3. Hellblau, wie das Eis

Als unsere Füße wieder auf festen Boden aufkamen, atmete ich erleichtert ein, riss meine Hand aus seiner und starrte ihn finster an. „Eine Vorwarnung, bevor du mich einfach so entführst, wäre nett gewesen!" Potter grinste schief. „Tut mir leid."

Schnaubend wandte ich mich ab, um die Umgebung zu betrachten. Wir waren in einem Dorf, so schien es mir. Kleine, schmucke Häuser säumten die Kopfsteinpflasterstraße und ein riesiger Christbaum stand wohl auf den Hauptplatz, denn er ragte über die Schieferdächer und blinkte fröhlich vor sich hin. „Wo sind wir?", fragte ich und lockerte meine Haltung etwas. Von irgendwoher wehte der Duft vom Früchten und Gebackenem.

„In Godric's Hollow", verkündete er stolz. „Meiner Heimat." Ich zog eine Augenbraue nach oben und drehte mich zu dem grinsenden Potter um. „Hier wohnst du?", fragte ich zweifelnd.

„Jep", erwiderte er nickend. „Wieso so zweifelnd?" Er musste wohl meinen Unterton bemerkt haben.

„Naja, der reiche James Potter, der immer alles hat, wohnt in einem einfachen Dorf und nicht etwa auf dem Land in einem riesigen Wohnsitz oder in der Stadt in einer pompösen Villa. Das überrascht mich." Er schüttelte schwach den Kopf. „Ich merke schon, du hast ein komplett falsches Bild von mir, Evans." Er führte mich weiter die Straße entlang. „Nur, weil meine Eltern relativ viel Geld haben, heißt das nicht, dass wir damit auch angeben müssen, wie es einige andere Reinblutfamilien tun. Meine Mutter hat mir immer gesagt, dass man einen schlechten Menschen daran erkennen kann, dass er mit dem, was er hat, prahlt." Ich hob überrascht den Blick.

„Deine Mutter scheint sehr intelligent zu sein", sagte ich und er grinste. „Von irgendwem muss ich das doch haben, oder?" Ich stöhnte leise. „War ja klar..."

„Also schön, und was wollen wir jetzt hier?", fragte ich ihn und warf einen Blick auf meine Armbanduhr. Zwei Stunden und neunundzwanzig Minuten der von mir gegeben 24 waren um. „Wir - ", fing er an und drehte sich zu mir um. „– gehen Eislaufen." Mit dem Wink seines Zauberstabes erschienen zwei paar Schlittschuhe in seinen Händen und er drückte mir eines entgegen, welches ich verdutzt annahm. „Eislaufen?", fragte ich mit panischer Stimme. „Ohne mich." Ich wollte ihm die Schlittschuhe wiedergeben, doch er wehrte sich vehement dagegen.

„Komm schon, Evans. Das macht Spaß!", rief aus und ging voran. „Aber ich kann das nicht!", erwiderte ich und folgte ihm schnell, ehe er mich zurückließ. „Ich bringe es dir bei", sagte er einfach. „Es ist nicht sonderlich schwer. Viel einfacher als Fliegen."

„Aber – es ist gar nicht kalt genug dafür!", protestierte ich schwach, doch er grinste mich nur an. „Das lass mal meine Sorge sein." Ich wusste, es würde nichts bringen, weiter dagegen an zu reden, also ergab ich mich meinem Schicksal. James führte mich die Hauptstraße weiter, vorbei an Wohnhäusern, in deren Fenstern Lichterketten leuchteten und Schneemänner glitzerten. Dann wandte er sich nach rechts und öffnete ein Gartentor. Er ließ mir den Vortritt – verdammter Gentleman – und schloss das leise quietschende Schloss dann wieder. Ein einfaches, zweistöckiges Haus erhob sich vor mir. Die Wände waren aus Holzbalken und Stein und es hatte einen wunderbar altmodischen Charme, mit dem schiefen Dach und den vielen Fenstern. Von irgendwoher plätscherte es leise und ich vermutete einen Bach.

Potter ging um das Haus herum, welches wohl seinen Eltern gehören musste, und präsentierte mir dann einen kleinen See. Also, wirklich einen See. Er war auf keinen Fall so groß wie der Schwarze See in Hogwarts, aber war auch schon ordentlich. Auf jeden Fall bot er genug Fläche, damit mindestens zwei Personen darauf Eislaufen konnten. Allerdings war er nicht –

„Jetzt pass mal auf", sagte er grinsend, zog seinen Zauberstab und richtete ihn auf die glatte Oberfläche des Sees, welche binnen weniger Sekunden komplett vereiste. Erstaunt hob ich meine Augenbrauen. Das war eindrucksvoll gewesen, das musste ich zugeben. Der Zauber, den er verwendet hatte, hatten wir im letzten Jahr gelernt, ihn allerdings an Wassergläsern und kleinen Pfützen getestet. Dass er es aber schaffte, diesen ganzen See zu gefrieren, sagte viel über sein magisches Talent aus.

