✒️~Missverständnis~🖋
🕒 Date: 14th August 2010 🕒
🕒 Time: 12:58 am 🕒
Seitdem ich bei Sugawaras Grab war schien es, als wäre eine Last von meinen Schultern verschwunden. Zwar ging es mir noch immer nicht sonderlich gut, aber ich hatte zumindest keine Augenringe des Todes mehr, weil mich Albträume wachhielten. Scheinbar hatten die Albträume, die ich bis vor kurzem noch täglich hatte, damit zu tun, dass ich mich täglich davor gedrückt hatte, Kōshi zu besuchen. Seither hatte ich beschlossen, sein Grab mindestens einmal in der Woche zu besuchen und mich drum zu kümmern. Dabei fiel mir öfters auf, dass sich nie etwas an dem Grab zu ändern schien. Nicht mal eine andere Kerze als meine Eigene schien angezündet auf dem Grab zu stehen, was mir meine bisherige Vermutung bestätigte. Niemand außer mir, und manchmal auch meiner Mutter, schien sich um das Grab zu kümmern. Das war uns bei unserem ersten Mal, als wir dort waren, auch aufgefallen. An dem Tag hatte ich fast einen riesigen Schock bekommen, da dadurch, dass ein Jahr lang niemand etwas getan hatte, alles voll mit Unkraut war. Auch der Grabstein war voller Dreck und in diesem Moment war mir auch klar geworden, dass ich, auch, wenn es mir noch recht schwer fiel, als bester Freund, die Pflicht hatte, mich um das Grab zu kümmern, wenn es schon seine Familie nicht tat. Dennoch tat es mir jedes Mal weh, zu wissen, dass sich niemand außer meiner Mutter und mir um das Grab kümmerte. Sugawara hatte es nicht verdient, dass so wenig Leute sich um sein Grab kümmern, keiner hatte das. Wenigstens dazu sollte man doch in Stande sein. Es war schließlich das einzige, was man für die Verstorbenen noch tun konnte, sie alle hatten es verdient.
Auch die Angst vor dem Straßenverkehr schien langsam, aber sicher zu schwinden. Ich glaubte zwar nie, dass sie jemals komplett verschwinden würde, aber dadurch, das meine Mutter und ich immer mal wieder ein paar kurze Runden mit dem Auto gedreht hatten und zwischendurch auch für eine kurze Zeit immer mal rausgingen, schwand diese Angst immer mehr und ich wurde immer sicherer. Dennoch fühlte ich mich noch nicht bereit dazu, wieder die Schule zu besuchen. Meine Mitschüler würden mich sicherlich fragen, wie es mir ginge und was ich in der gesamten Zeit gemacht hätte. Vermutlich würden mir auch einige an den Kopf werfen, dass ich die Situation ja nur ausgenutzt hätte, um mich vor der Schule und den dazugehörigen Aufgaben zu drücken. In meinem momentanen Zustand wäre es zwar deutlich besser zu ertragen, als vor ein paar Monaten, aber wirklich gut würde ich dennoch nicht damit umgehen können, dazu brauchte ich noch ein wenig Zeit. Meine Mutter hatte vollstes Verständnis dafür, sie gab mir die Zeit, die ich brauchte. Vermutlich war sie momentan erstmal glücklich darüber, dass ich mich nicht mehr in meinem Zimmer verschlossen hielt und nach etwas über einem Jahr endlich etwas dafür tat, dass es mir besser ging und sich auch die allgemeine Situation verbesserte.
Es klopfte an der Tür und im nächsten Moment hörte ich meine Mutter fragen: ,,Daichi?" ,,Ja?", antwortete ich lautstark, darauf wartend, was sie mir zu sagen hatte. Sie trat in mein Zimmer und schloss die Tür hinter sich, als sie sich auf mein Bett setzte und bewusst versuchte, mir nicht in die Augen zu sehen. Was hatte sie bloß?
