabt hatte – Agnes hatte zwei gehabt. Aber in der Höhle beim Rudel hatte man immer ein Auge offenhalten müssen – die Gefahr war groß, dass jemand versuchte, einen tatsächlich im Schlaf zu ermorden. Agnes hatte einmal einen anderen Werwolf dabei erwischt, wie er schon über ihr gebeugt mit scharfen Krallen bereit gewesen war, ihr die Kehle aufzuschlitzen. Agnes hatte ihn umgebracht.
„Ich muss mir bei euch keine Sorgen machen, dann ihr mich im Schlaf umbringt, oder?", fragte Agnes und versuchte, amüsiert zu klingen – es gelang ihr nur zum Teil.
„Ich glaube, du bist die einzige, vor der wir uns fürchten müssen", lachte Duncan, „Keine Sorge – du kannst ganz entspannt schlafen."
„Okay", Agnes lachte, „Das ist schon einmal gut. Ich hasse es, wenn ich jemanden umbringen muss, bevor ich meinen Tee getrunken habe!"
Sie lachten, aber Agnes scherzte nicht. Sie hasste es tatsächlich.
Als alle ihre Plätze gefunden hatte, löschte Angelina das Licht und huschte neben Agnes in ihren Schlafsack.
Es war finster. So dunkel. So verdammt dunkel. Agnes erinnerte sich an den Keller – sie hatte so lange kein Sonnenlicht mehr gesehen. Sie hatte kein Licht dort unten gesehen.
Agnes atmete tief durch. Sie durfte nicht daran denken – diese Gedanken weckten erst die Panik in ihr. Wenn sie nicht daran dachte, war es vielleicht so, als hätte sie gar keine Angst vor der Dunkelheit. Dann war es vielleicht gar nicht so, dass die Wände in der Dunkelheit immer näher an sie heranrückten, als würden sie sich an Agnes heranschleichen und nur darauf warten, sie zu zerquetschen.
Agnes schloss die Augen. Wenn sie die Augen schloss, war es immer dunkel. Dann konnte sie die Dunkelheit gar nicht mehr sehen und ihre Angst würde verschwinden. Schau deinen Feinden immer in die Augen, hatte ihre Mutter gesagt. Aber die Dunkelheit hatte ihre Augen überall, also schloss Agnes ihre Augen lieber, wie ein kleines Kind, das sich vor den Monstern unter ihrem Bett fürchtete.
„Es ist ziemlich dunkel, oder?"
Agnes riss erschrocken die Augen auf und starrte auf die Decke über ihr, bevor sie ihren Kopf vorsichtig in die Richtung drehte, aus der die Stimme gekommen war.
Tia neben ihr schlief schon, wie Agnes an ihren tiefen Atemzügen erkennen konnte, aber direkt über ihr schwebte jemand in der Luft, die Arme hinter dem Nacken entspannt verschränkt und er schaute auf die Decke, ein schelmisches Grinsen im Gesicht.
Agnes atmete tief durch. Sie bildete sich das wieder einmal nur ein. Es war nur eine Einbildung. Aber sie war sich da nicht ganz so sicher und drehte sich auf die andere Seite.
Sie sah, dass Angelina noch wach war – ihre Augen waren offen und sie starrte gedankenverloren auf die Decke.
„Angelina", wisperte Agnes leise, damit sie sonst niemanden weckte und erschrocken drehte Angelina sich zu ihr.
„Was ist?", fragte sie ebenso leise und sah Agnes fragend an.
„Ist... ist Fred eigentlich manchmal hier?", fragte Agnes und fühlte sich lächerlich – was musste Angelina von ihr denken. Sie war kein liebeskranker Teenager, aber wenn plötzlich Fred Weasley in der Luft schwebend neben einem auftaucht, geht man lieber sicher.
Angelina lächelte verständnisvoll, obwohl sie überhaupt nichts verstand. „Nein, niemals", flüsterte sie zurück, „Wir haben auch kaum Kontakt zu den Leuten vom Orden. Wir halten uns lieber getrennt, damit nicht zu viele Informationen teilen, die verraten werden könnten."
Agnes nickte und wandte sich wieder von Angelina ab, sah aber auch nicht zu Fred, sondern wich seinem Blick aus. Sie spürte noch Angelinas Blick auf ihrem Kopf, aber dann drehte Angelina sich zur Seite und schlief ebenfalls bald ein.
„Ich bin natürlich nicht echt", lachte Fred, der noch immer über Tia schwebte, aber Agnes sah ihn nicht an.
„Geh weg", murmelte Agnes so leise, dass wahrscheinlich nicht einmal Tia sie hören konnte, aber Fred konnte sie hören, immerhin war er Teil ihrer Fantasie.