Während ich sein Werk noch bewundert hatte, hatte er seine Schuhe bereits gegen die dunklen Schlittschuhe ausgetauscht. „Komm schon, Evans", forderte er mich auf und etwas widerwillig zog ich meine Stiefel aus. Die Schuhe hatten die richtige Größe – er war zu gut informiert, fand ich – und fühlten sich ganz bequem an. Allerdings war ich extrem wackelig auf den Beinen, denn ich musste mit den Kufen bis zum See laufen, was mehr als schwer war. „Brauchst du Hilfe?", fragte Potter mich grinsend und bot mir seinen Arm an.

„Tze." Ich schlug seine Hand weg und strauchelte alleine zum nun gefrorenen See. Als die Kufen auf das Eis aufkamen, rutschte ich sofort zur Seite. Und eigentlich hatte ich es nicht anders erwartet, aber Potter schlang seinen Arm um meine Hüfte und bewahrte mich davor, umzufallen und mich noch mehr zu blamieren, als ich eh schon hatte. „Und jetzt?", fragte er immer noch grinsend und ich seufzte ergeben. „Schön."

Er zog mich in eine aufrechte Position, hielt aber eine Hand auf meiner Schulter, um mich zu stützen. „Versuch einfach erstmal ein bisschen zu laufen, damit du mehr Gefühl für den Untergrund und die Schuhe bekommst", sagte er und ließ mich dann los. Sofort wackelte ich bedrohlich, aber ich widerstand dem Drang, mich an ihm festzuhalten. Das war unter meiner Würde.

Ich versuchte ein Stück zu gehen und es klappte auch einigermaßen. Ich strauchelte und wackelte, aber ich behielt eine aufrechte Position. „Sehr gut", sagte Potter, der die ganze Zeit zu mir gesehen hatte, während er in langsamen Kreisen über den See fuhr. „Jetzt versucht mal etwas schneller zu werden. So." Er drückte die Knie durch und lief dann vorwärts, Eissplitter flogen in die Luft, als seine Kufen über den Boden surrten. Ich betrachtete skeptisch, wie er sich leichtfüßig über das Eis bewegte, als wäre es normaler Grund. „Wieso bitte kannst du das so gut?", fragte ich ihn, während ich langsam aber sicher an etwas Tempo gewann, auch wenn ich mich noch nicht ganz traute, wirklich schnell zu werden.

„Wenn man einen See hinter dem Haus hat, dann bringen einen die Eltern schon mal dazu", grinste er mich an. „Außerdem macht es irgendwie Spaß. Und ist ziemlich entspannend." Er schlitterte über das Eis, als würde er nie etwas anderes machen und ein bisschen war ich auch beeindruckt davon. Aber nur ein bisschen, was ich ihm natürlich nie sagen würde, sonst würde sein aufgeblasener Kopf nur noch größer werden, genau wie sein Ego. „Jetzt komm schon, Evans, oder hast du etwa Angst?", fragte er und obwohl ich geglaubt hatte, er würde spotten, klang seine Stimme sogar irgendwie besorgt. Als würde er wirklich denken, ich hätte Angst. „Klar", murrte ich und legte an Geschwindigkeit zu.

Sobald ich den Dreh raushatte, machte es sogar wirklich Spaß. Aber es war auch anstrengend und nach einer halben Stunde, die ich über das Eis gelaufen war, war mein Pullover etwas klebrig und mein Gesicht war heiß. Potter erkannte dies und blieb neben mir stehen, wobei er etwas von dem Eis aufwirbelte. „Willst du was trinken?", fragte er mich charmant und reichte mit dann eine Wasserflasche, auch wenn ich nicht wusste, wo er die herhatte. Ich betrachtete sie skeptisch und er lachte.

„Keine Sorge, ich will dich nicht vergiften." Er drehte den Deckel ab, nahm einen Schluck daraus und wischte dann die Öffnung mit dem Ärmel seines Mantels ab. „Hier." Ich nahm ihm die Flasche ab und kostete von dem Wasser, welches ich gerade wirklich gebrauchen konnte. „Danke."

Er lächelte mich an. „Also, hast du auf irgendwas Lust?", fragte er mich und bewegte sich Richtung Ufer. „Wir haben jetzt etwas gemacht, was ich wollte, also bist du fairerweise jetzt dran." Ich hob überrascht eine Augenbraue und folgte ihm. „Ich weiß nicht. Gibt es hier einen Weihnachtsmarkt?"

