7. Blond, wie ihre Haare

„Also. Warum hast du geweint?", wiederholte ich. Petunia seufzte leise und sie blickte mich direkt an, was sie seit vielen Jahren nicht mehr getan hatte. „Ich war bei Vernon zum Abendessen eingeladen", fing sie an und strich sich über ihr Kleid, welches ich vorher nicht bemerkt hatte. Es war cremefarben und wirklich hübsch, allerdings ließ es sie wirklich blass aussehen. „Und er wurde befördert, weswegen es ein besonderer Abend war. Ich habe extra einen der guten Weine gekauft, den seine Eltern so mögen und..."

Sie brach ab und seufzte leise. „Was?", hakte ich nach.

„Sie hassen mich", platzte Petunia schließlich heraus. „Die Eltern meines Verlobten hassen mich und sind nicht damit einverstanden, dass ich ihn heiraten werde. Sie hassen mich und alles, wofür ich stehe." Sie schluchzte leise und ich blickte sie verwirrt an.

„A-Aber warum gibt's du denn überhaupt etwas, was sie sagen? Wenn du Vernon wirklich so liebst - " Bei diesen Worten musste ich beinahe würgen – es war ein offenes Geheimnis, dass ich das Walross nicht ausstehen konnte. „– dann sollte es dir egal sein, was seine Eltern denken. Wenn ich einen Jungen mitbringen würde", meine Brust zog sich kurz schmerzhaft zusammen, als ich wieder an den Streit mit James dachte. „dann würde es mir auch egal sein, ob meine Eltern ihn nicht mögen würde, wenn ich ihn nur lieben würde."

Petunia blickte mich an, als wäre ich ein Geist. „Was denn?", fragte ich und meine Wangen wurden heiß. Sie schüttelte träge den Kopf und öffnete beeindruckt den Mund. „Ich hätte nicht gedacht, dass ein Freak wie du so gute Antworten parat hat."

„Ich bin nicht umsonst Jahrgangsbeste, Tuni", antwortete ich stolz und grinste sie an. Petunia verzog das Gesicht, gab mir aber ausnahmsweise keinen Seitenhieb auf mein Dasein als Hexe. „Danke", sagte sie stattdessen, auch wenn es eher ein Flüstern war, als wollte sie nicht, dass ich merkte, dass sie es gesagt hatte. Ich lächelte sie an. „Gern geschehen."

„Und wieso bist du noch wach?", fragte Petunia nun mich und ich erstarrte in meiner Bewegung, denn ich wollte aufstehen, um mir endlich mein Essen zu machen. „Oh, ich – ich wollte nur was essen." Sie sah mich mit ihren hellen, blauen Augen an, die mich zu durchdringen schienen und dieser Blick erinnerte mich so sehr an James, dass ich den Blick abwenden musste.

„Du isst sonst nie nachts", sagte Petunia leise. „Was ist los?"

„Gar nichts, ich hatte nur Hunger", sagte ich mit zu hoher Stimme und setzte ein hohles Lachen hinterher. Petunia zog ihre Augenbrauen in die Höhe und blickte mich wieder mit diesem spöttischen Ausdruck in den Augen an. „Lily", mahnte sie.

„Schön", gab ich resigniert nach. Ich wusste gar nicht, dass Petunia so eine gute Kenntnis von mir hatte. Ich setzte mich wieder auf den Stuhl, von dem ich mich halb erhoben hatte und legte meine Hände auf den Tisch, die dort nun sehr deplatziert wirkten. „Es war nur ein Streit."

„Mit Mum?", hakte Tuni nach und ich schüttelte den Kopf. „Dad?" Ihre Stimme klang dieses Mal ungläubig, was ich nur zu gut verstehen konnte. Ich hatte mich noch nie mit meinem Vater gestritten und würde es wohl auch nie. Ich war sein kleines Mädchen, seine Blume. Er liebte mich zu sehr, um mit mir zu streiten.

„Nein, mit... einem Jungen." Petunia zog die Augenbrauen die Höhe. „Einem Jungen?", wiederholte sie. „Du kennst Jungs?"

Ich lachte humorlos. „Sehr witzig, Tuni. Ja, ich kenne Jungs, stell dir vor. Ich lebe ja nicht hinterm Mond." Petunias dünne Lippen verzogen sich zu einem schmalen Lächeln. „Schon gut. Worum ging es?"

