Dritter Moment

vor vierundzwanzig Jahren

Alexander

Jace und ich laufen gemeinsam von der Schule nach Hause. Er ist in der gleichen Klasse wie Izzy, die heute von unseren Eltern entschuldigt wurde. Ihr ging es in der Nacht nicht gut. Sie musste sich sogar übergeben, weswegen auch ich nicht so viel schlaf bekommen habe. "Mathe ist momentan voll blöd." Ich durfte letztes Jahr tatsächlich noch eine Klasse überspringen. Nachdem ich den test mit Bravour gemeistert habe und meinen Eltern keine Argumente mehr eingefallen sind, die dagegen sprechen, haben sie es dann doch zu gelassen. Seitdem langweile ich mich nicht mehr so sehr.

"Was findest du denn blöd?" Mein Ranzen war heute besonders schwer. Ich hatte mir zwei neue naturwissenschaftliche Bücher ausgeliehen, die mein Lehrer mir empfohlen hat. Am Wochenende sollte es regnen und da hatte ich genügend Zeit mich da einzulesen. "Wir haben mit Multi Dings bums angefangen." Jace sieht ziemlich verärgert aus. "Multiplizieren. Ich kann es dir am Montag in der Pause vielleicht mal erklären, wenn du willst." Wir bleiben an einer Kreuzung stehen, denn ab hier trennen sich unsere Wege. "Klar. Dann bis Montag um die gleiche Zeit?" Wir geben uns die Faust. "Ja, schönes Wochenende."

Ich nehme meinen Weg auf und beobachte einen Mann kurz wie er seinen Vorgarten pflegt. Eine andere ältere Frau kommt mir mit ihrem Pudel entgegen. Diesem scheint es gar nicht zu gefallen, das es leicht nieselt. Die Frau lächelt mich mit blassen dünnen Lippen an. Ich erwidere es, beeile mich allerdings auch nach Hause zu kommen. Wir haben noch ein paar Hausaufgaben auf und die möchte ich so schnell es geht bearbeiten.

Schon von weitem erkenne ich Izzy, wie sie gerade die Post herein holt. Ihr scheint es schon besser zu gehen, was mich persönlich sehr freut. Plötzlich rutscht sie mit dem Stapel von Briefen aus. Meine Augen werden groß als ich das sehe. Sofort renne ich mit dem schweren Ranzen los. Diesen setze ich neben meiner Schwester ab. Über ihre Wangen rollen kleine Tränen, die sich mit dem Regen vermischen. In einem Buch, welches ich mal bei meiner Mutter gefunden habe, wurde er als Konfetti bezeichnet. Wahrscheinlich ist das, das einzige Konfetti was man so deutlich spürt, wenn es fällt.

Das Knie von Izzy ist leicht aufgeschürft. Und auch ihre Hände weisen kleine Wunden auf. Aber erstmal streiche ich die Tränen weg. "Das war wohl bisschen zu schnell" Izzy hält meine Hand mit ihrer. Sie zuckt unbeholfen mit ihren dünnen Schultern. "Der Boden wollte wahrscheinlich auch mal Bekanntschaft mit uns machen." Ich kann ihr somit ein kleines Lächeln entlocken. "Ich glaube es freut ihn, dich und einen Po kennen lernen zu dürfen."

Nun fängt sie auch an zu kichern. "Du bist doof." Ich kann nur mit den Kopf schütteln. "Wir müssen die Wunden sauber machen." Ich habe schon oft unseren Eltern dabei zu geschaut, wie sie Izzy versorgt haben. Sie ist für ihre Tollpatschigkeit bekannt.

"Kann ich helfen?" Ich sehe auf. Neben uns steht der Junge namens Magnus. Wir hatten ihn das ganze Jahr über nicht gesehen. Weder an den Wochenenden noch in den Ferien. Er hatte sich nicht verändert. Nur ein Stück größer geworden. Aber das bin ich auch. "Gern" erwidere ich. Er lächelt mich an.

