1. Grau, wie der Himmel

Als die graue Wolkendecke auch an diesem Tag keinen Schnee herausgeben wollte, wälzte ich mich einmal in meinen weichen Kissen umher und starrte missmutig an die Decke. Ich hatte gehofft... wenigstens zu Weihnachten zu Hause etwas Schnee zu bekommen, aber das sah sehr mau aus. Selbst meine Mutter, die sonst immer und zu jeder Zeit in Feierlaune sein konnte, war dieses Jahr nicht gerade in Weihnachtsstimmung. Sie hatte nur einen Baum gekauft, weil Dad sie dazu gedrängt hatte.

Natürlich interessierte es Petunia eigentlich gar nicht. Sie war so oder so die meiste Zeit mit ihrem Verlobten Vernon unterwegs oder lief mit ihren dümmlich kichernden Freundinnen durch die Stadt. Nicht, dass es mich irgendwie stören würde. Wenn Petunia um mich war, dann strafte sie mich entweder mit Ignoranz oder mit unterschwelligem Hass. Einzig wenn unsere Eltern anwesend waren, da beherrschte sie sich einigermaßen. Es war... annehmbar.

Annehmbar war der Brief, der zerknüllt auf meinem Nachttisch lag, allerdings nicht. Unterschrieben war er von James Potter, arrogant, nervtötend und unsagbar irritierend. Ich wusste nicht einmal, wieso er mir geschrieben hatte, aber – aus irgendwelches unerfindlichen Gründen – wollte er mich besuchen kommen. Es war ja sehr nett von ihm, dass er das wenigstens ankündigte, damit ich mich vielleicht vorher nach Grönland absetzen konnte, aber warum wollte er überhaupt ausgerechnet mich besuchen? So viele Dinge sprachen dagegen. Und der größte Gegenpunkt war wohl, dass ich ihn verabscheute. Und das wusste er. Warum bei Merlins links gedrehter Unterhose wollte er also mich besuchen?

Seufzend hob ich meinen Kopf leicht an und blickte aus dem Fenster, in der Hoffnung es hätte in den wenigen Minuten, in denen ich in Gedanken war, angefangen zu schneien. Diese Hoffnung zerplatzte allerdings ziemlich schnell wie eine Schneekugel, die auf dem Boden zerschellte. Es war kurz nach zehn Uhr und wenn ich nicht langsam aufstehen würde, würde ich es gar nicht schaffen. Und wie würde das aussehen, wenn James Potter bei mir auftauchen würde und ich es nicht einmal aus meiner Decke geschafft hatte. Nein, nicht einmal diesen Erfolg würde ich ihm gönnen.

Voller Elan stieg ich aus dem Bett und wäre beinahe über mein am Abend am Boden abgelegtes Buch gestolpert, welches mit einem leichten Klatschen auf die andere Seite kippte. Magisches Celtarras hieß es und war eine fantastische Geschichte über eine ferne Welt voller seltsamer Kreaturen und spannenden Abenteuern. Ich hob es auf und legte es neben den Brief auf dem Nachttisch. Für einen kurzen Moment huschten meine Augen über die engen, äußerst sauberen Zeilen und sie blieben dann an seinem Namen hängen. Potter.

Ich machte ein schnalzendes Geräusch mit der Zunge, zog mir einen dicken Pullover aus meinem Schrank und betrat dann das Badezimmer, welches mit dichtem Dampf gefüllt war. Anscheinend hatte Petunia gerade erst ihre allmorgendliche Wasserverschwendung hinter sich gebracht und mal wieder vergessen, das Fenster danach aufzumachen. Wenn ich das jetzt jedoch tun würde, dann würde ich wohl oder übel in der Dusche festfrieren. Es waren eisige Minusgrade draußen und obwohl die meisten Häuser in weihnachtlicher Deko glitzerten, kam nicht wirklich die richtige Stimmung auf.