,,Was ist denn?", fragte ich sie vorsichtig. Wenn sie so bedrückt in mein Zimmer kam, konnte es nichts guten bedeuten. ,,Wie gut erinnerst du dich noch an den Unfall?", fragte sie dann eben so vorsichtig und sah mir zögerlich in die Augen. ,,Also, ich", fing ich leise an. Ich hatte nie vorgehabt, mich daran zurückzuerinnern, doch wenn selbst meine Mutter mich jetzt wieder damit konfrontierte, musste es wichtig sein und ich erinnerte mich noch immer haargenau an den Unfall. Es passierte erneut. Panik und Angst beherrschten meinen Verstand, wieder hallte das laute Quietschen der Räder des Autos in meinem Kopf wider. Es war alles so laut, ich wollte mich nie wieder daran erinnern, weil ich wusste, dass genau das wieder passieren würde.
,,Hey, Daichi!" Ich nahm den panischen Ruf meiner Mutter nur noch gedämpft wahr. Das Geschehen in meinem Kopf war zu laut, kam mir ein weiteres Mal so verboten realistisch vor, dass ich beinahe glaubte, es würde tatsächlich passieren. Wie vor einigen Monaten auch presste ich meine Hände auf meine Ohren und wollte, dass es endlich vorbei war. Ich dachte, wie meine Mutter wahrscheinlich auch, dass ich vielleicht doch bereit dazu war, wieder mit dem Thema konfrontiert zu werden. Dass ich vielleicht sogar schon beinahe normal mit anderen darüber reden konnte. Doch nein, konnte ich nicht, ich war was das betraf, noch immer auf dem gleichen Stand wie vor ein paar Monaten. Nichts hatte sich diesbezüglich geändert, ich war so naiv.
Doch dann hörte es schlagartig auf und ich war wieder in der Realität. Ich sah mich an. Ich war von oben bis untenhin komplett nass und auch, als ich neben mich sah, bemerkte ich dunkle Stellen, die darauf hinwiesen, dass auch mein Bett nass war. Aber wieso? ich sah nach oben, direkt in das Loch eines blauen, großen Eimers und dann nach vorne. Meine Mutter stand dort, hielt den Eimer in den Händen und musterte mich. Sie hatte mich mit einem Eimer voll Wasser übergossen. Ihr Blick und auch ihre Körperhaltung entspannte sich allmählig und sie seufzte erleichtert aus. ,,Puh, Daichi", entglitt es ihr ehrleichtert, als sie den Eimer wegstellte. ,,Du hast mir echt unheimlich Angst gemacht." Sie wuschelte mir durch meine nassen Haare, als ihr Blick plötzlich wieder ernster wurde. ,,Also kann man dich noch nicht wieder auf den Unfall ansprechen?", fragte sie, wobei es sich anhörte, als würde sie die Antwort eigentlich schon wissen. ,,Nein, scheinbar nicht", entgegnete ich ihr und stand auf, um zum Schrank zu gehen und neue Kleidung rauszusuchen, um mich umzuziehen. Meine Mutter wollte währenddessen das Bett neu beziehen.
Als ich im Bad war und mich umzog stellte sich mir die Frage, wieso meine Mutter so plötzlich auf den Gedanken gekommen war, mich nach dem Unfall zu fragen. Sie wusste immerhin, was passiert war, also gab es für sie keinen Grund. Ich beschloss, sie gleich darauf anzusprechen.
Als ich das Bad verließ, mit grauem Pullover und schwarzer Jogginghose, saß meine Mutter wieder auf meinem Bett. Ich setzte mich neben sie und wir sahen uns kurz an, bis ich fragte: ,,Wozu willst du eigentlich wissen, was passiert ist? Du weißt es doch oder nicht?" Sie lachte einmal auf, es hörte sich allerdings nicht nach einem glücklichen Auflachen an, sondern nach einem schmerzerfüllten, schon beinahe abschätzigen. ,,Na ja, Sugawaras Tod", sie machte eine Pause, schien kurz mit sich zu ringen, bis sie schließlich ihren Satz vollendete. ,,Sugawaras Tod war möglicherweise kein Unfall."
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