Fünfter Moment
Vor Zweiundzwanzig Jahren
Alexander
Ich beobachtete meinen neuen Physik Lehrer, wie er meine Hausaufgaben kontrolliert. Er kontrolliert diese von jedem einzelnen Schüler und bespricht dann gleichzeitig auch die Fehler, die man gemacht hat. So geht er auf alles ganz konkret ein. Manche Schüler finden das zwar manchmal anstrengend, da es viele Hausaufgaben sind. Die meisten erledige ich schon im Unterricht.
Mittlerweile bin ich mit meinen zehn Jahren in der sechsten Klasse. Izzy ist in der vierten. So wie es sich auch für unseres Alter gehörte. Da ich ja früher eingeschult wurde und dazu noch eine Klasse übersprungen, bin ich ihr schulisch zwei Jahre voraus. Und trotzdem verstanden wir uns sehr gut. Jeden Abend spielten wir eine Runde 'Mensch-ärger-dich-nicht' und immer wieder wurde unser Ehrgeiz geweckt. Wobei wir beide immer schlechte Verlierer waren.
"Alec kannst du mir das erste Newtonsche Gesetz sagen?" Ich runzle die Stirn. Ob es für die Lehrer komisch ist, immer wieder Sachen zu fragen die sie eigentlich schon seit langer Zeit wissen? Es war irgendwie so , als würde ich Izzy nach ihrem Namen fragen. "Es ist das Trägheitsgesetz. Ein Körper bleibt in Ruhe oder in gleichförmiger Bewegung, solange die Summe der auf ihn wirkende Kräfte null ist." Mein Lehrer nickt, während er weiter auf meine Aufzeichnungen sieht. "Und was ist das zweiundachtzigste Element im Periodensystem." Ich schiebe meine Hände unter meine Oberschenkel. Etwas, was ich mir vor langer Zeit angewöhnt habe. "Blei."
Mit einem Räuspern sieht mein Lehrer auf. Seine Augen wirken durch die Brille unnatürlich groß. "Du hast Chemie erst im nächsten Schuljahr und auch das Gesetz, haben wir noch nicht behandelt." Ich sehe auf mein Schoß. Es klingt wie ein Vorwurf, nicht wie eine Feststellung. "Das war Glück." Er zieht seine Augenbraue nach oben. "Nenn mir das fünfzehnte Element." Unruhig rutsche ich auf meinen Händen hin und her. "Phosphor" bringe ich kleinlaut hervor. Ich half meiner Schwester unheimlich gern und auch Jace konnte ich vieles erklären. Nie machte es mir etwas auf. Aber auch nur, weil ich bei den beiden nicht auf mein Wissen reduziert wurde. Dieser Lehrer, der mir sonst immer sehr sympathisch war, übermittelte mir gerade das Gefühl, das es falsch war, das ich manche Sachen wusste.
"Soviel zu Glück, ja?" Ich kaute auf meine Unterlippe. Ich wollte hier weg. "Du solltest mit deinen Eltern wegen eines Schulwechsels nachdenken. Sonst kannst du die nächsten zwei Klassen auch noch überspringen." Damit überreichte er mir mein Übungsheft. "Ich will nur das du auch erkennst das, dass Leben dir nicht immer alles schenkt. Oder Sachen dich einfach finden, wie das Wissen was du jetzt hast. Es wird Dinge geben für die du kämpfen musst und das solltest du lernen." Ich verstand ihn, doch ich wollte Träumen. Unerschrocken und voller Phantasie. Das Leben würde noch schnell genug, ernst werden.
Ich sagte nichts mehr und verließ den Raum. Aus dem Gefühl heraus, nahm ich dieses mal den hinteren Eingang und blieb sogleich stehen, als ich Magnus am Sportplatz sah. Er putzte die Bänke. Dabei sah er alles andere als glücklich aus. Langsam gehe ich auf ihn zu und versuche dabei nicht mehr an die Worte meines Lehrers zu denken.