Als ich schließlich mit feuchten Haaren und in einen dicken Pulli eingehüllt aus dem Bad trat, erklang aus der Küche ein hysterisches Lachen gefolgt von manischem Kichern. Petunia und ihre Hühner mussten sich zu ihrem allmorgendlichen Kaffeeklatsch getroffen haben. Auch wenn mein Magen grummelte, tat ich mir diese Hölle ganz sicher nicht an. Da würde ich lieber im Slytheringemeinschaftsraum schlafen. Oder schlimmer. In Sirius Blacks Bett. Alleine der Gedanke daran ließ mich schaudern.

Meine Pläne, mich so lange nicht nach unten zu begeben, bis meine Schwester mit ihren Hühnern verschwunden war, wurden dadurch vereitelt, dass meine Mutter meinen Namen rief. „Lily, kommst du bitte mal?" Ihre Stimme verriet mir, dass sie nicht gerade gut auf mich zu sprechen war und ich überlegte, was ich angestellt hätte. Denn das hatte ich nicht. Zumindest nichts, was sie wissen würde. Dumbledore würde meiner Mutter bestimmt nicht schreiben, dass ich Sirius Blacks Unterhosen rosa gefärbt hatte. Außerdem hatte es ihm ebenfalls gefallen.

„Lily!", rief meine Mutter erneut, ihre Stimme einen Ton schärfer als zuvor. Dramatisch seufzend wandte ich mich von meiner Zimmertür ab, die ich eben durchschreiten wollte, und ging die Treppe hinunter. Die letzte Stufe knarzte leise und ich ging verdrossen durch die Tür, die in die Küche führte. Sofort bereute ich es. Ich hätte mich verstecken sollen. Oder in der Dusche ertränken. Petunias schrilles Lachen ertönte in dem Moment, in dem ich eintrat, es verstummte allerdings sofort, als sie mich sah. Ihre schmalen Augen verengten sich zu Schlitzen und ihre pinkgeschminkten Lippen verzogen sich hämisch. Ihr Blick sagte ganz deutlich aus: „Du bist in Schwierigkeiten, Freak."

„Lily, da bist du ja." Das war meine Mutter. Sie stand mit verschränkten Armen an der Spüle gelehnt und betrachtete mich mit einem skeptischen Blick. Stacy, Anette und Mandy sahen erst Petunia an, dann blickten auch sie mich hämisch an. Ich hasste diese blöden Hühner so sehr. „Ich habe diesen Brief gefunden", sagte meine Mutter leise und hielt mir ein Stück Pergament hin. „Wer ist James Potter und warum bittet er mich, dass er dich besuchen darf?"

„Ähm." Ich wusste ehrlich gesagt nicht, was ich darauf antworten sollte. Was bei Merlins Unterhose hatte sich dieser Idiot dabei gedacht? Dachte er überhaupt mal nach? Er war so ein großer, blöder Idiot! „Keine Ahnung", gab ich kleinlaut zu. Meine Mutter verschränkte die Arme wieder und ihre Augen bohrten sich in meine. „Wirklich? Kennst du diesen Jungen also nicht?"

„D-Doch, aber ich – Mum, können wir ins Wohnzimmer gehen?", fragte ich panisch. Ich konnte ihr nicht hier erzählen, wer Potter war. Petunias Freundinnen hatten keine Ahnung davon, dass ich eine Hexe war. Sie nickte steif und folgte mir dann.

„James Potter ist aus meiner Schule. Er ist eigentlich ein großer Trottel, aber er hat sich wohl in den Kopf gesetzt, dass er mich in diesen Ferien besuchen will, obwohl ich ihn nicht ausstehen kann und er einfach nur so ein Trottel ist und - "

„Lily!", unterbrach mich meine Mutter laut und ich verstummte. „Du willst also nicht, dass er vorbeikommt? Soll ich ihm dann antworten?" Ich wusste keine Antwort. Was sollte er schon von mir wollen, außer mich nach einem Date fragen oder mich mit seiner Anwesenheit nerven? „Nein, lass ihn ruhig herkommen. Ich bin irgendwie neugierig, was er will", sagte ich ehrlich. „Und wenn er mich nervt, dann ruf ich einfach Dad und der kann den Akkuschrauber holen." Meine Mutter lächelte schief. „Das würde sie aber zweckentfremden. Ich habe sie ihm nicht geschenkt, damit er deine Klassenkameraden damit aufspießen soll."