So als hätten wir das alles schon hundert mal gemacht, nimmt er die nun nasse Post und ich stütze Izzy. Zu dritt betreten wir das Haus. "Wo ist Mum?" frage ich meine Schwester, als mir niemand entgegen kommt. "Die wollte nur schnell zur Apotheke." Ich nicke und setzte so gleich meine Schwester auf den Klodeckel. "Habt ihr einen Verbandskasten?" fragt Magnus an mich gewandt und ich beschreibe ihm, wo er eigentlich sein müsste.

Ich hocke mich vor Izzy. Ihre Tränen sind zum Glück versiegt. Interessiert beobachtet sie Magnus und mich. Er reicht mir das Desinfektionsmittel, das ich mit einer kurzen Warnung auf die Wunden sprühe, danach reicht er mir ein paar Kompresse, damit ich es abtupfen kann. Zum Schluss sind die Pflaster dran. Wir brauchen keine Worte. Hin und wieder sehen wir uns interessiert an. Dabei konzentrieren wir uns voll und ganz auf die Wundversorgung meiner Schwester.

Diese schicke ich, nachdem wir fertig sind wieder in ihr Bett. Sie schaut ziemlich müde aus. "Zieh dich um, deine Sachen sind durchnässt" sage ich laut, damit sie mich noch hört. Auch Magnus reiche ich ein Handtuch, mit dem er sich nur grob etwas abtrocknet. "Wollen wir die Briefe auf die Heizung legen? Da trocknen sie vielleicht schneller."

Wieder lassen wir uns nicht aus den Augen. "Das ist eine gute Idee." Als wäre es das selbstverständlichste hilft er mir, die Briefe auf die warmen Heizungen zu verteilen. Nachdem wir das gemacht haben, wissen wir beide nicht so recht weiter. Unbeholfen stehen wir im Wohnzimmer. Ich weiß nicht wirklich was ich sagen soll. Ich kenne ihn ja nicht und er mich nicht.

"Wir waren ein gutes Team" Vorsichtig, so als sei es verboten lächelt er mich an. Mit einer gewissen Ehrlichkeit hebe auch ich meine Mundwinkel an. Sie kommen dem Himmel ein Stück näher. "Das waren wir tatsächlich. Danke auch für deine Hilfe." Magnus zuckt mit seinen Schultern.

Vor ein paar Minuten haben wir uns immer wieder angesehen und jetzt weichen wir den Blicken aus. Ich sehe ihm dabei zu, wie er seine Hand zum Abschied kurz hebt und dann über unsere Terrasse verschwindet. Wie das letzte mal sehe ich ihm hinter her. Er ist eigenartig. Aber das auf einer guten Weise. Und auch ich verhielt mich merkwürdig. Dabei konnte ich mir gar nicht herleiten woher dieses Verhalten kam. Ich meine, er war mir immer noch fremd. Und vielleicht war ihm die Umgebung und das alles hier auch och fremd. Schließlich ging er auf ein Internat. Magnus ist bestimmt noch nicht hier angekommen und seine Freunde sind auch nicht hier, sondern in der Schule.

Ich sollte ihm beim nächsten mal vielleicht einfach auf das Trampolin einladen. "Alec? Ist alles ok? Warum bist du so nass? Und was möchtest du mit den Handtüchern? Hätte nicht eins gereicht?" Als ich die Stimme meiner Mutter höre, merke ich das meine Augen immer noch auf dem Punkt lagen, wo ich ihn zum letzten mal gesehen hatte. Kurz schüttle ich meinen Kopf. "Izzy ist ausgerutscht. Magnus und ich haben sie zusammen verarztet. Ich hatte ihm ein Handtuch gegeben. Danach haben wir die Post noch trocken gelegt."

Mum nimmt mir die Handtücher ab und trocknet mich ebenfalls ab. Dabei nehme ich einen fremden Geruch auf. Es hat etwas exotisches. Leider kann ich es nicht zu ordnen, wonach es riecht oder in welche Richtung es geht. Es hat etwas eigenes. "Und wo ist Magnus jetzt?" Ich deute nur auf das Nachbargrundstück. "Zum Glück wart ihr zwei rettende Ritter gleich da." Kurz lächle ich. Meine Augen gleiten wieder zu dem Punkt zurück. Wir waren wirklich ein gutes Team.

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