„Vertrau mir, Agnes, Schatz, es ist besser, wenn ich hier bin", versprach er ihr und er klang beinahe schon entschuldigend.
Agnes' Gedanken rasten. Sie überlegte, warum ihr eigenes Unterbewusstsein ihr diese Nachricht in Form von Fred Weasley schicken würde. Sie bildete sich Fred nur ein und das wusste sie. Es war schon lange her gewesen, seit sie sich eine Person eingebildet hatte. Manchmal verschwand der gesamte Raum in ihren Gedanken und sie war wieder im Keller, wie es im Wohnzimmer passiert war, aber Personen wie Fred waren ihr schon lange nicht mehr erschienen. Nicht mehr, seit sie den Keller verlassen hatte.
Irgendwie musste sie unterbewusst das Gefühl haben, dass sie Fred brauchen würde, sonst wäre er nicht hier. Sie hatte Unterhaltung im Keller gebraucht, sonst hätte sie einfach aufgehört zu essen und wäre jämmerlich gestorben. Warum sollte sie ihn aber jetzt brauchen? Sie verstand es nicht ganz.
Aber plötzlich verstand sie es.
Es begann leise, aber Agnes war sofort hellwach und ihre Gedanken rasten.
„Es beginnt", warnte Fred sie, „Aber keine Sorge, ich bin bei dir."
Es war dunkel – so dunkel. Agnes hatte immer die Lichter in ihrem Zimmer brennen lassen, damit die Dunkelheit sie nicht erreichen konnte. Sie hatte das ganze Zimmer taghell erleuchtet, um der Dunkelheit zu entkommen, aber sie hatte gewusst, dass sie nicht für immer weglaufen konnte.
Es rumpelte – zuerst war es leise, aber es wurde schnell wieder lauter und dann sah Agnes es, obwohl es im Zimmer stockdunkel war. Sie Wände zitterten, bevor sie sich mit lautem Rumpeln zu bewegen begannen und auf Agnes zukamen. Die anderen wachten von dem Lärm nicht auf und schliefen weiter, aber das änderte sich, als Agnes laut aufschrie und panisch in die Mitte des Raumes flüchtete.
„Aufwachen!", schrie sie, ihre Stimme schrill vor Angst, „Wacht auf! Wir werden angegriffen!"
Die anderen im Raum hatten es nicht erwartet und wachten nur langsam auf oder schreckten schon von dem Schreien geweckt auf. Sofort begann Chaos Einzug zu halten und die Hexen und Zauberer griffen nach ihren Zauberstäben, die sie immer nahe bei sich behielten.
Aber Agnes kümmerte sich nicht weiter um sie – sie selbst musste überleben.
Sie stieß Katie zur Seite und hatte ungefähr den Platz im Raum gefunden, der der Mitte am nächsten war. Dort kauerte sie sich zusammen, wie sie es schon kannte und wartete wimmernd und weinend. Die Wände kamen näher und immer näher. Agnes betete, dass sie sie dieses Mal nicht zerquetschen würden. Sie hatte gewusst, dass Agnolia hinter dieser Folter im Keller gesteckt hatte und jetzt war Agnolia gekommen, um sie umzubringen und das zu erledigen, das sie schon vor Jahren begonnen hatte. Es war so laut – für Agnes' empfindliches Gehör war es eine Qual und die schlug die Hände über die Ohren und schrie, um den Lärm auszublenden und nur sich selbst zu hören – es gelang ihr nicht. Sie wunderte sich, dass die anderen erst von ihrem Geschrei aufgewacht waren, immerhin war es wirklich laut im Moment.
Agnes wollte nicht sterben – besonders nicht so. Zerquetscht von den Wänden, die immer näher kamen. Aber sie hatte keine andere Wahl – sie war eingesperrt und es gab in dieser Dunkelheit kein Entkommen. Sie war zum Tode verurteilt und Agnes weinte.
Die anderen im Raum sahen sich alarmiert um und warteten darauf, dass der erwartete Angriff auch sie erreichen würde, aber das passierte nicht.
Agnes spürte eine Hand auf ihrer Schulter und wusste instinktiv, dass es Fred war.
„Ich will nicht sterben! Ich will nicht sterben! Ich will nicht sterben!", sagte sie immer wieder, während sie vor und zurück wippte und sie so klein machte, wie sie nur konnte. Vielleicht, wenn sie klein genug war, würde sie sogar überleben. Vielleicht würde Agnolia sie übersehen und sie würde lebend entkommen.
„Shh...", machte Fred und strich ihr beruhigend über den Rücken, „Alles wird gut, ich bin bei dir."
