8. Haselnussbraun, wie seine Augen
Ich sprang auf und mit dem Schwung meines Zauberstabes hatte ich meine Jacke und auch die Schuhe an. Ich apparierte auf der Stelle und konzentrierte mich genau auf den kleinen See, auf dem wie Eislaufen waren. Ich versuchte mir genau vorzustellen, wie kühl die Umgebung war, wie charmant das Haus gewirkt hatte und wie unglaublich schön es gewesen war, als die Sonne durch die Wolken gebrochen war und sich in dem von James' erschaffenen Eis gespiegelt hatte. Ich presste die Augen und Lippen zusammen und drehte mich auf der Stelle, den See genau vor Augen.
Als meine Füße auf festem Boden aufkamen, rutschte ich aus und fiel hin. Ich war mitten auf dem noch immer gefrorenen See gelandet. Mein Blick huschte sofort zu dem zweistöckigen, einfachen Haus, welches dort stand und den Mond blockierte und ich erhob mich vorsichtig.
Mit langsames Schritten, damit mein Hintern nicht noch einmal Bekanntschaft mit dem Eis machen würde, ging ich auf das Ufer zu, während meine Auge die Fenster absuchten, in der Hoffnung, vielleicht einen Hinweis darauf zu gelangen, dass James dort in einem der Zimmer sein würde. Aber das Haus war dunkel und still.
Endlich war ich am Ufer angekommen und mit pochendem Herzen, welches sicher so laut war, dass jeder es im Umkreis hören musste, ging ich um die Fassade herum, bis ich an der Haustür angekommen war. Eine Türklingel gab es nicht.
Ich hob eine zitternde Hand und klopfte vorsichtig gegen die hölzerne, sehr edel aussehende Tür und wartete. Vielleicht hatte er mich nicht gehört, dachte ich nach ein paar Sekunden, in denen sich nichts im Haus getan hatte. Oder er ist nicht da. Vielleicht – nur vielleicht – wollte er mich auch nicht hören. Meine Lippen bebten und mein Herz schlug wie wild, als ich die Hand erneut anhob, um etwas fester zu klopfen. Ein Licht glomm im Flur auf und ich sprang erschrocken zurück. Ich hatte nicht weit genug vorgedacht. Was sollte ich sagen? Oder besser: Was sollte ich tun, wenn nicht er, sondern seine Eltern aufmachen würden? Immerhin war es nach Mitternacht und normale Menschen schliefen um diese Uhrzeit.
Das Licht, welches ich durch ein senkrechtes Seitenfenster sehen konnte, kam näher und ich erkannte, dass es sich um eine durch Lumos entzündete Zauberstabspitze handelte. Und mein Herz sprang freudig in die Höhe, als ich erkannte, dass es James war, der diesen Zauberstab trug. Ich ging noch einen Schritt zurück und knetete mit meinen Händen. Sie mussten sicherlich total dämlich aussehen. Warum hatte ich daran nicht gedacht?
Die Tür wurde geöffnet und mit ausdrucksloser Miene betrachtete James mich, wie ich mit nervösen Bewegungen vor seinem Haus stand.
„Was willst du?", fragte er, noch bevor ich den Mund öffnen konnte. „I-Ich wollte mich bei dir entschuldigen und - "
„Aha." Er machte Anstalten, die Tür wieder zu schließen, aber geistesgegenwärtig, sprang ich vor und stellte einen Fuß dazwischen. „Warte, James, bitte." Ich hoffte, dass er mir eher gewillt war, zuzuhören, wenn ich ihn bei seinem Vornamen nennen würde. Seine Miene allerdings veränderte sich nicht. Wenn dann, sah er genervt aus.
Ein paar Sekunden lang blickte ich ihn flehend an, dann seufzte er schließlich und zog die Tür wieder auf. „Komm rein", meinte er knapp und trat beiseite. Wenn er sich auch nur im Geringsten freute, mich zu sehen, dann verbarg er dies äußerst gut. „Danke, James."
Erleichtert, aber auch neugierig, trat ich ins Haus und James schloss die Tür hinter mir. Alles, was ich im schwachen Licht seines Zauberstabes erkennen konnte, machte auf mich den Eindruck, als wäre es äußerst wertvoll. Glänzende Rüstungen standen an den Wänden und ein großes Portrait mit einem dunkelhaarigen Mann mit einem vollen Bart bedeckte die Nordseite des Flurs. Der Boden schien entweder aus echtem Marmor zu sein, oder er sah nur danach aus, aber eines stand fest: James' Familie hatte definitiv sehr viel Geld.