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht", sagte ich wahrheitsgemäß und seufzte leise. „Wir haben uns gut verstanden – was schon eine Überraschung für sich war – und dann von einem Moment auf den anderen fing es an." Ich stützte mein Kinn auf meine Hände. „Und jetzt sind wir beide sauer aufeinander und ich bin verwirrt, was ich denken soll."

„Wieso das?", fragte Petunia, die ebenso sichtlich verwirrt schien. Ich verzog das Gesicht, ehe ich antwortete: „Naja, da sind irgendwie Gefühle, die nicht da sein sollten und alles fühlt sich so falsch an."

„Erklär es mir", forderte Petunia mich auf, die wohl nicht ganz mitkam.

„Okay", seufzte ich, während die Digitaluhr an der Wand auf null Uhr sprang. „Auf meiner Schule ist dieser eine Junge, James Potter. Er ist ein echt arroganter Typ, der in allem der Beste ist und gut im Sport und bei allen beliebt ist. Er und seine Freunde spielen regelmäßig Streiche und seit diesem Jahr ist er mit mir zusammen Schulsprecher. Ich kann ihn eigentlich kein Stück leiden. Dann ist er heute aufgetaucht, nachdem er sich per Brief angekündigt hat, weil er mich besuchen wollte." Ich verzog das Gesicht. „Er wollte, dass ich ihm eine Chance gebe, dass ich den richtigen James kennen lernen und ich habe ihm gesagt, ich gebe ihm 24 Stunden, damit er mir beweisen kann, dass er nicht der größte Idiot auf Erden ist. Also sind wir losgegangen. Wir waren Kaffee trinken und dann Eislaufen und auf dem Riesenrad, haben Zuckerwatte und Schokofrüchte gegessen, er hat mir beim Dosenwerfen eine Lilie gewonnen und dann haben wir uns das Feuerwerk angeguckt. Und er hat mich gefragt, ob ich ihm denn je eine Chance geben würde und ich wusste einfach keine Antwort, weil ich an diesem Tag den echten James Potter kennen gelernt hatte, der auch Ängste und Sorgen hatte und ich nicht wusste, was ich damit anfangen sollte, also habe ich nichts gesagt und dann wurde er sauer, als er mich zu Hause abgesetzt hat und wir haben uns gestritten und – oh Gott, ich habe so schreckliche Dinge zu ihm gesagt, Tuni", schloss ich lahm.

Meine Schwester allerdings starrte mich an, als hätte ich ihr gerade erzählt, ich würde die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika werden. „Was ist?", fragte ich vorsichtig und befürchtete schon, sie hätte ihre Zunge verschluckt. „Du hast 'Gott' gesagt", sagte sie atemlos. „Das hast du seit ein paar Jahren nicht mehr getan. Immer sagst du nur Merlin."

Ich sah sie mit großen Augen an. „Tuni, ich habe hier ein wirkliches Problem", erinnerte ich sie und sie schüttelte kurz den Kopf. „Okay, tut mir leid. Was genau ist denn nun das Problem?"

„Ich habe ihm so schreckliche Dinge an den Kopf geworfen und er wird bestimmt nie wieder mit mir reden wollen!" Petunia verschränkte die Arme und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Du hast doch gesagt, du kannst diesen Jungen sowieso nicht leiden. Warum also kümmert es dich."

„Weil ich mir da nicht mehr so sicher bin", stöhnte ich und ließ meinen Kopf auf die Tischplatte sinken. „Ich hätte es einfach nicht für möglich gehalten, aber alleine diese wenigen Stunden außerhalb mit ihm – ohne die Schule, ohne die ganzen Schulkameraden und Lehrer und den Leistungsstress – haben mir eine Seite an ihm offenbart, die ich vorher nicht wahrgenommen hatte. Und jetzt weiß ich einfach was ich fühlen soll. Der Junge, den ich sechs Jahre lang nicht ausstehen konnte, hat mir gezeigt, dass er diese Dinge mit mir machen kann und dass ich mich nicht dagegen wehren kann... Petunia, hilf mir."

„Hast du ein warmes Gefühl, wenn er mit dir redet?", fragte sie.

„Ja."

„Wirst du nervös, wenn er dich berührt?"