„Gar nichts ist gut! Gar nichts ist gut! Gar nichts ist gut!", sagte Agnes immer wieder und Tränen rannen über ihre bleichen Wangen. Die Wände kamen immer näher – nun waren sie schon so nahe, dass Agnes sie hätte berühren können, wenn sie die Arme ausgestreckt hätte, aber das wollte sie nicht. Sie wollte so klein sein, dass sie einfach verschwand.
Die Tür wurde aufgerissen und die Leute vom Nebenraum, die ebenfalls die Schreie gehört hatten, stürmten in den Raum, in der Erwartung, dass dort ein Kampf stattfand, aber stattdessen fanden sie nur verwirrte Widerstandsleute und Agnes, wie sie weinend in der Mitte des Raumes hockte und so klein wirkte, wie man Agnes Tripe noch nie gesehen hatte.
Agnes spürte die Wände an ihren Schultern und sie rührte sich nicht mehr, konnte aber nicht verhindern, dass sie noch immer zitterte vor Angst. Sie weinte, aber biss sich auf die Zunge, sodass sie zu bluten begann, damit kein Laut aus ihrem Mund kam. Vielleicht, wenn sie klein genug war und leise genug, wurde sie einfach vergessen. Die Wände sperrten sie ein und Agnes war gefangen in einem winzigen Würfel, in dem sie nicht einmal mehr genug Platz hatte, um sich irgendwie zu rühren. Sie bekam keine Luft mehr – die Luft in so einem engen Raum war knapp. Sie würde ersticken. Agnolia Tripe würde sie einfach ersticken lassen – sie wusste es. Das war beinahe noch grausamer, als von den Wänden erdrückt zu werden.
„Was ist hier los?", hörte man Sirius' Stimme und er drängte sich an den anderen vorbei nach vorne. Als er Agnes erblickte, wusste er sofort, was los war und sein Blick wurde sanfter. „Oh, nein", murmelte er mit Mitleid in der Stimme und ließ seinen Zauberstab sinken.
„Was ist los? Wer greift an?", fragte Leanne und wirkte noch etwas verschlafen – sie war aus dem Schlaf gerissen worden, wie die anderen auch.
„Macht Licht", befahl Sirius, ohne ihr eine Antwort zu geben. Angelina, die dem Lichtschalter am nächsten war, betätigte ihn und der Raum wurde in künstliches, aber helles Licht getaucht. Sie blinzelten alle von dem plötzlich hellen Licht, aber Agnes bewegte sich nicht.
„Niemand greift an", sagte Sirius ruhig, „Agnes mag keine Dunkelheit. Es ist alles in Ordnung."
Er verstaute seinen Zauberstab in seinem Ärmel und näherte sich Agnes, wie man sich einem verängstigten Tier nähern würde, mit erhobenen Händen, um ihr zu zeigen, dass er unbewaffnet war, obwohl Agnes die Augen geschlossen hielt und sich unter ihren Armen versteckte.
Es wurde leise und alle Blicke lagen auf Agnes, die noch immer in der Mitte des Raumes kauerte und sich nicht bewegte, als wäre sie in einer Kiste eingesperrt.
„Agnes", sagte Sirius mit sanfter Stimme, „Ich bin es, Agnes. Sirius."
„Sie bringt mich um. Sie bringt mich um. Ich bekomme keine Luft", keuchte Agnes, ohne aufzuschauen, „Ich sterbe. Ich sterbe."
„Alles ist gut, Agnes", versicherte Sirius ihr und kniete sich neben ihr auf den Boden. Er zögerte, bevor er vorsichtig eine Hand auf ihre Schulter legte. Agnes zuckte zusammen und blickte auf. Sie blinzelte, als das helle Licht sie blendete und als sie sich umsah, bemerkte sich auch, dass die Wände wieder an ihren ursprünglichen Platz zurückgekehrt waren.
Agnes wischte sich über die Augen und stand auf zittrigen Beinen wieder auf. Sirius war verwundert, als sie einfach aufstand, als wäre nichts passiert und folgte ihrem Beispiel und behielt eine Hand auf ihrer Schulter.
„Wir werden angegriffen", sagte Agnes ernst und sah sich um, „Sind alle versammelt? Wir müssen sofort das Haus evakuieren. Agnolia Tripe ist unter den Angreifern und –"
„Agnes", unterbrach Sirius sie sanft.
„Was ist?", zischte Agnes gereizt – ihre Wangen waren noch nass von ihren Tränen, „Siehst du nicht, dass wir alle in Gefahr sind? Wir müssen sofort verschwinden! Hast du nicht mitbekommen, was gerade passiert ist?"
„Nein", antwortete Sirius ihr ehrlich, „Es ist überhaupt nichts passiert. Es ist wieder nur in deinem Kopf gewesen."