"Zu Zweit geht es vielleicht schneller, oder?" Ich setze meinen Ranzen ab und schnappe mir auch Arbeitshandschuhe und einen Lappen. "Du bist auch auf der Schule?" Magnus und ich sehen uns an. Dabei hebt er seinen linken Mundwinkel. Es ist ein Lächeln.. eine Kurve die alle Wogen glättet. Wie ein Bügeleisen, welches die Falten entfernt, die man durch zu vieles grübeln irgendwann man mal bekommt.
"Ja und du bist weg von deinem Internat?" Ich habe ihn nur vereinzelte male gesehen in den ganzen Jahren. Wir finden uns wenn wir Hilfe brauchen. "Ich war die ersten vier Schuljahre nur da. Jetzt bin ich hier in der fünften. Es ist so viel besser" gibt er dann zu, während wir von Bank zu Bank gehen und sie säubern. Ich frage nicht, warum er das hier machen muss. Ich helfe ihm einfach. Punkt.
"Du bist ein Jahr älter als ich." Es ist eine Feststellung, die mich von allem anderen ablenken soll. "Aber ich habe dich doch immer aus der sechsten heraus gehen sehen." Ich stocke und muss sogleich lächeln. "Warum fragst du dann ob ich auch auf der Schule bin?" Wie immer funktionieren wir ohne Absprache. Er macht die eine Seite, ich die andere. Und obwohl wir nicht viel reden oder gar kennen, fühle ich mich ganz gut. "Keine Ahnung. Es wäre komisch das Gespräch damit anzufangen, das ich dich beobachtet habe."
Irgendwie ist die Vorstellung amüsant, weswegen ich anfange zu grinsen. "Aber es ist doch wie die Schönheit. Sie ist subjektiv. Für dich könnte es komisch sein, für mich normal. Manchmal muss man auch Dinge auf die Gefahr hin sagen, das sie so verstanden werden, wie sie gemeint sind. Du hast mich gesehen und das hätte ich verstanden." Die restlichen Bänke ummantelt uns die Ruhe und sie ist merkwürdig. Sie ist so laut. Als würde sie mir sagen wollen, das jetzt nicht der richtige Zeitpunkt wäre zu schweigen.
Doch Magnus und ich machen unsere Arbeit zu Ende. "Ich muss den Eimer noch zum Hausmeister bringen." Ich nicke und nehme dann unsere Sachen. "Ich warte auf dich." Ich weiche seinem Blick aus, sehe ihm dann aber wieder hinter her. Solange bis er wieder auf mich zu kommt. "Gibt es eigentlich Fragen auf die du keine Antwort weißt? Zumindest nicht sofort" fängt er an, als wir schon auf dem Gehweg laufen. Wir haben den selben Weg und somit auch noch Zeit uns zu unterhalten.
"Frag." Kurz schien er zu überlegen. "Wann hast du das letzte mal deinem eigenen Atem gelauscht?" Ohne zu wissen was ich da tue, halte ich die Luft an. Es ist eine Frage, über die ich nachdenken muss. Fest atme ich aus, versuche das Geräusch wahrzunehmen, welches so alltäglich ist, das man es überhört. "Ich mache das immer vor Vorträgen. Irgendwie weiß ich danach, das ich das kann. Es ist, als würde ich tief in mich herein hören" verrät mir der Junge neben mir.
Seine Augen schauen mich interessiert an. "Beim lesen ist es manchmal nervige ein man sich dann total unbewusst auf dieses Geräusch konzentriert. Ein Geräusch was dir ja irgendwie vermittelt, das du am Leben bist." Es beantwortet nicht seine Frage und das wissen wir beide. Vielleicht ist auch das, das schöne. Etwas mal nicht zu wissen oder über Sachen zu rätseln die nichts mit dem naturwissenschaftlichen Wissen zu tun haben. Eher eine ganz andere Facette von Fragen.
"Hast du noch eine Frage?" Meine Neugier ist geweckt. Das erste mal in seiner Nähe. Wir sehen uns in die Augen als er seinen Kopf schüttelt. "Vielleicht morgen."
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