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß, aber er kann ihn ja wenigstens verscheuchen. Potter ist ein blöder Trottel, bei ihm würde es mich nicht wirklich stören."

„Was hat dieser Junge bloß getan, damit du so von ihm redest?", fragte meine Mum halb neugierig, halb missbilligend. „Ach, nichts Großartiges", sagte ich mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Er ist nur ein blöder Arsch, der denkt, er wäre der größte Macker der Schule und alle würden ihn lieben." Ich verdrehte die Augen. „Er ist arrogant, blöd und ein blöder, blöder Trottel."

„Das ist ziemlich viel blöd", stellte meine Mutter trocken fest. „Warum will er dich dann sehen? Weiß er denn nicht, dass du ein sturer kleiner Bock bist?"

„Mum!", rief ich erschrocken aus. „Lass das!" Sie lachte leise und erhob sich dann von dem Sessel. „Ich gehe jetzt einkaufen und Petunia müsste auch gleich gehen. Sie und ihre Freundinnen - ", die Art, wie sie das aussprach, sagte mir, dass sie die drei Hühner ebenfalls nicht sonderlich leiden konnte. „ – gehen heute mit Vernon und seinem Bruder Eislaufen. Und du wirst dich mit einem idiotischen Trottel treffen?", fügte sie fragend hinzu und grinste. „Ich muss ja wohl oder übel", grummelte ich und stand ebenfalls auf. „Und jetzt will ich etwas essen."

„Das habe ich mir gedacht", meinte sie und nahm sich ihre Handtasche vom Wohnzimmertisch. „Es sind noch Waffeln da." Mein Gesicht hellte sich auf. „Waffeln? Wunderbar. Besser kann ein Morgen nicht beginnen."

„Du meinst den Mittag", grinste meine Mutter schelmisch und deutete auf die Uhr, die nun beinahe auf der Zwölf-Uhr-Marke stand. „Ist ja egal", sagte ich und ging mit grummelndem Magen in die Küche. Petunia würdigte mich keines Blickes, als sie bemerkte, dass es mir nicht miserabel ging und dass meine Mutter mich nicht ausgeschimpft hatte. „Bis später, Mädels", rief meine Mutter aus dem Flur und ich konnte ihren unglaublich lächerlichen Hut sehen, den sie sich auf die rostroten Haare gesetzt hatte. „Bis dann, Mum", antwortete ich und hörte, wie Anette und Stacy leise tuschelten. Augen verdrehend nahm ich mir die Waffeln, die im Ofen standen und setzte mich in das Wohnzimmer, wo ich den Fernseher anschaltete.

Eine Viertelstunde später waren die Waffeln verputzt, mein Magen gefüllt und die Haustür war zugefallen. Petunia war gegangen und hatte ihre kleine Gang mitgenommen. Ich war also endlich alleine.

Mein Glück sollte nicht lange halten. Kurz vor Ein Uhr klingelte es an der Tür und widerwillig stand ich auf. Ich ging an der großen Kommode vorbei, die mal meiner Großmutter gehört hatte, und öffnete die Haustür, durch die sofort fröstelnder Wind wehte. „Was zum - ", fing ich an, bis ich mich daran erinnerte, wer mich denn besuchen wollte.

James Potter, gekleidet in einen langen Mantel unter dem er einen schwarzen Pullover trug, stand vor meiner Tür und seine Haare waren wie immer ein komplettes Desaster. Er grinste mich an. „Hey, Evans", begrüßte er mich charmant und ich verdrehte sofort die Augen. „Potter", sagte ich kühl.

„Hast du mich vermisst?", fragte er mit einem Lächeln und ich verschränkte die Arme und lehnte mich gegen den Türrahmen. „Eigentlich nicht. Ich war froh, dass ich dich los war. Warum willst du mit mir reden?"