Agnes glaubte Sirius nicht, aber als sie sich umsah, bemerkte sie, dass niemand panisch war, wie sie. Wenn die Wände versuchten, einen zu zerquetschen, dann war man immer panisch – Agnes wusste das, nachdem sie es selbst erfahren hatte, als es zum ersten Mal passiert war. Statt panisch zu sein, blickte aber jeder nur sie an – Mitleid in ihren Augen.
Agnes runzelte die Stirn.
„Ich sag das zwar nicht gerne, aber Sirius hat Recht", hörte Agnes Fred sagen und sie sah in seine Richtung, „Es ist immer nur in deinem Kopf gewesen."
„Aber... aber...", stammelte Agnes irritiert, bevor sie den Kopf schüttelte, um ihre Gedanken zu ordnen und sich wieder fasste, „Nein, das kann nicht in meinem Kopf passieren. Als ich in diesem Keller gewesen bin, ist es wochenlang jeden Tag passiert. Ich quäle mich doch nicht jeden Tag selbst."
„Manchmal sind wir selbst die einzigen, die genau wissen, man wir uns quälen können", meinte Sirius ruhig und strich ihr vorsichtig über den Rücken, „Aber es ist vorbei. Schau, es ist wieder hell."
Es war hell. Da war Licht. Sie war nicht im Keller und die Wände bewegten sich nicht mehr. Aber Agnes bildete sich das nicht ein. Sie wusste, dass es echt war – sie spürte jedes Mal die Wände auf ihrer Haut. Das konnte sie sich nicht einbilden. Andererseits war ihr Verstand zu Unglaublichen fähig.
„Es ist genauso eine Einbildung, wie ich es bin", versuchte Fred es noch einmal sanft.
„Ich weiß, dass du nur eine Einbildung bist!", schrie Agnes und drehte sich zu ihm um, um ihn wütend anzufunkeln, „Du bist nicht hier! Also verschwinde! Ich brauche keine Einbildungen!"
„Mit wem redest du?", fragte Sirius sie sanft, als würde er genau wissen, mit wem sie sprach, „Da ist niemand."
„Ich weiß, dass du niemanden sehen kannst!", fuhr Agnes ihn wütend an, „aber ich sehe ihn. Er steht da – mit seinem dämlichen Grinsen. Er ist da und ich weiß, dass er nicht da ist, aber trotzdem steht er hier und redet mit mir und redet mir ein, dass ich ihn brauche, aber ich brauche ihn nicht! Ich brauche meinen verdammten Verstand zurück!"
„Im Moment wirkst du ziemlich verrückt", zeigte Sirius hilfsbereit auf.
„Halt einfach die Klappe, Black", zischte Agnes und hob ihren Schlafsack auf, „Wenn ihr mich entschuldigt – ich gehe in die Küche und mache mir einen Tee. Schlaft einfach weiter, als wäre keine Verrückte unter eurem Dach. Los!"
Agnes drängte sich an ihnen vorbei und stieß sie teilweise unsanft zur Seite, um an ihnen vorbei die Treppen hinunter zu gehen. Man hörte noch, wie die Tür der Küche zugeschlagen wurde.
Sirius seufzte und sah sich um.
„Sprecht sie bitte einfach nicht mehr darauf an", bat er sie sanft, „Es ist schlimm genug, dass ihr alle dabei zugesehen habt – das hat ihren Stolz ziemlich verletzt."
„Sirius", sprach Duncan ihn direkt an, „Wie... wie können wir ihr helfen?"
Sirius sah ihnen einen Moment lang nachdenklich an. „Das könnt ihr nicht wirklich", gestand er schließlich leise, „Sie... sie musst sich selbst helfen. Sie ist auf dem besten Weg der Besserung, aber Agnolia Tripe hat Narben hinterlassen – sie hat überall auf Agnes Narben hinterlassen. Versucht sie einfach nicht aufzuregen – sagt nicht „Abschaum", lasst immer ein Licht brennen, schickt sie nicht in zu enge Räume... sperrt sie nicht ein. Man sollte einen Werwolf nicht einsperren – niemals."
Mit diesen Worten drängte er sich ebenfalls an ihnen vorbei und folgte Agnes in die Küche – er wollte sie nicht alleine lassen.
„Okay!", meldete sich Leanne laut, nachdem sie sich von dem ersten Schock erholt hatte, „Gehen wir wieder schlafen – morgen stehen wir früh auf und planen den Überfall auf Hogwarts. Hopp! Hopp!"
Sie verteilten sich alle wieder und gingen alle wieder Schlafen, aber Agnes blieb zusammen mit Sirius wach, bis der Morgen graute und natürliches Licht wieder auf ihr Gesicht fiel.
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