Ich schluckte, angesichts der Tatsache, dass James reich war. Also, wirklich reich. Ich hatte immer gewusst, dass seine Eltern einiges an Geld haben mussten, doch selbst dies übertraf meine Vorstellungen bei Weitem. James stammte aus einer reichen, sehr alten Reinblutfamilie und ich war nur ein muggelstämmiges Mädchen, ohne irgendwelche reichen Verwandten oder Besonderheiten. Was hatte er an mir gefunden? Er könnte sich jedes andere Mädchen nehmen, dass er wollte. James hatte alles: Er war sportlich, beliebt, sah gut aus und hatte viel Geld. Mit all diesen Dingen war er der perfekte Erbe einer Reinblutfamilie. Er würde diese Dynastie irgendwann weiterführen. Ich war nicht gut genug dafür. Ich war nicht rein genug dafür.
Mit zittrigen Händen und weitaufgerissenen Augen starrte ich James an, der neben mir stand und eine Augenbraue in die Höhe gezogen hatte. Meine Augenwinkel fingen an zu brennen, als ich mir bewusstwurde, dass, egal, wie sich das zwischen uns auch immer entwickeln würde, ich war es nicht wert.
Die erste Träne, die ich zuvor immer so gut zurückgehalten hatte, stahl sich ihren Weg auf meine Wange und ich beeilte mich, sie wegzuwischen. James' Miene wurde etwas weicher, als er diese kurze Geste sah, aber er sagte nichts dazu. Stattdessen drehte er sich stumm um und bedeutete mir, ihm zu folgen. Mit vorsichtigen Schritten tat ich dies auch.
Das Zimmer, in welches er mich brachte – war enttäuschend klein. Ein Bett stand darin, sowie ein ziemlich unordentlicher Schrank, ein zugemüllter Schreibtisch und ein halb geleerter Koffer. James' Besen stand unter einem Fenster, welches zum See zeigte und mein Gesicht erhitzte sich. Hatte er vielleicht gesehen, wie ich auf dem Eis gelandet und direkt hingefallen war?
Er deutete mit der Hand auf das Bett und ich ließ mich nervös darauf nieder. James setzte sich in einigem Abstand neben mich und mit einem Wink seines Zauberstabes erhellte sich die Lampe an der Decke. Er steckte den Stab wieder in seine Hosentasche und legte die Hände dann in seinen Schoß. Er sah mich nicht an.
„James, hör zu - ", fing ich an, doch er schüttelte träge den Kopf. „Bitte - "
„Potter."
„Was?", fragte ich perplex.
„Ich bin Potter. Nicht James. Das war ich immer für dich, oder?" Seine Stimme klang freudlos. Ich spürte, wie mein Magen aufgrund seiner Worte rebellierte.
„Nein, James, bitte, so ist das nicht. Hör mir einfach zu", bat ich und als er dieses Mal nichts tat, sprach ich erleichtert weiter. „Es war ein Fehler von mir, diese Dinge zu sagen und das weiß ich. Es tut mir wirklich leid."
Ich bewegte meine Hände unruhig hin und her und meine Lippen wurde merkwürdig trocken. „Ich habe mit meiner Schwester geredet und sie – sie hat mir diese Dinge gesagt, die ich nicht verstehen kann und vor denen ich Angst habe und jetzt weiß ich nicht mehr, warum ich eigentlich hier bin." Meine Stimme wurde zu einem Flüstern und ich brach ab. James' Kopf hob sich leicht und seine haselnussbraunen Augen wandten sich mir für einen kurzen Moment zu.
„Was meinst du damit?", fragte er schließlich. „Wovor hast du Angst."
Ich biss mir auf die Lippen und schloss schmerzerfüllt die Augen. „D-Dass da mehr ist, als nur Abscheu. Das ich Gefühle habe, die ich mir nicht zugestehen will. Das diese Gefühle nicht richtig sind und dass... dass ich einfach nicht richtig bin."
James sah mich einfach an. Und dann sagte er es. „Was meinst du damit?"
Ich schluckte und bewegte meine Hand auf seine zu. „Ich habe Angst, dass ich mich in dich verliebe", gab ich zu und seine Augen weiteten sich, während ich meine schloss. Ich ekelte mich vor mir selber, weil ich das gesagt hatte. Es war ja nicht so, als wäre James ein Parasit. Er war einfach nur ein Junge. Ein ganz normaler Junge.
„Ist das - ", er räusperte sich vernehmlich. „- meinst du das ernst?"
„Merlin, ja", sagte ich mit erstickter Stimme. „Ich weiß, das ist dämlich." James atmete laut aus und ich spürte seinen warmen Atem an meiner Wange. „Das ist nicht dämlich", meinte er dann und ich blickte auf. „Du bist – du bist so mutig."