„Ja", antwortete ich.

„Fühlt dein Bauch sich komisch an, wenn du ihm in die Augen blickst? Oder wenn er etwas zu dir sagt? Wirst du bei Komplimenten rot?"

„Ja, ja und ja."

Petunia seufzte leise. „Du verliebst dich", sagte sie dann nach ein paar Sekunden Schweigen. Sofort lachte ich auf. „Du bist ja verrückt", sagte ich und meine Stimme rutschte ein paar Oktaven höher. „Das ist unmöglich."

Meine Schwester zuckte nur leicht mit den Schultern. „Das ist meine Einschätzung der Dinge. So war es bei mir und Vernon zumindest. Die Schmetterlinge im Bauch, die heißen Wangen", schwärmte sie. „Hach, es ist so schön, wenn man sich gerade verliebt."

Ich lachte noch einmal auf und mein Lachen klang sehr hysterisch. „Das ist doch nicht möglich!", versuchte ich sie mit Logik zu überzeugen. „Man kann sich nicht in weniger als 24 Stunden in jemanden verlieben, den man zuvor nicht gemocht hatte. Das ist physikalisch nicht möglich, Tuni."

„Das weiß ich", antwortete sie schlicht und erhob sich von ihrem Stuhl, wobei sie ihr Kleid wieder glattstrich. „Ich sage auch nicht, dass es jetzt passiert sein muss. Manchmal hat man diese Gefühle schon in sich und es braucht erst einen kleinen Schubser, um sie zu erwecken. Wer weiß... vielleicht hattest du schon immer etwas für diesen James Potter übrig und erst jetzt bist du dir darüber im Klaren geworden. Den wahren Kern einer Person zu kennen, kann manchmal wirklich Wunder bewirken."

Petunia ging an mir vorbei und ihre Hand zuckte kurz, als wolle sie sie mir auf die Schulter legen, doch sie besann sich wohl eines Besseren. „Gute Nacht, Lily. Ich brauche noch etwas Schönheitsschlaf."

„Warte!", sagte ich leise und folgte ihr. „Was soll ich denn jetzt machen?" Meine Schwester blickte mich nun leicht genervt an. „Mensch, Lily, ich bin doch kein Pärchenberater. Geh zu ihm oder lass es bleiben", sagte sie schlicht, ging die Treppen hinauf und ließ mich in der Dunkelheit des Flures zurück. Eine geschlagene Minute lang stand ich einfach nur da – lauschte, wie die Badezimmertür im oberen Stock zu ging und dann wieder geöffnet wurde, wie Petunia in ihrem Zimmer verschwand – dann bewegte ich mich. Erst zaghaft lief ich auf die Kommode zu, über der meine Jacke hing. Einen Augenblick lang klammerte ich meine Hand einfach nur in den Stoff und spürte die raue, kühle Oberfläche auf meinen Fingern, dann riss ich sie vom Haken und zog sie mir über. Ich eilte in mein Zimmer, schnappte mir meinen Zauberstab, wobei mein Blick auf die Lilie von James fiel, die jetzt auf meinem Nachttisch stand und vom Mondlicht beschienen wurde. Ich schluckte schwer und wandte mich um. Was tat ich da nur...

Resigniert ließ ich meine Jacke von den Schultern gleiten und achtlos auf den Boden fallen und setzte mich auf mein Bett. Ein Gedanken schien den nächsten zu jagen. Mein Kopf wurde schwer und meine Augenlider fielen zu und vor meinem inneren Auge konnte ich diesen Tag noch einmal sehen. Ich sah, wie James genervt mit der flirtenden Bedienung redete, wie er mir half, auf dem Eis stehen zu bleiben. Ich sah, wie wir gemeinsam mit dem Riesenrad fuhren, wie die Lichter sich in seinen Augen gespiegelt hatten, als er darüber geredet hatte, was uns dort draußen erwartete. Und ich sah das Feuerwerk und spürte, wie mein Gesicht wieder warm wurde und meine Hände schwitzig wurden und wie ein Kribbeln meinen Magen beeinträchtigte. James Potters strahlendes Gesicht mit dem breiten Grinsen erschien vor mir und ich konnte ihn sehen, wie er mich mit leuchtenden Augen anblickte.

Und dann wusste ich es.

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