„Einen was?", fragte er mich ungläubig. „Einen Weihnachtsmarkt", wiederholte ich. „Sag bloß, du kennst das nicht." Er schüttelte stumm den Kopf, während er sein Paar Schlittschuhe gegen seine normalen Schuhe austauschte. „Merlin, hat man dich im Haus eingesperrt, oder warum zum Teufel kennst du sowas nicht?"

„Naja", meinte er verlegen. „Meine Eltern waren immer viel unterwegs und hatten keine Zeit, irgendwelche Märkte mit mir zu besuchen." Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. „Was machen denn deine Eltern?", fragte ich, weil ich es ehrlich nicht wusste.

„Sie sind Auroren", erwiderte James leise. „Sie jagen schwarze Magier. Die meiste Zeit war ich zu Hause mit der Haushälterin und den Hauselfen, während sie irgendwo in der Welt waren. Ich wusste manchmal wochenlang nicht, wo sie waren. Schreiben konnte ich ihnen nicht, ich hätte ihre Position verraten. Also war ich die meiste Zeit meiner Kindheit alleine zu Hause und hatte nicht einmal irgendwelche Kinder, mit denen ich spielen konnte. Kaum einer hier aus der Nachbarschaft ist magisch, weißt du."

Irgendwie – und ich wusste nicht warum – hatte ich Mitleid mit ihm. Meine Kindheit war schön. Ich hatte Freunde aus der Schule und der Nachbarschaft, ich hatte meine Schwester und – damals noch – Severus als Freund. Aber James hatte niemanden. Und obwohl er wohl alles haben konnte, was er wollte, hatte er nie eine richtige Kindheit gehabt. Und das tat mir leid.

„Aber genug davon", sagte er mit einem Lächeln, welches seine Augen nicht komplett erreichte. „Was ist denn nun ein Weihnachtsmarkt?" Seine Hand fuhr mit einer unruhigen Geste zu seinen Haaren und er verwuschelte sie noch ein Stück mehr.

„Ein Weihnachtsmarkt ist eigentlich wie ein Jahrmarkt, aber im Winter", erklärte ich ihm. Potter blickte mich verwirrt an. „Und was ist ein Jahrmarkt?"

Ich stöhnte. „Ein Jahrmarkt ist – weißt du was, ich zeig es dir einfach." Ich griff einfach nach seinem Handgelenk und apparierte mit ihm. Nach dem kurzen Schlauch, der mir die Luft aus den Lungen gepresst hatte, kamen meine Füße auf festem Boden auf, aber ich strauchelte kurz, sodass ich gegen James stieß. Ohne darauf zu achten, ließ ich ihn los und ging die Straße meiner Heimat entlang. „Hey, warte auf mich!"

„Dann geh schneller", rief ich über meine Schulter, ohne zurückzublicken. Sein atemloses Lachen drang an meine Ohren, als er neben mir ankam. Irgendwie wusste ich nicht, was ich hier tat. Ich war auf dem Weg zu einem Weihnachtsmarkt, mit James Potter. Das ich alleine mit ihm unterwegs war, war schon schlimm genug. Ich warf ihm einen hastigen Seitenblick zu. Seine Augen huschten prüfend durch die Gegend und der Wind fuhr durch seine Haare, die in alle Richtungen abstanden.

„Also... was macht man auf einem Weihnachtsmarkt?", fragte er leise und traute sich, einen kurzen Blick zu mir zu werfen. „Naja, man hat Spaß", meinte ich stumpf und zuckte mit den Schultern. Potter rollte mit den Augen – eine Geste, die mir wesentlich besser stand. „Wirklich?", erwiderte er mit dumpfer Stimme.

„Ich meine – es gibt verschiedene Stände mit Essen oder Spielen und man kann in Fahrgeschäften mitmachen. Es gibt überall bunte Lichter und es riecht nach Weihnachten und Keksen. Kinder lachen und man hat einen Überblick über die ganze Stadt, wenn man mit dem Riesenrad fährt." Ich blickte ihn an, als er mir zu grinste. „Was ist?"

„Oh, nichts", antwortete er schlicht und blickte wieder nach vorne. „Ich fand nur, dass deine Augen so schön geleuchtet haben, als du eben geredet hast." Meine Wangen wurden heiß und ich wandte schnaubend den Blick ab. „Halt die Klappe, Potter."

„Entschuldige, Evans", grinste er mich an. Blöder Arsch. Ich wusste genau, dass er wieder versuchte, mich mit seinem Flirten rumzubekommen. Aber ich ließ mich nicht von ihm um den Finger wickeln. „Ich bin schon ganz gespannt darauf, den Markt zu sehen", fügte er hinzu.

„Das solltest du lieber auch", antwortete ich und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. „Es ist so ziemlich das einzige, was diese Stadt irgendwie sehenswert macht." Er murmelte etwas, was ich nicht verstand und schwieg dann.

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