[2] Ist er nicht absolut wundervoll?
Ich kann nicht fassen, dass ich gerade mal vier Tage später mit meiner hibbeligen Mutter im örtlichen Tierheim stehe und darauf warte, den Hund namens Kevin kennenzulernen.
Im Tierheim ist es laut. Papageien schreien, Hunde bellen, Katzen miauen und ein penetranter Gestank nach Katzenstreu, Dosenfutter und nassem Fell liegt in der Luft.
Die Dame an der Rezeption hat erdige Pfotenabdrücke auf ihrem Pulli und eine Leine um ihren Hals hängen. Unwillkürlich rümpfe ich die Nase. Nicht, weil sie so offensiv uneitel ist, sondern weil ich mich schon mit ebendieser Leine um den Hals durch meine Albträume rennen sehe, Kevin knurrend und bellen ganz dicht an meinen Fersen. Sie nimmt ihr Handy vom Ohr und lächelt uns freundlich an.
„Sawyer ist gerade mit dem Rabauken vom See zurückgekommen. Er ist draußen und trocknet Kevin ab. Gehen Sie ruhig auf den Hof."
Sofort krallt Mum ihre Fingernägel in meinen Unterarm und zerrt mich euphorisch nach draußen.
„Aua!", protestiere ich verärgert, doch sie hört mich gar nicht. Sie hat nur Augen für das wuschelige kleine Ungetüm, das gerade ein zerschlissenes Handtuch über dem Kopf hängen hat und neugierig darunter hervorblinzelt.
„Ist er nicht absolut wundervoll?", quietscht meine Mum und mir klappt der Mund auf.
Wundervoll.
‚Wundervoll' ist gar kein Ausdruck für den Kerl mit den himmelblauen Augen und der Carolina-Panthers-Cap, die falsch herum auf seinen schwarzen Haaren sitzt. Sogar verflucht wundervoll sieht er aus, als er liebevoll den Hund abtrocknet, den ich zwar nicht haben will, den mir meine Eltern aber zum Geburtstag schenken wollen.
Er schaut auf, als er uns kommen hört, und ich muss mich augenblicklich am nächstbesten Zaun abstützen, weil meine Knie unkontrolliert zu wabbeln beginnen.
Kläffend kommt aus meinem Augenwinkel ein brauner Schatten angezischt und springt am Zaun nach oben. Als seine sabberige Zunge meine Finger streift, schrecke ich zusammen und wäre dieses Mal wahrhaftig gestürzt, wenn nicht im letzten Moment eine starke Hand meinen Oberarm packen würde.
„Scotty! Aus!", ruft der Kerl streng, aber nicht sonderlich laut, woraufhin der braune Schatten artig seinen Popo auf den Rasen plumpsen lässt. Der Hund hechelt und sein Schwanz schlägt schnell wie eine Peitsche auf den Boden, während er meinen Retter mit großen Augen anstarrt.
„Sorry", murmelt dieser und lässt mich los, als ich meine Füße wieder sortiert habe. „Scotty ist ein wenig übermotiviert, wenn Besuch da ist."
Er wirft dem Kläffer einen letzten strengen Blick zu und wendet sich dann zu meiner Mum, die sorglos auf dem dreckigen Boden sitzt und Kevin streichelt, der auf ihrem Schoß sitzt und ihr über die Wange leckt. Sie kichert wie ein kleines Mädchen dabei.
„Ah, Sie sind dann also Kevins neue Familie, nehme ich an."
Freudestrahlend schüttelt meine Mutter die Hand des jungen Gottes und deutet erst auf sich, dann auf mich.
„Ja, ich bin Monica Rodgers und das ist meine Tochter Gemma. Kevin soll vor allem ihr Freude bringen."
Oh, ja. Freude pur kommt da auf, als ich dem kleinen Fellknäuel einen skeptischen Blick zuwerfe.
„Ich bin Sawyer. Ich helfe hier freiwillig mit und hab' mich in den letzten Wochen um den kleinen Racker gekümmert", erklärt er lächelnd und beobachtet Kevin, bevor mir der Genuss seiner Aufmerksamkeit vergönnt wird.
„Willst du ihn begrüßen?"
„Uh, ehm... Den... Den Hund?"
Sawyer nickt und zieht eine seiner unglaublich maskulin geschwungenen Augenbrauen in die Höhe. Ich schlucke. Schwer.
„Klar. Unbedingt", würge ich hervor und gehe langsam in die Hocke.
„Komm, Hundi", rufe ich etwas krächzend und schnipse in der Luft herum. „Na, komm. Pssspssspsss."
Über mir ertönt ein tiefes Lachen.
„Keine Ahnung, was du da vorhast, Gemma, aber das funktioniert allerhöchstens bei Katzen", spottet Sawyer und gluckst amüsiert, genau wie meine Mum.
Kevin hingegen hat den Kopf schief gelegt und mustert mich skeptisch, also würde er mich für genauso beschränkt halten wie ich ihn. Wenn das nicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft ist...
Noch bis spät in die Nacht hinein schwärmt Mum meinem Dad an diesem Tag von Kevin vor, während ich in meinem Bett liege und die Decke anstarre. Letztlich hat der Hund an meinen Fingern gerochen, ein Winseln von sich gegeben, und ist ohne einen weiteren Blick zu meiner Mutter zurückgetrottet.
Sawyer meinte, dass es Zeit brauchen kann, bis wir uns mögen. Dabei interessiert mich eigentlich gar nicht, ob der Hund mich leiden kann. Viel mehr brennt die Frage in meinem Kopf, ob Sawyer mich heute gemocht hat. Und warum es so schön klang, als er meinen Namen gesagt hat.
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