Potter fuhr sich mit seiner Hand durch die Haare und blickte mich mit durchdringendem Blick an. „Darf ich reinkommen?", fragte er und seine Stimme klang auf einmal sehr viel ernster als sonst. „Ähm." Ich hatte nicht besonders große Lust, Potter in mein Haus zu lassen, aber – er hatte immerhin gefragt. Ich nickte steif und trat beiseite. Potter zog sich die Schuhe auf der Hausmatte aus und stellte sie auf den Boden. Dann streifte er seinen Mantel ab und ich nahm ihn wortlos in meine Hand. Ohne etwas zu sagen ließ ich ihn eintreten und schloss dann die Tür hinter ihm. Die Kälte blieb.

„Also, was willst du?", fragte ich leise, als ich mich auf die Couch im Wohnzimmer gesetzt hatte. Potter stand etwas verloren in der Gegend. „Ich... naja, ich wollte mit dir reden", meinte er mit hohler Stimme.

„Wirklich?", erwiderte ich ironisch und lehnte mich zurück. Er kratzte sich am Hinterkopf und trat von einem Fuß auf den anderen. „Ja, also - "

„Setz dich", meinte ich zähneknirschend und deutete auf den Sessel. Seine Nervosität machte mich noch fertig. „Ja, ähm - " Er setzte sich vorsichtig, als wollte er jeden Moment wieder aufspringen. „Wir kommen nicht gut klar", stellte er fest und ich musste hohl lachen, aber Potter sprach weiter. „Und ich will nicht, dass das die ganze Zeit so ist. Wir sind fast erwachsen, also habe ich mir gedacht, dass wir uns vertragen sollten."

Ich hob meine Augenbrauen. „Woher kommt dieser Einfall? Von Remus?" Potter grinste schief. „Nein, aber er hat mir gesagt, ich soll zu dir gehen."

„Blöder Arsch", murmelte ich leise. „Und jetzt willst du, dass wir auf einmal Freunde sind? Ich hasse dich, weißt du."

Er grinste noch ein Stück breiter und meine Lippen verzogen sich zu einer dünnen Linie. „Das weiß ich. Aber ich möchte das ändern."

„Wieso?", fragte ich seufzend. Freundschaft mit James Potter stand nicht auf meiner Prioritätenliste auf einer hohen Stelle. Es stand nicht einmal auf einer mittleren Stelle. Es war weit unter der innigen Blutsbruderschaft mit Bellatrix Black, die ich noch weniger leiden konnte, als den Schleim, den man in den Abschwelltrank geben musste.

„Weil ich... ", er atmete tief ein und sein Blick brannte sich in meine Augen. „Weil ich dich mag, Lily. Und ich will nicht, dass du mich einfach nur hasst."

„Auf diese Idee hättest du früher kommen können", zischte ich. „Du warst sechs Jahre lang ein ziemlicher Idiot. Warum also sollte ich jetzt auf die Idee kommen, dass wir Freunde sein könnten?" Potter biss sich auf die Lippe. „Ich weiß, ich bin spät dran... aber ich dachte nur, jetzt, weil wir auch zusammen Schulsprecher sind, da..."

„Aber es sind Ferien", meinte ich grummelnd. „Ich will meine freie Zeit nicht mit dir verbringen. Das muss ich doch schon in der Schule genug." Potter sah kurz zu Boden, als würde er sich selbst fragen, wieso er überhaupt hierhergekommen war, was ich mich im Übrigen ebenfalls fragte. Dann wanderte sein Blick wieder zu mir.

„Bitte? Gib mir eine Chance", sagte er schwach und rutschte auf seinem Sitz herum. Ich seufzte und rieb mir den Nasenrücken. Eine Idee entflammte in meinem Gehirn und sie war so gut wie sie böse war. „Okay, gut. Du hast 24 Stunden mich davon zu überzeugen, dass du nicht der größte Idiot auf Erden bist. Dann gehe ich sogar im nächsten Jahr mit dir nach Hogsmeade." Sein Blick war wirklich unbezahlbar. Seine Augen schienen beinahe aus seinen Höhlen zu fallen, so groß waren sie geworden und er starrte mich mit einer Mischung aus Entsetzen und Unglaube an.

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