„Das bin ich nicht", widersprach ich, doch James schüttelte den Kopf. „Doch. Du bist das mutigste Mädchen, welches ich je getroffen habe, Lily." Und vielleicht war es die Art, wie er meinen Namen aussprach, oder auch die Uhrzeit, oder vielleicht lag es auch daran, dass ich meine Tage hatte und nicht ganz auf der Höhe meiner geistigen Zurechnungsfähigkeit war – aber ich küsste ihn.
Sofort wanderte seine Hand zu meiner Hüfte und er zog mich an sich und ich vergrub meine Finger in seinen Haaren, die so weich und wunderbar waren. Wie ich mich nach diesem Moment gesehnt hatte. Ich stöhnte in den Kuss und schloss die Augen, während wir unsere Lippen hungrig aufeinander bewegten. Und Merlin, fühlte es sich gut an. Und richtig.
„Was soll das", murmelte er gegen meine Lippen.
„Ich küsse dich", antwortete ich und drückte meine Lippen erneut gegen seine. James brach den Kuss nicht ab, oder erwiderte ihn nicht, aber ich fühlte, dass er nicht ganz dabei war. Also ließ ich von ihm ab und sah ihn mit geöffnetem Mund an und atmete schwer.
„Was ist los? Ist das nicht alles, was du je wolltest?", fragte ich ihn, Enttäuschung schwang in meiner Stimme mit. Vielleicht war ich letztendlich wirklich nicht gut genug für ihn.
„Doch. Natürlich. Es ist nur so... so surreal", gab er zu. „Du hast mich verabscheut und auf einmal küsst du mich. Was soll ich denn jetzt denken?"
„Denk einfach nicht", hauchte ich. „Und küss mich einfach. Du hast es geschafft. Du hast mich überzeugt. In weniger als 24 Stunden. Glückwünsch, Potter." Ich legte eine Hand in seinen Nacken und wollte ihn wieder zu mir ziehen, doch er wehrte sich.
„Lily, ich kann das nicht einfach so", sagte er und drückte mich von sich. Meine Augenwinkel brannten wieder und ich verfluchte mich selbst dafür, dass er mich so fühlen lies. Dass ich so schwach wurde.
„Ich weiß, ich bin keine reinblütige Hexe, die deine Familie braucht und ich bin auch nicht reich oder - "
James unterbrach mich. „Was redest du denn da?", forderte er aufgebracht zu wissen. „Das ist mir doch vollkommen egal. Und meinen Eltern auch. Und selbst wenn es sie kümmern würde, dann wäre es mir immer noch egal."
„Aber – du bist doch der Erbe - "
„Na und?", erwiderte James höhnisch. „Es interessiert mich nicht, in welcher Art diese Familie weitergeführt wird. Aber ich gehe keine Ehe mit einer Reinbluthexe ein, nur wegen der Familienlinie. Glaub mir, Lily, ich wäre der Letzte, der das wollen würde." Seine warmen Finger strichen über meine Wange und wieder spürte ich, wie mir ganz wohlig wurde. „Du weißt nicht, wie lange ich auf diesen Augenblick gewartet habe", fuhr er fort. „Sieben Jahre lang habe ich darauf gewartet, dass wir uns gut verstehen und jetzt küsst du mich. Lily, ich bin verwirrt. Was passiert jetzt? Was ist das mit uns jetzt?"
Ich schüttelte traurig den Kopf. „Ich weiß es nicht, James. Ich weiß es wirklich nicht. Aber ist das wichtig?" Ich biss mir auf die Lippe, als ich wieder an das viele Geld dachte, dass James und seine Familie besaßen. „Aber... "
„Hast du noch Angst?", fragte er sanft. Meine Augen wandten sich ihm zu und das Licht der Lampe spiegelte sich in seinen Brillengläsern. „Nein", hauchte ich leise und meine Hand wanderte zu seiner und unsere Finger verschlungen sich einander. „Dann lass uns einfach abwarten", erwiderte er. „Lass uns abwarten und die Dinge geschehen lassen und dann sehen wir, was sich entwickelt. Ich weiß nur... Lily Evans, du machst mich verrückt."
„Und ich weiß, du bist der größte Idiot, der mir je untergekommen ist." James grinste in den Kuss hinein, zu dem ich ihm gezogen hatte. Vor dem Fenster fielen die ersten Schneeflocken des Jahres.
14 Stunden und 32 Minuten. Und dieser blöde Idiot hatte Recht behalten. Er hatte wirklich nur 15 Stunden benötigt.
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